19.03.2011: Glasses, Nine Eleven, Whales Island, Strength Approach, Escapado - Bei Chez Heinz, Hannover

19.03.2011
 

 





Hätten Meshshortanbeter und Veganerkids das letzten Sommer schon gewusst: Nur 224 mal schlafen - schon geht das RISE FEST in die stolze zweite Runde. Wieder Samstag, wieder Hannover (quasi eine verschriebene Antihochburg des Hardcore - oder war dem nur früher so?), wieder reichlich Pfund für ein paar (dieses Mal ein paar mehr) Taler.

Aller Anfang ist heute nicht allzu schwer, wiegt vielleicht gerade 60kg, nennt sich "Turixxx" und kommt aus dem schönen Palermo. Mitgebracht hat er seine 4 besten Freunde - klar, alleine lohnt sich der Weg nach Hannover auch kaum - und einen Kofferraum voll energiegeladener Hardcorepunkhymnen, die sich in stillen Momenten zu gerne aus dem Picknickkorb von Polar Bear Club oder No Trigger bedienen. Frontflummi Turixxx stiftet an, was das frischgepresste"Not A Dream, But Never The End" hergibt: "Time Flies", "We Are Alone" oder "From The Start Till The End" drücken, funzen und lassen zu so früher Stunde schon auf einen heimlichen Headliner schliessen. Sympathisch, ehrlich, direkt. Unbedingt reinhören! Sizilien Hardcore, dass die Früchte aus der Cassata rasseln...

Weiter geht es aus grob nord-westlicher Richtung: Auch NINE ELEVEN haben über französische Autobahnen den Weg ins Chez Heinz gemeistert und bieten schnörkellose und frische Hardcorekost mit schnellerer Kante, melodischen Gitarren und durchweg positiv predigender Stimme. Wenngleich die Wanderslust des Schlagzeugs das Set der fünf Franzosen immer und immer wieder notgedrungen bremst, die Fäuste klammern, die Köpfe nicken schneller und die Luft schwillt an unter dem dynamischen Cocktail aus Verse und alten Comeback Kid. Erster Verdacht auf einen Mottoabend kommt auf: Werden hier nur unter Starkstrom stehende Sänger unter 160cm geduldet? Simon und Co. fahren tight und souverän auf, NINE ELEVEN wirken routiniert und voller Böcke, den Keller heute noch brennen zu sehen, wenn auch in so manchem Augenblick etwas zielstrebige Arroganz in den Gesichtern der Herren geschrieben steht. Dennoch: Die Instrumente sagen "Punch", die Songs brüllen "Arsch hoch", das angegraute Haupt von Basser Vincent (haha, musste einfach erwähnt werden!) zittert und bebt erfrischend. "Take To Remake" und "City Of Quartz" lassen den Katzennachwuchs aus dem Sack und nach einer halben Stunde eine schweißgetränktes und mollig warmes Bühnenbild zurück. Solide, aber nicht lebenswichtig.

Allein das hochqualitative Gemisch der ersten musikalischen Stunde RISE FEST "Spring Edition" 2011 bedarf einem virtuellen Schulterklopfen bei den Schöpfern (aka Pazzo Shows), die aus allen EU-Sümpfen nur die Lorbeeren ernten und man sich somit auch quasi blind dem Konzertangebot ergeben darf. Dem Autor jedenfalls war bis dato eine so fettkalibrige französische Band jenes Genres verheimlicht worden.

Der nächste Vocal-Linecheck lässt Wütendes erahnen, findet sich zur Abwechslung mal eine blonde Dame auf der Bühne ein, um mit amtlichem Grunzen die Grenzwerte des Mikrofons zu ertasten. GLASSES, der chaotische, deutschlandweit verstreute Haufen schick bebrillter Herren mit Frontfrau Sam (ex- The F.A.) und Resten TRAINWRECK´s oder PERTH EXPRESS´s zettelt eine verworren-harte Mischung auch spitzen Brachialparts und ultraschnellen Presslufthammerausbrüchen an, dass sogar den selbstverliebten Bollokindern in den ersten Reihen das Klebebild vom Kappenschirm gleitet. Wahnwitzige Knüppelstrukturen, geschmückt mit der zum Glück nicht gerade lieblichen Stimme der angepissten Lady, der Boden lernt zu beben. GLASSES bieten sich freiwillig an, den überdehnten Zeitplan wieder zurecht zu rücken, daher werden Kabel und Stromgitarren schon nach gut 20 Minuten voller Krachgut aus dem selbstbetitelten LP-Debut weitergereicht. Trotz geradliniger und eigenständiger Darbietung wirken sich die emotionalen Druckschübe etwas eintönig aus, so daß der Messbecher nach diesem Zeitfenster ausreichend angefüllt scheint.

Nach leider wieder Zeit verschlingendem Umbau der beinahe kompletten Backline wird das Zepter wieder in die helfende Hand Italiens gelegt. Mit STRENGTH APPROACH wartet ein bereits altbekannter Zirkus auf, der des Öfteren schon seinen Weg nach/durch Hannover fand. Sänger Alex klärt durch seinen Hoodie auf: Es wartet praktisch die italienische Version von TERROR auf, mit gewohnt mehr Melodie als Metal und eben Mittelmeer statt Pazifik vor der Tür. Die Römer stampfen und reißen mit den Trümpfen aus „Sick Hearts Die Young“, frischem Output der 7“ „Stand Your Ground“ und dem Überwerk „All The Plans We Make Are Going To Fail“ die Lampen ab. Fast stadionrock-like spielt die Band professionell und 100% auf den Punkt wie eine Kuckucksuhr, dass nahezu Herzblut von Wand und Decke tropft als „Walk Away“ oder „It's Not Pessimistic, Just Realistic“ der PA entkriechen. Über 13 Jahre „Hardcore-Erfahrung“ zahlen sich eben hörbar aus.

Auch ESCAPADO haben ihn: Den seltenen, aber umso mehr gefürchteten Linkshand-Trommler. Also wieder: Umbau, Abbau, schleppen, anschließen, aufdrehen, testen, checken – abdröhnen. Mit frischem Bandbild (50% neue Mitglieder) und sogar noch frischeren Songs aus „Montgomery Mundtot“ sind die 4 Nordlichter wieder durch die Lande unterwegs. Live brettert das Paket noch umtriebiger, wenn auch gerade der Sängerwechsel durchaus Veränderungen am Gesamtbild mit sich bringt. „Die Elite Setzt Sich Durch“ oder „Freiraum“ treffen den direkten Grad zwischen blanker Wut und dem hektischen Effektgewitter, dass ESCAPADO erst rundum theatralisch und doch so schön roh klingen lässt. Felix´ teils verzweifeltes, oft zerreißendes Stimmbild, die wahnsinnige Gitarrenballast und die teils progressive, teils bloß geprügelte Struktur ESCAPADO´s brennt sich schwer in den Gehörgang. Mit rund einer Stunde Spielzeit brechen die Schleswig-Holsteiner zwar das Finale des Abends von der Decke, dürfen sich aber trotz Verausgabung und Deutlichkeit nicht als alleiniger Headliner zurückziehen. Aller Liebe und Kunst zum Trotz – gerade stimmungstechnisch zogen die Highlights heute Abend bereits zu früher Stunde durch den alten Fahrradkeller, der sich wohl kaum über zu wenig Schweiß, fehlende Dezibel oder unspektakuläre Bestreiter des RISE FEST 2011 beschweren dürfte.
Auf das RISE FEST, Runde 3!