14.12.2010: Suffokate, The Ghost Inside, Lower Than Atlantis, For The Fallen Dreams - Feierwerk - München

14.12.2010
 

 

Es war ein Sieg mit Ansage. Von THE GHOST INSIDE hatte wohl jeder auch nur halbwegs interessierte und musikalisch affine Zeitgenosse vergangenes Jahr etwas gehört. Zumeist vor allem ausgesprochen Positives. Die Jungs wurden mit „Returners“ dann sogleich auch zur Metalcore-Konsensband und außerdem zum beliebten und gefragten Liveact. Da sind zwei Touren durch Festlandeuropa in 2010 nur die logische Konsequenz. Ebenso, dass der Fünfer aus Chicago im Dezember dann erstmals als Headliner ein nicht eben wenig illustres Package anführen durfte. Volle Läden waren da die einzig logische Konsequenz. Hohe Erwartungshaltungen ebenso. So ist dann das Hansa39 im Feierwerk an diesem Dienstag mit geschätzten 300 Besuchern auch gut gefüllt.

Schon die T-Shirt-Verteilung im Raum zeigt, dass die britischen Hoffnungsträger LOWER THAN ATLANTIS (nebenbei gesagt: „Far Q“ ist das beste Album des letzten Jahres) auf dieser Tour einen eher schweren Stand haben dürften. Gehen den Fast-Londonern doch nahezu sämtliche Trademarks der anderen aufspielenden Bands völlig ab. Moshparts sind Fehlanzeige, Breakdowns und markiges Gebrüll ebenso. Nur die schnellen und melodischen Punk/HC-Parts erinnern bei wenig genauem Hinhören an einige Songs des heutigen Headliners (nicht nur der Herzen). Der Vierer jedoch macht wie schon auf der (fast noch grotesker aufgestellten) Tour mit CONFIDE, EYES SET TO KILL und I AM GHOST das Beste draus und haut im Zuge der knappen halben Stunde alle essenziellen Songs des noch aktuellen Album runter. Dabei gibt man sich spiel- und bewegungsfreudig, wobei Sänger und Gitarrist Mike dieses Mal seine Stimme und Atemtechnik besser im Griff zu haben scheint als noch Mitte des Jahres. Daraus resultiert allerdings auch, dass sich die gesanglichen Intonationen nicht unerheblich von den lieb gewonnenen Vocals der aufgenommenen Songs unterscheidet. Doch sei’s drum. Live und Studio sind eben doch zwei grundverschiedene Dinge. Kurz vor Schluß wird dann noch ein brandneuer Song vom in nicht allzu ferner Zukunft erscheinenden neuen Album zum Besten gegeben, der es noch einmal schwieriger machen dürfte, die Band in ein adäquates Tourkorsett zu pressen. Wenn dieser Song nämlich auch nur halbwegs repräsentativ für das bevorstehende Full Length ist, dann machen LOWER THAN ATLANTIS dieses Jahr einen noch größeren Schritt sowohl in Richtung Indie-Pop als auch in die riskanten Gefilde des Stadionrocks. Man wird sehen, was die Zukunft für diese Band bereit hält. Angesichts der Varianz innerhalb ihrer Musik und der Verweigerung szeneinterner musikalischer „Verhaltensnormen“ bleibt es aber allemal spannend. Meine persönlichen Gewinner in 2010 und größten Hoffnungsträger für 2011 sind sie ohnehin nach wie vor.

Dass ein Großteil des Publikums jedoch eher wenig mit dieser Band anfangen kann beweist der direkte Vergleich der Reaktionen bei den nachfolgenden SUFFOKATE. Die machen ziemlich durchschnittlichen und berechenbaren Deathcore (und liefern damit ein Kontrastprogramm zu LOWER THAN ATLANTIS, das im Rahmen einer solchen Tour kaum größer ausfallen könnte) mit stark überdurchschnittlichen Vocals. Jetzt mal im Ernst: was der Sänger (mit den überdimensional riesigen Tunnels) da auf der Bühne fabriziert, das kann man wohl schon als so etwas wie die technische Speerspitze des Genres bezeichnen. Da sind die wirklich grabestiefen Growls noch etwas bösartiger als bei vergleichbaren Bands und auch im Bereich der angepissten hohen Schreie macht der Gute eine mehr als nur imposante Figur. Doch von Vocals alleine lebt natürlich keine Band und da ist es umso bedauerlicher, dass SUFFOKATE eben musikalisch leider überhaupt keine Akzente in einem ohnehin schon stark überlaufenen Genre setzen können. Man kriegt haargenau das, was man von einer Band mit diesem Namen und diesem Schriftzug erwartet und nicht das geringste Bisschen mehr. Weder wird mit sonderlich ausgefallenen Soli, markanten Riffs oder sonstigen Gitarrenspielereien aufgetrumpft, noch heben sich die Songstrukturen oder die handelsüblichen Breakdowns vom Einheitsbrei ab, der da „Deathcore anno 2010“ heißt. Das Publikum, das sich bei LOWER THAN ATLANTIS noch weitgehend passiv und bewegungsunfreudig gezeigt hat dreht aber plötzlich mächtig ab, sorgt für einen Moshpit, der sich sehen lassen kann (inklusive den üblichen Karate-Kid-Einlagen einiger überflüssiger Selbstdarsteller) und beweist, dass es wohl auch noch eine Zielgruppe für die x-te überflüssige Kopie einer ebenfalls nicht sonderlich originellen Band (in diesem Falle vor allem SUICIDE SILENCE) mit zugegeben annehmbar hohen Unterhaltungswert gibt. Mir bleibt als Fazit da eigentlich nur: „schade um den Sänger“.

