14.-15.08.2009: Tells Bells Festival - Sportgelände Villmar

14.09.0006
 

 

Mit Madball und Sick of It All sind zwei NYHC-Legenden vertreten, die wohl überall ihre Anhängerschaft haben dürften. Mit den Mad Caddies am Freitag ist ein Gegengewicht zum Hardcore-lastigen Samstag geboten, was nicht nur mir zusagt.

Ich treffe ein und die erste Band die ich sehe sind VISIONS ONLY. Vor der Bühne tut sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht viel, die meisten Leute in Villmar sitzen auf den Bänken beim Getränkestand oder gehen herum. Ich tue es ihnen gleich und schaue mir das Gelände an: Toiletten, SPH (lokale Booking Agentur) Stand, RP Punkrock-Stand, Antifa-Stand, Crêpes-Stand, ADAC ist auch mal wieder vertreten, Merchandise, Getränke, reichlich Möglichkeiten sich zu ernähren. Zusammen mit dem tollen Wetter ergibt das sicherlich einen tollen Tag und meine Stimmung steigt, während die Band auf der Bühne die Leute mit solidem Punkrock beschallt. Das Festival-Gelände ist aber vergleichsweise noch recht leer. Ist ja auch noch ziemlich früh.

Als nächstes sind TALCO an der Reihe, die genau wie Visions Only auch schon letztes Jahr auf dem Tells Bells vertreten waren. TALCO können jedoch wesentlich mehr Erfolg beim Publikum verbuchen und ihr fröhlicher Ska-Punk regt die Leute zum tanzen, hüpfen und sonstiger Bewegung an. Die sechs Italiener unterstreichen, warum sie wieder ins Lineup geholt wurden und steigern natürlich die Laune auf den Headliner (Mad Caddies), der ja ähnliche Musik auf etwas höherem Niveau macht. Für mich wird TALCO nämlich nach spätestens vier Songs etwas eintönig und zu wenig versiert. Da die Band aber auch einiges an Merch verkauft kriegt, bin ich wohl recht allein mit meiner Meinung.

Auch die REAL MCKENZIES sind keine „Neulinge“ in der Region, nachdem die Amerikaner bereits beim Liverock Weroth 2007 auftraten. Dementsprechend fieberten viele Villmarer dem Auftritt der Band entgegen. Mich fasziniert es direkt, dass einfach etliche Instrumente (Ukulele, Dudelsack natürlich) zum Einsatz kommen, was für den Abwechslungsreichtum der Band spricht. Nachdem die REAL MCKENZIES zunächst mit ruhigeren Liedern (einige Acoustic-Songs) in ihr Set finden, wird der Auftritt immer schneller und lauter. Bei einer geplanten Spielzeit von 75 (!!) Minuten hat die Band selbstverständlich auch einiges zu präsentieren. Das Loch vor der Bühne hat sich schon längst gefüllt und langsam geht die Sonne unter. Das Tells Bells Festival kommt jetzt jedoch erst richtig in Fahrt.

Nach einer verdammt langen Umbaupause stehen um kurz nach halb zwölf endlich die MAD CADDIES auf der Bühne. Hatten wohl der Großteil des Publikums die Ska-Legende bereits auf der rHeinkultur gesehen, war es für mich die Premiere. Und ich war schockiert. Von den ersten vier Songs kenne ich (außer Mary Melody zumindest ein wenig) einfach mal keinen und frage mich, wie viele Releases der Band ich verpasst habe. Auch die Zuschauerschaft im Gesamten zeigt sich von den neuen, eher schleppenden, reggae-mässigen Songs eher unbegeistert und kommt erst bei älteren Songs wie „Villains“ in Bewegung. Bis zur Soundbox kann man meist tanzende Leute vorfinden und bei Musik wie sie die MAD CADDIES machen, kann man sich natürlich auch bewegen, ohne jede Zeile zu kennen. Spätestens an dieser Stelle wird mir bewusst, wie unglaublich gut der Sound auf dem Tells Bells mal wieder ist. Das komplette Set hört sich qualitativ an, als ob es locker auf einer CD Platz finden könne. Allerdings zieht es sich auch ganz schön. Ich glaube ich habe noch nie eine Band gesehen, die eine so lange Spielzeit spielt. Dennoch bleiben die MAD CADDIES relativ spannend, wenn sie nicht mit ihren neuen Songs zumindest bei mir das Tempo wieder rausnehmen. Klassiker wie „Macho Nachos“, „Road Rash“ oder „Leavin’“ bringen den Sportplatz in Villmar zum beben. Gegen Ende des Sets findet sich mit „Drinking for 11“ auch noch mal ein ruhiger Moment und mit „Monkeys“ geht es auf ein Ende zu. Die tanzende Menge wünscht sich klarerweise mehr und so wird als Zugabe und letzter Song noch „All-American Badass“ gespielt. Der erste Tag ist damit vorüber. Mir kam es so vor als wäre nicht wesentlich mehr los gewesen als letztes oder vorletztes Jahr und das Publikum ist vorwiegend lokal. Ich denke morgen wird mehr los sein. Dennoch hat sich der Freitag auf jeden Fall gelohnt.

