16.04.2011: Comeback Kid, Kvelertak, The Ghost Inside, Grave Maker, Social Suicide - Köln, Essigfabrik

16.04.2011
 

 



Comeback Kid holen sich ein paar Freunde ins Boot und touren mit dann mit diesen durch Europa. Das Ergebnis nennt sich Through The Noise Tour und macht – wie soll es auch anders sein – auch in der Kölner Essigfabrik Halt.

Auffallend anders ist an diesem Samstagabend, dass es ohne einen lokalen Support direkt ans Eingemachte geht: Mit SOCIAL SUICIDE stehen um 19.30 schon die ersten Member dieses Pakets auf den Brettern. Die Halle hat sich schon gut gefüllt und lauscht gespannt, da man sich bewusst ist dass es sich wohl um eine größere Band handeln muss. Die 5 durch die Bank weg sehr jung aussehenden Musiker kommen aus Norwegen, ihre Musik kennen aber wohl die wenigsten. Erst wenige Tage vor dem Tourbeginn wurde das Debutalbum „Broken Pilgrims“ auf Redfield Records offiziell veröffentlicht, daher ist es noch sehr frisch und unbekannt. Relativ schnell kommt in meinem Kopf die Frage auf, wie zur Hölle es diese Band in dieses Tourpaket geschafft hat. Klar, den recht eigenen Sound irgendwo zwischen Hardcore, Screamo, Post-Hardcore und rotzigem Punk hört man zwar nicht an jeder Straßenecke, aber das haben Andere schon deutlich eindrucksvoller interpretiert, so nicht zuletzt zum Beispiel Letlive, die vor kurzem mit Stick to Your Guns und Your Demise auf Tour waren und nicht halb so grün hinter den Ohren wirkten wie SOCIAL SUICIDE. Passend zur Musik (zumindest dem, was live rüberkommt) wirkt das Auftreten wie gewollt und nicht gekonnt. Bevor man fremde Länder bereist, sollte man vielleicht erstmal seine Schüchternheit am Mikrofon ablegen. Es wird zwar brav Werbung für die anderen Bands aus dem Tourroster gemacht, aber auf einer Augenhöhe ist man mit diesen noch lange nicht.

Daher bin ich froh, bei den nächsten Akteuren schon vor deren Auftritt zu wissen, dass er überzeugend wird: GRAVE MAKER, Landskollegen von Comeback Kid, waren nun schon mehrere Male auf Tour in Europa (zum Beispiel 2010 mit den 50 Lions und Antagonist AD oder 2009 mit This Is Hell) und können so problemlos für erste Bewegung im Moshpit sorgen. Und das obwohl die Tour ein ganzes Kaliber größer ist und daher auch das Publikum ein anderes. Geboten wird eine ausgewogene Mischung aus den letzten beiden Alben und durchweg finden die Lieder Anklang vor der Bühne. Es gibt eine Menge Textsicherer und auch eine Menge Tanzwütiger, die zumindest jetzt noch genug Platz für ihre Choreographien haben. Mit einer gehörigen Prise Rotzigkeit und mächtig Groove geben die Kanadier natürlich auch genug Vorlagen für selbige. Der Vierer wirkt sympathisch wie eh und je, bewegt sich viel und spielt nichtsdestotrotz ein sauberes Set. Vor allem Grinsemann Jon McRae fällt einem natürlich positiv in’s Auge und so dürften auch Leute überzeugt werden, die noch nicht wissen wer GRAVE MAKER sind. Mit „Vlad the Impaler“, „Stronghold“ und dem Titeltrack „Ghosts Among Men“ pickt man sich die besten Stücke aus dem neusten Output, für Ekstase sorgen aber vor allem die älteren Songs wie „Drop the Torch“. Erste Stagedive-Versuche gehen obligatorischerweise ins Leere (wobei das irgendwie auch eine typische Essigfabrik-Krankheit ist). Für einen der most memorable Sing-a-Longs des Abend sorgt dann sicherlich der Übersong „Time Heals Nothing“, mit dem die Band ihren Auftritt beendet. GRAVE MAKER machen für mich heute nicht nur auf der Bühne die beste Figur, mit ihren Dogtags haben sie sicher auch Merchstand die beste Idee gehabt. Noch besser funktioniert die Band logischerweise in kleinen Schuppen, daher bleibt zu hoffen dass 2012 wieder eine Tour folgt, die kleiner ausfällt.

