22.11.2009: Rise And Fall, Iron Age, Amenra, Kingdom, Dead Flesh Fashion - Köln - Underground

22.11.2009
 

 



Ich gucke auf die Uhr. Es ist 19:17, also 13 Minuten vor Einlass. Doch das weiß ich erst seit dem ich’s auf dem Blatt am Eingang gelesen habe, wodurch also die meisten – so wie ich – mit einem Einlass um Punkt 19 Uhr gerechnet haben sollten. Sollten. Es sind noch 13 Minuten bis zum Einlass, und bis auf die Bands und ein paar einzelne, die genauso gut hier arbeiten könnten ist weit und breit keine Menschenseele in Sicht. Sicher dass das heute im Underground ist? Ich kam ernsthaft ins grübeln.

Doch es ist auch Sonntag. Ein regnerischer; einer, an dem man es sich lieber Zuhause auf der Couch mit der Freundin gemütlich machen würde als irgendwelche spontan zusammengewürfelten Supportbands eines ansich sehr reizvollen Headliners zu sehen. Und auch ich wär mittlerweile viel lieber dort als hier. In der Tat wurde das endgültige Lineup des Abends erst einen Tag zuvor verkündet und auch die Show selbst ist eher so Lastminute, wurde vielleicht eine Woche früher beworben. Und wer hat schon Lust an einem verregneten Sonntag 5 Bands zu sehen? Da muss dieser „zusammengewürfelte“ Support schon echt amtlich sein.



Und bevor ich es mir dann doch anders überlegt habe fällt mir wieder ein warum ich überhaupt hier bin. DEAD FLESH FASHION spielen heute – und das ist echt nicht oft der Fall. Zumindest hier in Köln. Allein sie waren es mir Wert im Halbschlaf am nächsten Montagmorgen die Schulbank zu drücken. Ihre Debüt-LP darf wohl zu Recht als großes Nest des apokalyptischen Pathos bezeichnet werden, welcher den Stilmix aus Sludge und Mathcore auf beeindruckende und nie zuvor dagewesene Art zur Schau stellt. Schade dass davon noch die wenigsten in Kenntnis gesetzt wurden, denn auch an diesem Abend interessieren sich nur die wenigsten für das schleppend-brachiale Quintett. Dieses gibt sich jedoch alle Mühe die paar Mannen, die sich doch in den Radius der Bühne verschüchtert bewegt haben, zu begeistern. „Then There Were Ruins“, „Ghost“; wild durch die Luft geschleuderte Gitarren und kaputte, noisige Sounds. Man kam auf seine Kosten – mindestens als Fan. Aber sicherlich auch als aufgeschlossener, welcher den Fünfer nun zum ersten Mal zu hören bekam. Hoffentlich schaut dieser dann auch später mal am Merchstand vorbei, um mit „Anchors“ zu merken, dass hinter dem Phänomen DEAD FLESH FASHION sogar noch weitaus mehr steckt. Denn: Das vielleicht gerademal 20 minütige, publikumsruhige Set deutete nur im Ansatz an, zu was, zu welch großartigen Tiefgang diese Band fähig ist. Und wer sie schon kannte wurde immerhin mit überraschend zahlreichen neuen Songs belohnt, welche stilistisch das Spektrum der Band ein weiteres Mal herauszufordern wussten und die Münder darauf wässrig machen, was da releasetechnisch nächstes Jahr noch so kommen könnte. Meiner jedenfalls gleicht einer Fontäne.



Als KINGDOM etwas später die Bühne betreten sollten war das von der etwa 5 Meter entfernten Stufe entfernt sitzend zwar immernoch mehr Wohnzimmer als Hardcore-Show, doch zumindest in diesem Fall tat mir das kein bisschen leid. Schon auf dem Bash vor ein paar Monaten haben sie mich gelangweilt, und auch dieses Mal will der Funke nicht so ganz überspringen. Ob das noch was zwischen uns wird?



