20.09.-22.09.2012: Reeperbahn Festival - Hamburg- St. Pauli

20.09.0023
 

 



Die Festivalsaison ist vorbei, es lebe die Festivalsaison! Der Kiez bei Tageslicht gehört nicht unbedingt zu den Lieblingsbesuchsorten erfahrener Hamburger, doch dieses Wochenende wird es sich nicht vermeiden lassen. Es ist REEPERBAHN FESTIVAL. Ein ganzer Haufen Bands, jede Menge Kunst und noch mehr Veranstaltungen rund ums Musik- und Medienbusiness stehen auf dem Programm. Tendentiell ist man von dem wahren Überangebot bereits vor Beginn erschlagen. Eine Auswahl zu treffen, welche möglichst vielfältig UND gut ist, erscheint so gut wie aussichtslos. Alleine der Musikbereich erstreckt sich von Singer- Songwriter, über Indiepoprock bis Rock bis Elektro bis Hiphop. Vieles unbekannt und die Bekannten muss man nicht zwangsläufig zum x-ten Male sehen. Also trifft man seine Wahl am Besten nach Locations, in die man noch nie einen Fuß gesetzt hat und nach unbekannten Bands, welche noch nie das Ohr streicheln durften.

Donnerstag 20.09.2012:
Kiez taghell, Betrunkene gibt es schon an jeder Ecke. Erster Stopp.
DIAL M FOR MURDER @ Planet Pauli
Der Rest der Sonne des Tages bahnt sich den Weg durch die roten Vorhänge des Clubs. DIAL FOR M FOR MURDER sind wahrhaft bemüht Stimmung aufkommen zu lassen. Die Herren aus Schweden starten jeden Song so vielversprechend rhythmisch und tanzbar, dass Hoffnung aufkommt, bereits jetzt das Tanzbein schwingen zu dürfen. Klassischer Indierock, als käme er von der britischen Insel. Leider schaffen sie es nicht diese Rhythmik auszubauen und driften viel zu schnell in schräge Sphären. Kurzes Set, relativ eintönig und kaum Kommunikation lassen den Abend gar nicht mal so gut starten.

Ein Bummel über den Spielbudenplatz. Dort haben Siebdruckkünstler ihre Stände mit wundervollen Drucken bestückt. Hauptsächliches Thema: Musik/ Bands. Kann man auch kaufen. Shirts, Postkarten, Notizhefte ebenfalls. Es ist frisch. Es fröhnt einem eher nach Heißgetränk denn nach kühlem Bier. Die Sonne versinkt theatralisch am anderen Ende der Reeperbahn. Zeit trotz der kühlen Temperaturen draußen zu bleiben.

NICOLAS STURM @ Stage East
Bei der Stage East handelt es sich um eine dauerhaft installierte Open Air Bühne am östlichen Ende (aha) des Spielbudenplatzes. Netterweise gibt es mit warmen Decken ausgestattete Outdoorsofas, auf welchen man sich gepflegt während des Konzerts rumlümmeln kann. NICOLAS STURM jedenfalls hat seinen Kollegen am Schlagwerk (vom Glockenspiel aus der Musikschule bis Besen auf Trommelfell) mitgebracht und macht Singer-Songwritermusik. Allerdings weniger klassisch, sondern vielmehr sehr kraftvoll bis zum Verzweiflungsschrei. Gitarre vom Zupfen zum Schlagen, passend zum Gesang eben. Wunderbar.

MIGHTY OAKS @ Imperial Theater
Durchgefroren will man sitzen. Im Imperial Theater ist man auch noch nicht gewesen und die Band kennt man auch nicht. Sitzend in abgewetzten Samtstühlen blickt man auf die Kulisse von „Polizeirevier Davidwache“ (?) und den Aufbau des Instrumentariums davor. Die dazugehörige Band folgt später und stellt sich als zusammengewürfeltes Trio aus den USA, Großbritannien und Italien heraus, welches sich in Hamburg traf, aber nun in Berlin beheimatet ist. Jaja. Gitarre, Bass, sparsames Schlagwerk, Mandoline und manchmal ein Banjo zeigen, was denn nun der Folk ist. Klare Arrangements, klarer Sound, tragend, tragisch bis kitschig. Dabei können sie zeitweise auch schnell und kraftvoll. Ein schönes Konzert zum danach ins Bett huschen. Nicht aufregend, aber sehr beruhigend.

Freitag 21.09.2012:
Festivals in der Heimatstadt mit schlafen im eigenen Bett und morgendlicher Dusche haben leider den Nachteil, dass 11 Stunden Arbeitstage durchaus auch noch ins Programm passen. So kann man sich am Freitag relativ erschlagen auf den Weg in Hamburgs -gerüchteweise- wildestes Viertel machen und sich nur schwer dafür bedanken, dass es etwas wärmer geworden ist.

