09./10.10.2010: Denovali Swingfest - Essen - JZE Papestraße

10.10.2010
 

 


„Irgendwann wird mich dieses Knie noch einmal umbringen“

Freitag/Samstag:

Es ist Freitag, ich fühle mich krank. Krank ist kein Ausdruck. Hundeelend trifft es eher. Leute reden mir ins Gewissen. Sie sagen: „Alex, bleib daheim, das bringt nichts. Du wirst es eh nicht genießen können.“ Ich bin still, gebe keine Widerworte, denke mir nur leise, ohne es auszusprechen: „Wenn Ihr wüsstet, was ich genießen kann und was nicht“. Es ist 21 Uhr, ich gehe schlafen. Morgen ist ein wichtiger Tag. 13 Stunden später wache ich auf und fühle mich beschissener als am Tag zuvor. Vielleicht haben die Leute doch Recht. Eigentlich wollte ich schon längst auf dem Weg nach Essen sein, zu meinem ganz persönlichen Highlight des Jahres, welches gerade in diesen Sekunden droht, für mich ins Wasser zu fallen. „Alex, bleib daheim, das bringt nichts. Du wirst es eh nicht genießen können.“ - da ist sie wieder, nein, da sind sie wieder, diese ermahnenden Stimmen in meinem Kopf. Ich ignoriere sie, gehe duschen, ziehe mich an, packe die Kamera ein und gehe vor die Tür. Die Sonne und der Kaffee in der Hand erwecken neue Lebensgeister. Ich weiß, dass ich gerade das richtige tue. Ab nach Essen, ab ins JZE Papestraße, ab zum Denovali Swingfest.

Samstag:

Nach langem Hin und Her stehe ich vor der Location, drei Freunde im Schlepptau, die noch beschissener aussehen als ich. Sie danken es dem Alkohol, nicht den Viren und Bakterien. Dementsprechend riechen sie auch. Aber es sind Freunde, ich akzeptiere alles. Riechen kann ich eh nicht gut. Als ich das denke, merke ich erst, dass ich zum ersten Mal seit Monaten nicht humpeln muss. Ich mache alles richtig, ich tue das Richtige. Also schnell rein, das hübsche goldene Zwei-Tages-Bändchen abgegriffen und ab in den Raum. Im Vorfeld hörte man vieles über das JZE Papestraße – nur nicht viel Gutes. Besonders im Bereich des Sounds hatten schon viele Bekannte schlechte Erfahrungen gemacht. Die erste Band des Tages – THE SAMUEL JACKSON FIVE ist schon zugange, der Raum schon angenehm gefüllt. Von schlechtem Sound ist nichts zu spüren. Die recht jazzige Abart von Postrock schallt durchaus klar durch die Boxen, der Mischer macht seinen Job gut. Die Band selber überzeugt durch nette Songstrukturen, lang gezogene Melodien, wie man das eben kennt aus dieser Musikrichtung. Nichts besonderes eigentlich. Aber doch wirklich sehr nett. Meine Begleitung muss sich hinsetzen, ihr Kreislauf macht schlapp. Verdammter Alkohol. Konterbier. Es schmeckt gut. Viel zu gut. Besonders für den Preis. Das sollten wir an dem Tag und besonders am nächsten Tag noch schmerzlich erfahren.

THE EYE OF TIME is up next. Der erste Act auf den ich mich freue. Ambiente Klänge, Cello, Klavier. Ruhe, dann fiese Gitarrenwände, vereinzeltes Geschrei vom AUSSITOT MORT Sänger. Das machen sie wirklich gut, wissen mich und einige andere Gäste zu bewegen und zu begeistern. Symphonien im elektronischen Gewand. Kratzige Beats, RAGE AGAINST THE MACHINE Samples, dann wieder Cello, Ambient und Gitarren. Ich bin überzeugt. War ich vorher auch schon. Jetzt noch mehr. Gesprochen wird auf der Bühne nicht viel. Interaktion zum Publikum ist an diesem Wochenende im Allgemeinen Mangelware. Macht nichts. Die Musik spricht für sich. Lichtgeflacker, Abdunklung. Rot. Grün. Kalt. Warm. Gänsehaut. Das erste Mal an diesem Tag. Mein Bein schmerzt immer noch nicht. Der Husten bahnt sich seinen Weg nicht durch die Gitarrenwände Er ist nicht zu hören. Ich tue das Richtige.

