21.-23.03.2014: Musink Tattoo Convention & Music Festival - OC Fair & Event Center - Costa Mesa, CA

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Mit dem MUSINK Festival, so scheint es, verlagern sich die wiederspenstigsten Klischees Hollywoods ins gut 60 Kilometer südlicher gelegene Orange County. Keine zwanzig Meter durch das Einlasstor gekämpft erschlagen einen bereits zahlreiche aufgeplusterte Damen in knapper Bekleidung, lokale Musikerfamilien samt Kleinkind und Kegel, sowie ein Mix aus grimmigen, glatzentätowierten Latinos und freundlich grüßenden Studiobesitzern. Um jeden Preis an jeder Ecke überheblich, individuell, jenseits von normal?
Na klar.




"Travis Barker presents..." heißt es in diesem siebten Jahr der Veranstaltung, die über drei Tage das Innen-und Aussengelände des OC Fair- & Eventcenters in Costa Mesa einnimmt. Neben der überschaubaren Halle, in der sich nationale und internationale Tätowiergrössen mal sympathisch unauffällig, dann wieder laut und durchgestylt aneinanderreihen, bietet ein schlauchförmiger Bereich ausgestellte Lowrider- und Custom Car-Schönheiten, darunter diverse Exemplare des BLINK 182-Schlagzeugers himself. Schleppend läuft der Freitag ab dem späten Nachmittag an - langsam nur füllen sich die Gänge mit Interessierten, obgleich die Künstler an der Nadel oder auf der Bühne betreffend.
Bis zum späten Sonntagabend begeistern Oliver Peck, Dan Smith oder Matt Cannon mit cleanen und einmaligen Arbeiten, dazu bieten Victory Records, Famous Stars And Straps oder hiesige Anbieter jeglicher Tattoo-Accessoires immerhin ein ansehnliches Rahmenprogramm. Diverse Gewinnspiele, Autogrammstunden oder eine portable Minirampe mit ansehnlichem Skateboardpotential direkt neben den zahlreichen Essenstaenden runden das Paket ab - in Sachen Entertainment braucht Suedkalifornien niemand etwas vorzumachen. Ab dem späteren Abend verlagert sich der Mob von den vereinzelten Bars (mit natuerlich horrenden Preisen) in die kahle Halle, wo nach einem grantigen Set der Old School-Punks von LOVE CANAL heute die VANDALS den ewigen St. Patrick's Day feiern. Orange County laesst sich nicht lange bitten und stimmt in das chaotische Set der Band um Joe Escalante und Drummer Josh Freese ein. "Oi! To The World", "My Girlfriend's Dead" oder "It's A Fact" reissen deutlich mehr Aufmerksamkeit an sich als die Preisverleihung fuer die besten Tattoos des Tages gleich nebenan. Diese findet allabendlich im kahlen Verbindungsstück zwischen "The Ink" und "The Music" statt - kaum ein Besucher oder Aussteller scheint sich hier jedoch freiwillig aufhalten zu wollen. Kalt, leer, ungemütlich - davon ist vor der grossen Buehne, die die DESCENDENTS am Freitag als Headliner entern, nicht die Spur zu merken. "Clean Sheets" und "Get The Time" werden ebenso einheitlich textsicher begrüsst wie der Opener "Everything Sucks" oder "Suburban Home". Keine Anzeichen von grauen Haaren oder Langeweile - Frontmann Milo und Basser Karl Alvarez sowie Gitarrist Stephen Egerton und Schlagzeuger Bill Stevenson scheinen mit dem Alter eher noch immer besser, tighter und explosiver zu werden.




Spannend, wie sich das Besucherklientel optisch mit dem täglichen musikalischen Umfeld verändert: So sind nach den Punkrockern von Tag 1 am Samstag eher die "Gangsters & Thugs" auszumachen, die sich nach einem üppig gefüllten Tag auf der Convention abends zunächst dem glatten, makellosen Rap von Haarpracht-MC RITTZ stellen, bevor die TRANSPLANTS um Travis Barker und Tim Armstrong nur mittelmaessig begeistern können. Wie auch am Vorabend ueberschlaegt sich der Sound in der Messehalle - Gitarren und Bass sind oft nur als Einheitsbrei auszumachen. Saenger "Skinhead" Rob Ashton holt trotzdem alle Anstachelungen aus dem Hut und brettert neben dem punktgenauen Schlagzeugspiel Barkers aggressive und zugleich dynamische Versionen von "In A Warzone", "Tall Cans In The Air" oder "American Guns" in Richtung Pit. Im Anschluss an das einstündige Set der Allstar-Band, dass ohne Gastauftritte von u.a. Matt Freeman oder Cypress Hill natürlich nicht auskommt, lockt TECH N9NE aus Kansas City mit ausufernder Buehnenparty auch die letzten Besucherreserven aus der Tattoohalle ins Konzertvenue. Den "wie im Film'-Fingerzeig kann man sich nicht verkeifen, als auf dem Nachhauseweg vor der Tuer standesgemaess einige stark angetrunkene Besucher lachend aber spektakulär in Handschellen von der Polizei abgeführt werden.



