17.05.2008: Chuck Ragan, Austin Lucas, Digger Barnes - Köln - Underground

17.05.2008
 

 


Ein klassischer Ragan war das. Wieder mal. Nach allumfassend umjubelten Auftritten im Verbund mit seinen Heißwassermusikanten, hatte das derbere Reibeisen besagter Band andere Protegés im Schlepptau. Und verdammt noch mal: Myriaden von Bands hätte ihre Seele, Mutter und ihren nichtsnutzigen A & R-Manager verkauft, für einen Bruchteil der Atmosphäre, welche während der Show von Digger Barnes, Austin Lucas, Jon Gaunt und Mr. Ragan herrschte. Mit den Augen gerollt haben wird wohl ausschließlich jene Fraktion, die HOT WATER MUSIC bereits unmittelbar nach "Fuel For The Hate Game" als „zu kommerziell“ abgeschrieben hat. Der Rest, also (ziemlich) alt, jung, HWM-Fan, Nicht-HWM-Fan und alles dazwischen, kam auf seine Kosten und durfte einem gelungenen Experiment beiwohnen. Ein (im weitesten Sinne) Singer-Songwriter Konzert, das Spannung, Emotionalität und Persönlichkeit (da ist es wieder dieses Wort) über eine beeindruckend lange Zeit aufrechtzuerhalten vermochte. Und das lag mit Sicherheit nicht ausschließlich an Chuck Ragan.

Der minimalistische Auftakt gehört Digger Barnes. Seinen Platz in der hintersten Ecke der Underground-Bühne einnehmend zupft er sich zurückhaltend durch seine Stücke, derweil animierte Filmchen auf eine Leinwand projiziert werden. Hat das Konzert bereits begonnen?! Die Menge tuschelt ein wenig despektierlich vor sich hin, nicht unbedingt böswillig, erstickt so jedoch die leisemalerische Performance ein Stück weit im Keim. Seinen großen Auftritt sollte Digger Barnes schließlich später doch noch bekommen.

Doch zunächst einmal: Austin Lucas. Dieser kleine, gedrungene Kerl, mit einem kreisrunden Gesicht, aus dem wache, dunkle Augen blitzen. Ein Unikum, das man sich beim reinen Klang seiner Stimme völlig anders vorgestellt hätte. Er wirkt sympathisch (ein bedeutungsleeres Wort eigentlich), ein wenig unbeholfen als er auf die Bühne stapft und sich hinter seinem Mikrophon positioniert. Dann beginnt er zu erzählen, zu singen mit einer Stimme, die für seine stark im Country und Bluegrass verwurzelten Miniepen wie gemacht scheint. Es fällt schwer sich vorzustellen wie jemand von diesem Organ nicht ergriffen werden kann. Außer HATEBREED-Fans vielleicht. So langsam kristallisiert sich heraus, dass der Abend eine noch größere Wendung nehmen wird.

Chuck Ragan wiederum muss eine Bühne nur betreten, um unter eine Welle von Applaus und diesen Schau-Ihn-Dir-An-Der-Typ-Ist-So-Cool-Blicken begraben zu werden. Und zwar von sowohl männlicher als auch weiblicher Seite. Die Schiebermütze auf dem markanten Haupt, das obligatorische Holzfällerhemd am Körper, die Mundharmonika um den Hals geschwungen, dabei bodenständig wie es wohl nur passionierte Zimmermänner sein können, hat er leichtes Spiel mit der hungrigen Meute. Gemächlich nimmt er Fahrt auf, die Menge übernimmt einige Textpassagen. 'Open Up And Wail', 'Don´t Cry', 'It´s What You Will', die sind schon ziemlich gut, werden dankend angenommen, ins Auditorium und wieder zurück auf die Bühne geworfen. Ganz der Dramaturg, der Chuck Ragan ja auch irgendwie ist, weiß er jedoch nur zu gut, dass etwa in der Mitte des Sets ein Klimax um die Ecke kommen muss. 'Bleeder' anyone? „And you broke me like a cigarette that I busted on the day I quit“ aus gefühlten dreihundert Kehlen?! Kein Problem. Direkt danach noch schnell DEN (nicht gecoverten) HOT WATER MUSIC-Hit von einer der grandiosesten Split-EPs aller Zeiten geschickt und das Konzert könnte eigentlich beendet sein. Wären da nicht Chucks Kumpel. Fidler Jon Gaunt, der frappierend an Forrest Gump zu seine Laufhochzeiten erinnert, großflächigen Bartwuchs im Gesicht, eine vergilbte AVAIL-Kappe auf dem Haupt, Digger Barnes am Kontrabass und Austin Lucas für ein Mehr an stimmlichem Tiefgang. Zusammen bestreiten diese vier Männer das, was man wohl getrost als definitiven Höhepunkt des Konzerts bezeichnen kann. Der Bass fährt in die Magengrube, Austin Lucas klatscht arhythmische Donnerschläge und Chuck garniert das Ganze erneut mit seinem Whiskey-Bariton. Schon ziemlich beeindruckend wie sie da die im Kollektiv aufgenommen Stücke der "Bristle Ridge"-LP zum Besten geben. Kollege Alex vom Wastin bringt mehr als passend die Analogie zum Soundtrack von "O Brother Where Art Thou" und könnte dabei richtiger nicht liegen. Vier Männer auf ihrer persönlichen Odyssee durch diese verrückt und viel zu schnell gewordene Welt. Ein sympathischer Anachronismus, der gerade aus dieser Unzeitgemäßheit seine volle Kraft schöpft. Ein klassischer Ragan eben. Der ohne seine Freunde allerdings nur halb so viel wert wäre.