09.08.2014: Ieper Fest - Tag 2 - Festivalgelände, Ieper

09.08.2014
 

 



Mein zweiter Festivaltag wid für mich durch das Set von BROKEN TEETH eingeläutet, für das ich leider einige Minuten zu spät zu sein scheine. In das Trench-Zelt hatte ich gestern lediglich für Herder mal einen Blick geworfen, es hat etwa Platz für 200 Leute, ist allerdings schon einige Minuten vor Beginn der Live-Show dermaßen gefüllt, dass eine große Schlange Leute vor dem Zelt stehen und von dort aus nach drinnen schauen. Dort stelle ich mich dazu. Was man sieht, ist nicht nur eine der besten Shows des Ieper-Wochenendes, sondern wahrscheinlich auch eine der besten Shows, die BROKEN TEETH bis jetzt gespielt haben. Ein weiterer Act, der sehr kurzfristig ins Line-Up herein gerutscht ist, aber dennoch mehr als gut angenommen wird. Egal ob neuere Songs wie „Path of Conviction“ und „My Law“ oder ältere Kaliber wie „The Seeker“, stets werden die Stücke mitgesungen und sorgen für Aktion im Moshpit. Auch Stagedives und Headwalks gibt es zu Hauf. „Souldestroyer“ am Schluss des Sets sorgt dann für den absoluten Riss. Zusammen mit der gestrigen Show von Blind to Faith sicherlich die intensivste Show im Trench Zelt.

ANGEL DU$T damit zu vergleichen, würde wenig Sinn machen. Schließlich schlägt die neue Band des Trapped Under Ice Frontmanns Justice Tripp erstaunlich sanfte, oft schon positive Töne an und ist damit deutlich näher am Punkrock als am Hardcore. Ich für meinen Teil musste in diese Musik erst mal rein kommen und konnte sie so wirklich gar nicht zuordnen oder in Referenzen setzen. Aber vielleicht macht gerade das ANGEL DU$T so interessant. Zwar klingt die Mischung der fünf Amerikaner beim ersten Durchgang etwas abgespaced, und auch nicht jeder Ton wird von Tripp getroffen. Doch im Einklang mit der punkigen Attitüde könnte man da natürlich Absicht unterstellen. Die Menge ist unerwartet textsicher, obwohl das Debütalbum „A.D.“ (mit ca. einer Viertelstunde Spielzeit) erst vor einigen Wochen veröffentlicht wurde. Die matschige Wiese vor der Main Stage wurde indess mit Stroh ausgelegt, sodass man sich nicht von dem Dreck oder einem möglichen Ausrutschen den Spaß verderben lassen muss. Das Wetter ist heute ohnehin gut, am Samstag strahlt die Sonne über Ieper. Das passt sehr gut zur Musik von ANGEL DU$T, die gelungen auf das vorbereiten, was bei Turnstile wohl vor der Main Stage abgehen wird. Auch alte Songs wie „Slam“ oder „Rage“, sowie ein Black Flag Coversong finden ihren Weg in die Setlist.

Zwischendurch machen AUTHORITY ZERO auf der Marquee Stage recht sonnig und in abgefuckter Punk-Manier weiter. Zu meiner Enttäuschung präsentiert die Kapelle aus Arizona allerdings über die gesamte Spielzeit hinweg fast nur neue Songs, die mir nicht bekannt sind. So kommen Fans der ersten Stunde nicht wirklich auf ihre Kosten, auch wenn es immer wieder verblüffend ist, was die vier Musiker (oder wahlweise auch Frontmann Jason alleine mit Akustik-Gitarre) da so zaubern. Mitunter die sonnigste und seichteste Band an diesem Wochenende, die eine unbeschwerte Mischung aus Punkrock und leichten Ska- sowie Reggae-Einflüssen präsentiert.

