10.05.2008: GROEZROCK FESTIVAL - Meerhout (Belgien) - Tag 2

10.05.2008
 

 


Der zweite Tag des Groezrock beginnt ungleich härter.
Jetzt heißt es raus aus dem Schlafsack, rein in die Trainingsbuxe und auf zu BURY YOUR DEAD, der Band also deren Gitarristen eigentlich nur eine Saite auf ihrem Instrument benötigen würden. Band sowie Publikum wirken erstaunlich ausgeschlafen, so dass bereits während der ersten Songs mehr Kampfsport-Bewegung herrscht als in der gesamten Bloodsport-Reihe zusammen. Soundtechnisch befinden sich die Ex-Mosh n’ Roller auf der sicheren Seite, wobei vor allem das präzise Schlagzeugspiel hervorzuheben ist. Auch der „neue“ Sänger fällt mit seinem Organ keinesfalls aus dem Rahmen. Zum Schluss des Sets dann noch dieser lang gezogene, als Song getarnte Mosh-Part: „Bury your fxxxing dead“. Danke, jetzt sind wir wach. Ob der Bassist von denen auch Palmen mit bloßen Füßen umtreten kann?! Gepost hat er jedenfalls für mindestens fünf Jean Claude Van Dammes.

Wach werden wir auch bei den folgenden SUICIDE SILENCE erstmal bleiben. Eine Frage darf zum Anfang erlaubt sein: Was zur Hölle ist bloß mit deren „Sänger“ los? Schon lange niemanden mehr gehört, der so gekonnt auf der Klaviatur der gutturalen Laute gespielt und sich gleichzeitig leicht reptilienartig über die Bühne bewegt hat. Dass der Mob ihnen aus der Hand frisst war abzusehen, warum das Genre, welches SUICIDE SILENCE bedienen das Core-Suffix benötigt, wollte sich dem Verfasser allerdings noch nie so recht erschließen. Solider Auftritt.

Nicht ganz so schizophren wie sein Vorredner Mitch von SUICIDE SILENCE, dennoch alles andere als ausgeglichen exorziert Chris Colohan von den fantastischen CURSED (aus Kanada!!!) seine Dämonen – und die des mittlerweile zahlenmäßig leicht geschrumpften Publikums gleich mit. Den Wahnsinn in den Augen, den Porno-Bartschatten überm Mund legt Colohan die bewegungsintensivste Performance des gesamten Groezrocks hin, derweil sich seine Mitstreiter keinen Zentimeter von ihrem angestammten Platz bewegen. Nichtsdestotrotz verdunkeln CURSED Meerhout für eine gute halbe Stunde und der besorgte Frontmann erkundigt sich sogar, ob denn auch alle Anwesenden ausgiebig gefrühstückt hätten. „Because breakfast is the most important meal of the day!“ Vorgetragen mit Colohan´scher Grabesstimme. Jetzt haben wir keinen Hunger mehr…

Schade ist nach diesem fulminanten Auftritt lediglich, dass sich die Einsätze der ziemlich großartigen LOVED ONES und THIS IS HELLs zeitlich (fast) überschneiden. Während letztgenannte erwartungsgemäß eine energetische Schnittmenge aus "Sundowning" und "Misfortunes" zusammenschustern, vor allem Gitarrist Rick Jimenez die Bühnen-Rampensau gibt und obligatorisches Hardcore Bewegungsprogramm fordern, konterkarieren die vier LOVED ONES mit bodenständigem, songwriterisch-einwandfreiem (Punk-)Rock. Der Überhit 'The Bridge' wird auch gespielt. Eine Band, die jeder HOTWATERDISTORTIONSOULS-Fan kennen sollte.

Irgendwie „anders“ sind ja seit jeher HORSE THE BAND. Nerdy ist nicht nur ein alter Hit POISON THE WELLs, sondern auch DAS Adjektiv zur Beschreibung von sowohl Optik als auch Sound der Band, welche grad die gesamte Welt mit ihrer Nintendo-meets-Chaos-meets-Mosh-Mixtur beglückt. Allein die Performance von Keyboarder Lord Gold, der in superknappen Shorts und mit einem debilen Grinsen im Gesicht sein Tasteninstrument bearbeitet ist optisches Gold wert. Der 'Cutsman' schneidet Schneisen in den juvenilen Mosh-Pit. Ob die Jungs von – sagen wir mal – SICK OF IT ALL so was lustig finden?!

Dass eine statische Bühnenshow augenscheinlich gealterter (Skate-)Punkrocker und rege Publikumsmotorik sich nicht zwangsläufig ausschließen müssen, beweisen NO FUN AT ALL aus Schweden eindrucksvoll. Mal im Ernst, Sänger Ingemar Jansson hat auf der Bühne ungefähr soviel Ausstrahlung wie eine Mischung aus Thomas Gottschalk sowie einem Oberstudienrat an einem wirklich schlechten Tag. Daneben wirkt selbst Punk-Positivist Greg Graffin wie aufgezogen. Die Setlist mit Songs wie 'Master Celebrator', 'In a Moment' und 'Should Have Known' versetzt die Anwesenden jedoch scheinbar in längst vergangene Zeiten. Nostalgie erzeugt Bewegung und Euphorie trotz motorischer Realsatire.