Wenn man eine Halle für ein paar tausend Mann damit begrüßt, ihr ein umgekehrtes Kreuz entgegen zu strecken, dann erregt man natürlich Aufsehen. Das weiß auch Erlend Hjelvik, seines Zeichens Sänger bei den norwegischen Senkrechtstartern in KVELERTAK. Tatsächlich verlassen nach dieser Geste schon einige wenige die Essigfabrik sogleich wieder und von diesen Seiten erntet man Hohn und Spott. Man mag davon halten was man will, es passt natürlich zu dem dezenten Black-Metal-Einfluss, der in der Musik der Osloer zum tragen kommt. Dass diese Kapelle polarisiert, ist absolut verständlich und vor allem live eine Tatsache. Da wären zum einen die 3 Gitarren, durch die bei vielen (so auch bei mir) rückblickend die Frage aufkommt: Wofür eigentlich? So spektakulär war das Ganze dann doch nicht. Weiterhin ganz bedeutend ist auch, dass KVELERTAK kaum tanzbar, geschweige denn moshbar sind – in so einem Tourpaket natürlich nicht die beste Voraussetzung. Dachte ich zumindest. Der Platz vor der Bühne ist wider Erwarten bestens gefüllt (ähnlich gut wie später beim Headliner) und einige machen gar Anstalten, mitzusingen. Wenn auch nur einer von denen 1. versteht was da gesungen wird, 2. das Ganze auswendig gelernt hat und 3. dann sogar noch weiß, was es auf deutsch bedeutet (man könnte mutmaßen es handele sich um viel Blut, Krieg und so weiter..) , dann kriegt er von mir beim nächsten Konzert in der Essigfabrik ein total überteuertes Bier ausgegeben. Der Frontmann macht sich dann nach einigen Liedern auch schon nackig und ist nicht gerade eine Augenweide. Vom Äußeren her passen die Artisten alle in den Stereotypen eines Norwegers – haarig und massiv. Obwohl der Sound etwas matschig ist, gelingt es KVELERTAK ihre Musik live gut herüberzubringen und dass die starke rockige Kante die sich durch die meisten Passagen zieht durchaus anhörbar ist, kann ich nicht leugnen. Auf Dauer verliert das Ganze jedoch deutlich an Charme. Durch den Akzent versteht man auch die Ansagen kaum und so kann ich leider nur von 2 Titeln felsenfest sagen, dass sie gespielt wurden (obwohl ungefähr jedes Lied mit den Worten „The next song is called… lösdjegrk!“ eröffnet wurde): „Blodtorst“ und „Fossegrim“. Warum die Band gerade einen derart riesigen Hype erfährt, ist mir nach dem Set in Köln jedenfalls immer noch schleierhaft.

Sehr routiniert und rundum gut machen im Anschluss THE GHOST INSIDE ihre Sache. Da gibt es wirklich nichts zu bemängeln, außer dass die Leadgitarre von dem Soundmenschen leider viel zu leise gedreht wurde. Die Live-Fertigkeiten sind unglaublich, die Performance enthusiastisch und die Songauswahl auch zufriedenstellend. Das macht sich natürlich auch an den Fans bemerkbar: Dauernd wird die Bühne gestürmt, um entweder dann auf selbiger abzumoshen, dem Sänger das Mikro zu klauen oder am Backing-Vocals-Mic mitzusingen, oder einen Stagediveversuch zu starten. An Peinlichkeit sind manche Menschen kaum zu übertreffen, und das schreibe ich nicht aus arroganter Überheblichkeit sondern aus nüchterner Objektivität. Selbst Sänger Jonathan Vigil muss da einige Male ziemlich lachen und scheint verwundert – bei dem was er da heute wieder mitmachen muss (war im November mit For the Fallen Dreams ja genau das selbe Trauerspiel) hätten andere Frontmänner schon längst etliche Kiefer in Mitleidenschaft gezogen. Er jedoch hält, was sein Facebook-Avatar verspricht und nimmt alles mit Freude hin. An dieser Stelle möchte ich mal betonen, wie sehr THE GHOST INSIDE durch diesen Fronter gesegnet sind, denn mal abgesehen von der zweiten mir bekannten Ausnahme (Parkway Drive) glänzt man in diesem Genre am Mic ja oftmals durch die Größe seiner Plugs und Tattoos und nicht durch menschliche Größe. Ihm jedoch nehme ich jede seiner Danksagungen an die anderen Bands ab. Was jedoch viel wichtiger und für die Show auch viel wesentlicher ist: Sein Organ versagt nicht und nur so machen Songs wie „Faith or Forgiveness“ (diesmal Opener und nicht Finale), „Downbeat“ oder das großartige „Between the Lines“ erst richtig Spaß. Authentisch wie eh und je verkörpern die Jungs aus Los Angeles die Message, die sie durch ihre Texte ausdrücken. Vielleicht ist genau das der Schlüssel, der aus einem Hype eine feste Größe gemacht hat. Was die Zuschauer angeht sind THE GHOST INSIDE heute definitiv der Magnet – der Abend ist an seinem Siedepunkt angelangt. Zu „Unspoken“ gibt es ein offizielles Video, daher hat dieser Song „Faith or Forgiveness“ wohl die Position abgelaufen und fungiert heute als grandioser Abschluss.