Auf TURNSTILE hat die Hardcore-Szene Europas gewartet, so scheint es. Mir fallen sehr wenige, eventuell sogar keine Newcomer-Bands aus den Staaten ein, die dermaßen fiebrig erwartet wurden. So wundert es nicht, als um kurz vor halb vier die Hölle los bricht und der Stagedive-Reigen eröffnet ist. Leider zeigt sich auch hier eine symptomatische Krankheit des Ieperfestes: Die Stagediver werden so gut wie nie aufgefangen. Die Leute stehen nicht eng genug beieinander (auch nicht vor der Marquee Stage) und weichen so natürlich aus. Verständlich, wenn man pro Songs geschätzte 20 Diver auf den Kopf bekommt. Dennoch hat jeder seinen Spaß und selbst wenn mal einer auf die Fresse fliegt, steht er schnell wieder auf und macht weiter. Nach kurzem Gitarren-Intro und dem bekannten Intro „7“ werden mit „Keep on Moving“ und „Pushing Me Away“ gleich einige der besten und einprägsamsten Songs vom Stapel gelassen. Die Reaktion des Publikums ist unglaublich und markiert einen der Höhepunkte dieses Wochenendes. Es handelt sich gerade mal um die fünfte Europa-Show von TURNSTILE, und erst um die zweite auf dem Festland (einen Tag zuvor war die Band in Paris). Frontmann und Ex-TUI-Drummer Brendan hält fest, dass er Hardcore liebt. Heute hat er auch allen Grund dazu. Passenderweise wird auch ein Bad Brains Cover gespielt. In Sachen Groove haben TURNSTILE gegenüber ihren Ahnen ja fast noch eine Schippe drauf gelegt. Die Performance ist jedenfalls wie aus dem Ei gepellt und strotzt nur so vor Energie. Gitarrist Sean bekommt zu seinem 22. Geburtstag ein Ständchen gesungen und Bassist Freaky Franz ist kaum am Boden zu halten. Man darf wirklich gespannt sein, wo das mit TURNSTILE noch hin führt. „Heavy Hand“ resultiert in einem der mächtigsten Sing-A-Longs des Wochenendes.

Es wurde im Vorfeld viel über den STIGMATA-Pit geredet, aber leider sah dieser auf dem Ieperfest 2014 dann doch eher etwas jämmerlich aus. Vereinzelt ein paar Mosher und Spinkicker, bei denen man sich allerdings fragen kann, ob sie die Songs der Band überhaupt kannten oder bei jeder anderen Band auch gemosht hätten. Vorne maximal ein dutzend textsichere Anhänger, darunter auch Kaspar von Redemption Denied. Auch STIGMATA waren kurzfristig ins Line-Up gerutscht, als Ersatz für die hochkarätigen Ausfälle (Blacklisted, Ramallah, Murphy’s Law und Infest waren beispielsweise abgesprungen). Ich hatte also eine Woche vor dem Ieperfest mal reingehört und die Musik als gut befunden. Man konnte ihr ganz gut anhören, dass sie viele zeitgemäße Bands wie Downpresser oder No Turning Back, aber auch Bands härterer Gangart, beeinflusst hat. Live kommt allerdings kaum Stimmung auf. Kategorie: Nett, mal gesehen zu haben.

KING NINE erfahren momentan einen leichten Hype, spätestens seit das Video ihrer Release-Show in einem gewissen Ausmaß viral geworden ist. „Scared to Death“ heißt das Erstlingswerk, aus das heute auf dem Ieperfest quasi die ganze Setlist besteht. Für Fans des harten 90er-Hardcores handelt es sich sicherlich um eine vielversprechende Band. Dennoch konnte ich mir beim Anhören des Longplayers die Welle nicht so ganz hundertprozentig erklären. Live sorgt der Sound der New Yorker Band allerdings durchweg für Moshpit-Action und lässt einen zu keiner Zeit stillstehen oder gähnen. Die erste Europa-Tour über Stronger Bookings wird momentan mit Last Dayz aus Polen absolviert, die bereits am frühen Morgen gespielt hatten. KING NINE allerdings bleibt heute der vorletzte Slot auf der Trench Stage vorbehalten und auch diesmal ist das Zelt so gefüllt, dass man nicht mehr hinein kommt, wenn man ein paar Minuten zu spät ist. An den Abriss bei Broken Teeth kommen KING NINE meiner Meinung nach allerdings nicht ganz ran, dennoch sind viele Fans textsicher. Die Band scheint sowohl was für jüngere als auch für ältere Hardcore-Kids zu sein.