Ebenfalls aus Schweden, ebenfalls eine verdammt lange Zeit nicht mehr auf irgendwelchen Bühnen zu sehen gewesen und ebenfalls eines der damaligen Zugpferde des Burning Heart-Kaders, allerdings eher im Hardcore verhaftet sind 59 TIMES THE PAIN. Live nicht ganz die Bewegungslesgastheniker wie ihre Vorgänger, dennoch auch nicht so druckvoll wie antizipiert, gibt es eine Mixtur aus New York-beeinflusstem Hardcore sowie Streetpunk auf die Ohren.

Ähnlich, vielleicht in der Konsequenz etwas schneller agieren die BOUNCING SOULS. Sah man den Frontmann der Band am Tag zuvor mit HOT WATER MUSIC den Eigen-Hit 'True Believers' covern, gibt es diesmal eine akustische Version des SICK OF IT ALL Evergreens 'Good Looking Out' zu hören. 'True Believers' wird dann selbstredend noch einmal performt und beendet ein druckvolles Set.

Erhöhte Neuronen-Aktivität gibt es schließlich beim Auftritt der Konsens-Live-Metalcore-Band PARKWAY DRIVE zu vermelden. Ja, die Jungs sehen aus als würden sie gerade vom Strand kommen, ja wir haben sie schon x-Male live gesehen, ja es ist trotzdem immer wieder ein Fest. Einer der wohl größten Mosh-Pits des Wochenendes entsteht nicht von ungefähr, die Aussies wissen einfach, was sie dem darbenden Publikum vorsetzen müssen. Neuronen feuern schließlich erst dann so richtig, wenn das antizipierte Tempo bzw. der antizipierte Groove auch einsetzten. Neuro-Biologie für Dummies. Und ein mal wieder überragendes Set.

Zu einem der mit Spannung erwarteten Höhepunkte zählte mit Sicherheit der Auftritt von FACE TO FACE. Wie war das noch mal? Gebrochene Dämme der Euphorie. Anhänger der semi-legendären melodischen Punkrocker aus Kalifornien liegen sich in den Armen und zeigen sich textsicher wie selten zuvor auf dem Festival. Das Dargebotene wirkt ein wenig wie die Antithese zu NO FUN AT ALL, weil kraftvoller, schweißtreibender und schlichtweg authentischer.

Über Authentizität brauchen wir im Zusammenhang mit SICK OF IT ALL eigentlich überhaupt nicht zu reden. Sicher, die Mannen um die Gebrüder Koller sind Profis durch und durch, ihre jeweiligen Sets unterscheiden sich ebenfalls nur in Nuancen. Dennoch: die Band muss die Bühne nur betreten und schon fliegen Körper durch die Gegend. Punkrocker, Hardcoreler und Metalheads (die waren ja überwiegend auf diesem Rock Hard Festival…) feiern die New Yorker gleichermaßen ab. Sehr eindrucksvoll auch das Grande Finale nach 'Us vs. Them' als – so scheint es zumindest – halb Belgien nach Aufforderung von Lou Koller die Core Stage entert und die Band recht unbeeindruckt weiterspielt. Ob einstudiert oder nicht, SOIA wissen wie man die Massen mobilisiert. Ebenfalls zum Schmunzeln: Lou Kollers Affront gegen diese eine „shitty German metalcore band“, die ihm zufolge sein Patentrecht auf die Wall of Death gebrochen hat. Wen er da wohl meinte?!

Von den kurzfristig eingesprungenen THURSDAY bekommt man nach dem grundsoliden SICK OF IT ALL Gig lediglich ein energetisches 'Jet Black New Year' mit. Geoff Rickly agiert wieder mal am Rande des Nervenzusammenbruchs, bleibt jedoch weiterhin eine prägnante Stimme in einem verblassenden Genre.

Verblassen tut auch die Stimme Greg Graffins als sich die Allschools-Crew während des Auftritts von BAD RELIGION aus dem Staub (sic!) macht. Mit 'Stranger Than Fiction' im Ohr, derbem Sonnenbrand im Nacken und der Gewissheit zwei wunderbare Tage in Belgien verlebt zu haben, tritt sie den Rückweg an. Erstaunlich wie viele Menschen die Urväter heutzutage immer noch in ihren Bann ziehen können. Wie war das noch mal mit dem Zenit und dem Überschreiten? Hier kümmert´s niemanden. Eines ist jedoch sicher: nächstes Jahr wieder. Es war einfach ein gut organisiertes, kleines, sympathisches und – nun ja – saudreckiges Festival. Mit einer gewissen persönlichen Note.




Bilder:

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