21.08.2012: Good Riddance, A Wilhelm Scream, The Flatliners - Knust, Hamburg

21.08.2012
 

 

„Hamburg“ ist heute bloß ein Synonym für „Parkplatz“. Hat die Hansestadt überhaupt genügend Einwohner um ein Punkrock-Buffet dieser Art alleine weg zu heuschrecken? Braucht es etwa überregionale Hilfe? Scheinbar, denn im Radius von gefühlten drei Kilometern um das „Knust“ herum ist weder eine Parklücke noch ein Quadratmeter ohne auffällig bestickerten Untersatz mit auswärtigem Kennzeichen zu finden. Während Kollegin Jule bereits dem bloß tausend Meter Luftlinie entfernt stattfindenden Derby Grevenbroich vs. Rochester entgegenfiebert, wird der Vorplatz des alten Schlachthofgeländes zum Tümmelplatz für Fat-Wreck-Aholics. Und dergleichen.
Im Inneren hat FLATLINERS-Drummer Paul seine Becken extra hoch montiert - damit Tony Sly von seiner sicher samtweichen Calipunk-Wolke herab auch jeden Takt des ihm gewidmeten „Eulogy“ mitklatschen kann. Das noch etwas kahle Knust gibt sich manierlich und im großzügigen Halbkreis posend mit „Carry The Banner“, „Monumental“ und letztlich „Count Your Bruises“ zufrieden – am frühen Abend Pulver opfern könnte auffallen, oder die (heute im Durchschnitt eher) alten Knochen zu sehr fordern.

Bei den Kanadiern und ihrem Opener-Set sitzt jeder Song knallend und formt Trommelfell und Stimmung auf Betriebstemperatur. Praktisch exekutive Manager auf dem Gebiet der Temperat(o)uren sind auch Nuno Pereira, Trevor Reilly, Nick Angelini, Mike Supina und Bass-Boss Brian Robinson aka. A WILHELM SCREAM: Haare schneiden fuck off als Devise des Musikzirkels? Im Tourvan der Gniedelpunks - einer Art Limousine mit Camperherz - lies es sich offensichtlich trotz Hitze ausschlafen – so will die Formation aus Massachusetts mit „I Wipe My Ass With Showbiz“ über „Famous Friends And Fashion Drunks“ bis „The Kids Can Eat A Bag Of Dicks“ keine geschlossenen Münder in der Halle vereinsamen lassen. Technisch auf die Millisekunde, menschlich zum pausenlosen Mitgrinsen und letztendlichen Abklatschen. „The Horse“ und „The King Is Dead“ beenden ein Set, an dem es schier unmöglich scheint, Kritikpartikel herauszulöffeln. Tell me again what a monster is, wenn nicht A WILHELM SCREAM live.

„The Feeling Is Definetely There...“ Und auch an den paar Jährchen Pause sollen Russ Rankin und sein erneut einberufenes Kollektiv nicht scheitern. Frisch sehen sie aus, Glatzkopf Chuck, Real McKenzie Sean, Dreifach-Dad Luke. Und munter wirken sie auch. Bis auf Rankin selber, der sich etwas oberflächlich und meist abseits von Mimik oder Emotionen durch „Fertile Fields“, „Out Of Mind“ oder „Flies First Class“ hangelt. Die Ansagen bleiben spärlich, die Songs bleiben Meilensteine. Heutige Hauptsache: GOOD RIDDANCE weilen wieder unter den Lebenden.
Eine Best-Of-Setliste beinhaltet natürlich „Salt“ und „Heresy, Hypocrisy And Revenge“, zum Glück „Shit Talking Capitalists“ und sogar „Think Of Me“. Zum Auflockern erzählt Rankin einen Tour-Schwank der sich jüngst auf einer „German Tonkstella“ abspielte. „Darkest Days“ und „Winning The Hearts And Minds“ sind wichtiger. Das vordere Drittel „Knust“ erlebt seine Sternstunde, die ab 2007 eine Unterbrechung finden sollte. Erst als Rankins Polohemd keine trockene Stelle mehr hergibt, geht es auf die Zielgerade. Jetzt bloß das Stagediven nicht vergessen – am Ende müssen wieder fünf Jahre Wartezeit ausgebadet werden. Nach letzten, noch immer wegweisenden Tönen von „Last Believer“ schiebt sich der Mob zurück auf den Innenhof. Lächeln, schwitzen, begeistert sein: Hamburg bedankt sich mit seinen „inneren“ Werten. GOOD RIDDANCE hingegen mit einer musikalisch lupenreinen Live-Kreation zum Dienstagsdinner.

Für jung gebliebene Skatepunks und alt gewordene Melodycoreler, die die Serviermanieren noch nicht abgelegt haben, also ein Bilderbuchpaket: Lecker und luftig zu Beginn, der massive Hauptgang hinterher – zum Abschluss dann die Köstlichkeiten. Bis der Gast pappsatt ins Bett fällt.