Black Metal: The Second Episode Of Wrath

18.05.2006
 

 

Mitte der Neunziger erfährt die bestialische nordische Metalgeneration einen Bruch. Ein Grossteil der Bands, die bis dato (und bis heute) Geschichte schrieben, liegen auf Eis. Vegard Tveitan muss tatenlos zusehen, wie sein Drummer Bard Eithun als auch sein Gitarrist Thomas Haugen ("Samoth", verurteilt wegen Brandstiftung an Stabkirchen) von der Bildfläche verschwinden.

Mayhem existieren nach dem Tode der Protagonisten Dead und Euronymus faktisch nicht mehr. Darkthrone katapultieren sich durch hirnverbrannte Aussagen ins Abseits. Ulver vervollständigen ihre Bergtatt-Trilogie (Bergtatt, Nattens Madrigal, Kveldssanger) durch ihr Kveldssanger-Album, um dem Genre zu entfliehen. Varg Vikernes bringt "Hvis Lyst Tar Oss" zwar noch auf die Reise, war es jedoch sein letztes Lebenszeichen, da er bis heute sein Leben hinter norwegischen Gardinen fristet. Wohin steuerte nun ein Schiff, dass seine Steuermänner verlor?

Bergen, Norwegen. Olve Eikemo erkannte früh, bereits Ende der 80er, was das Genre prägt. Nach einigen überflüssigen Versuchen mit einem Herrn Vikernes trennt er sich eindeutig von eben dieser Person und gründet Immortal. "Abbath", dass sein Name für die Metalwelt, schickte sich an, für den Black Metal Referenzwerke zu erschaffen, die seinesgleichen sind. "At The Heart Of Winter" oder "Sons Of Northern Darkness" vermochten zweierlei dinge zugleich: Immortal waren niemals in auch nur einen der trüblichen Skandale verwickelt, aber autentisch wie nur Burzum es je geschafft hat. Eisige Hymnen am Rande des Wahnsinns. Die Welle schwappt über, in Nachbarländer wie Schweden. Marduk greifen dort an, wo Darkthrone aufhören (mussten). In Finnland gehen Impaled Nazarene den Weg weiter, der einst aus Norwegen angestrebt wurde: Schwachsinnige Polemik gepaart mit faszinierender Raserei. Sigurd Wongraven und Kjetil Haraldstad (Satyr und Frost) erschaffen mit "Nemesis Devina" ein Werk, dass an morbider Raserei und Erhabenheit kaum mehr zu übertreffen ist. Mit dem Song "Mother North" schmeissen die beiden Schergen aus Oslo etwas auf die Welt hinab, dass bis heute unvergleichbar ist.

Die internationale Presse war dem Phänomen Black Metal schon lange hinterher. Das erkannte ein gewisser Stian Tomt Thoresen bereits recht früh. Halt! so gesehen auch nicht. Denn Stian Tomt Thoresen ("Shagrath") veröffentlichte mit seiner Band Dimmu Borgir zunächst zwei Alben der alten und "echten" norwegischen Schule: Das Debut "For All Tid" und folgend "Stormblast".
Dimmu Borgir entwickeln sich nun über die Jahre hinweg zur grössten Black Metal Band der Welt. Wo wir am Problem ankommen: Wie weit darf Black Metal gehen?


Einerseits bleibt der Black Metal ein Phänomen, dass an sich gewahrt werden muss, und dessen Eigenständigkeit aus dem Fakt des Underground besteht. Andererseits spiegelt Dimmu Borgir eine Ebene dar, die ansonsten niemals ins populäre Wesen des harten Rocks einsteigen hätten konnte. Okkultismus als Entertainment. Ganz am Anfang erwähnt.
Fraglich ist bis heute der Punkt, in wie weit die Protagonisten der momentanen Szene zu verstehen sind. Nattefrost, Frontzwerg und Ober-Assi von Carpathian Forest ließ sich beispielsweise "in seiner eigenen Scheisse" ablichten. Stellt sich die Frage: Wer findet das cool? Ein kleiner Teil wird denken "Oh das ist aber ein krasser Typ! Das ist Black Metal!" Ein großer Teil hingegen wird denken: "Oh der Arme. Jetzt muss er soweit gehen um Aufmerksamkeit zu erregen."

Dem stehen dann wiederrum einige Personen gegenüber, deren Aussagen und Gesten sinnvoller sind. Niklas Olsson hingegen schafft es auf groteskte Art und Weise, Musik zu komponieren, die auswegsloser nicht sein könnte. ("Kvarforth", Chef von Shining).


Zu differenzieren gilt generell: Image und Kunst. Einige vermögen einzig durch das Auftreten in den Medien jeglicher Form zu schocken. Andere, leider zu wenige, vermögen genau dieses auch musikalisch zu übermitteln. Dimmu Borgir, und da möge man mich für verdammen, schaffen dieses. Shining auch. Und Darkthrone auch. Und Satyr's neuer Hassbatzen "Now, Diabolical" schafft das auch. Nur eine kleine Anzahl an skandinavischen Existenzen, deren Ausweglosigkeit glaubwürdig scheint.

18.05.2006