Bier, Bier, Bier. Wir wollen mehr Bier. Wir kaufen es. Können es uns leisten. Der Preis verlangt und erlaubt das. Die Leute an der Bar sind mindestens genau so nett wie die Türsteher und die Leute am grandiosen veganen Catering. Sehr angenehm. Schnell die Nikotinsucht befriedigen. Draußen natürlich. Drinnen ist Rauchverbot. Gott sei Dank. Den Auswurf des Hustens schnell in den Busch gespuckt und wieder rein gehuscht in die kuschelige Atmosphäre des Konzertsaales. Andere befinden sich im Ambient-Kino, welches alte Filme zeigt und dabei dissonante Störgeräusche laufen lässt. Entspannend für zwischendurch.

SWITCHBLADE. Das erste Gewitter des Tages. Ein Drummer. Ein Gitarrist. Eine Leinwand. Visuals. Schweden. Tod. Melodie? Nein. Tod! Soundwände türmen sich. Songs bauen sich auf. Soundwände fallen in sich zusammen. Ruhe. Krach. Dann die Apokalypse. Geschrei aus dem Kasten. Nicht von der Bühne. Hier steht der Drummer im Mittelpunkt. Hypnotisch ballert er in Zeitlupe auf seine Schießbude ein. Schlägt immer wieder ins Nichts. Um den langsamen Takt zu halten. Interessant zu beobachten, wenn man denn kann vor lauter auf den Boden starren und autistischer Körper- und Kopfbewegungen. SWITCHBLADE sind hart, aber unterbewusst. Gar nicht mal plakativ. Härte entsteht im Kopf. Oder am Ende der Songs. Ich kann nicht mehr. Das macht mich fertig. Ich kann mich nicht lösen. Gehe auf und ab. Stehe auf dem Fleck. Starre wie gebannt auf meine Schuhe. Sie sind kaputt. Genau wie ich. Ein letztes Aufbäumen der musikalischen Kräfte. Die Masse bewegt ein letztes Mal ihre Oberkörper und Köpfe. Küsst dabei fast den Boden. Dann wieder die Decke. Faszinierend was hier passiert. Dann Schluss. Ende. Aus. Und Applaus. Gesprochen wird trotzdem nicht. Ein freundliches Nicken in Richtung der Gäste und schon sie die beiden Herren wieder weg.

Raus und Verarbeiten. Zigarette. Noch eine. Bier. Mehr Bier. Kino. Fünf Minuten entspannen. Zittern in den Beinen. Hummeln im Arsch. Also wieder auf in den Konzertsaal. Jetzt ist Jazz angesagt. Das CONTEMPORARY NOISE SEXTETT schickt sich an, die wankelmütigen, depressiven Gemüter der Zuschauer wieder in Wallung zu bringen. Gut gelaunte Herren auf der Bühne, swingende Menschen davor. Der Plan geht auf. Die Mischung ist perfekt. Die Musik anspruchsvoll. Aber nicht zu fordernd. Es macht Spaß. Spaß vor der Bühne und auch auf ihr. Das sieht man. Die Songs haben Drive, zeigen das Potential der Band. Diese protzt nicht. Sondern glänzt mit Understatement. So wie eigentlich jede Band an diesem Wochenende. Es geht schnell vorbei. Wie im Flug. Die Kurzweiligkeit der Musik erlaubt das. Applaus wo man hinsieht. Dankende Blicke des Sextetts und schon wieder Schluss. Ruhe. Alles trifft sich draußen. Die Atmosphäre ist freundschaftlich. Alle sind zufrieden. Bislang. Da steht der Landschaftsgärtner, zieht an seiner Tüte, der Penner sammelt leere Bierflaschen. Ich sitze auf dem Boden. Mein erster Fehler an diesem Tag. Ich mache doch nicht alles richtig. Denn hochkommen fällt mir schwer. Der erste Schmerz im Knie. BIER!