BAZOOKAS@ N-Joy Reeperbus
Gar nicht mal so freiwillig stolpert man in das erste Konzert des Abends. Ska aus einem (us-) amerikaischen Schulbuss. Dieser wird von den BAZOOKAS aus den Niederlanden ordentlich zum „Bounzen“ gebracht. Es „dampft“, das Volk hat Spaß, Ska vom Feinsten mit niederländischen Texten. Band mit einer Horde Wahnsinniger im Bus, doch auch vor dem Bus wird getanzt. Die Bläser stehen gegen Ende des Sets dann aber doch draußen an der frischen Luft und im Bus wird angeleitet gecrowdsurft. Die Trommelfelle sind nun warm.

THE FIRES@ Sommersalon
Da kann man gleich bei alten Musikstilen bleiben und wird im Sommersalon von drei jungen Herren aus der Schweiz in weißen Anzügen und mit kiloweise Pomade im Haar empfangen. Nebst allerfeinstem Oldschool- Rock´n´Roll, der vermutlich selbst ELVIS die Hüfte gelockert hätte. Wer still steht hat Tomaten in den Ohren. So macht das doch Spaß!

IREMEMBERTAPES@ Sommersalon
Was im Anschluss folgt ist nicht weiter der Rede wert. Wurde es einem als Indie-Rock verkauft, so sollte man nicht alles glauben, was auf der Verpackung steht. Bunte Hemden und Arme, 90% Elektro mit echten Trommeln und viel Gebimse am Computer. Musik absolut konträr zum Namen. Der Apfel ist mit dabei. New Wave passt vielleicht noch. Anstrengend. Dann streikt noch das Mikro der Zweitstimme und das Ganze klingt gar nicht mal so gut. Also raus.

Mit dem Kiez im Rücken geht es einem gleich viel besser. Raus zu den Fliegenden Bauten.

MAX PROSA@ Fliegende Bauten
Der empfängt einen düster und brachial. Man kommt ja auch zu spät. Es wird Duckstein aus hochstileigen Gläsern getrunken und Stil bewiesen in den Fliegenden Bauten. Es ist ein düsteres Set. Traurige, dramatische Lieder mit Band. Prosaisch, eingebildet, selbstherrlich, wie das bei echten Poeten eben sein muss. Phantasie wird allerdings siegen. Man darf wieder sitzen auf rotem Samt, die Bässe massieren Hintern und Rücken. Sonst würde es einen vermutlich von der Wucht der Musik und den Worten umblasen. Und ebenso fulminant wie der Auftritt war, verschwindet Herr PROSA mit seiner Band auch wieder von der Bühne.

FRISKA VILJOR@ Fliegende Bauten
Und weil es hier so schön ist in diesem Zirkuszelt und weil das Folgende doch mehr als gute Unterhaltung verspricht, besorgt man sich für Unsummen noch ein Bier und eine Brezel, macht es sich kurz bequem, beobachtet wie sich der Saal mäßig leert und wieder anschließend schnell wieder vollläuft. Die Bühne einmal komplett leer geräumt und nur noch zwei Hocker, ein Keyboard und zwei Mikrofone, dann kommen Daniel und Joakim auf die Bühne mit Madoline und Gitarre zum FRISKA VILJOR Acousticset. Es beginnt gediegen, auch wenn am Rande des Zeltes bereits zu den ersten Takten der Bär steppt. FRISKA VILJOR haben heute offensichtlich Bock. Es wippt der Saal. Und dann kommt „Arpeggio“ und der Saal springt auf und tanzt. Ein solch unglaublich tanzbares Acousticset (!!!) soll erstmal eine andere Band hinbekommen. FRISKA VILJOR sind eben immer ein Garant für eine Spitzenparty und das trotz oder eben wegen der Texte. Treten sie bei Interviews doch immer sehr verhalten in Erscheinung, entwickeln sie sich auf der Bühne doch zu wahren Rampensäuen, egal ob mit oder ohne Band. Besser kann der Abend nicht mehr werden. Es gibt noch Zugaben und wildes Geflirte nach der Show. Wenn es am Schönsten ist, soll man aufhören. Gute N8 mit Acht.

Samstag 22.09.2012
Nach Regen folgt immer Sonne und umgekehrt. Saubermachen und dann trocknen.

BOHO DANCER @Stage West
Draußen lässt es sich noch gut aushalten. Heute werden die Trommelfelle von BOHO DANCER angewärmt. Eine Frau am Mikro empfängt einen mit versöhnlichen Klängen nebst Drummer und Bassisten. Getragen wird man in den Abend, Madame holt alles aus der Stimme raus was geht. Wunderbarer Indiepop. Das geht runter wie die wunderbare FEIST.

