13.10.2005: Alexisonfire, Johnny Truant - Köln - Underground

13.10.2005
 

 

“Definitiv ausverkauft!!!” Diese für manch ticketlose Seele bittere Nachricht prangte an den Pforten des Underground. Ein paar Stunden zuvor wurde mir telefonisch eingetrichtert: “Wer zuerst kommt, malt zuerst.“ “The early bird catches the worm.” oder “Morgenstund hat Gold im Mund.” All diese dem schlechten Gewissen Proviant liefernden, niemandem wirklich einen Gefallen tuenden Aussagen brachten den ticketlosen Seelen mal rein gar nichts. (Nur gut, dass der Biergarten die heraushallende Musik so perfekt zu präsentieren weiß. Sich selbst auf die nächstmögliche Sitzgelegenheit platziert, sieht die Sache schon ganz anders aus.)
Ich war drin, im Orkan des unendlichen Herumgedrängels. Meinen linken Fuß opfernd tastete ich mich ganze fünf Zentimeter vor- Dead End! Kein Entkommen. Statt im Schmerz unterzugehen, lauschte ich dem Opener dieses Abends- die britischen Johnny Truant. Ziemlich straighter Meltal-/Trashcore, mit ein paar wenigen gewagten Schritten gen Experimentierfreudigkeit, machte mich hellhörig. Jedoch war mir extrem fix klar, dass diese Hellhörigkeit binnen Sekunden einem gewissen Grad von Desinteresse weichen musste. Ein paar leise Stimmen, die der Band ein kleines Lob aussprachen, drangen zu meinem Gehirn durch, wurden aber auf direktem Weg wieder zum Schweigen gebracht.
Anscheinend war ich mit diesem „Gefühl“ nicht ganz allein. Auch ein Grossteil der restlichen Konzertbesucher schien nicht ganz bei der Sache zu sein. Milder Applaus und reserviertes Stillstehen waren Programm. Johnny Truant hingegen schienen diese Art von „Standstill“ nicht patentiert zu haben. Showeinlagen wurden dem nichtsahnenden Observierenden geboten. Vielleicht hat dieses statische pain in the ass eines Tages ein Ende. Wenn Musikliebende sich mal wieder was aus dem Netz saugen, sie dabei auf Johnny Truant stoßen und ihnen ein Licht aufgeht. Dann könnte bei ihrem nächsten Deutschlandbesuch die Meute etwas begeisterter klingen und auch aussehen.

Bei Alexisonfire sah das Ganze schon verdammt anders aus. Ein kleines Geräusch-Intro kündigte die Band an, während die wie die Sardinen aneinander Gereihter eine große Menge Spannung abluden. In einer nach hinten ausgerichteten Schieflage sah ich die Arme in die Höhe schnellen und den geweihten Kreis der ersten Reihen wie selbstverständlich ihre Füße vom Boden abheben. Schon nach den ersten zwei Songs war mir klar, dass Alexisonfire in der Tat ein heißes Problem haben. Heutzutage wird versucht, den Brand mit riesigen Mengen Lidlwasser zu löschen- dem Catering sei Dank.

“Watch Out“ heißt die aus dem vergangenen Jahr stammende Platte der fünf Kanadier. “Watch Out“ ist auch ein verdammt guter Leitsatz, den man sich hinter die mit Metall beschmückten Ohren schreiben sollte, bevor man die Hallen zu einem Alexisonfire Konzert betritt. Schweiß und Blut spritzten bis in die hintersten Reihen und dominierten den zu einem Überlebenstraining ausgearteten Abend.
AOF ist einer der wenigen Bands, bei denen die Fusionierung klarem Gesangs (Dallas Green) mit ständigen Screamoausbrüchen (George Pettit) zu solch einem Spectaculum führen kann. Kein überzogenes Emo-Herumgemache oder schmalziges Seitenscheitelnachwachsen attackiert die kraftvolle Bühnenpräsenz.
Auf ihrem letzen Deutschlandauftritt umarmte die Band den Geschmack des unaufhörlichen Nackenschmerzes. Sänger George und Bassist Chris diskfunktionierten die kleine Undergroundbühne zu einem ihrem rastlosen Gemüt entsprechenden Wanderzirkus.
So ziemlich jeder Song, welcher auf der dem Leitsatz des AOF-Liebhabers gleichenden Platte vertreten ist, bahnte sich seinen Weg gen restless youth. Das mit einem Anflug von Hilflosigkeit und zugleich mit motivierten Aufbaumanövern einer zerstreuten Seele bestückte “Control“, das “Side Walk When She Walks“ und sein absolut reines und ehrliches “Dressed to kill, you look so right“, das schwer umjubelte “Hey, It’s Your Funeral Mama“ sowie das von Alexisonfire als Funcore/Corepunksong schlechthin angekündigte “White Devil“ (der Ausdruck “Fun“ unterstreicht den mit einem Anflug von Aggressivität gepaarten Sarkasmus des “Addiction is in, I guess addiction is in, yeah“, welcher dem weißen Teufel des pulverisierten Nasenverätzers den Mittelfinger entgegenbringt), dirigierten den abendlichen Schweißausbruch. “I am in a constant state of getting cut/ so why don’t I feel anything?” fragte George in “No Transitory“ aus der Sicht der von sich selbst angepissten ersten Person, “This is a violation“ antwortet Dallas aus einer gequälten und von diesem Scheiß genug habenden Position des mit Selbstsicherheit dem Wahnsinn Verfallenen. Ein emotionales Hin und Her zwischen Band und Konzertbesucher, zwischen Band und dessen eigenem Schaffen.
Der konstante Anstieg des erzählenden Spannungsbogens hatte nun fast endgültig seinen Climax erreicht. Nur fast, denn AOF setzten noch einen drauf und spielten als letzten Song “Accidents“. Wer war nun Bandmitglied und wer ein Stagedivenwollender, der sich mitten in dem Wanderzirkus verirrt oder sich diesem eigentlich aus freien Stücken angeschlossen hatte? Ein in sich von außen nach innen oder von innen nach außen verflochtenes Etwas flumierte von nirgends nach Ontario und wieder zurück- repeat.
Fertig? Noch lange nicht. Zwei Zugaben hatten wir uns verdient, erst danach verließen AOF entgültig den schweißgetränkten Bühnenboden, um ihn dann von ein paar Undergroundangestellten für das nächste Schweißbad trockenlegen zulassen.