YNDI HALDA stehen auf der Bühne. Märchenhafte Musik. Spannende Arrangements. Nur die Stimme gefällt mir nicht. Bitte nicht singen. BITTE. Doch, er tut es es. Fuck. Das macht alles kaputt. So jungenhaft. So unausgegoren. Unperfekt. Eigentlich genau richtig. Und doch irgendwie nicht. Musikalisch mehr als stark. Über jeden Zweifel erhaben. Finden auch die Zuschauer. Sie feiern die Band frenetisch. Für mich sind sie leider ein mehr schlechter als rechter Ersatz für THE PIRATE SHIP QUINTET. Man kann´s nicht ändern. Nur akzeptieren und trotzdem gut finden. Klappt. Ohne Probleme. Ich sitze auf einem Stuhl. Mache die Augen zu. Bekomme von meiner Umwelt nichts mehr mit und fange an zu träumen. Märchenhafte Bilder. Genauso märchenhaft wie die Musik. Postrock in Reinform. Sehr schön. Fordernd. Aber nicht zu sehr. Angenehmes Kopfkino. Angenehmer als nebenan. Und dann wieder dieses Verlangen nach Bier. Es wird gestillt. Draußen. An der frischen Luft. Da wo das Leben tobt.

HER NAME IS CALLA machen sich auf der Bühne fertig. Später machen sie das mit den Zuschauern. Wer die aktuelle oder aber auch die alte Platte kennt, weiß Bescheid, warum das so ist.
Sie bauen sich auf. Machen sich bereit. Der Raum füllt sich. Wir stehen am Stehtisch. Wollen einfach nur genießen. Schaffen wir auch. HER NAME IS CALLA geben alles. Tom Morris spielt und singt sich in Trance. Sie lesen ihren Zuschauern die Wünsche von den Lippen ab. Müssen sie aber gar nicht. Das Set ist perfekt ausbalanciert. Genug „The Heritage“. Genug „The Quiet Lamb“. „Pour More Oil“ und „Condor And River“ sind die Highlights. Es wird leise. Der Raum schweigt. Tom spielt Klavier. Setzt an. Töte mich. Er tötet mich. Nur mit seinen Worten. Sie stechen in mein Herz. Mein Ohr töten die Dänen am anderen Tisch. Sie reden. Laut. Lauter als die Musik. Ich möchte sie töten. Ich bewerfe sie mit Serviettenkugeln. Sie halten die Schnauze. Ich lasse mich weiter töten. Jeder lässt sich gehen. Sie beenden ihr Set mit einem lauten Knall. Die Instrumente drohen zu Bruch zu gehen. Als es leise wird, dauert es ein wenig bis der Applaus folgt. Die Leute wachen aus ihren Träumen auf. Sie klatschen in die Hände. Halten sie über den Kopf. Schütteln mit diesem. HER NAME IS CALLA verabschieden sich höflichst. Das war´s. Der Wunsch, Leute zu töten ist verflogen. Ich muss rauchen. Und wir brauchen mehr Bier. Gesagt. Getan. Draußen ist es dunkel. Es wird kalt.

Kalt ist das richtige Stichwort. Die Bühne erstrahlt in dunklem Bau. Dem Kenner ist klar was in den nächsten Minuten hier passieren soll. Doom shall rise. OMEGA MASSIF! Ich stehe mitten in der Menge. Mit Kamera und Bier. Die Kamera stört mich jetzt schon. Zwei, drei Anstandsfotos. Dann fliegt sie im hohen Bogen weg. Das Bier bleibt bei mir. Wir mögen uns. Kapuze auf. Kopf nach unten. Sie legen los. Diese Würzburger. Diese meiner Meinung nach wuchtigste Band aus Deutschland. Mein Körper gerät außer Kontrolle. Nicht nur meiner. Um mich herum wabernde Gestalten. Schemenhaft erkennbar. Das Bier fällt mir aus der Hand. Wir mögen uns nicht mehr. Wir haben genug voneinander. Sie spielen altes Material. Sie spielen die Geisterstadt. Das Publikum ist eine Geisterstadt. Nie sah ich sie besser. Nie war der Sound auf einem OMEGA MASSIF Konzert besser. Alles blau. Alles laut. Alles bewegt sich. Sogar mein Magen. Alle bewegen sich gemeinsam. Gleich. OMEGA MASSIF spielen neues Material. Bis zum Schluss. Etwas fehlt. „Kalt“. Nichts hält mich mehr. Der Fehler. Ich stampfe mit dem Bein auf. Mehrmals. Es ist das Rechte. Ich spüre den Schmerz. Er ist mir egal. Ich fühle mich wie King, der beschissene Kong. Autoaggression. Schläge auf die Hüfte. Du lebst, was du hörst. Runterschnellen des Oberkörpers. Doom shall rise!

