25. - 28. Mai 2012: Punk Rock Bowling - Downtown Las Vegas, Nevada - USA

 

 



„You know what I love the most about Punk Rock Bowling? There´s pretty much only old dudes in the audience...“ begrüßt Fat Mike jenseits von nüchtern den Samstagabend in der neonverseuchten Wüstenstadt. Am heutigen Tage war es nicht ganz so warm und scheinbar nicht heiß genug - das soll die Nacht nun nachholen.


FAR FROM FINISHED oder die wieder aufgerafften THE BRIEFS (nach 6 Jahren Pause) holten schon mit Schwung aus, auch die Kanadier der THE REAL MCKENZIES schwitzten und tanzten vorbildlich bis mitreißend im Kilt - wie immer. Trotzdem hält sich das Areal im beinahe verlassen wirkenden Downtown Sin City bedeckt, auch was den Zuschauerzuwachs anbetrifft. Zwielichtige Gestalten an den Straßenecken vor dem abgesperrten Bereich, der für das Musikfestival des diesjährigen Bowling-Freundschaftscups herhalten soll und leider bereits komplett vergriffene Souvenir-Pin-Becher für´s (immerhin) kalte Importbier treten an gegen die laid-back 2-Tone-Sounds von THE (ENGLISH) BEAT aus Birmingham und die völlig funktionierende Glanz- und Glamourshow der statischen ADICTS, die „Joker In The Pack“ oder „Who Spilt My Beer?“ mit Konfettikanonen und Lamettalawinen bereichern. In Verbindung mit dem Druck und der Transparenz aus dem Soundmix, der für ein Open Air wirklich hoch anzurechnen ist, verfliegen die knapp 60 Minuten, die die hyperaktiven Engländer auf der einzigen Bühne vor glitzernder Hotelkulisse und inmitten einer nicht enden wollenden Schar von Touristen-Hubschrauberflügen verbringen.


„You´ll Never Walk Alone“ und natürlich „Viva La Revolution“ stempeln das eigentliche Live-Highlight des ersten Abends in den Asphalt, bevor NOFX routiniert mit heute blauem Irokesen und dem „üblichen“ Hitgewitter aus „Bob“, „Don´t Call Me White“, „Linoleum“ oder dem eröffnenden „60%“ überzeugen.




Wann, wo und unter welchen beeinflussenden Substanzen dieser niemals ausrangierte Vierer weltweit auch auf die Bretter schreitet – Eric Melvin, El Hefe, Fat Mike und Erik Sandin sind wie die „Die Hard“-Filmreihe: Geht praktisch täglich, nervt nur selten - kann aber auch gesund und glimpflich mal ein Jahr augesetzt werden. Den wenigen Glücklichen, die ein Ticket für eine der ausverkauften Aftershow-Clubkonzerte erhaschen konnten, dürfte das einen Sack Bohnen interessieren – die frisch wiedervereinten GOOD RIDDANCE brennen im „Country Saloon“ trotz aalglattem Pit-Parkett mit „Letters Home“, „Steps“ oder „Fertile Fields“ alles nieder, was DEAD TO ME noch heile gelassen haben, während nebenan LAURA JANE GRACE (ehemals TOM GABEL) die top-secret Anheizerin für MATT SKIBA und sein Gemisch aus Solosongs und ALKALINE TRIO-Material gibt.



Als ob Las Vegas mit dem Wort „Curfew“ etwas anfangen könnte, streckt sich gegen 2h morgens trotzdem ein langer Tag voller Aha-Momente und Nostalgieaufschläge mit „Justified Black Eye“ aus den Lautsprechern von NO USE FOR A NAME - ein letztes Mal vorm Zubettgehen.



Wer es am Sonntag ohne nachhaltige Schäden aus dem Bett schafft oder alsbald schaffen wird, kann aktiv oder passiv dem eigentlichen Spektakel des diesjährigen Memorial Day-Wochenendes beiwohnen: Dem Bowling. 250 Teams, dieses Mal in nur 2 Tagen bedeuten ein rotierendes Frühstück aus Bierbuckets, viel zu lauter lauter Musik auf den Lanes und irgendwie geordnet versuchter Anarchie.



Mit ausgeklügelten Kostümen, neonbunten Nacho-Tellern und ansteckender Stimmung empfiehlt sich ebenso die passive Wahl als Kulturgarant und ein sicheres Gegenteil von Spaßbremse. Nicht, dass das „Punk Rock“ in „Punk Rock Bowling“ am Ende noch an Bestimmung zu verlieren droht: Ein Programm für Unsportliche wird glücklicherweise von Veranstalterseite ebenso bedacht – somit kann der Besucher zwischen Poolparties, eben jenen Bowlingbahnen (leider weit außerhalb der Festivallocation gelegen), natürlich ab dem Nachmittag wieder Livemusik, der Shoppingmeile des Festivals und kühlen Getränken hin- und hertingeln. Leider erledigt sich die Option mit dem „her“ schneller als erwünscht – denn ab dem heutigen Tage sind beim musikalischen Part keine „In´s & Out´s“ mehr erwünscht. Mit dieser Tatsache im Hinterkopf, müssen OLD MAN MARKLEY oder die STREET DOGS leider größtenteils „im Vorbeigehen“ genossen werden, da sich der noch Magen nicht ausreichend in Feierlaune befindet.