Auf der Hauptbühne liefern DEEZ NUTS danach ihre gewohnte Show ab, nachdem JJ Peters am Rand der Bühne seinen Joint aufgeraucht hat. Publikumsmässig passiert bei den DEEZ NUTS nicht mehr aber auch nicht weniger als bei den anderen Bands auf der Main Stage, man könnte sagen dem Slot angemessen. Sicherlich werden viele Besucher die eingängigen Songs der australischen Band schon mal irgendwo gehört haben, vorne dabei ist aber allen voran die Impericon-Gang, die zuvor wahrscheinlich auch schon Suffocation abgefeiert hat. Ich empfinde nicht mal den Anflug eines Schmunzelns, als Peters seine Textzeilen raushaut, die eigentlich im krassen Gegensatz zu vielen Grundsätzen der Hardcore-Szene stehen. Okay, er hat in seinen Saufsongs auch immer noch eine Zeile für seine „Edge Motherfuckers“. Schön und gut. Vielleicht ist das auch Satire. Aber wer auf diesem Niveau Scherze macht.. naja. Ein für mich zu vernachlässigender Teil der Hardcore-Szene. An dem simplen Gemisch aus straighten Hardcore-Riffs und groovigen Drumbeats können allerdings durchaus viele Menschen, die vor der Bühne stehen, Gefallen finden. Die Setlist fällt wie gewohnt aus: „Tonight We’re Gonna Party..“, „Your Mother Should Have Swallowed You“, am Anfang „Shot after Shot“, am Ende „Band of Brothers“ mit Hilfe des Devil In Me Sängers. Ich kenne die Songs inzwischen alle, obwohl ich nie bewusst die DEEZ NUTS gehört habe. Daran merkt man wohl spätestens, dass eine Band tourmässig ein bisschen überpräsent ist. An den Gerüchten, dass die letzte Tour mit Obey the Brave und Stray from the Path die letzte gewesen sein soll, war scheinbar nichts dran. Peters jedenfalls hat in der Zwischenzeit ein weiteres Spaßprojekt namens „Dem Nice“ gegründet. Mit dabei unter anderem Terror-Drummer Nick Jett, der neben seinem bootysmellgooddoe-Gedöns auch gerne mal tiefgründige Songs wie „Let’s Fuck“ schreibt. Hatte ich mich früher im Text über fehlende Aussagen bei momentan angesagten Bands beschwert, hat man es hier mit momentan angesagten Bands mit dämlichen Aussagen zu tun. Hardcore kam mir nie bedeutungsloser vor als durch die Deez Nuts und Piece by Piece.

Dass ANTIDOTE NYHC da einen anderen Ansatz hatten und immer noch haben, wurde bereits im Vorfeld beim Interview im More Than Music Zelt klar. Sänger Drew Stone und Bassist Zum standen Rede und Antwort, waren dabei steht sympathisch und zeichneten ein vages Bild aus den Anfängen der New Yorker Hardcore-Szene. Beispielsweise erinnert sich Stone an seine ersten paar Konzerte im CBGB’s. Er habe dort mal SS Decontrol gesehen, mit vielleicht 25 bis 30 anderen Besuchern. Deren Gitarrist habe nach dem Gig seine Klampfe hingelegt und sei zu ihm gekommen. Die Szene sei damals so klein gewesen, dass die Menschen sofort auf „Neue“ zugegangen seien und sie haben kennenlernen wollen. Das mag man sich zur heutigen Zeit der flüchtigen Instagram- und Facebook-Bekanntschaften mal vorstellen. Wahnsinn. Von dem Set der durch eine EP namens „Thou Shalt Not Kill“ bekannt gewordenen Band bekomme ich leider nicht all zu viel mit. Wieder ist das Zelt der Trench Stage randlos gefüllt. Das Set enthält aber neben den alten Songs dieser EP auch neue Songs des Albums, welches mehr als 15 Jahre später veröffentlicht wurde (allerdings griff man bei der Aufnahme dieses Albums auch auf Songs zurück, die Anfang der 80er bereits geschrieben wurden). Auch „Rise Above“ von Black Flag wird kurz vor Schluss gespielt, da ist das Zelt natürlich außer Rand und Band.

COLD WORLD haben sich stets rar in Europa gemacht. Neben einer Tour mit Blindside waren immer nur einzelne Shows oder Weekender drin. Das lässt sich sicherlich durch vieles erklären, beispielsweise lebt Sänger Dan in England und hat drei Kinder. Schlagzeuger Nick Woj hingegen arbeitet an seinen vielfältigen anderen musikalischen Projekten. Den Liveshows von COLD WORLD schadet es jedoch nicht, erst im April hatte die Band eine Venue in Antwerpen nahezu zerlegt und vor lauter Andrang zwei Shows an einem Tag in Hamburg gespielt. Auch heute auf dem Ieperfest ist die Menge außer Rand und Band. Erst wenige Tage vor dem Festival wurde der Stream zur neuen Platte „How the Gods Chill“ freigegeben, doch bereits jetzt sind die Fans textsicher, wenn Songs wie „The Real Deal“ zum besten gegeben werden. Frontmann Mills gibt einen Fick auf alles, mosht zu jedem seiner eigenen Songs und kommt vor lauter Publikumsbeteiligung kaum dazu, selbst mal was zu singen. Auch mehrere Mikrofone fallen aus, sodass er auf Backing-Mics zurückgreifen muss. Ein riesiges Manko ist der Sound – dadurch dass die Leadgitarre verdammt laut gedreht ist, hört man auch jeden Verspieler und sämtliche Experimente des Leadgitarristen. Manchmal hören diese sich gar nicht so gut an. Soweit ich weiß handelt es sich bei ihm ohnehin um einen Fill-In, ich habe den guten Herren bereits bei Power Trip an der Gitarre gesehen, da allerdings um einiges tighter. Vielleicht lag es am Bewusstseinszustand, schließlich fragt er auch charmant nach Marihuana nach der Show, da er welches im Moshpit zu riechen scheint. Dem Abriss seitens des Publikums tun diese Soundmängel allerdings keinen Abbruch. Songs der ersten Platte „No Omega“ scheinen der Menge die liebsten zu sein, aber auch die Lieder der „Dedicated..“ zünden wie eine Bombe, so beispielsweise „Boom Bye Bye“ oder „Roaches and Rats“. Ein Auftritt, der eines Co-Headlinerslots würdig ist! Wahnsinn.