Bei den nachfolgenden FOR THE FALLEN DREAMS gibt es dann wirklich so gar nichts mehr an musikalischer Eigenständigkeit oder zumindest markanten Einzelleistungen zu entdecken. Die Band klingt haargenau so, wie man eben klingt, wenn man als Haupteinfluss vor allem Label- und Tourmates zu haben scheint. Da reiht sich dann eben generischer Breakdown an generischen Breakdown, ein paar Melodien werden für die Parts dazwischen eingestreut und obendrauf gibt’s ein wenig Cleangesang-Zuckerguss, gepaart mit Geschrei, das wahlweise Emotionalität vorgaukeln oder böse klingen soll, damit aber vermutlich nicht mal mehr Oma Lieschen zu mehr als einem apathischen Schulterzucken verleitet. Achja: das Publikum geht total steil auf eine weitere Band aus dem mal mehr und mal weniger inzestiös erscheinenden Rise Records-Roster, bei der ich mich mal wieder frage, was die letzten Jahre in diesem Bereich eigentlich schief gelaufen ist, dass mir so etwas einfach nur noch so egal ist, dass es dann doch wieder weh tut. Manchmal wäre ich gerne fünf Jahre jünger.

Doch genug des wehleidigen und ultimativ ohnehin hochgradig unkonstruktiven Rummeckerns. Auf ins Hier und Jetzt. Genau da betreten nämlich wenig später fünf Herren die Bühne, die aber mal so was von exakt das Gegenteil zu all dem darstellen, was mich an Metalcore in den letzten Jahren so angekotzt hat. Warum THE GHOST INSIDE eben einfach so viel relevanter, spannender und besser sind als das Gros ihrer Mitbewerber habe ich ja schon in meiner „Returners“-Review zu erklären versucht. Daher hier nur noch mal die Kurzfassung und eben auf eine absolut bestätigende Liveshow übertragen und auf den wohl entscheidendsten Nenner gebracht: THE GHOST INSIDE sind einfach eine verdammt sympathische und vor allem energetische Band, die außerdem noch die sprichwörtlichen Eier besitzt, mit ihrem wohl bekanntesten und beliebtesten Song, der Metalcore-Hymnes des Jahres, „Unspoken“ zu beginnen. Wer ein solches musikgewordenes Statement gleich zu Beginn der Menge zum Fraß vorwirft und es danach schafft, in knapp 35 Minuten trotzdem keine Sekunde Langweile oder gar Stillstand aufkommen zu lassen (sowohl auf als auch vor der Bühne), der darf mit Fug und Recht von sich behaupten, zu den besten Livebands und außerdem mit Material von gerade mal zwei Alben ausgestattet zu den besten Songwritern des Genres zu gehören. Wer dabei auch noch so unverschämt charismatisch und losgelöst agiert und sich die Sympathien des kompletten Raumes in Rekordzeit erspielt, hat jede einzelne Sekunde an frenetischem Applaus, jeden lautstark intonierten Sing-Along und jeden einzelnen Stagedive auch tatsächlich verdient. Was sich auf den vorhergegangenen Touren andeutete wird hier zur Gewissheit: THE GHOST INSIDE sind nicht nur eine Band mit Potenzial, sie haben die Fähigkeiten, bald in einer Liga mit den anderen Sympathieträgern der Szene, PARKWAY DRIVE zu spielen. Dass die Jungs dabei auch nur das geringste Bisschen ihres Charmes einbüssen ist angesichts des völlig uneitlen Umgangs mit dem Publikum ebenfalls nicht zu erwarten. Bis zur nächsten Tour. Ich freu mich drauf.