Das nächste an das ich mich erinnere, ist, wie ich finster dreinblickend draußen stehe. Ich setze einen Schritt vor den nächsten. Merke ich kann nicht mehr gehen. Ich humpele. Ziehe mein Bein hinter mir her. Ich habe einen Fehler gemacht. Irgendwann wird mich dieses Knie noch einmal umbringen. Die Zeit ist dein Feind. So auch heute Abend. Wir müssen gehen. Irgendwie nach Hause und verpassen somit das KILIMANJARO DARK JAZZ ENSEMBLE zusammen mit „THE MOUNT FUJI DOMMJAZZ CORPORATION. Schade, aber nicht zu ändern. Die Zeit ist dein Feind. Die Bahn in Essen ist es ebenfalls. Aber wir gehen ohne schlechtes Gewissen. Unsere Highlights haben wir gesehen. Mir tut es nur leid für die Bands. Auf dem Weg höre ich wieder Stimmen. Weit entfernt. "Alex bleib daheim. Das bringt doch nichts. Du wirst es nicht genießen können!" - Was kann ich nicht? Genießen? Fickt euch doch alle! Ich bin sturzbesoffen, finde meinen Weg nach Hause nicht. Und wie ich genossen habe! Die Nacht wird hart. Morgen ist auch noch ein Tag.


Sonntag:

Die Luft in diesem Raum ist alkoholgeschwängert. Mein Kopf fühlt sich an, als sei er zertrümmert. Der Nacken schmerzt. Der Rücken. Und! Das! Bein! Ich habe einen Kater. Die Leute um mich herum auch. Lebende Tote. Umher wandelnde Zombies. Kaffee ins Gesicht geschüttet. Duschen. Es geht besser. Auf die Uhr schauen. Panik. Viel zu spät. Erste Band verpasst. THE NIGHT TERRORS. Hatten wir letzte Nacht eh genug. Viel schlimmer noch. Wir verpassen IROHA. Die Bahn ist dein Feind. Die Zeit ist es ebenfalls. Meine Laune sinkt. Der Tag scheint gelaufen. Ich vergesse all die anderen Highlights. Bin angepisst. Kotze mich selber an. Wir sind da.

KODIAK spielen. Hatte ich ganz vergessen. Ich habe Löcher im Hirn. Der Vortag ist schuld. Heute kein Bier. KODIAK + N spielen das Hämmern in meinem Kopf nach. Drone. Doom. Was auch immer. Es ist dunkel. Die Bühne nur spärlich beleuchtet. Dennoch scheint es von draußen hell rein. Falsche Zeit. Also Augen zu. Es ist wieder dunkel. Die Musik entfaltet ihre Wirkung. Lang gezogene Gitarrenanschläge. Zeitlupe. Man sieht die Sticks auf die Felle rasen. Jeden einzelnen Zentimeter kann man beobachten. Doppelte Zeitlupe. Aber es baut sich auf. Wird Schneller. Erhält Struktur. Mördersound! Konstantes Brummen. Konstanter Krach. Erneute Apokalypse. Bewegung ergreift meinen Körper. Ich verliere erneut die Kontrolle. Ich brauche ein Bier. Sie sind düster. Sie bedrücken. Erdrücken. Ich bringe die Kamera weg. Ich brauche Freiraum. Erhalte mein Bier. Trinke es aus. Scheiße. Ich bin wieder voll drauf. Zurück in die Menge und den letzten Ausbruch noch einmal richtig erleben. Dann Stille. Letzte verzerrte Störgeräusche. Totenstille. Raus hier. Ab in die Sonne. Sonst wirst du depressiv.