Frisch gestärkt mit der Haute Cuisine aus dem klingelnden Downtown-Areal treffen „Toby´s Got A Drinkin´Problem“, „Up The Union“ oder „Guns Of Brixton“ erfreut das Trommelfell und werden von Mike McColgans Gespann und dessen Mitreiss-Volumen mit Faust und Kehlkopf verhaftet. Die Bostoner um den Ex-DROPKICK MURPHYS-Sänger zocken routiniert und gutgelaunt mit den letzten Sonnenstrahlen dieses Sonntages, bevor sich das Gemüt wieder bei HEPCAT entspannen darf: Fast in Vergessenheit geraten sind die heart-felt Tanzeinlagen des Frontduos um Greg Lee und den viel zu brav aussehenden (eigentlich Schauspieler) Alex Desert.


Viel zu selten kommen „I Can´t Wait“ oder „Keepin´On“, „Come Out“ oder das entspannte „Dance Wid´ Me“ angerannt und bitten um Berücksichtigung auf einer Playliste. Die Kalifornier passen wie die Faust aufs Auge zum Abendrot zwischen den Wolkenkratzerhotels und zum immensen, sofort infizierten Bewegungsapparat aka. Publikum. Rar macht sich die Band, bei der sogar ein sitzender Pianist und das Saxophonsolo mit Kopfnicken durchgehen, daher verdoppelt Las Vegas Respekt und Applaus gegenüber Lee und HEPCAT, die sich mit besten Grüßen an die einflussreichen 7 SECONDS und die guten Freunde von RANCID verabschieden.



Mit einem weiteren Eimer voll Klassikerbonus gehen die COCKNEY REJECTS an den Start. Trotz dass die Londoner weder an Oi!-Anstachelungen noch an rauem Druck sparen, geht das Set der West Ham Institution nahezu unter. Katerstimmung nach bloß einem durchfeierten Tag? Hitzeschock oder Fastfood-Fieber? In Wirklichkeit scheint das Aufwärmen, Schonen und Kräftesparen für den Headliner der Grund. Tim Armstrong und Lars Frederiksen sind in Topform – und ihre seltene Livepräsenz heute der Grund für einen komplett ausverkauften Festivaltag. Auf „Maxwell Murder“ und „Radio“ folgen „Old Friend“ oder „Olympia, WA“ – kaum eine Sekunde bleibt inmitten einer Bierschlacht vom Herren zum Durchatmen, an Getränkenachschub ist bei minimum 15 Minuten Wartezeit gar nicht zu denken.



RANCID poltern und pöbeln, von „I Wanna Riot“ bis „Red Hot Moon“ gibt es keine Pausenfüller der Bay Area-Punks, die an vier von vier Instrumenten jeweils mit 200% in die Pedale treten. Die extra angekarrten Verfolger-Scheinwerfer sind ebenso schnell vergessen wie die langweiligen COCKNEY REJECTS, dank RANCID interessiert den sturzbesoffenen Nebenmann nicht mal mehr seine klaffende Schienenbeinwunde vom Bordstein am Ausgang und aus allen Himmelsrichtungen werden „Salvation“ und „Fall Back Down“ gefährlich laut mitgesungen.



Das Fronter-Team Frederiksen/Armstrong gibt sich locker und lässig wie gewohnt, sogar TRANSPLANTS-Sänger Skinhead Rob schafft es zu seiner „Red Hot Moon“-Gastrolle persönlich auf die Bühne. Die Ruhephase war gestern, heute bebt Vegas und steht unter Strom. Erst nach deutlich erwünschtem Zugabenblock leert sich das Areal und wo gerade stehen und fließend sprechen noch auf den persönlichen Skills-Plan gekritzelt sind, käme erneut der Genuss einer Clubshow in Frage: Aufgrund fehlender Tickets und ernsthafter Erschöpfung bleiben dem Großteil (inkl. dem Autorenteam) jedoch eine Nacht mit CHUCK RAGAN, die hellwachen RIVERBOAT GAMBLERS, THE AGGROLITES oder in entgegen gesetzter Himmelsrichtung auch THE DICKIES und TIM BARRY verwährt. Ein dritter und abschließender Tag schreit bereits, fordert dieselbe Aufmerksamkeit und bietet ansehnlichste Sahnestücke.



Am frühen Nachmittag darf bereits mit überschaubaren Mitstreitern zwischen glattem Oldschool-Punkrock von TOYS THAT KILL gefrühstückt werden, bevor DEAD ENDING mit Derek Grant (ALKALINE TRIO) und Joe Principe (RISE AGAINST) ihre erste Liveshow ever antreten. Nüchtern geknüppelte Hardcorepunk-Songs, die stets die 90-Sekunden-Marke umkreisen und keinen überflüssigen Ballast mitschleppen müssen, bringen die bis heute Übriggebliebenen trotzdem nur langsam in Fahrt. Viele sind das nicht, es ist bereits Montag und trotz Feiertags verbleiben die stundenlangen Nachhausefahrten – die dank der glühenden Freeway-Schilder wie „heavy traffic – expect delays“ sicher nicht entspannter enden.





