27.05.-28.05.2011: Immergut Festival - Neutrelitz- Immergut Festival

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Das Immergut 2011 steht unter dem Motto „Seensucht“. Dementsprechend hissen wir die Segel und fahren los. Maritimer Chic ist im Moment sehr angesagt. Leider verhindert die Unfähigkeit einiger Mitsegler das Reißverschlusssystem an Baustellen zu meistern, ein pünktliches Eintreffen im Zielhafen. So musste GISBERT ZU KNYPHAUSEN ohne uns singen und ARIANE GRUNDIES und TINO HANEKAMPS Lesungen verpassten wir ebenso. Aufgrund eines Interviewtermins verpasse ich auch noch CHUCKAMUCK und bitte mein verspätetes Erscheinen zu FRANK SPILKER zu entschuldigen. Das Immergut präsentiert sich auch in diesem Jahr wieder einmal von seiner schönen Seite. Starten die meisten Festivals doch als Fress-, Sauf- und musikalische Abfertigungsveranstaltungen, so steht hier im Fokus, was auf einem Musikfestival in den Fokus gehört. Kleines Gelände, überschaubare Menge an Ständen. Der Kommerz wächst auch auf dem Immergut von Jahr zu Jahr, bleibt aber im Rahmen. Die künstlerischen Aspekte, welche sonst präsenter waren, werden dieses Jahr in ein kleines Zelt am Rande des Trubels verbannt. Nichtsdestotrotz möchte man sich gerne länger Backstage aufhalten, denn hier wird die Liebe noch hochgehalten. Liebevoll buntgestaltete Bauwagen als Chill out Zone vor und nach dem Auftritt der Künstler, für Interviewzwecke. Doch los geht die Reise, der Wind wartet nicht. Auf drei Häfen, äh Bühnen, wird dieses Wochenende gespielt und gelesen. Kleine Bühne am Rand des Birkenhains, die Bühne im Zelt und die Mainstage. Niemals wird parallel gespielt, so dass man sich alles anschauen kann, wenn man mag. Diskussionen im Mitseglerkreis, welche Band man denn nun lieber sehen möchte kann man sich somit auch schenken. Wie entspannt.



FRANK SPILKER jedenfalls bildet das erste Schiff, welches in den kleinen Hafen der Birkenhainbühne einläuft. Perfekte Größe für diesen Künstler und dieses Genre. Besser bekannt als Frontriese der STERNE spielt er heute Sternchenhits auf der Akkustikgitarre und wirkt alleine auf der kleinen Bühne gar nicht mehr so groß. Mitgesungen werden darf trotzdem und so kommt doch ein bisschen Heimatgefühl auf.




Die erste Band des Wochenendes im Zelt kommt aus Hamburg und könnte Kontroversen auslösen. Meine Meinung: Lass sie doch! Die Inklusion in Reinform. 3 mal 21 mal 3 plus X ist die Rechnung, die an dieser Stelle absolut aufgeht. Mehr ist eben doch manchmal mehr. Das Zelt tobt, wer nicht tanzt, der wird getanzt. STATION 17 potenzieren jedenfalls Freiheit mit Chaos und beweisen, dass es nicht immer der Wendler sein muss. Elektronischer Chaosindie Fresse. Die Freude ist euphorisch bis explosiv! Diese Band ist defintiv eine Empfehlung wert. Wenn Piraten mal die AIDA kapern, kommt sowas dabei herum.



THOSE DANCING DAYS folgen dem Trend. Einem zweifelhaften Trend. Die Sängerin machts soulig, der Rest wäre gerne Indie und irgendwer dreht doch wieder am Synthesizer. Das Ganze wirkt etwas plastisch, gekünstelt. Da es aber aus Schweden kommt, scheint es wohl Tonangebend zu sein.

Wo wir gerade durch nordische Gewässer fahren, steuern wir Reykjavik gleich mal an. Land der Vulkane und Islandponys und seit einiger Zeit wieder ein großartiger Exporteur grandioser Indiemusik. So auch WHO KNEW. Sie bleiben relativ bodenständig, bei melodiösem Indie, der sein Quietschen in Maßen hält. Das Zelt bebt abermals. Der Boden geht mit, es wird getanzt, man wird getanzt und wer aus der Reihe tanzt wird mit Schleudertrauma gestraft. Man fragt sich ob der Trampolineffekt für die gute Stimmung sorgt oder die Band. Letztere hätte es definitv verdient.



Und jetzt geht es ab in den Partyhafen mit der AIDA. DAWIN DEEZ ist selbstdiagnostizierter Hyperaktivist und stellt dieses auf der Bühne in beeindruckendster Art und Weise unter Beweis. Die musikalischen Sprünge reichen von Folk zu Indie über Punk zum Funk und finden in eurythmistisch anmutenden Tanzeinlagen zu den Hits der 80´er, 90´er und 2000´er ihren Höhepunkt. New Yorks Meltin Pot wurde soeben in Neustrelitz/Mecklenburg- Vorpommern/ Deutschland/ Europa abgesetzt und die brodelnde Suppe an die Halbbedürftigen großzügig verteilt. Sauber!