Für viele wartete das unbestrittene Highlight des Abends allerdings noch. Insbesondere Besucher jenseits der 30 freuten sich den Arsch ab über MORNING AGAIN, und auch die Gorilla Biscuits standen ja noch auf dem Programm. Ich kenne mich mit der Band leider kaum aus, kann lediglich vergleiche zu der Show auf dem Groezrock 2011 anstellen. Diesmal ist Gründungsmitglied Damien Moyal am Mikrofon und die Band spielt „Hand of Hope“ komplett, was durchgängig abgefeiert wird. Obwohl MORNING AGAIN nach eigener Aussage kaum Zeit zum proben hatten (am Morgen hatten sie glücklicherweise noch den Proberaum von The Curse of Millhaven (erste Band auf der Marquee) nutzen können), merkt man dem Liveset kaum Fehler an. Und selbst wenn: Wen interessiert’s? Mit MORNING AGAIN sollte ich mich zweifelsohne mehr befassen.

Es gibt nur wenige Bands im Hardcore-/Metal-/Punk-Kosmos, die die zwei vorigen Auftritte wirklich noch toppen können. Glücklicherweise hat sich das Ieperfest dafür jemanden geeignetes ins Boot geholt: Nach kurzem Sampler-Intro nehmen einen die GORILLA BISCUITS die Besucher mit zurück ins Jahr 1989. „Start Today“ wurde vor meiner Geburt aufgenommen, aber ist auch heute noch relevant. Die Lyrics fast noch mehr als die Musik. Die Platte würde so heute natürlich nicht mehr aufgenommen werden, aber gerade durch die raue, liveartige Produktion besticht das Album und ist für Live-Shows wie gemacht. Die 2005 neu vereinte Band um Sänger Anthony Civarelli (kurz Civ) kann jeglicher Erwartung gerecht werden, wobei auch hier natürlich wieder das Publikum einen großen Teil der Show ausmacht. Die Stagedive-Rate ist vergleichbar hoch wie bereits bei Cold World, das Durchschnittsalter der Diver aber deutlich angestiegen. Mit gerade mal zwei Veröffentlichungen muss man erstmal auf eine Stunde Spielzeit kommen. Klar, dass da jeder Hit auch gespielt wird. „New Direction“, „Things We Say“, „Degradation“ und „Two Sides“ sind für mich besondere Leckerbissen und auch das schlurfende „Sitting Around at Home“ kann mir mehr als nur ein Grinsen auf’s Gesicht zaubern. Auch die von den GORILLA BISCUITS behandelte „Competition“ ist 2014 noch lange keine gegessene Sache. Jeder Text ist nach wie vor relevant, nicht nur für die Hardcore-Szene an sich, sondern auch für zwischenmenschliche Interaktion. Walter Schreifels sieht mit seiner Matte inzwischen aus wie ein mit etwas weniger Falten und Bräune ausgestatteter Jürgen Drews und scheint ebenfalls auf seine Kosten zu kommen, auch wenn die Biscuits schon seit langer langer Zeit nicht mehr sein Hauptaugenmerk sind. Mit Frank Sinatras „New York“ schicken die GORILLA BISCUITS das Ieperfestival in die verdiente Nachtruhe, oder wahlweise auch auf die dreistündige Aftershowparty. Diese bestand in der heutigen Nacht im Gegensatz zur Freitagnacht leider zum größten Teil aus elektronischer Musik, Tanz und New-Kids-Memorial-Mucke. Pantera und Slayer waren da ein seltener Lichtblick.