Kaum zu glauben, dass es COMEBACK KID jetzt fast schon ein Jahrzehnt gibt. Wie die Zeit verfliegt. Den rapiden Aufstieg dieser Band konnte meine Generation (also Leute Anfang 20) jedenfalls noch bestens mitverfolgen und so haben sich die Kanadier nun so dermaßen etabliert, dass man schon längst mit einem Fuß im Mainstream steht. Dafür sprechen Festivalauftritte beim Area4 und die anstehenden bei Southside, Hurricane und dem Summerbreeze. Aber auch etliche Headliner-Touren wie die jetzige. Mit „Symptoms and Cures“ wurde 2010 dann auch ein Album veröffentlicht, das definitiv massenkompatibler ist als Alles bisher da gewesene (dennoch keine schlechte Platte). Schade? Sicherlich. Die Suche nach Nähe zum Publikum merkt man den ins Alter gekommenen Herren kaum noch an, dass verhältnismässig wenig los ist (definitiv weniger als bei The Ghost Inside) scheint Andrew Neufeld nicht die Bohne zu interessieren und obwohl auch einige Anhänger der älteren Sorte in den ersten Reihen stehen, behält er das Mikrofon fast durchgängig an seinem Mund. Nach 2 Alben unter Neufeld fragt jetzt natürlich auch niemand mehr nach Scott Wade, der Zug ist schon längst abgefahren. Auf die Frage, wer COMEBACK KID heute zum ersten Mal sieht, melden sich ausgesprochen wenig Menschen. Das mag vielleicht an Faulheit liegen. Durchaus plausibel wäre aber auch, dass wirklich jeder die Formation schonmal irgendwo gesehen hat. Die Präsenz war nicht gerade mau in den letzten Jahren. Das Set kann man sich also auch einigermaßen zusammen reinem, es gibt keine Überraschungen. Von jedem Album wird etwas gespielt (beispielsweise „All in a Year“ und „Die Tonight“ vom 1., „Talk is Cheap“ und „Partners in Crime“ vom 2., „Hailing on Me“ und „Broadcasting“ vom 3.), also finden auch neue Songs ihren Weg in das Set. Die Mitsinghymne „G.M. Vincent and I“ funktioniert live genau so, wie man sich das beim Durchhören gedacht hat. „Because of all the Things you Say“ wirkt da natürlich ein wenig aggressiver und überzeugt davon, dass COMEBACK KID auch im Jahre 2011 noch Hardcore sind. Mit „Wake the Dead“ wird dann in gewohnter Weise (Crowdsurfen auf der Bühne, jaja..) und damit leider vorhersehbar und unspektakulär der Abend abgeschlossen. COMEBACK KID bleiben eine großartige Band, die sicherlich weiterhin vielen Kids den Weg in die Hardcore-Szene ebnet. Es ist jedoch seltsam mit anzusehen, wie die Band scheinbar mit jedem weiteren Jahr voll Riesentouren und Festivalsommern ein wenig lustloser wird. Es war der 2. Tourtag – vielleicht war man noch müde. Aber vielleicht will man auch gar nichts mehr davon wissen, wie man früher die Läden abgerissen hat und sich lieber hinter einem Bühnengraben verstecken.