19.02.2010: Shook Ones, Polar Bear Club, Title Fight - Essen - Cafe Nova

19.02.2010
 

 

Kids don’t like to share
Das wirklich Schöne an zeitgenössischem Hardcore ist ja wohl die Tatsache, dass sämtliche Definitionsversuche ins Leere gehen. Dass sich jeder exakt die Bands herauspicken kann, die seiner Wunschvorstellung des Genres am nächsten kommen. Man kann sich so schön eigene Identitäten basteln. Meik (14) hört seit Jahren nichts anderes als Powerviolence, Kevin (15) hat vor einiger Zeit mit Modern Hardcore abgeschlossen (zu depri und gleichförmig) und komplettiert gerade seine D-Beat-Discographie, während Jenni (14,3), die auch gerne mal JOY DIVISION-Shirts mit abgeschnittenen Ärmeln trägt, die Szene ab 1986 für tot erklärt und über viele konformistische Szenegänger nur verächtlich die Nase rümpfen kann. Schreiberling (30+) staunt darüber ein wenig besserwisserisch-distanziert Bauklötze, ist im Kern allerdings kein Deut besser. Das sind natürlich alles Kinkerlitzchen, wenn der Pop im Hardcore sich angekündigt hat, einen der schönsten Läden in Essen und näherer Umgebung für einen kurzen Zeitraum einzunehmen, um sämtlichen Anwesenden ein überbreites Grinsen ins Gesicht zu schneiden. Normalerweise ist sowas ja immer aufgesetzt und so pseudo Gemeinschaftlichkeit evozierend. Dennoch: danke an alle, die vor Ort waren. Es hat Spaß gemacht. Wirklich.



Das Café Nova, einer der wohl charmantesten Läden für derlei Veranstaltungen droht aus allen Nähten zu platzen. Die Luft könnte man schneiden, wenn man denn wollte. Regelmäßige Besucher kennen das bereits. Seid froh, dass es (noch) Winter ist. Eine Schülerband macht sich warm. Pardon, das sind ja TITLE FIGHT. Es ist immer wieder erstaunlich, wie jung manche Bands doch sind – und wie abgeklärt sie dann im Endeffekt spielen. Für TITLE FIGHT – so soll sich wenig später herausstellen – sind dann auch einige Besucher angereist. Ein nerdiger Gitarrist/Sänger mit ziemlich großer Brille macht sich mit ONLY LIVING WITNESS-Riffs warm. Das ist schon mal ein guter Auftakt. TITLE FIGHT spielen sich durch ihre noch überschaubare Discographie, während (auch an äußerst unpassenden Stellen) die ersten Stagediver den Luftraum unsicher machen. Die Mischung aus SMALL BROWN BIKE-Nachdenklichkeit und kurzem, angerissenem Pop Hardcore-Gestus passt auch nahezu perfekt zum Nachfolgenden. Über Sounddefizite wird da gerne hinweggesehen. Darum geht es ja schließlich auch nicht, wenn Band und Publikum so übereinstimmend miteinander verschmelzen. Ein schöner Auftakt jedenfalls. Bleibt zu hoffen, dass die „Szene“ die Band nicht allzu schnell verheizt. Mit Songs wie 'Symmetry' und 'Western Haikus' haben TITLE FIGHT jedenfalls gutes Material in der Hinterhand, um auch noch etwas länger zu bestehen.




Die hochsympathischen SHOOK ONES haben derweil bereits den Duden gezückt. Der äußerst löbliche Ansatz, Sinn und Kommunikation nicht bloß über mit dem Publikum geteilte Songs zu stiften, sondern über – ähm – Sprache halt, glückt zwar nicht wirklich, dennoch hat die Band damit einige Lacher auf ihrer Seite. Die SHOOK ONES also. Gewinner der Herzen des Abends. KID DYNAMITE-Epigonen? LIFETIME-Adepten?! Scheißegal: so spielt man herzerfrischenden poppigen Hardcore, der sich selbst nicht zu Ernst nimmt und dennoch nur Hits gebiert. Immer wieder erstaunlich, wie dieses knödelige, für Normalsterbliche nicht zu imitierende Organ von Sänger Scott für pure Euphorie sorgt. Der Auftakt in dieses Gewinnerset gelingt mit 'Order Form' und 'For Collards' vorzüglich.



Knappe Sporthosen und DISCHARGE-Shirts tragend (da sind wir wieder beim Thema D-Beat), gut aufeinander eingespielt, mit einigen zu langen Pausen zwischen den Songs vielleicht (die Hitze…), sollte für Freunde der Band eigentlich alles dabei sein. Zwar sind die Stagediver von TITLE FIGHT verschwunden (ist die Band etwa schon zu groß?!), dafür gibt es hier Typen, die scheinbar wirklich jeden Text der Band zu kennen scheinen. 'So Grown Up', 'Pheasant' und 'Carms Race' laden dazu allerdings auch wirklich ein. Am Ende noch kurz die Kollegen von POLAR BEAR CLUB geärgert, indem man das Set ein wenig in die Länge streckte und dann endlich runter von dieser stickigen Bühne. Wir halten fest: die SHOOK ONES treiben die Popisierung des Hardcore so ruppig-charmant voran, wie wenige andere.




Fröhlicher Bierzelthabitus? Ekstatisches Gruppenklatschen? POLAR BEAR CLUB stehen auf der Bühne, um mit ihrem an Gainesville geschulten Sound alte Gedanken von stimmlichen Defiziten (die GASLIGHT ANTHEM-Tour) ein für alle Male vom Tisch zu wischen. So schlimm, war die Stimmung während des Auftritts zwar doch nicht, dennoch sollte dieses unsägliche, „stimmungsvolle“ im-Takt-Klatschen verboten werden. POLAR BEAR CLUB haben mittlerweile ein recht beeindruckendes Repertoire an Songs vorzuweisen. 'Living Saints' und 'Light Of Local Eyes' sind die Eingröler. Eine Traube von Menschen umringt den äußerst kleinen Jimmy Stadt, der sein Glück nicht wirklich fassen kann und immer wieder Steilvorlagen in Gestalt von 'Another Night In The Rock', 'Our Ballads', 'Song To Persona' und dem etwas schief intonierten, vom Publikum jedoch formvollendet begleiteten 'Drifting Thing'. Auch eine dieser schönen Konzertzwischenraumszenen: irgendwer im Publikum echauffiert sich mit strenger Bierfahne über POLAR BEAR CLUB-Frontmann Jimmy Stadt, da dieser angeblich etwas Despektierliches in Richtung SHOOK ONES absonderte und möchte ihm „den Kopf abschneiden“, „weil die SHOOK ONES doch eh viele geiler waren, der Idiot“. Lustiger Haufen hier. Wir sind hier nicht auf dem Pressure, Dirk.




Das abschließende WEEZER-Cover ('My Name Is Jonas') schließt dann irgendwie die Lücke zwischen gelebtem Nerdtum und zeitlosen Hits, die gar nicht erst darüber diskutieren wollen, ob sie jetzt Hardcore sind oder nicht. Von beidem (also Nerdtum und zeitlosen Hits) gab es an diesem Abend eine Menge.