15.08.2009 - Villmar - Sportplatz

Auf den Samstag hatte ich mich ein bisschen mehr gefreut, weil mehr Bands auf dem Plan stehen, die mir auch bekannt sind. Deswegen treten wir schon recht früh die Reise an und sind um etwa halb sechs in Villmar.

Die TWISTED MINDS haben sich im Westerwald und Umgebung schon einen Rang erspielt, schließlich sind die vier Franzosen nicht selten in der Gegend und absolut zu Recht genießen sie einen guten Ruf. Vor der Bühne in Villmar haben sich aber leider maximal 20 Leute versammelt, die größtenteils mit dem aufgeblasenen Plastik-Krokodil (das auch schon gestern seine großen Momente hatte) herumspielen. Beirren lassen sich die TWISTED MINDS nicht und so spielen sie sich gut durch ihr Set. Präsentiert werden etwa gleich viele Songs der beiden Releases. Songs wie „Dear Lie“, „Wave of Despair“, „Neo Dogmas,…“ und „The rebuke from Mrs Rice“ beweisen, wie unglaublich versiert diese Band in ihrem Songwriting ist und was für anspruchsvolle Musik hinter dem rockigen Sound des Vierers steckt. Mich beeindruckt es immer wieder aufs Neue, genau wie die Energie, die die Band in ihre Live-Auftritte steckt. Jedes der Mitglieder hat seine Mitsing-Parts und instrumentellen Highlights. Mit „Feed the Masses“, „Open Fire on the Rifles“ und „Weekly Urban Walks“ sparen sich die TWISTED MINDS die meiner Meinung nach besten Songs für das Ende auf und schließen ihr nahezu perfektes (bis auf die Resonanz vom Publikum) Set ab. Der Festival-Tag startet gut.

Die lokalen Punkrocker von VMZT betreten die Bühne und können eine etwas dichter gefüllte Menge vor selbige locken. Neben einigen Songs lastet der Schwerpunkt des Sets natürlich auf dem Release „Malheur Royal“. Zwischen Liedern wie „Anti-Agin“ oder „Not All Chinese Girls…“ lässt sich der Sänger von VMZT ausgiebig und gerne über relevante Themen wie (vor allem) Intimrasur aus, womit er Villmar ganz gut unterhalten kann. In der zweiten Hälfte des Auftritts treten zwei Rapper (ich glaube sie nennen sich Kopfhörer!?) auf die Bühne, um sich in die Songs von VMZT einzubringen, was erstaunlicherweise sogar einigermaßen funktioniert. Das „Bro Hymn“-Cover stößt wie erwartet auch auf riesige Resonanz und auch „Over the Rainbow“, die Hymne der Band, kann ordentlich punkten. Ein überdurchschnittlich guter Auftritt. Die Leute vor der Bühne werden wie auch schon bei den Twisted Minds mit dem Wasserschlauch erfrischt.

