05.02.2010: The Dillinger Escape Plan - Köln - MTC

05.02.2010
 

 


Ich fühle mich fehl am Platze. Ich komme direkt von der Arbeit und habe einen grauen Wollpullover an, dessen Kragen, wenn ich ihn hoch klappe bis über die Nase geht. Mir ist jetzt schon warm, doch die gerade überstandene Ekältung zwingt mich, das Ding anzulassen, darunter ein Poloshirt, sieht auch nicht viel cooler aus. Die „Szene“ schaut mich mit fragenden Blicken an und besteht doch selber an diesem Abend aus diversen nicht szenetypischen T-Shirts. Verkehrte Welt. So ist das eben, wenn eine verquere Band auf der Bühne stehen soll. Seit dem Morgen verspüre ich eine ungemeine Wut im Bauch. Soll der Zeitpunkt gekommen sein, an dem ich sie endlich raus lassen kann? Das Feuer in mir entfachen und einfach mal ich selbst sein. Das wäre jetzt schön, aber ich habe einen Wollpullover an.

Es ist 19 Uhr 30. Zeitpunkt des Einlasses und nichts ist los im MTC. Dabei wurde doch schon Wochen vorher verkündet, dass die Show von THE DILLINGER ESCAPE PLAN restlos ausverkauft sei. Verkehrte Welt. 20 Uhr 30 und ich stehe mir die Beine in den Bauch. Vor Langeweile und Verzweiflung über die Nu-Metal Klänge der Djs habe ich schon zwei Bier getrunken. Mittlerweile erkennt man das Ausmaß einer ausverkauften Show im MTC. Der Laden platzt aus allen Nähten. Vorstoß nach vorne. Zu viert. Zwei verliere ich, muss sie zurücklassen. Der Vierte im Bunde teilt die Masse in zwei Teile und wir schaffen es bis hinter die Absperrung (im MTC). Hier vorne stehe ich mir eine weitere halbe Stunde die Beine in den Bauch. Ohne Vorband aufzutreten kann sich auch nicht jede Band leisten. Die Leute dann auch noch knappe anderthalb Stunden warten zu lassen, da wird die Riege an Bands, denen man das verzeiht definitiv kleiner. Aber das sind eben THE DILLINGER ESCAPE PLAN, denen verzeiht man alles.

Gerade noch las ich auf irgendeinem Flyer etwas über eine längst vergangen Show und jetzt werde ich schon beschallt. „Good Neighbor“. Keine Begrüßung, sofort Krach. Der Flyer fällt mir aus der Hand und ich werde vom Publikum mitgerissen. Der Abriss kann beginnen. Ab jetzt sind meine Erinnerungen nur noch Bruchstücke eines guten Abends, der phasenweise nur von Leuten gestört wird, die riechen, als hätten sie heute schon mal gekotzt und sich eingepisst. Ich habe eh Schnupfen, also interessiert mich das nicht so sehr. Ich wende meinen Blick zur Bühne. Ein Muskelpaket und diverse verrückte Musiker suhlen sich im Pathos. Ben Weinman wird seinem Ruf als durchgedrehter und bekloppter Gitarrist ein weiteres Mal gerecht, Greg Puciato, sympathisch wie er ist, übt sich in seinen Posen, steht auf der Absperrung und schreit das Publikum an und der aktuelle Drummer Billy Rymer macht seinen Job verdächtig gut. Das nächste an das ich mich nach „Fix Your Face“ erinnere, ist „Milk Lizard“. Eben noch moshte die Szene umher, jetzt tanzt sie eher. Der Song und seine Art zwingt sie dazu. Ich erinnere mich an Menschen, die im steten Wechsel die Gitarre oder den Schweiß Ben Weinmans schmecken, oder aber auch die Spucke Gregs im Gesicht haben, sich angucken und sich dann darüber freuen wie kleine Kinder. Ich muss grinsen und schon wird das E-Piano ausgepackt und „Mouth Of The Ghosts“ ertönt. Es wird ruhig im Raum und ich merke, das mein Wollpullover etwas größer geworden ist. Es mag aber auch daran liegen, dass mein eigener Schweiß und der vieler anderer Menschen schwer auf ihm Lasten und ihn nach unten ziehen. Aber ich bin nicht cool genug, ihn auszuziehen. Also mache ich einfach weiter wie gehabt und schwitze fröhlich vor mich hin.