Die Lebensgeister sind zurück. Der Kater verschwunden. Die Müdigkeit noch nicht ganz. Man bewegt sich wie in Lethargie. Nur noch schlimmer. Heut gibt es Chilli. Vegan. Es ist lecker. Das Bier auch. Es ist Zeit zum Träumen. BLUENECK stehen auf der Bühne.

BLUENECK sind jetzt genau das Richtige. Nicht hart. Sie streicheln die angefressene Seele. Das löchrige Hirn. Stopfen die Löcher. Machen es wieder gesund. Sie spielen „Oig“ in nahezu perfekter Art und Weise. Sie spielen überhaupt viel „Scars Of The Midwest“. Aber genau so viel „The Fallen Host“. Die Mischung macht´s. Letztes Jahr plagten sie technische Schwierigkeiten. Pannen. Und laut sprechendes Publikum. Heute ist es leise. BLUENECK sind auch leise. Manchmal werden sie laut. Und entführen ihre Gäste. Drücken Sie an die Wand und nehmen sie dann wieder an die Hand. Führen sie zurück zur Bühne. Radioheadesk sind sie. Das sind sie auch auf Platte. Sie sind wunderschön! Das Publikum in Trance. Wankt hin und her. Schweigend. Mit geschlossenen Augen und gesenktem Kopf. So soll das sein. So hat das zu sein. So muss das sein. Es geht zu schnell vorbei und als die letzten Klänge ertönen, öffne ich meine Augen. Danke für diese Momente!

Das Bier fließt schon wieder. Heute trinken wir keinen Alkohol. Das hatten wir uns geschworen. Schwüre sind da um gebrochen zu werden. Genau wie Gelübde. Oder Versprechen. Wir sitzen draußen. Heute ist es kälter. Vielleicht geht es uns auch einfach nicht gut. Die Gespräche sind heute weniger umfangreich. Einsilbige Fragen. Keinsilbige Antworten. Als ich aufwache vernehme ich Klänge von DATURAH. Ich bin so müde. Ich gehe rein. Alles ist rot. Der gesamte Raum. Auf der Bühne spielen Freaks. Es sind wahre Freaks. Sie lieben die Perfektion. Mich packen sie leider heute nicht. Ich schaue mir zwei Songs an. Merke, wie vieles sich ähnelt und gehe ins Kino. Dort läuft ein alter Film. Vertont mit Störgeräuschen. Ich schlafe wieder ein. Später höre ich, dass DATURAH großartig waren. Ich beginne, mich zu ärgern. Und schlafe wieder ein. Spüre, wie mich Hände in den Konzertsaal ziehen. HEIRS warten auf mich.

Auf einmal bin ich hellwach. Was ist das für ein geisterhaftes Instrument? Es funktioniert ohne Saiten. Ohne Sticks. Nur durch Kraft der Hände, die sich darüber bewegen. Es spuckt gruselige Töne aus. Todesmelodien. Im Hintergrund läuft ein alter Film. Erotisch. Abartig. Wir diskutieren, ob es Caligula ist. Eher nicht. HEIRS stellen sich als Abrissbirne heraus. Monotones Drumming. Dröhnender Bass. Melodische Gitarre. Alles beginnt harmlos. Aber sie steigern sich. Mit jedem Stück. Was als Postrock beginnt, entwickelt sich zu Drone. Bis alles nur noch brummt. Ich schaue auf die Bühhne. Die Bassistin ist die schönste Frau des Festivals. Ich entschuldige mich im Geiste bei allen anderen anwesenden Frauen für diese Äußerung. Die Band ist durchgestylter als jede andere aus diesem Bereich. Egal. Ich muss aufstehen. In die Menge. Die wabert schon wieder im Takt. Es ist grandios. Andere empfanden HEIRS als schwammig. Schlechter Sound wird mir entgegen gerufen. Ich fand es stark. Auch sie sagen NICHTS. Nicht ein Wort. Sie kamen still. Sie nahmen uns auseinander. Sie gingen still.