Auf keine Band war ich im Vorfeld so gespannt wie auf TINY-Y-SON, hatten sie doch in einem Bulletin verlauten lassen, dass sie in neuer Besetzung auftreten. Ein zusätzlicher Sänger und ein neuer Gitarrist sollten das Lineup der Band auffrischen (beziehungsweise Lücken füllen) und ich verrollte schon die Augen, als ich das las. Wie auch bereits Erst-Sänger Thomas stammt nämlich der neue Sänger ebenfalls von der befreundeten Band Between Love and Madness, in der auch der Drummer spielt. Da TINY-Y-SON wirklich nicht selten in der Gegend waren, konnte man den Werdegang der Band hautnah miterleben. Die meisten der Zuschauer konnten sich sicherlich noch an den ersten Sänger der Band, Matze, erinnern. Alle Aufnahmen wurden mit ihm gemacht und auch die besten Auftritte konnten TINY-Y-SON meiner Meinung nach mit ihm verzeichnen. Ich hatte mir Between Love and Madness mal in Koblenz angeguckt und ich war wirklich nicht beeindruckt von dem 0815-Moshsound der Band. Umso gespannter war ich darauf, wie sich der Sound von TINY-Y-SON gewandelt hatte, stehen doch auch neue Aufnahmen an.
„Hardcore trifft Metal, ohne ins schier unbegrenzt anwachsende Meer des Metalcore unterzugehen“ – in etwa so beschrieb sich die Band einmal auf ihrer Homepage. Nachdem ich den Auftritt gesehen habe, kann ich nur darüber lachen. Was dem Tells Bells Festival geboten wurde, war ein Witz und das zeigte sich auch vor der Bühne. Außer ein paar Mosh-Trotteln, die die Band ohnehin nicht kannten war es dort nämlich ausgesprochen leer und alte Fans der Band schauen sich das Ganze aus der Ferne an, so auch ich. Direkt als die Band anfängt, zeigt sich, wie unglaublich unpassend die „Vocals“ (wenn man das so nennen kann) des neuen Shouters Daniel sind. Ich werde richtig wütend, als ich diesen nervigen Typen auf der Bühne rumhampeln sehe. Es ist definitiv mehr Selbstdarstellung als Musik und er scheint wohl zu denken, er würde für Despised Icon singen anstatt für eine melodische Hardcore-Band (die TINY-Y-SON zumindest mal war). Spätestens als er das Publikum mehrfach als „langweilig“ bezeichnet, weil dieses nicht auf sein obligatorisches Animations-Gelaber à la „Wall of Death, auch wenn nur 10 Mann vor der Bühne sind“ eingeht, versaut er es sich bei den meisten wohl endgültig. Unter den Leuten, von denen ich weiß, dass sie TINY-Y-SON schon seit der ersten EP „Conversation Zero“ verfolgen, kann ich durchweg Kopfschütteln bemerken. Absolut zu Recht. Die Region hat diese Band mal geliebt, dann kommt ein dahergelaufener Idiot, der sich von der Welle des Deathcore-Trends mitreissen lässt und verhunzt jedes Lied mit seinem schiefen Gebrüll, weil er denkt er würde damit genau ins Schwarze treffen. Das Gegenteil ist der Fall und irgendwie denke ich das merkt die Band auch. Der neue Gitarrist schafft es auch nicht wirklich alte Songs sauber zu spielen, sodass das Gesamtbild noch weiter ins Unterirdische versinkt. Thomas singt nur noch Clean-Parts, und das so ausgesprochen übertrieben, dass man sich wünscht, alles wäre beim Alten geblieben. Sei es „Papersoldiers and Velvet Bombs“, „Rifle the Rainforest“, „Decades of Bitter Sleep“ - kein Song macht so wirklich Spaß, wenn man sich vor Augen hält, was eine einzige Person mit einer Band anrichten kann. Denkt man an vergangene Konzerte, ist auch die Reaktion des Publikums absolut nicht vergleichbar mit früher. Wenn ich an das Tells Bells Festival 2007 denke, haben TINY-Y-SON dort mit früherer Spielzeit wesentlich mehr gerissen. Der neue Sänger macht sich total zum Affen, als er meint, die Band würde auch Autogramme geben. Nach dieser lausigen Vorstellung will die sicherlich keiner. Auch ganz alte Songs wie „Chasing Ghosts“ werden vom Feinsten verhauen und dass nach „Voodoocomplex“, dem obligatorisch letzten Song noch eine Zugabe gespielt wird, obwohl sich die eigentlich niemand mehr wünscht, setzt dem ganzen die Krone auf. Ein Auftritt für die Tonne. Das war es mit TINY-Y-SON, der Band aus dem weit entfernten Bremervoerde, mit dem Zuhause im Westerwald. Schade, wirklich schade.