Den Song bekommen THE DILLINGER ESCAPE PLAN nicht so hin, wie erwartet. Ein paar schiefe Töne werden ins Mikro gesungen und auch die Arbeit am E-Piano wirkt teils arg improvisiert. Egal, hört sich trotzdem toll an, muss ja nicht immer alles perfekt sein. „Black Bubblegum“ löst frenetischen Jubel aus. Die Leute scheinen sich über die neueren Stücke der Band zu freuen. Ich will eigentlich nur einen einzigen Song hören. Nur diesen einen, aber das wird noch etwas dauern. Dann sind sie wieder da, diese abgedrehten, fast strukturlosen Songs, für die ich diese Band so liebe. Die Gitarren fegen durch die ersten Reihen, verfehlen die Köpfe der dort anwesenden Zuschauer nur um Haaresbreite. Einige ducken sich, andere trotzen dem mit eiserner Miene. Mich zu bewegen fällt mir immer schwerer, der Pullover möchte mich zu Boden ziehen, ich kämpfe mit mir selber und Menschen, die mich nach vorne drücken. So macht es Spaß. Ich sehe niemanden der aggressiv durch die Gegend tritt, schubse einen der Menschen, die mir immer wieder in die Seite springen weg und erhalte als Dank einen Schlag auf die rechte Gesichtshälfte. Das Feuer ist entfacht, jetzt braucht es nur noch diesen einen Song und ich raste aus. Vorher aber noch „Horse Hunter“, „The Mullet Burden“ und und „Farewell, Mona Lisa“ ein Stück der bald erscheinenden Platte „Option Paralysis“. Dahingehend richten sich auch die wenigen Worte der Band an das Publikum und dann ist auch der Hauptteil der Show schon überstanden.

„Die kommen eh wieder, das können die nicht machen“ denke ich so bei mir und dann sind sie auch schon wieder da. „You are great. At least you are better than the guys last night. Honestly. Thank you!“, so die Worte Gregs, bevor mit „The Running Board“ die Zugabe eingeleitet wird. Langsam werde ich hibbelig, wird mein Wunsch doch nicht erfüllt? Es wird ruhig. Last chance to dance und dann sind sie da, diese dissonanten ersten Töne von „43% Burnt“. Ich grinse meinen Kumpel an, er weiß, was ich plane und wir bahnen unseren Weg durch die Masse. Wir räumen die Tanzfläche auf, ohne dabei jemandem weh zu tun. Ja, liebe Freunde, das kann auch ein Mann mit Wollpullover. Es ist ein Miteinander, kein Gegeneinander. Das habe ich jetzt gebraucht. Ich schaue nach unten und sehe Hände, die sich zusammentun und mich in die Luft heben wollen. Ich denke noch „Nein, nicht jetzt!“, laufe aber trotzdem los und schon werde ich nach oben katapultiert und finde mich plötzlich auf den Händen des Publikums wieder. Ich greife nach den Sternen, bekomme aber nur die Decke des Schuppens zu fassen. Aber nicht für lange, denn das in diesem Bericht schon so oft erwähnte Kleidungsstück macht mich schwer, zieht mich nach unten und nach kurzer Zeit finde ich mich auf dem Boden wieder. Dort liegend grinse ich und genieße die letzten Töne von THE DILLINGER ESCAPE PLAN.

Das letzte Mal hatte ich die Band zusammen mit POISON THE WELL in der Zeche Carl gesehen, war dort zwar begeistert, hatte aber das Gefühl, dass ihnen eine Clubshow wesentlich besser stehen würde. Heute hat sich bestätigt, dass genau das der richtige Gedanke war, denn genau hier konnte man die Energie, die von THE DILLINGER ESCAPE PLAN ausgeht, spüren, in sich aufsaugen und wieder ausleben. Die Wut, die ich den ganzen Tag über verspürte ist wie weggeblasen. Ich fühle mich wohl und mache mich zufrieden auf den Weg nach Hause. Dort angekommen ziehe ich den Wollpullover aus und stelle ihn zur Erinnerung in die Ecke, das kann er jetzt ganz von alleine. Nur komisch, dass mein linkes Ohr fiepst, ich bin gespannt, wie lange das jetzt anhält.