AMENRA sind da schon um einiges interessanter. Man wartet mit dezenten, weißen Licht, generell eher schwarz-weiß lastiger Optik und Leinwand auf, lässt über diese ebenso schwarz-weiße, düstere Aufnahmen laufen und gibt sich auch selbst eher dezent und auf das wesentliche reduziert. Man trägt das Shirt schwarz, man wendet sich zu Teilen dem Publikum ganz dem Rücken zu, und auch Ansagen werden anderen Bands überlassen. Die Musik soll für einen sprechen, soll ohne Ablenkungen dem Publikum übertragen werden. Tatsächlich schafft es das Kollektiv in der visuellen wie musikalischen Symbiose in schleppender Monotonie surreale Klanglandschaften mit ganz großen Pathos und ganz dichter Atmosphäre zu schaffen, und diese dann über eine (gefühlte) halbe Stunde aufrecht zu erhalten. Das mittlerweile deutlich gewachsene, sehr konzentrierte und interessierte, dabei teilweise wie in Ekstase gefallene Publikum frisst der Band dabei förmlich aus der Hand und klatscht sogar, als die Band ihre Gitarren noch 1-2 Minuten nach der Show zum Zwecke der Rückkopplungen liegen lässt, während man selbst schon längst weg von der Bühne ist.



Zurück ins Leben werfen dann IRON AGE. Es wird wieder grell beleuchtet, die Band Mitglieder wirken wieder etwas bunter, wilder – beispielsweise der Sänger als Axl Rose Verschnitt - und auch die Musik ist mehr straight in your face, eben als kompletter Gegenentwurf zum vorigen Düster-Kino fungierend. So unterschiedlich kann man eben Sludge für sich definieren. Doch Sludge ist für IRON AGE eher eines von vielen Elementen, viel eher bestechen die Songs durch die so rockige wie thrashige Kante und sind vor allem eines: laut. Essenziel klingt sicherlich anders, doch kurzweilig, das dürften IRON AGE sein. Wenngleich man niemanden böse sein kann, sollte man mal nach einer Pause bitten - schließlich schmerzen spätestens seit AMENRA die Ohren, und der Mensch wird müde. Ein durchaus anstrengender Abend.



Doch Pause machen lohnt sich, ist man denn an den belgischen Senkrechtstartern RISE AND FALL interessiert. Doch was heißt Startern, „Our Circle Is Vicious“ ist bereits die zweite LP der Formation, was in der kurzlebigen Hardcore-Welt ja schon einiges sein dürfte. Doch spätestens seit eben dieser LP markieren sie neben LEWD ACTS, DOOMRIDERS und selbstverständlich CONVERGE die diesjährige Speerspitze des oft diskutierten, qualitativ doch stets konstant gut- bis überragenden Labels Deathwish. Und das mit Recht: Selten fügt sich die gewisse Priese Sludge so gut dem Hardcore, selten versprüht ein Album eine derartig verlassene und zerrüttete Stimmung, und selten beherrscht eine Band derartig gut den Dreiradseilakt zwischen direkter Härte und beschwörender Ruhe. Der mir schon am Merchstand sympathisch erschienene Sänger tut dies auch auf der Bühne, schnappt sich ohne große Vorworte (oder überhaupt) das Mikro, und brüllt hinein: „Snakes in the grass, holes in the sky / they’re hissing lies, it’s pourning down“. Ein kurzer, prägnanter, auf den Punkt gebrachter Auftritt.



Und nach vielleicht 20 Minuten Action, einen wirklich emotionenraubenden „In Circles“ und vielen anderen großartigen Nummern – viele dabei übrigens auch noch von der ersten LP – beendet man den Auftritt – wieder ohne Worte, einfach und direkt. Und schon steht der Herr wieder am Merchstand, während das Publikum noch verblüfft in die Luft starrt. Zugaben? Überbewertet, auf den Moment kommt es an! Vielleicht hätte ein „Knowing“ den Auftritt noch etwas abrunden können, doch eine Band wie RISE AND FALL braucht ihre Ecken und Kanten – und das ist auch gut so.