Bevor sich der Sonntag ganz im Zeichen des (Straight Edge) Hardcores bewegt, leeren sich an einigen Stellen bereits die Parzellen, die die teils von weither angereisten Tattoo-Künstler noch bis eben einnahmen. Die verbliebenden nutzen den finalen Tag dafuer umso sinnvoller. So mischen sich Fletcher Dragge (PENNYWISE), Dan Palmer (ZEBRAHEAD) oder Skinhead Rob unters Volk, lassen sich teils selber mit Hilfe von Nadel und Tinte verschönern und stürzen sich vom einen Plausch in den nächsten. SOUL SEARCH und STRIFE könnten derweil kaum energischere Sets abliefern, bevor H20 bei bösem Livesound, dafür aber lohnenswerten Gastauftritten von Travis Barker am Schlagzeug und Matt Skiba am Mikrofon beschwoeren, welch eine "epic night" der heutige Abend doch darstellt: So viele der massgeblichen Bands und Künstler unter einem Dach, so viele beste Freunde, engste Familie und langjährige Weggefährten.




Das OC Fair & Event Center würdigt die Ansprachen von Toby Morse mit endlosen Stagedives, ausartendem Enthusiasmus und dauerhaften Singalongs - und kehrt die miserable Akustik in der Halle geradewegs zur Tür hinaus. Nicht weniger bergab mit der Energie im Raum geht es bei JUDGE aus New York, die Orange County mit "Bringin' It Down" oder "New York Crew" den Abriss lehren. Mike Ferraros üppiger Bart ist auch vom sicherlich 200 Meter entfernten Merchandise-Stand noch zu sehen, die Halle bebt eine Dreiviertelstunde lang, in der JUDGE ihren Status in der Welt des New York Hardcore nicht einmal selbst unterstreichen müssen.



Um dem Weekender die passende Abreibung mit auf den Weg zu geben, nachdem (ohne wirklich großes Publikumsinteresse) die letzten Tattoo-Auszeichnungen vergeben werden und der Convention-Part für dieses Jahr gegen 20:00 Uhr inoffiziell für beendet erklärt werden kann, schicken GORILLA BISCUITS einen kompletten Bläsersatz auf die dunkle Bühne. Was folgt, ist jedem der 750+ Besucher klar. "New Direction" befördert alle übrigen Reserven in die ersten Reihen, die Civ unmittelbar für "auszufüllend" erklärt. Das halbe Wochenende ist der glattköpfige Frontmann nicht umsonst von Verantwortlichem zu Verantwortlichem gehetzt, um die Halle nun zumindest zu einem Teil von Barrieren und Sicherheitsgräben zu befreien. Mit "High Hopes" und "Hold Your Ground" pferchen die GORILLA BISCUITS wie von Zauberhand Clubatmosphäre in den zweckmäßig genutzten Schlauch aus Stahl und Steinen. T-Shirts durchgeschwitzter Besucher werden zahlreich zu Wurfgeschossen, frisch tätowierte Schienenbeine ziehen den Kürzeren gegen leidenschaftliche Saltos von der Bühne. Die Band aus Queens wirkt wie ein Trupp koffeinverseuchter Mittzwanziger, dem endlich der Startschuss erteilt wurde. Mit dem einstündigen Set von Walter Schreifels und Co. könnte das musikalische Geschehen des MUSINK 2014 kaum ein würdevolleres und passgenaueres Ende erfahren. Auch Civ treibt es zwischen den Songs in zahlreiche Emotionsgassen, in denen er die Zugehörigkeit der Szene wiederholt für einen Dauerzustand erklärt. Obgleich Travis Barker oder Davey Havok ihre Karriere auch "anders" angepackt haben als er selbst, Events wie heute vereinen wie eh und je. Mit Verlassen des beeindruckenden Finaltages ist in der Tätowierhalle fast gespenstische Leere eingekehrt, Matt Pinkus von JUDGE hingegen wird sich dank des frisch gestochenen CIV-Kunstwerks auf seiner Brust noch lange an beide Seiten des Festivals erinnern: die Unscheinbare ("The Ink") und die - zumindest zum Großteil - wirklich Beeindruckende - "The Music".