Das neue Album von RA RA RIOT flatterte mir vor dem Immergut noch als Promo ins Haus. Besprechung folgt, nur soviel sei gesagt: RA RA RIOT halten auf der Bühen ihre Versprechen von der Platte nur spärlich ein. Etwas dünn der Sound und Exzentrik funktioniert in dünn nur schwer. Da glitzert die Geige noch so schön und sieht das E- Cello noch so ästhetisch aus, so richtig mitreißen tut das Ganze nicht. Es plätschert eher, zeigt aber, dass der Trampolinboden im Zelt nicht alleine die gute Laune der vorherigen Bands machte.

Muss man zu MOGWAI eigentlich noch irgendetwas sagen? Urgesteine auf dem Immergut traten eigentlich immer amtlich auf. MOGWAI tun es nicht anders. Bodenständig ballern sie einem ihre Planken vor die Brust. Das einzige was hier leicht ist, ist die Nebelmaschinenshow. Und nach einem solch ereignisreichen Tag ist das fast schon zuviel. Die dunklen, mächtigen Soundwogen tragen einen in die Nacht und lassen vergessen, was morgen kommt. In der Koje treiben es die Mücken bunt.

Samstag”morgen”, 13:45h. Man freundet sich mit dem netten Securitymenschen an, da man kein Pressebändchen hat, obwohl man eines haben sollte und nun auch dringend bräuchte, weil der Interviewtermin vor Einlass ist und Backstage hinter dem Festivalgelände. Einmal Kassenhaus und zurück, freundlich gelächelt, rauf aufs Gelände, rein in den wundervollen Backstagebereich, NAGEL nicht da, man weiß nicht wann er kommt, “Lass mal deine Handynummer hier, wir rufen dich an!”, wieder raus, dem neuen Sicherheitsfreund ein Lächeln schenken und KAFFEE!!! Den besten der Welt gibt es nämlich auf dem Immergut. PASSENGER ESPRESSO aus Berlin sorgen Jahr für Jahr gemeinsam mit Mecklenburger Landluft für meinen persönlichen, vollmundigen Koffeinrausch. Dieses Jahr kommt dazu, dass sie mich über den Verlust vom RANDGRUPPENCATERING hinwegtrösten müssen, welche sonst immer eine ganz vorzügliche vegane Festivalküche boten. Gemüsedosenravioli brauchte man auf dem Immergut bisher eigentlich nicht, doch nun hätte man besser welche eingepackt. Pommes müssen als unbefriedigender Ersatz herhalten und mehr Kaffee. Für ersteres definitv ein Minuspunkt.



Aber es geht ja hier nicht um Essen, sondern Ohrenschmaus, Musik! Also starten wir den Tag nach dem dann doch verspätet stattgefundenen Interview mit eben jenem und mit einer Lesung von NAGEL. Es wird sich vor der kleinen Bühne am Birkenhain im Sonnenschein geräkelt. Es gibt eine Wasserglaslesung nebst 70´er Jahre Vintagelampenschirm. NAGEL hat sich die richtigen Stellen aus dem Buch gepickt, es wird zum schallenden Lachfest. Das Publikum so textsicher, leicht angetrunken, wie sich das für die Uhrzeit gehört. “Qualitiy Time” der absolute Überhit. Zur musikalischen Untermalung der Szene im Weinfestzelt gibt es “Fastnacktmusik” vom I-Pod. Die Lachmuskeln erhalten ihre Frühgymnastik.

JÜRGEN KUTTNER bietet begleiteten Fernsehkonsum in feinstem Berliner Dialekt an. CINDY UND BERT dürfen nicht fehlen, ebensowenig ROLF SCHWENDTER. Leider ist Videoshow plus Sonnenschein nicht wirklich befriedigend, aber irgendetwas ist ja immer.

Wenn das eine Yogastunde ist, so dürfen sich die Lachmuskeln beim nachfolgenden Konzert wieder entspannen. Es schwankt ja immer zwischen An- und Entspannung und TOUCHY MOB nimmt den Sturm aus den Segeln. Eine leichte Brise und es fühlt sich an, als ob WILLIAM FITZSIMMONS seinen Bart mal in den Fön gehalten hätte. Elektrofolk zum auf den Wellen schaukeln lassen.



