01.09.2009: Chuck Ragan, Digger Barnes, Chinaski Jugend - Köln - Underground

01.09.2009
 

 



Männermusik besteht, entgegen vielerlei Meinung, nicht nur aus Geschrei. Wenn es rockt, ist es gut, wenn es bewegt, noch besser. Ein Mann der das ganz genau und vielleicht sogar besser als viele andere weiß, ist CHUCK RAGAN. Der Mann, der mit HOT WATER MUSIC zur Legende aufstieg und sich seit einiger Zeit auf Solopfaden bewegt, versteht es, Herzschmerz in Songs einfließen zu lassen, ohne dabei kitschig zu wirken oder gänzlich im Pathos zu versinken. Sympathisch und immer eine netten Spruch auf den Lippen, das zeichnet den Herren aus Kalifornien aus und so gestalten sich auch seine Konzerte. Im letzten Jahr konnte er mit seinen Kollegen DIGGER BARNES und AUSTIN LUCA im Kölner Underground überzeugen und schaffte das, was bisher wenigen gelingen wollte. Er verband das 16-jährige Emo-Kid, den Oi-Punk und den 40-jährigen Versicherungsvertreter zu einer Einheit, die sich freute, mitsang, sich zeitweise sogar in den Armen lag, ja, er brachte sie einfach dazu, gemeinsam eine gute Zeit zu haben. Höchste Eisenbahn also, das zu wiederholen.


Den Abend eröffnen durfte die CHINASKI JUGEND, ein Projekt vom JUPITER JONES Fronter Nicholas Müller. Der junge Mann, nur bewaffnet mit einer Klampfe erklomm auch recht pünktlich die Bühne und als die ersten Töne von „Das Jahr in dem ich schlief“ (ein JUPITER JONES Song) angeschlagen wurden, trudelten auch mehr und mehr Gäste in den Laden ein. Die CHINASKI JUGEND hatte die Meute direkt auf ihrer Seite. Bierflaschen wurden in die Höhe gehoben, es wurde mitgesungen und langsam hin und her gewippt. Ein angenehmes Bild, was sich dem Rezensenten da bot und auch ich selber konnte mich von einer gewissen Ergriffenheit nicht freisprechen. Es herrschte eine schöne Atmosphäre zwischen Pulikum und Sänger vor, was man vor allem an den Ansagen zwischen den einzelnen Stücken ausmachen konnte. Nicholas agierte sehr sympathisch und wurde mit einigen Lachern, aber auch einer ordentlich Portion Applaus belohnt. Beglückt wurde das Publikum mit weiteren JUPITER JONES Songs, darunter „Kopf hoch und Arsch in den Sattel“, „Auf das Leben“ und „Endorphinbatterie“. Die Besucher zeigten sich zu großen Teilen textsicher und immer noch wurde es voller im Underground. Die Luft wurde schwerer, der Sauerstoff weniger und zwischendurch gab es mit „100.000 Typen wach“ noch eine „echten“ CHINASKI JUGEND Track. Zum Schluss des halbstündigen Sets hatte man sich dann etwas ganz besonderes ausgedacht: CHUCK RAGAN steig auf die Bühne und zusammen wollte man „It´s Hard To Know“ von HOT WATER MUSIC singen. Zuvor drohte Nicholas den Leuten aber noch an, dass er Ohrfeigen-Personal im Publikum versteckt hat, welches genau überprüfen wird, wer den Text des Liedes nicht kannte. Wie sich zeigen sollte, war diese Personal aber völlig unnötig und spätestens die Textzeile „Live your heart and never follow!“ wurde lauthals mitgebrüllt. Ein ordentliche und gefühlvoller Abgang des Openers also, inklusive einem Vorgeschmack, was einen später an diesem Abend noch erwarten sollte. Nach gebührendem Applaus ging es für viele erst einmal raus, um frische Luft zu schnappen.


Noch draußen stehend konnte man schon die ersten Klänge von DIGGER BARNES aus Hamburg hören. Schnell das Bier an der frischen Luft zu Ende getrunken, das Geburtstagsständchen gesungen und das Gespräch beendet und dann ging es auch schon wieder rein. Einige Leute bevorzugten es jedoch, während der Performance draußen zu bleiben und sich die Kraft für den Headliner aufzubewahren. Voll war es dennoch und DIGGER BARNES beglückte die Menschen, die drinnen blieben, mit seiner recht monotonen und manchmal leicht einschläfernd wirkenden Abart von Country. Im letzten Jahr trat er alleine auf und peppte seine Show mit einigen netten Bildern, die auf die Wand projiziert wurden auf. Voll und ganz überzeugen konnte er mich aber damals schon nicht, irgendetwas fehlte mir in seiner Musik. Was genau das ist, kann ich bis heute nicht sagen und geändert hat sich daran nichts. Beim Großteil des Publikums kam die Musik des Hamburgers aber recht gut an und so konnten sich Songs wie „Same Old Game“ oder auch „Everybody Run“ und „Slacker Song“ sehr gut an, nicht zuletzt, weil immer wieder ein gewisse Johnny Cash Einschlag, in Form der Gleichgültigkeit und Monotonie der Stücke, zu vermerken war. Leider übertönten aber oft die lauthals geführten Gespräch die dargebotene Musik, so dass es einem nicht möglich war, es zumindest zu versuchen, sich in der Musik zu verlieren. Schade eigentlich, denn gerne hätte ich mich an diesem Abend mit DIGGER BARNES ein wenig mehr befasst, um vielleicht doch ein wenig mehr Zugang zu finden. Vielleicht schaffe ich das ja mit dem bald erscheinenden Album des Herren. Zum Abschluss gab es Applaus und der Höhepunkt des Abends rückte immer näher. Unter enormen Zeitdruck deckte man sich noch schnell mit Getränken ein und machte es sich erneut auf dem Stammplatz für heute Abend gemütlich. Die Show konnte beginnen.


