29.11.2009: Hot Water Music, Muff Potter, Strike Anywhere - Köln - Essigfabrik

29.11.2009
 

 


Jeder wächst doch in irgendeinem Richmond auf und entfaltet sich in einem Gainesville und geht in einem Münster vor die Hunde.

Wenn man der langen Menschenkette still und heimlich folgt, die sich da untergehakt und gestützt durch allerlei Flüssiges und Themen, die gute Laune bedeuten, ihren Weg durch die kühle Dunkelheit bahnt, dann beschleicht einen folgerichtig nachstehendes Gefühl: könnte so was wie ein ziemlich großes Familientreffen sein, hier. Keiner der pöbelt, alle mit wachem Blick und Vorfreude auf das Kommende. Die Welt wird hier heute nicht verändert werden, das ist mal klar. Viele der Anwesenden haben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die heute Abend aufspielenden Bands auf irgendeiner Bühne, eines kontinuierlich größer werdenden Clubs bereits gesehen. STRIKE ANYWHERE, MUFF POTTER und HOT WATER MUSIC haben treue Anhänger, denen bestimmt vieles egal ist aber längst nicht alles. Und während der eine noch verdaut, dass ein beständiger Begleiter des Alltags bald wegbrechen wird, der andere sich freut, dass ein beständiger Begleiter des Alltags wieder da ist und wieder ein anderer sich der Konstanz des letzten Begleiters erinnert, fängt dieser auch schon zu spielen an. Zugegeben: Ihre Tricks (Message in euphorisierende Melodiebomben packen) und ihre Performance (Herr Barnett springt, schüttelt die Dreads und agitiert ein wenig) kennt das Publikum wohl inzwischen zu Genüge. Dennoch ist es immer wieder ein schönes Gefühl, wenn der alte Bekannte von damals um die Ecke kommt, einen mit fettestem Grinsen im Gesicht anbrüllt und beizeiten und mit Zeilen wie „to walk alone on the streets tonight and fear nothing, to choose to love what we are in this life and shine brighter“ die alte Tante Gänsehaut aus dem emotionsgehemmten Kellerloch hervorholt. Pathos, sicher. Aber gutes. STRIKE ANYWHERE sind auch acht Jahre nach "Change Is A Sound" noch relevant, obschon die Welt sich schneller dreht als je zuvor und stimmige Parolen es immer schwerer haben die Komplexität zu durchbrechen. Die Richmonder haben es bereits früher betont: bildet Netzwerke! Vereinigt euch! Damit hatten sich recht. Sicher, man mag die Band in der Vergangenheit wütender und raumgreifender erlebt haben (letzteres mag auch der Location geschuldet sein), die Hits fädeln sich dennoch wie Perlen auf die Kette: 'Amplify', 'Blaze', 'The Crossing', 'Sunset On 32nd', 'To The World' und wie sie alle heißen. Die ersten Biere werden geleert, die ersten Korken werden geknallt.



Was dann folgt ist ein kleines bisschen Abschied und ein großes Stück Altbewährtes. Nagel, Brami, Dennis und Shredder auf großer Abschiedstour. Das Hemd akkurat in der Hose, das Leben so halb im Griff. Ein paar Aphorismen bekommen wir auch mit auf den Weg: Konzerte seien mitunter packender als ein Besuch auf dem Kölner Weihnachtsmarkt und, ach ja, die Band rede nicht mehr miteinander. Nur noch über ihre Anwälte. Ist klar. Das Potpourri aus (beinahe) sämtlichen Schaffensphasen erinnert an diverse eigene High- und Lowlights, Dennis singt (eigentlich wie immer) besser als Nagel und vor allem 'Molotow', 'Blitzkredit Bop' sowie 'Unkaputtbar' werden vom Fußvolk stimmgewaltig begleitet. War sonst noch was? Ja klar. Nagel darf 'The Boat' natürlich nicht alleine intonieren. Da muss schon der Urheber auf die Bühne zitiert werden, wegen dem ja schließlich nicht wenige hier sind. Chuck Ragan und die POTTERs im Schulterschluß ergibt unterm Strich den genuinen Gänsehautmoment des Abends. Danke dafür. „We all carry the tune we love.“ So sieht’s aus. So wird’s für alle Zeit bleiben. Alles war schön und ein wenig tat’s dennoch weh.



Ob HOT WATER MUSIC früher ein wenig spielfreudiger waren, ob sie ein bisschen müde wirkten, dass die Essigfabrik doch die völlig falsche Location wäre, das alles kehren wir jetzt mal unter den Teppich der „ich hab die schon damals im JuZe gesehen“-Allgemeinplätze. Fakt ist: Ohne die menschgewordene Hemdsärmeligkeit Chuck Ragan wären HOT WATER MUSIC nichts. Ohne den Schlacks Chris Wollard, in dessen Armen Gitarren immer so grotesk klein aussehen noch viel weniger. Und ohne eine der immer noch besten Rhythmussektionen im Kumpelpunkrock rein gar nichts. 'Remedy' tritt freudig die Türe in die Herzen des Publikums ein, 'Rooftops' und 'Paper Thin' machen Stimmbänder kaputt (weil halt nicht jeder mit Bart im Publikum auch gleichzeitig ein Chuck Ragan ist), 'Free Radio Gainesville' würde man gerne mal mit stimmlicher Unterstützung von Walter Schreifels dargeboten bekommen und 'Wayfarer' ist dann noch einmal der schlagende Beweis dafür, wie sehr (zumindest für einen mikroskopisch kleinen Augenblick) kollektives Grölen doch zusammenschweißen kann. HOT WATER MUSIC bleiben einer der sympathischsten Anachronismen der gegenwärtigen Musiklandschaft. „We had some real hard times, I hope the hardest are behind.“ So klopft man sich in Gedanken selbst auf die Schulter und auf die der Nebenfrau (Gender Mainstreaming und so) gleich mit. Man kann ja nie wissen.

Jeder wächst doch in irgendeinem Richmond auf und entfaltet sich in einem Gainesville und geht in einem Münster vor die Hunde…Zumindest war das gelebte Leben ein halbwegs gutes.