26.10.10: The Gaslight Anthem, Chuck Ragan - E-Werk, Köln

26.10.0010
 

 

Zeitbeben.

Natürlich ist das alles hier irgendwie aus der Zeit gefallen. Der mitunter beängstigend-übergreifende Erfolg einer Band, deren Sound einmal als Springsteen-Punk apostrophiert wurde. Ihre eigentlich immergleichen Themen, so beständig wie Tattoomotive. Wobei auch die mit der Zeit an Strahlkraft einbüßen. So ist das Leben mit neugewonnenen Lieblingsbands. Kein Trendscout der Welt hätte vor einigen Jahren wohl darauf gewettet, dass man mit dieser Blue Collar-Craftmanship, romantisierenden, mitunter den Kitsch streifenden Texten aus längst vergangenen Zeiten und dem angedeuteten Punch des Punkrock, die Welt im Sturm würde nehmen können. THE GASLIGHT ANTHEM waren die Band, die niemand auf dem Zettel hatte, als eine emotionale Lücke geschlossen werden musste, von der niemand wusste, dass sie überhaupt existierte. Dann die Wahl des Supports. Ein Zimmermann aus Gainesville Florida, nennen wir ihn einfach Chuck, der selbst eine Butterfahrt in Hinterpommern mit Authentizität aufladen würde. Heizdecken hätte am Ende selbstredend niemand gekauft, höchstens sämtliche Werke der Beständigkeitsmaschine. Schade, dass das nicht jeder bemerkt an diesem Abend in Köln. Aber noch einmal kurz zurück zu THE GASLIGHT ANTHEM. Die nämlich sind heute sowohl Konsens als auch Kritikerzielscheibe. Weil halt alle zusammen kommen. Die "Sink Or Swim"-Beschwörer (einige), die in-der-Mitte-Dazustoßer (eine verdammt große Menge) sowie die Nachzügler (die natürlich Backkatalog übergreifend textsicher sein können; ebenfalls: sehr viele). Es ist ein verdammt bunter Haufen, der immer auch abbildet wie die „juke box romeos“ jüngst charten konnten. Ein wahrscheinlich recht repräsentativer Querschnitt durch Soziologen-Phantasien von Mittelschicht, mit einigen Subkultur-Überlebenden. Da tanzt die Verwaltungsangestellte recht raumgreifend und inflationär „Whooooooooooo!!!“ rufend neben Kalle, der alten Oi-Atze. Kassengestelle und Hemden, neben Nerdbrille und Karos. Toupierte Haare und fesche Sideburns zusammen gedacht. Ach so, das sind jetzt zu viele Klischees? Einfach mal Slavoj Žižek fragen: Klischees stimmen immer. Fangen wir einfach mal an.

Zunächst: CHUCK RAGAN. Urgestein, menschgewordene Authentizität, raumgreifender Whiskey-Bariton, mit den Fäusten zupfender Architekt der alten (guten?) Werte. Wo CHUCK RAGAN eine Bühne betritt, dort ist der Mann einfach präsent. Und muss dafür noch nicht einmal viel Beschwörungspathos von der Leine lassen. So etwas funktioniert selbst auf einer leidlich großen Bühne wie der des E-Werk überraschend gut. Sicherlich: Es gibt Menschen an diesem Abend, die sich wünschen er würde etwas kürzer spielen. Weil sie halt ihre neuen Helden siegen sehen wollen. Respektlose Menschen. CHUCK RAGAN jedoch wählt den Weg der sanften, aber nachdrücklichen Überzeugung. Flankiert lediglich temporär von seinem (und unserem) alten Bekannten Jon Gaunt, der Harmonielöcher stopft und für ein Mehr an Tiefgang sorgt, aber auch für Andeutungen von Irish Folk. Der Fokus liegt hier und heute ganz klar auf "Feast Or Famine"-Material. 'For Broken Ears', 'California Burritos', 'Symmetry'. Ragan-Anhänge könnten wunschlos glücklich sein. Dann wieder diese Zeile: „We all carry the tune we love.“ So simpel wie wahr. Man möchte überhaupt nicht wissen, wie viele Adepten von Ursprünglichkeit, wie viele Gegner des gegenwärtigen Gleichzeitigkeits-Overkills, sich diese Zeilen mittlerweile haben in die Haut stechen lassen. CHUCK RAGAN befriedet. Auch an diesem Abend. „Symmetry so ageless…“

