05.08.2011: Hot Water Music, Make Do And Mend, Stand Fast - Bei Chez Heinz, Hannover

05.08.2011
 

 




Es gibt Konzerte. Und es gibt Konzerte. Auf erstere wankt man unruhig und mit gemischten Gefühlen, eventuell nur spontan und nach einer Portion Überwindung oder Überzeugungskünsten von Mittätern. Dann gibt es Konzerte. Schon bei der ersten Ankündigung juckt es in der linken Brust, der Puls drängt in die erste Reihe, die Hand greift zum Telefon - damit sofort Vorverkaufstaktiken, in Frage kommende Supportbands oder erträumte Setlisten ausdiskutiert werden können.
Der erste Freitag im August lässt weder Spontaneität noch Zweifel zu. Das Bei Chez Heinz in Hannover-Linden ist trotz laufender Umbaumaßnahmen mit eingeschränkter Toilettensituation (mit 4 Festival-like Dixies auf dem Innenhof) seit langem komplett ausverkauft, der Vorplatz erinnert beim Eintreffen gegen 19.00h an einen internetsüchtigen Flashmob für Teilnehmer aus ganz (Nord-)Deutschland, die wissen, wie man ein Karohemd gewitzt und schick hochkrempelt, um die 28 Grad Außentemperatur zu umspielen - oder den Geheimtipp fürs Ersammeln von Flaschenpfand für den gegenwärtigen Abend.

Wenige Stunden zuvor hatte er die geliebte Angelrute gegen die akustische Gitarre getauscht, sich für den Start der Europatour extra mit Hilfe einer gründlichen Rasur um ca. 15 Jahre verjüngt - und mit "The Boat" oder "Nomad By Fate" gut 200 Seelen beim Plattenladengig beglückt. Als die ersten Töne des mal sperrigen, mal bolzenden Münster-Postcores von STAND FAST aus dem Keller schallen, sitzt nicht nur Chuck Ragan noch gemütlich beim Interview, auch Zuschauertraube und herzlicher Applaus wachsen trotz herzlicher Bemühungen von Stefan, Tobi, Kai, Dennis und Timo nur sehr mässig.



"Ich möchte einer Band danken, ohne die unsere Herangehensweise an Musik, an das Leben und der Blickwinkel, aus dem wir Punkrock und alltägliche Aspekte heute betrachten, eine gänzlich andere wäre. Diese Band heißt HOT WATER MUSIC und wir fühlen uns mehr als geehrt, mit dieser Band unsere ersten Shows Europa spielen zu dürfen". Der Arbeiterstiefel- und Sympathie tragende Frontmann James Carroll scheint fast den Tränen nahe, krächzt in nächster Sekunde jedoch weiter hingebungsvoll und treu Songs wie "Shambles" oder "Transparent Seas" seiner Band MAKE DO AND MEND ins feuchte Mikrofon. Die vier Jungs aus Connecticut wirken so wunderbar harmlos und umgänglich, man würde ihnen sorglos den eigenen Wohnungsschlüssel zustecken, damit sie sich nach der emotionalen und engagierten Verausgabung bei "Oak Square" und "Bitter Work" anständig frisch machen können. Dynamisch und doch angepisst, das Jetlag wird mit großkalibrigen Postpunkhymnen und klitschnassen Refrains gekonnt unter die Bassdrum gekehrt.
In absehbaren Minuten nach dem herzlichen Übergriff und "Night´s The Only Time Of Day" ist sowohl Plastik als auch Vinyl ausverkauft, der überglückliche Set-Zeuge kann sich lediglich noch mit einem schönen Eulen-Unterhemd erkenntlich zeigen. Sollte er auch. Oder sein Geld anstatt für verdampfende Flüssigkeiten an der Bar im Supermarkt nebenan verprasseln: Hier gibt es nicht nur die LP von Chris Wollard, auch Reste der Tour 7“ mit den Bouncing Souls haben HOT WATER MUSIC im Kassenklingel-Gepäck.
Die Umbaupause zerrt, die Raumtemperatur schwillt bereits fernab jeglicher Tanzeinlagen auf das geschätzte Innenleben eines Wasserkochers an. Endlich. Der Taschenlampenstrahl Richtung Mischpult.



„Here's One Of Time Passed - Of A Flight - And A Crash, Over And Again...“ Als wären sie nur eben Zigaretten holen gewesen, stehen Jason Black, Chris Wollard, George Rebelo und Chuck Ragan nach über einem Jahrzehnt wieder zusammen auf einer hannoverschen Bühne. Zwar etwas gezeichnet von der Zeit, aber wie eh und je mit diesem ehrlichen Grinsen und der inbrünstigen Hingabe, die Songs wie „Paper Thin“ oder „All Heads Down“ so zeitlos machen oder das (in Hannover) zu oft vermisste Kollektiv bei „Rooftops“ auseifernd zusammenschweißen. Oft kopiert, oft vergoldet und doch nie erreicht – die Stimmen von Chris und Chuck füllen den Eimer bis zum Rand mit Emotionen und dieser markanten Whiskeyfährte. Hannover schwankt zwischen Verausgabung und Überraschung, die Setliste reicht vom brandneuen „The Fire, The Steal, The Tread“ bis hin zu lupenreinen Abendrettern wie „Our Own Way“.

HOT WATER MUSIC, eigentlich nur vier Typen, die in Florida eine Punkrockband gegründet haben. Und doch haben sie irgendetwas anders gemacht. Von Textzeilen bis zu kompletten Logo-Oberarmen reicht heute die Spanne der Fantattoos im Publikum, kaum jemand in den ersten Reihen, der/die nicht nahezu 100% textsicher ist. Gründe mag es viele geben für eine Wiedervereinigung nach gut 2 Jahren im Off. Heute Abend lässt die Band den Eindruck zurück, dass die Liebe und die Leidenschaft zur Musik durchaus sehr wichtige waren, um das Handtuch wieder aufzuheben. „Remedy“ unterstreicht die letzten Minuten, die aus Chucks Les Paul und Chris Orange-Box strömen, bevor die letzten Stimmbandreserven auf „It´s Hard To Know“ verbraten werden.

Die Türen werden aufgerissen, ein nicht abreißender Menschenstrom ergießt sich in den Innenhof. Sauerstoff. Unter halbnackten, betrunkenen oder ausgelaugten Menschen scheint es niemanden zu geben, der enttäuscht oder gänzlich unzufrieden nach Hause gehen muss.
Den Boden und die Wände des Clubs schmücken literweise Schweiß und Bierpfützen, Scherben und T-Shirtfetzen liegen vereinzelt herum, ein Pulk Körpersaftgeduschter sucht neuen Zwirn im HOT WATER-Look - und dann schleicht sie sich wieder an: Diese verschwommene Magie, die einem bis zum Einschlafen pausenlos aus der Gainesville-Bibel zuflüstert: „Live Your Heart And Never Follow, Live Your Heart And Never Follow, Live Your Heart And Never Follow...“