LAST DINOSAURS@ Molotow
Vor dem Molotow hat sich eine laaaaange Schlange gebildet und besorgt reiht man sich ein. Doch die Türen haben noch gar nicht offen und so kann man nach eben derer Öffnung ganz entspannt hineinspazieren und noch ein Bierchen trinken. Schnell ist der Laden voll. Sehr voll. Der Grund dafür betritt wenig später die Bühne und kommt aus Brisbane aus Australien, einem Ort, welcher bekannt ist für seine unzähligen Indiebands- haha. Heute also Indie für Frickler zwischen getragen, zum Tanz einladend und laut schreien wie beim alten Screamo. Welch eine Mischung. Vier schüchterne Jungs mit teilweise brachialen, krachenden Gitarren holen alles raus was geht raus. Sie spielen mit Gegensätzen in Harmonie und Rhythmus. Diese Band sollte man sich unbedingt für die Zukunft merken. Erster Auftritt in Deutschland, aber da kommt sicherlich noch was. Nach der Show im Raum und auf der Bühne glückliche und verschwitze Gesichter. Ein guter Start in den Abend.

Ist es eigentlich noch Reeperbahnfesitval wenn man in die U-Bahn steigt und den Kiez verlässt? Egal, die Musik ruft. Einmal unterm Heiligengeistfeld hindurch und an der Feldstraße wieder raus. Knust.

ANDY BURROW@ Knust
Ein unglaublich hübscher, blonder, bärtiger Mann betritt die Bühne. Seines Zeichens Livedrummer von WE ARE SCIENTISTS und RAZORLIGHT, kann aber anscheinend auch Gitarre spielen. Mit Band im Rücken. Präsentiert wird Indierock mit Folkeinflüssen wie er im Buche steht. Der Herr macht den sensiblen Barden. Es wirkt glatt, technisch einwandfrei und damit ist leider erstmal nicht die Soundtechnik gemeint. Klingt ein bisschen wie der Soundtrack des großartigen Films „Once“ oder eben THE FRAMES.

BESSERE ZEITEN@ Hanseplatte
Bass, Keys, Drums sind aufgebaut in dem kleinen Plattenladen, zu dem man vom Knust aus noch nichtmal auf die andere Straßenseite gehen muss. Nicht, dass man hier schon eine Menge Geld am hellichten Tag gelassen häte, doch die Plattenwühlkisten sind heute beiseite geräumt. BESSERE ZEITEN starten ihr Set im Schummerlicht zwischen Friesennerz und Matrosenkleidchen. Zwischen den Konsumgütern der alternativen „Szene“ tönt nun PolitIndiePunkRock und wirkt ziemlich wirr und das nicht allein wegen der Auslegeware. BESSERE ZEITEN beweisen jedenfalls Humor und kratzen einem mit wahnwitzigen Statements und stampfendem, nachdrücklichen Rhythmen die Gehörgänge blutig. Man kann nur ziemlich verstört zurückbleiben.

FRÀNÇOIS & THE ATLAS MOUNTAINS@ Knust
Als man ins Knust zurückkehrt staunt man nicht schlecht ob der Aufbauten auf der Bühne. Trommelwerk von afro bis techno, Synthies in großer Stückzahl und natürlich „normale“ Drums und wenig später gibt es auch noch eine handelsübliche Gitarre. Technische Probleme verzögern den Start allerdings noch. Die Mädels (!) von der Knusttechnik geben ihr Bestes und haben den Fehler bald behoben. Die bunten Kabel der Band sind einfach hin, obwohl das doch eigentlich mal was Neues und ziemlich Schickes war. Als es dann losgeht kann der Sound einen nur überfordern. Eben dieses unglaubliche Drumset, die Synthies, Gitarre und dann noch die Trompete. Dazu gibt es Tanzeinlagen wie man sie von DARWIN DEEZ oder KAKKMADDAFAKKA kennt. Aber so richtig, richtig überspringen will der Funke nicht. Vielleicht ist es einfach in diesem Falle zu schwer sich auf die Wechsel von afrikanischen zu elektronischen Beats, umfangreichen Synthesizersounds -sowohl elektronisch als auch digital-, der viel zu selten gehörten französischen Sprache UND dann noch aufs Tanzen ohne Umfallen zu konzentrieren. Dies ist keine Band, der man unbekannt live begegnen sollte, da braucht man erst eine Einarbeitungsphase. Dennoch lässt das Spektakel die Vermutung zu, dass sich dies lohnen würde. Doch nicht mehr heute Nacht.

Reeperbahnfestival genutzt, um Neues kennenzulernen. Bands, Locations, Leute. Vielleicht ein einzigartiges Festival, welches sehr gut in diese Stadt mit ihrem eh schon überbordernden Angebot an Amüsiermöglichkeiten passt. Nächstes Mal kann man sich dann vielleicht auf die Konst kunzentrieren oder auf die Campusveranstaltungen. Exkursionen machen müde und hungrig. Wie gut, dass es vor dem Aufstehen den Fischmarkt in fußläufiger Nähe gibt. Und das jeden Sonntag. Man darf gespannt sein, was von diesem Festival übrig bleibt und welcher Trend demnächst über uns hinwegrollt. Bis zum nächsten Jahr. Die Festivalsaison ist hiermit für dieses Jahr für endgültig beendet erklärt.