Ab auf die Insel. Wer nocht nicht lispeln kann, kann es jetzt lernen. THE CROOKES klingen wie eine a-typische “The” Band und spielen ebenso klassischen Inselindie. Auf der Bühne die Popper vom Dienst, welche sich auf ihre gute Erziehung besinnen. Auch wenn die Fender mal versucht auszureißen, wir bekommen sie wieder gezügelt. Tolle Tollen haben die Jungs, auch da darf nicht zuviel Euphorie an den Tag gelegt werden, ein bisschen tanzen darf man aber.




Bei Folk darf nicht gelacht werden, bei Folk hat man sich gefälligst die Nase zu putzen. Das es auch anders geht beweist JASON COLLETT aus dem schönen Kanada. Wenig maritim, aber in Kanada gibt es auch viel Wasser und die berühmten Boote und “a real canadien has to know how to make love in a canoe!”. Wichtige Lektion! Ein wenig Selbstironie und eine ganze Ballung naturtreuer Romantik bieten eine lässige Kombination.



HERRENMAGAZIN! Und alle so: YEAH! Legen direkt zu Beginn der Show einen klassischen Fehlstart hin und es scheint, als würden sie die Show nun so durchhumpeln wollen. Man koketiert mit liebenswerter Halbprofessionalität, was vom Publikum dankbar angenommen wird. Aber es kommt oft anders und meistens als man denkt. HERRENMAGAZIN spannen in ihrer Show einen der wohl großartigsten Spannungsbögen, welche man an diesem Wochenende erleben kann. Spätestens als NAGEL mal wieder am Mikro erscheint, brechen im Zelt die Dämme und es wird wieder amtlich gebounzt (und nein, einen anderen Ausdruck kann und will ich an dieser Stelle nicht anwenden).



BALTHAZAR recken sich anschließend von den Wurzeln des Traditionsbewussten Indie in Richtung moderner Elektrountermalung. Wir treffen kurz WHITEST BOY ALIVE und schütten noch einen Kaffee nach.



Wer etwas auf seine Wurzeln hält, der bekommt nun Wasser. WATERS zu neudeutsch absolvieren ihre erste Show in dieser Besetzung. Hallo Emopunk. Der alte DASHBOARD CONFESSIONAL Liebhaber freut sich, ELLIOTH SMITH sendet Grüße aus dem Jenseits. Es rückkoppelt das erste Mal, doch der Sänger fasst das Erleben dieses Festivals in passende Worte: Perfect size, perfect vibe. Und alle so: FOREVER! Da wird was tolles neues verdient abgefeiert.

Was nun kommt musste eigentlich sein. Auf der Vornakündigungen hießen sie JANE FONDA TRIO, im Begleitheft HOLDEN CAULFIELD. Doch was nun auf die Bühne kommt sind nicht etwa DIE ÄRZTE und irgendwie auch kein wirkliches Highlight für die Prime Time auf der Mainstage: BODI BILL. Ich kann und will es nicht fassen. Elektro brauche ich nun gar nicht, eher noch einen Kaffee, es fängt an zu dröppeln. Man sieht sich auf der Fusion.

Waren wir nicht schon auf/in Island? Hier der nächste heiße Shit aus dem Land zwischen Feuer und Eis: RETRO STEFSON. Gerade der Pubertät entsprungen, mal die Plattensammlung in den nächsten Vulkan geworfen und raus kommt eine wilde Mischung zwischen Sounds der Copa Cabana und Kötbullarmetal. Norwegerpullover reißt man sich da ganz schnell vom Leib und stillhalten kann auch niemand mehr. Musikalische Vulkanausbrüche am laufenden Band. Dieser Mix verdient den diesjährigen Innovationsaward!

Damit die jungen Hüpfer vor dem Schlafengehen wieder etwas runterkommen, haben die Väter des Immergut nun ihren Auftritt. Vor Jahren diese Band erlebt auf einem großen Festival und beschlossen, dass das so nicht geht. Der Sage nach war das der Ursprung der Idee zur Gründung des Immergut. DEUS liefern heute eine ebenso bodenständige wie druckvolle Show ab. Leider regnet es. Der Kaffee wird verwässert, dafür bläst der Sound einem die Regentropfen aus dem Gesicht und bietet einen würdigen Abschied aus diesem Wochenende.

Man muss nicht jeden Hafen anlaufen, man muss auch nicht in jedem Hafen eine Braut haben, aber Neustrelitz bietet immer mindestens einen Hafen und genügend Bräute. Ein paar Idioten gibt es immer. Zelte durchwühlt, Sachen geklaut, sowas passiert, sollte einem aber nach Möglichkeit nicht den Spaß verderben. Wir haben Schiffe im Herzen, Möwen im Kopf und nach diesem Wochenende wieder eine steife Brise in den Segelohren. So wird am Sonntag auch der ganze Klumpatsch wieder eingepackt und wir segeln heim in den Alltag mit der leisen Hoffnung das noch genug Knoten gemacht werden können, auch wenn der Wecker am Montag um 5h Klingelt..