Für das nächste Bier und die nächste Zigarette bleibt uns nicht viel Zeit. Die Halle füllt sich sehr schnell. Es ist soweit. MOUSE ON THE KEYS haben sich eingerichtet. Ihr abgefahrenes Set aufgebaut. „Hallo Ihr Idioten.“. „Wir sind Maus auf den Tasten.“. Frenetischer Jubel. Jazz in Perfektion. Schnell. Schneller. Was ist das für ein Drummer. Perfekt abgestimmte Visuals. Perfekte Töne. Abgefahrener Gesang an mancher Stelle. Menschen die vorher noch bedächtig mit dem Kopf nickten, tanzen jetzt. Sie kommen aus sich heraus. MOUSE ON THE KEYS spielen alles, was man von „An Anxious Object“ und „Sezession“ braucht. ALLES. Und sie machen keinen Fehler. „Wir haben Merch.“. „Kauft den Scheiß!“. Erneuter frenetischer Jubel. Sie machen weiter. Ficken die Gehirne. Die musikalische Abwechslung ist willkommen. MOUSE ON THE KEYS springen auf ihren Hockern rum. Schreien durch den Raum. Die sind mindestens genau so bekloppt, wie die Menschen, die gerade vor der Tür stehen. Die verpassen einiges. Hier stimmt einfach alles. Die erste Zugabe des Wochenendes wird gespielt. Das haben sie sich verdient. Die Gäste auch. Grandios!

Es ist schon wieder viel zu spät. Die Zeit ist dein Feind. Die Deutsche Bahn auch. Gott sei Dank! Kölner. Mit einem Auto. Der Abend ist gerettet. Die letzte Band des Festivals steht schon auf der Bühne. Sie sprechen französisch. Sie sind Nihilisten. Pessimisten. Und Misanthropen. Auch Licht ist ihnen fremd. Es darf nichts leuchten im Saal. Außer das Stroboskop. Und die roten Kopflichter. CELESTE. Die Hölle soll über Essen reinbrechen. So ist das zumindest geplant. Warten wir´s ab.

Es ist dunkel im Saal. Aber nicht dunkel genug. Notausgangsschilder leuchten hell. Durchschneiden die Dunkelheit. Atmosphäre kaputt. Rote Lichter gibt es trotzdem. Stroboskop auch. Und „Morte(s) Nee(s). Komplett. CELESTE hassen. Man merkt das. CELESTE sind aber auch betrunkener als ich es jemals war. Der erste Moshpit des Wochenendes. Der Sound verwandelt sich in Brei. In meinem Kopf übersteuert alles. Ich finde sie trotzdem gut. Sie passen leider nicht in den großen Raum. Es will einfach nicht die übliche CELESTE-Atmosphäre aufkommen. Schade. Egal. Augen zu. Hören. Genießen. Ausrasten. Ein letztes Mal. Das Bein tut weh. Nein. Es ist das Knie. Ich habe an diesem Wochenende zu viele Fehler gemacht. Ich kann nicht mehr stehen. Gehen gar nie wieder. Ich sitze und CELESTE reißen den Laden ab. Es ist böse. Bitterböse. Aber leider nicht böse genug. Ein Highlight das enttäuscht. Dennoch: Sie werden gefeiert. Und mit was? Mit Recht! Und dann ist auch schon alles vorbei. Die Lichter gehen an und die Masse bewegt sich. Nicht mehr gemeinsam. Einzeln. Aus den Schemen sind wieder Menschen geworden. Sie gehen nach Hause. Morgen geht der Alltag wieder los. Anzug an und ab ins Büro. Die alten Zeiten sind vorbei.

Auf dem Weg zum Auto bedanke ich mich innerlich. Ich bedanke mich bei all den Bands, beim Catering, bei den Barkeepern, bei den Türstehern, bei den Technikern, beim Kino, bei meinen Begleitungen und nicht zuletzt bei Timo und Thomas von Denovali. Dieses Wochenende wird mir in Erinnerung bleiben. Ich komme gerne wieder. Ich merke, dass ich nicht gehen kann. Möchte ins Auto krabbeln. Auf allen Vieren. Endlich sitze ich. Ich sitze im Auto. Dämmere weg. In meinem Kopf hallt es weit entfernt: "Alex bleib zu Hause. Das bringt doch nichts. du wirst es nicht genießen können!" - Jaja, ist gut jetzt, halt die Schnauze. Ich will nur noch schlafen!


Fotos für den Bericht folgen.