Es dauerte keine halbe Stunde und der heiß ersehnte Headliner stürmte unter tosendem Applaus die Bühne. Das Underground platzte nun aus allen nähten und jeder Anwesende war gespannt, was ihn nun erwarten würde. Vorab gesagt: Es sollte ein wilder Mix aus CHUCK RAGAN, HOT WATER MUSIC und RUMBLESEAT werden. Nach kurzer und durch Understatement geprägter Begrüßung ging es auch gleich mit „Between The Lines“ los. Das Publikum verwandelte sich in eine Masse und zeigte sich textsicher. Der Spaß wurde sich um die Ohren geschmissen, obgleich die Tatsache, dass Chuck mit einer kompletten Band auftrat, ein wenig befremdlich wirkte. Im letzten Jahr kam man ganz ohne Schlagzeug aus, dieses war nun fast allgegenwärtig. DIGGER BARNES am Kontrabass, der obligatorische Fidler JOHN GAUNT, Keyboarderin Tyra Barnes und ein weiterer Gitarrist , dessen Name mir seit gestern entfallen ist (helft mir auf die Sprünge und ich ändere das um) gaben sich aber dennoch alle Mühe, um eine ordentliche Atmosphäre entstehen zu lassen und das glückte auch. „Don´t Cry (If You Never See The Rain)“, „Do You Pray“ und „The Trench“ folgten Schlag auf Schlag und die Menge war nicht mehr zu bremsen. CHUCK hatte seine Fans komplett im Griff, lachte sympathisch ins Mikro, wenn er mal nicht den richtigen Ton traf, blies zwischendurch in seine Mundharmonika und wirkte alles in allem mehr als sympathisch- genau, wie man es von ihm gewohnt war. Es wurde mitgesungen, Leute lagen sich in den Armen, es wirkte alles irgendwie so familiär, so, als würde man sich schon ewig kennen. Die Chance nutzte Chuck, um nach „For Goodness Sake“ einen alten HOT WATER MUSIC Song zum Besten zu geben - „God Deciding“! Es schien, als hätte man nur auf dieses eine Stück gewartet, denn sofort bebet das Underground wieder aufgrund der lauthals mitsingenden Menschen. Freundschaftlich grölte man sich an und selten hat man ein friedlicheres Konzert erlebt. Die Highlights wollten nicht aufhören und immer wieder entsprangen der rauen Kehle mit dem dazugehörigen Resonanzkörper Lieder wie „Open Up And Wail“, „Old Rules“, „Rotterdam“ und „Symmetry“. Das besondere daran war die Leidenschaft, mit der CHUCK RAGAN seine Musik vortrug. Hier steckt zwar teilweise eine Menge Pathos drin, aber dem Mann kauft man einfach alles ab. Um solche Songs zu schreiben, braucht man das dazu gehörige Leben. Dies scheint Chuck auf jeden Fall gelebt zu haben. Absolut ergreifend! Es folgten mit „Saturn In Crosshairs“ und „Cursing Concrete“ zwei RUMBLESEAT Tracks, bevor man sich zum ersten Mal verabschiedete und die Bühne verließ. Es war mehr als klar, dass man ihn nicht nach Hause gehen lassen würde. Es fehlten einfach noch prägnante und besonders schöne Stücke und so wurde lautstark nach einer Zugabe gefordert. Schnell kam man zurück und begann die Zugabe mit dem Übersong „California Burritos“, ging über zu „For Broken Ears“ und landete schließlich bei „The Boat“, ein Liedchen, auf das in diesem Raum sicherlich jeder gewartet hat. Eine interessante Version mit Keyboard und Schlagzeug wurde gespielt und diese wusste zu gefallen. Danach hätte man eigentlich den Abend beenden können, aber Chuck hatte dann aufgrund der guten Resonanz doch noch Lust einen letzten Song zu spielen. Meine Hoffnung, noch einmal „Bleeder“ hören zu dürfen wurde zwar nicht erfüllt, aber dennoch gab es mit „Revival Road“ nach mehr als zwei Stunden einen mehr als tollen Abschluss. Das Publikum war mehr als zufrieden, applaudierte und jubelte unaufhörlich, Chuck bedankte sich herzlich und beendete das Konzert mit ein paar warmen Worten.


Was bleibt einem nach so einem Abend zu sagen? Wenngleich ich gestehen muss, dass mir die Show im letzten Jahr ein Stück besser gefallen hat, war dieser Abend über jeden Zweifel erhaben. Es wurde alles gespielt, was man sich wünschen konnte und den Emotionen konnte man freien Lauf lassen. CHUCK RAGAN ist sicherlich einer der sympathischsten und gleichzeitig versiertesten Songwriter unserer Zeit und das hat er an diesem Abend erneut unter Beweis gestellt. An diesem Mann können sich so einige eine Scheibe abschneiden. Zum Abschluss zitiere ich einen guten Freund, der neben mir stand, mich anschaute und sagte: „Was macht Typen wie uns eigentlich fertig, Alex? Frauen und solche Musik!“ Dem konnte ich nur nickend zustimmen und habe dem auch jetzt noch nichts entgegen zu setzen.

PS: Das Bild oben stammt aus der Gallerie des letzten Jahres!