Es gibt einen gewissen Punkt in der (Achtung: fieses Wort) Musikerkarriere, an dem man es einfach nicht mehr jedem recht machen kann. Das ist auch völlig in Ordnung. Schwierig wird es jedoch, wenn man es immer noch krampfhaft versucht. THE GASLIGHT ANTHEM allerdings wirken nicht zu angestrengt an diesem Abend. Alles wirkt sehr natürlich und (auch wenn manchen Leuten das bestimmt nicht schmeckt) so, als müsse es eben genau so sein. THE GASLIGHT ANTHEM gehören mittlerweile hier hin. Auf diese übergroße Bühne, vor dieses mehr als heterogene Publikum. Begrüßen muss man das nicht. Mehr noch: THE GASLIGHT ANTHEM müssen sich zukünftig an dem messen lassen, was halt bei Bands im Raum steht, die noch höher hinaus wollen. Solange sie, metaphorisch gesprochen, die Beine nicht noch breiter auseinander stellen, sollte das in Ordnung gehen. Das Publikum jedenfalls ist durchweg in Habachtstellung. Recht gemäßigt steigen sie ein. Ein Intro, dann 'High Lonesome' und 'Boxer'. Feuern aus sämtlichen Pathosrohren, der Totenkopfbanner mit gekreuzten Knochen im Hintergrund. Vergangenheit und Zukunft begegnen sich an diesem Abend, auf dieser Tour. Was kommt als nächstes? Der 'Old White Lincoln' rauscht behäbig durch Köln, eigentlich alles wird mit frenetischem Jubel quittiert und ja, kollektives im Takt-Klatschen und temporäre Bierzeltstimmung sagen uns: THE GASLIGHT ANTHEM sind eine Band der Masse, die aber noch um ihre Wurzeln weiß. Es geht Schlag auf Schlag. Der lebensbeglückende Punch von '1930', der auch gleichzeitig eine gemäßigte Kehrtwende im Set markiert, 'We Came To Dance' unmittelbar hinter her geschoben. „We came to sing out a chorus, reinvent the good times and to bring it all back home again.“ Besser könnte auch kein Musikjournalist diese famose Stimmungs-Rochade umschreiben. THE GASLIGHT ANTHEM, die erstaunlich wenig wortreich und konzentriert wirken, retten hier für nicht wenige Anwesende den Abend. Es soll nämlich Leute geben, die das Set bis dahin recht zahnlos fanden. 'Stay Lucky' aber auch 'The Queen Of Lower Chelsea' erweisen sich als jüngere Live-Highlights, wohingegen das etwas später vorgetragene 'Blue Jeans And White T-Shirts' an einem dröhnenden Gitarrensound krankt. Schade. Mit 'I’da Call You Woody, Joe' ragt noch einmal für einen kurzen Moment die Vergangenheit in die Jetzt-Zeit, wobei jene Vergangenheit auch gerade einmal wenige Jahre her ist. Die Setlist jedenfalls sollte eigentlich keine Wünsche offen lassen. Alle Schaffensphasen sind vertreten. Zum Ende hin wird 'Say I Won’t (Recognize)' verwoben mit 'House Of The Rising Sun', diese Spielereien kennt man inzwischen. In den 'Backseat' gebettet darf dann schließlich der Heimweg angetreten werden. Es gibt nichts Affektierteres als Menschen, die einstigen Kanonbands ihren Erfolg nicht gönnen. Es gibt allerdings auch dieses Feingefühl für Stimmungen, gegen das sich niemand wehren kann. Ein durchmischter Abend mit vielen kleinen Highlights.