Das Ganze muss ich erstmal verdauen. Während PSYCHOPUNCH auf die Bühne treten, verdrücke ich mich erstmal und trinke was. Viele Fans können die schwedischen Punk’n’Roller aber sowieso nicht auf den Plan rufen. Da nach dem Auftritt von Tiny-Y-Son für viele Leute ohnehin die Luft kurzfristig raus ist, nicht weiter schlimm. Die Musiker machen einen guten Job, sind aber zu unbekannt für einen so späten Slot.

Mit Sicherheit enttäuschungsfrei geht es erst danach weiter, denn mit MADBALL ist nun eine Band an der Reihe, die für 20 Jahre Hardcore, 20 Jahre Band- und Bühnenerfahrung, schlichtweg für Tradition und Qualität steht.
Nach kurzer Einlaufmusik wird mit „We the People“ die Dampfwalze ins Rollen gebracht und Villmar wird wach. Die NYHC-Legenden finden einen guten Anklang und Animations-Talent Freddy scheint die Show auch zu mögen. Da die Band sich durch einige Festivals im Sommer gespielt hat, ist das durchaus ein Kompliment. Als gefragt wird, wer die Band schon gesehen hat, hebt sich ein Großteil der Hände. Keine sonderliche Überraschung, daher kann mit dem langen Set der Band auch bestens umgegangen und mitgesungen werden. Viel muss ich da also nicht mehr erzählen, Klassiker wie „Set It Off“, „Hold It Down“, „Heavenhell“ und „Demonstrating My Style“ sind absolut unentbehrlich und angesichts der Wirkung auch absolut angebracht. Im Gegensatz dazu stehen (eher wenige) neue Songs, wie „Infiltrate the System“. Sämtliche Abfeier-Rituale werden von der Menge mit Freude mitgemacht und so können MADBALL den bisher intensivsten Auftritt des Festivals hinlegen.

Ob SICK OF IT ALL letztendlich einen besseren Job machen, lässt sich schwer beurteilen. Ich spare mir diese Bewertung, beides sind einfach großartige Bands und feste Institutionen in der Hardcore-Landschaft. Wie auch ihre Vorgänger können SICK OF IT ALL auf eine textsichere Crowd zählen. Zu Hymnen wie „Built to Last“, „Scratch the Surface“ und „Maladjusted“ lässt es sich auch mit einem Promille noch bestens mitgröhlen. Neue, härtere Songs vom 2006er Output „Death to Tyrants“ werden selbstverständlich auch präsentiert: „Uprising Nation“, „Machete“, „Faithless“ und vor allem das publikums-involvierende „Die Alone“. Der wohl bekannteste Gitarrist im Hardcore-Geschäft (angesichts seiner Frisur nicht gerade verwunderlich) Pete Koller macht auf der Bühne einige Kilometer. Mir unerklärlich wie er das macht, Springerei und Lauferei ohne Ende, und das mit einer Gitarre in der Hand, ohne sich einmal zu verspielen. Sänger Lou lässt sich natürlich performance-technisch auch nicht lumpen und bezieht die Menge gut in die Show ein. Die Wall of Death, die der Legende (haha) zufolge ja von SICK OF IT ALL erfunden wurde, kommt selbstverständlich zum Zuge. Den Höhepunkt des Abends erreicht das Tells Bells wahrscheinlich bei „Step Down“, aber auch die Zugabe, „Us vs them“ lässt die Stimmung auf ein Maximum steigen und stellt bis in die letzten Reihen zufrieden.

Alles in Allem wieder mal ein super gut durch organisiertes Festival mit tollem Wetter, tollen Leuten und tollen Bands: 4000 Besucher pro Tag geben dem Tells Bells Festival Grund genug, eines der Vorzeige-Festivals der Gegend zu sein. Seit Jahren.