08.01.2010: Rise And Fall, The Hope Conspiracy - Köln - Werkstatt

08.01.2010
 

 


No Apocalypse, not now
Es gibt einen Hass, der tiefer geht. Es gibt einen Hass, der rein, nicht jedoch aseptisch ist. Und wenn die Hölle ihren dreckigen Schlund öffnet und plötzlich findet man sich im Dunstkreis gut frisierter Menschen und auf der Bühne schreien Belgier und US-Amerikaner im Schulterschluss der Ultimativangepissten – umso besser. Immer her damit. Wir mussten schließlich lange genug darauf warten.



Die Rotze, sie gefriert heute in Lichtgeschwindigkeit an Jackenkragen fest. Die kalte Luft, sie schmerzt beim Einatmen. Menschen tragen schwarze Kapuzen über schwarzen Wollmützen heute völlig zu recht. Klirrend kalt ist gar kein Ausdruck. Daisy reibt sich schon die frostigen Hände. Alle warten auf die Katastrophe. Dieses dünne Schuhwerk – angelehnt an Bootsschuhe – ist auch nicht gerade förderlich. So kommt es dann auch, dass die Werkstatt im schönen dreckigen Ehrenfeld sehr viel schneller gefüllt ist, als man das in der Vergangenheit erleben durfte. Unten wird ein Gummistrand aufgebaut, oben wartet die alte Tante Hass auf ihren Auftritt. THE HOPE CONSPIRACY haben sich rar gemacht. THE HOPE CONSPIRACY wissen, dass genau das strategisch richtig und gut ist. Weil alle übersättigt sind. Glückliche durften in der Vergangenheit erleben wie sie jung, gut frisiert und verdammt schlecht gelaunt SNAPCASE an die Wand spielten. Zu viert. Wall of sound. Endnote, Baby…Ok, zugegeben, SNAPCASE waren alt. THE HOPE CONSPIRACY jedoch verdammt hungrig. Noch Glücklichere sahen sie auch mit CONVERGE. Das ist einige Jahre her. Seitdem ist viel passiert. Genreprägende Bands lösten sich auf. Genreüberschwemmende Bands kamen hinzu. Depression und Hass sind zu leeren Worthülsen verkommen, die sich jeder auf die Fahne pinselt, um in kriselnden Zeiten doch noch fünf T-Shirts zu verkaufen. Die Apokalypse wurde ihrer ursprünglichen Bedeutung beraubt. Modethemen kommen nie aus der Mode. Gott ist mal tot, mal egal, mal einzige Triebfeder.



Doch zunächst, als man noch gar nicht damit rechnet, dass es losgeht: RISE AND FALL. Beschwörergesten, Punkmetal, Cleveland im Geiste und ein kurzes, knackiges Set. Noch vor kurzem gastierten die Belgier in Köln, weshalb ihr Empfang zwar äußerst wohlwollend, nicht jedoch hocheuphorisch gerät. Wobei auch viel zugereistes Volk gesichtet wird. Menschen von RITUAL und STORM AND STRESS sind schließlich am Ende des Tages auch nur Fans. Die Rollen, sie sind wie immer klar verteilt. Vincent Maes fällt Bäume mit seinem Bass. Bjorn Dossche ist gut bei gutturaler Stimme und kultiviert immer noch einige der eigentümlichsten Bühnenposen. Wichtigster Bestandteil (das weiß man nicht zuletzt seit „Our Circle Is Vicious“) bleibt jedoch Gitarrist Cedric Goetgebuer. Dieser unscheinbare, schmächtige Typ, der bei RISE AND FALL mit seinem Spiel den großen Unterschied ausmacht und die auditiven Fäden zieht. 'Soul Slayer' und vor allem 'Built On Graves' erweisen sich da in ihrer Mischung aus Bulligkeit und Atmosphäre als Vorboten der gemäßigten Hölle, die später noch über die Besucher kommen sollte. Man mag die Band schon aggressiver, das Publikum während der Darbietung bewegungsfreudiger erlebt haben, ihren Job als Anheizer erledigt das Quartett formidabel. 'The Noose' und 'Forked Tongues' sind die Brücken in die rohere Vergangenheit, wohingegen gerade 'In Circles' (irgendwer im Raum erzählt was von wegen Pop-Song) wohlige Schauer über den Rücken jagt. Dann ist es auch fast vorbei. Der Drummer zieht glücklicherweise wieder ein T-Shirt an. Die Bühne wird geräumt für die „True Nihilists“. Ob das Feuer immer noch brennt?



Dann soll es losgehen. Und nicht nur die üblichen Deathwish-Adepten freuen sich. Jared Shavelson groovt sich warm, Neeraj Kane, Jonas Feinberg (mit obligatorischem HOPE CON-Wildwuchs im Gesicht) und ein zweiter Gitarrist (es ist nicht Tim Cossar) positionieren sich. Kevin Baker derweil schlurft beinahe behäbig auf die Bühne, flüstert sich im Stillen noch ein paar Hassgebete zu. Fülliger ist er geworden, das lässt sich wohl kaum bestreiten. Jetzt soll es an dieser Stelle natürlich nicht um Äußerlichkeiten gehen. Daher: 'Departed' und 'Defiant Hearts' sind natürlich der perfekte, direkte Weg in ein Set, das offenbart, wie viele verflucht gute Songs THE HOPE CONSPIRCY in ihrer Discographie mittlerweile vorzuweisen haben. Die Menge frisst ihnen vor allem bei älteren Songs ('Escapist' und: 'Truth And Purpose') aus der Hand. Die fünf erweisen sich zwar als weit weniger blutrot aggressiv als früher (vielleicht doch die Körperfülle?!), dafür haben sie die Menge im Blick. Der sie dann doch mehr "Endnote"-Songs schulden, als im Vorfeld angekündigt ('Fallen' und 'For Love' sind klare Highlights des Sets). Dann dieser Depp, mit betont psychopathischem Blick. Ein affektierter überbetonter Idiot, der das alles nicht verstanden hat. Der unbedingt Ärger möchte und den gut und gerne fünf Leute davon abhalten müssen. Kevin Baker hält inne und sorgt dann für einen jener Augenblicke, derentwegen man Hardcore auch im noch jungen Jahre 2010 noch lieben darf. Erzählt was von wegen PMA und warum affektierte übertonte Deppen sich auf Shows nicht schlagen sollten. Weil WIR das nicht wollen. Die Botschaft kommt an. Danke Kevin Baker.



Auf Hass umswitchen kann er dann trotzdem wieder schnell. 'The Dismal Tide' besiegelt schließlich mäandernd (beinahe) das Ende eines Sets, das vielleicht ein wenig energetischer hätte ausfallen können, dennoch wohl die wenigsten frustriert den Heimweg in die Eishölle hat antreten lassen. No Apocalypse, not now? Dafür bekommen wir noch einige trübsinnige Wahrheiten mit auf den Weg. „Guilty, we’re all guilty. Guilty fucking pigs.“ 'They Know Not' ist in seiner wogenden Intensität der perfekte Rausschmeißer. So wird man doch gerne in die kalte Nacht entlassen… Es gibt jedenfalls nicht vieles, was man sich nach diesem Hassbad noch wünscht. Außer einer THE SUICIDE FILE-Reunion vielleicht. Ich hab echt so einen Hals.