Als ob die wegweisenden YOUTH OF TODAY nicht bereits triftiger Grund genug seien, bleibt einer der Hauptmomente den mehr oder weniger Locals der 7 SECONDS vorenthalten, die mit ihrer Setlist, ihrer positiven Ader und einem tatsächlich spürbar in die Reihen berufenden Touch dieses markanten Unity-Gefühls an Gänsehautmomenten nagen. Routine, kochender Geist oder „Youth Crew“-Rückgrat mal bei Seite – gehört den eingesessenen Nevada-Hardcorepunks ein weiterer größter Respektmoment dieses Festivals. Ähnliche Gänsehautgarantie im Anschluss bei den Reibeisenpunks der gegenüberliegenden Küste, die mit „Remedy“ trocken eröffnen. Chuck Ragan und Chris Wollard schicken nicht nur Klassiker wie „Our Own Way“ oder „Trusty Chords“ ins Rennen, sondern überzeugen mit tonnenweise Sympathiepunkten und „Exister“-Auszügen wie „Mainline“ oder dem alles in Staub legenden „State Of Grace“. HOT WATER MUSIC scherzen, moshen und spielen vor allem auf den Punkt und stocknüchtern – letzteres sei allerdings nicht im Ansatz erwiesen. Ragans Stimme gibt schnell nur noch ein zähes Gesangsvolumen her, bei den Ansagen verliert sie sich kläglich im Krächzen. Las Vegas zeigt sich am heutigen Nachmittag müde und verhalten, die Herren aus Florida kümmert die trübe Publikumsstimmung wenig. „The Traps“ oder „Jack Of All Trades“ bringen ans Ziel und erfrischen das gleißende Areal in der untergehenden Sonne, bevor es rüber zum Briten- und vor allem weiteren Legendenbonus geht.



GBH tauchten schon während der gestrigen RANCID-Show die Gesichter in helle Aufregung und Vorfreude, „Time Bomb“ oder „No Survivors“ werden dementsprechend empfangen. Im Gegensatz zu den drögen COCKNEY REJECTS am Vortag stimmt hier das Verhältnis aus alter Schule und aktuellem Punch – von „Grievous Bodily Harm“ im Rentenalter kann keine Rede sein. Ebenso wenig von einem Anflug von Antipathie – im Gegensatz zur Ankuft der eingesessenen Headliner des heutigen Finales – die aus Südkalifornien angereisten PENNYWISE.



Die Umbaupause verharrt im Rahmen, das alleinig ausquartierte Merchandise-Zelt mit obercool die Dollarbills zählenden Haschischproleten wirft beim einen oder anderen Besucher jedoch Zweifel auf. Fletcher prollt sich auf seine Art durch den Abend (What up, you motherfuckers? Is this like the Punk Rock Coachella, or what?“), Zoli punktet weiterhin nur bei den neuen Nummern wie „All Or Nothing“ und lässt Altsänger Lindberg gerade bei Songs wie "Living For Today", "Same old Story" oder "Fuck Authority" vermissen. Die Hassliebe zwischen Fletcher und dem IGNITE-Frontmann scheint jedoch besiegelt und "Let Us Hear Your Voice" haut die Stimmung ebenso raus, wie das wacklige "Stand By Me"-Cover - bevor das Quartett mit "Bro Hymn" und der gefühlten Hälfte aller Anwesenden auf sowie der dreifachen Menge gestreckter Fäuste vor der Bühne dem Begriff "Sing-A-Long" neues Leben einhaucht.



Bro mit jedem will jetzt hier jeder sein, als die vierzehnte Ausgabe des Punk Rock B(r)o(w)ling Festivals sein offizielles Ende ausspuckt. Die "Hookers & Blow"-Mannschaft belegt den ersten Platz und staubt 3200 Dollar Preisgeld ab - mindestens genauso viel dürfte manch volltrunkenen Anwesenden das Wochenende inklusive Pennplatz, 13 Anläufen zum Pin-Becher-Erwerb, dem daraus resultierenden Suff und den wiederum daraus resultierenden Trink-Tickets gekostet haben. Zum Glück aber ist das bloß Geld - bleibt somit eh in Vegas und kann nichtmal die entspannten Cops locken, die weder stumpf zu verhaften oder rumzuprügeln lieber HOT WATER MUSIC gut finden oder sich - man glaubt es kaum - tatsächlich über eine Box mit Donuts freuen, bevor der wirklich hartgesottene Kern (wie MATT SKIBA mit mäßiger MISFITS-Kraft) die letzte Nacht und die übrigen Dollars beim "Punk Rock Karaoke" aufs Kreuz legen.






Mehr (vernünftige) Fotos finden sich unter anderem HIER, HIER oder HIER.