20.04.2010: Hope Dies Last, The Chariot, The Eyes Of A Traitor, Iwrestledabearonce - München – Feierwerk

20.04.2010
 

 

Es gibt Bands, die nur im Rahmen eines kleinen Clubs wirklich funktionieren. Bei denen die Intimität zur Bandphilosophie gehört und die nur dann live Sinn machen, wenn es keine sichtbare Grenze zwischen Publikum und Musikern existieren. THE CHARIOT gehören nicht zu dieser Gruppe. Sie verwandeln auch einen gerade mal zu einem Fünftel gefüllten 500er-Laden wie die Kranhalle im Feierwerk in einen Ort, an dem man die Luft schneiden kann, ob all der Intensität, die einem hier entgegen schlägt. Den Beweis erbringen sie auch an diesem Abend zu vollster Zufriedenheit.

Doch bevor das Christen-Quintett die ausgesprochen großzügig angelegte Bühne betritt und der Wahnsinn seinen Lauf nehmen kann, ist es an den Lokalmatadoren von HOPE DIES LAST, den Reigen zu eröffnen. Die Jungs feiern am heutigen Abend das Release ihres neuen Albums und haben gleich ihren eigenen kleinen Fanclub mitgebracht und geben sich durchaus engagiert. Das ist schön. Wäre da nicht die Musik, die leider zu weiten Teilen ausgesprochen beliebig ausfällt. Ein Schwedenriff hier, ein Breakdown da und fertig ist der Metalcore-Song. Das alles tut nicht wirklich weh, löst bei mir aber auch alles Andere als Begeisterungsstürme aus. Selbst vor fünf Jahren wäre der Sound der Band schon von Gestern gewesen, was in diesem Falle leider nicht als Kompliment gemeint ist.

Deutlich interessanter klingen da schon THE EYES OF A TRAITOR. Die Engländer befinden sich auf ihrer ersten Tournee auf dem europäischen Festland und es müsste schon ein großes Unglück passieren, wenn die Jungs sich nicht alsbald wieder hier blicken lassen. Nein, auch hier wird das Rad des Metalcores nicht neu erfunden, aber die Summe der einzelnen Teile klingt dennoch dermaßen frisch und unverbraucht, wie ich es schon lange nicht mehr in diesem Bereich gehört habe. Technisch bewegt man sich auf sehr beachtlichem Niveau, zeigt sich durchaus bewegungsfreudig und selbstsicher. Zurecht, denn der Mix aus verspielten Gitarren, MESHUGGAH'esquen Grooveparts und Moshparts funktioniert vorzüglich. Den Jungs würde ich derzeit noch vor THE GHOST INSIDE den Titel der hoffnungsvollsten Metalcore-Band der Stunde verleihen. Werden noch groß!

Einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt haben dagegen schon IWRESTLEDABEARONCE. Die musikalischen Grenzgänger mit der Rundum-Sorglos-Frontfrau haben sich mit ihrem äußerst gewagten und zuweilen leider auch recht planlos wirkenden Everything-goes-Songs irgendwo zwischen DESPISED ICON und BJÖRK in den letzten beiden Jahren einen Namen gemacht. Das merkt man auch am Publikum, welches zu einem Großteil wegen der mittlerweile auf Century Media gesignten Truppe angereist zu sein scheint. Während sich also vor der Bühne die meisten Menschen des heutigen Abends zusammen finden, liefern die Jungs und das Mädchen eine Show ab, die im Grunde genau dem entspricht, was man angesichts der musikalischen Ausrichtung erwartet. Es geht chaotisch zu, die Gitarren werden geschwungen und das gepflegte Ausrasten zelebriert. Im Vergleich zu den nachfolgenden THE CHARIOT zwar irgendwie noch nicht gar so ausgelassen, nichts desto trotz aber sehr solide. Das alles kommt dabei rüber wie eine pöbelnde, weitaus ungalantere Version der Briten von ROLO TOMASSI. Technisch alles ziemlich einwandfrei, musikalisch freilich arge Geschmackssache. Den meisten Zuschauern gefällt’s aber und man kann ihnen nicht einmal wirklich böse sein. Nach einer halben Stunde ist dann Schluß und ein besonders wahnwitziger Zeitgenosse darf der Band noch stolz seinen Rücken präsentieren, der nahezu vollständig mit einem T-Shirt-Motiv des Fünfers zutätowiert ist. Wer das Merch-Design am heutigen Abend sieht, wird allerdings unweigerlich feststellen, dass diese Idee nicht eben die allerbeste ist. Gut möglich, dass sich da jemand in ein paar Jahren, wenn keiner mehr einen Gedanken an IWRESTLEDABEARONCE verschwendet, tierisch ärgern wird.

Bis dahin bleibt jedoch noch genug Zeit, um sich dem Wahnsinn hinzugeben, der wenige Minuten und einige eher gewagte Dehnübungen von Schreihals Josh Scogin später auf, über und vor der Bühne zelebriert wird. Wer THE CHARIOT schon einmal live erlebt hat, der weiß, dass diese Band alles abliefert, aber keine gewöhnliche Band-steht-auf-der-Bühne-und-spielt-ihre-Songs-Show. Stattdessen treiben die christlich geprägten Jungs wohl jeden Abend gleich mehrere Dämonen aus. Was da in einer knappen halben Stunde an Aktion stattfindet, reicht anderen Bands gleich für mehrere Welttourneen. Da fliegen die Gitarren – wortwörtlich – umher, werden Mikrofonständer zur beinahe tödlichen Waffe und der Bassist ist ohnehin jenseits von Gut und Böse. Ja, THE CHARIOT sind eine Showband. Allerdings eine der allerbesten Sorte, denn hier wirkt absolut nichts kalkuliert, stattdessen gibt man sich vollends dem gepflegten Wahnsinn hin, malträtiert Instrumente, Körper und das Gehör des Zuschauers und lässt einen zuweilen beinahe vergessen, dass der Mensch auch Sauerstoff zum Überleben benötigt. Selbst wenn einem die durchaus sperrige Musik der Amerikaner nicht liegt: live erlebt haben sollte man die Band ohne Frage mindestens einmal. Wenn es denn dabei bleibt.

Nach einer höllisch intensiven halben Stunde ist man dann auch mehr als genug versorgt. Noch mehr Intensität geht einfach nicht. THE CHARIOT waren schon immer eine großartige Liveband, ich selbst hatte am heutigen Abend das dritte Mal das Vergnügen. Derzeit allerdings sind sie wohl in der Form ihres Lebens. Wem der DILLINGER ESCAPE PLAN live mittlerweile etwas zu choreographiert wirkt, der möge diesen Herren mal einen Besuch abstatten. Ausgesprochen wahnsinnig, das Ganze. Aber auch wahnsinnig toll.