Interview mit Muff Potter

22.05.2007
 

 

Euer Album "Steady Fremdkörper" ist gerade fertig geworden. Wie zufrieden bist Du mit dem Album?

nagel: ehrlich gesagt: keine ahnung. ich habe jetzt, knapp 2 monate nach fertigstellung des albums, immer noch nicht genug abstand, um es mir entspannt und mit genuß anzuhören. das ist zwar sehr schade, macht mir aber keine angst, denn das war bisher immer so. ich bin ein kontrollfreak, ich war jeden einzelnen tag im studio, ich hab die songs so oft gehört, im proberaum, beim aufnehmen, beim mixen, nach dem mastern. die übersättigung mit meiner eigenen musik ist der preis, den ich dafür bezahle. spätestens wenn wir die songs endlich live spielen wird sich das wieder legen. außerdem beruhigt es mich, daß mein direktes umfeld, also die leute auf dessen urteil ich wert lege ziemlich begeistert ist. erstaunt bin ich von der ersten single "fotoautomat" � ich habe den song immer noch nicht satt, nichtmal nachdem wir ihn beim videodreh den ganzen tag wieder und wieder hören mussten. ich glaube der song ist ein sogenannter "grower", also einer, der seine zeit braucht, einen dann aber auch lange begleitet.
ich glaube und hoffe, daß das aufs ganze album zutrifft.

Euer letztes Album "Von Wegen" war das erste unter den Fittichen von Universal. Das Album ist sehr gut angekommen, trotz vorheriger starker Diskussionen einiger Fans. In der heutigen Zeit ist oft zu beobachten, dass viele Bands mit ihrem zweiten "Major-Album" neue Wege gehen und ihre Fans aufgrund zu starker musikalischer Veränderung enttäuschen. Würdest Du sagen, dass eure Musik, oder die Art Musik zu schreiben sich seit dem Universal Deal verändert hat?

nein, kein stück. aber ich glaube sowieso nicht, daß wir uns musikalisch über die jahre groß verändert habe. es gab bei muff potter sicherlich eine stetige entwicklung, alles andere wäre ja auch ziemlich traurig. es hat aber an keinem punkt eine einschneidende veränderung gegeben, weder textlich noch musikalisch, und zumindest in den letzten 4-5 jahren auch nicht in der herangehensweise. der einfluss von (großen) plattenfirmen wird auch gerne überschätzt. universal ist ja kein allgegenwärtiges teufelchen, das im proberaum auf unseren schultern sitzt. es kommt wohl hauptsächlich drauf an, wie gefestigt eine band ist, wie sehr sie den einfluss anderer zulässt oder vielleicht sogar sucht. was ja nichts schlimmes sein muss, schließlich sitzen bei plattenmfirmen durchaus auch ein paar coole leute mit guten ideen. aber für muff potter ist das nicht so wichtig. es gibt uns schon so lange, wir vertrauen in kreativer hinsicht auf unsere eigenen fähigkeiten. wir haben ja nichtmal einen klassischen produzenten, sondern nehmen immer noch mit unserem freund nikolai potthoff auf. wenn überhaupt irgendwas anders war dann die tatsache, daß ich mit "von wegen" immer noch ziemlich zufrieden bin. das war in der tat ein kleines dilemna, es hat dazu geführt daß ich diesmal recht lange brauchte, eine motivation für neue musik zu finden. das und die allgemeine übersättigung mit den immer neuen next-big-thing rockbands, die dann doch immer gleich klingen. irgendwann haben wir in einem ferienhäuschen im emsland diesen punkt überwunden. und im zuge der fertigstellung von �wo die wilden maden graben� habe ich es dann auch wieder geschafft, einen ansatz für neue texte zu finden. es ist wohl kein zufall, daß viele von den texten auf �steady fremdkörper� so einen kurzgeschichten charakter haben. ist mir aber auch erst im nachhinein aufgefallen.

Wie groß ist deren Einfluss auf eure Alben?

wir haben einen sogenannten "bandübernahmevertrag", das heißt: wir bekommen von der plattenfirma einen vorschuss, von dem wir aufnahmen, mix, artwork usw selbst organisieren und bezahlen. der komplette kreative bereich liegt also in unseren händen.
sachen wie promo/marketing, video usw stimmt man dann natürlich gemeinsam mit der plattenfirma ab, und was zB die auswahl der singles angeht, da lassen wir die plattenfirma machen, denn wir finden alle songs auf dem album gut, uns als albumhörern ist dieser aspekt also egal.

Mit Eurer Musik hat sich ja auch das MUFF POTTER Publikum ein ganzes Stück gewandelt. Ich erinnere mich z.B. noch recht gut an Euren Auftritt beim Green Hell Festival in Münster, wo auch HOT WATER MUSIC gespielt haben. Der letztjährige Auftritt in Hildesheim war das totale Kontrastprogramm mit Euch anhimmelnden jungen Mädchen. Wie siehst Du diese Veränderungen?

puh, keine ahnung. weil wir immer schöner werden vielleicht?!
allgemein kann man wahrscheinlich sagen: je größer das publikum, desto jünger das durchschnittsalter. zumindest bei gitarrenmusik fällt mir das oft auf. es sind ja auch tendenziell jüngere leute die bock haben, sich beim konzert in die erste reihe zu stellen und da euphorisch abzugehen, die bringen diesen enthusiasmus mit, der vielen älteren leuten abgeht. eine band wie die beatsteaks zB ist im durchschnitt sicher manchmal doppelt so alt wie ihr publikum. ich glaube wir verlieren seit es uns gibt mit jeder platte ein paar fans und gewinnen dafür neue hinzu. viele wenden sich ja auch ab, sobald eine band erfolgreicher wird, weil sie ihnen zu kommerziell oder nicht mehr exklusiv/cool genug ist. dann es gibt auf der anderen seite einige, die uns über die jahre treu geblieben sind. und sogar welche, die uns zwischendurch scheisse fanden und jetzt wieder mögen. ich finde das alles okay so. beeinflussen kann man es als band ja eh kaum, bzw wäre es bescheuert das zu versuchen. meiner meinung nach muss man als band versuchen, im kreativen prozess die möglichen reaktionen der außenwelt (publikum, plattenfirma usw) so gut es geht auszublenden. sonst macht man sich abhängig, unfrei und berechenbar, und ruckzuck macht einem das musikmachen keinen spaß mehr.

Obwohl "Steady Fremdkörper" musikalisch härter ist als "Von Wegen", wirkt Dein Gesang weniger aggressiv. Siehst Du diese Entwicklung als natürlichen Reifeprozess oder ist dies bewusst geschehen?

beides. zum einen versuche ich einfach besser zu singen, sowohl qualitativ als auch gesundheitlich. zum anderen haben wir diesmal einige songs immer wieder in verschiedene tonlagen transformiert, bis sie für den gesang am besten passten. auf "von wegen" war das tonale level des gesangs fast durchweg sehr hoch, dadurch klingt die stimme angestrengter � wahrscheinlich das, was du mit aggressiver meinst. manchmal passt das ja auch gut, zB bei einem song wie "plötzlich tatsächlich" auf der neuen platte. für mich muss der gesang aber nicht immer geschrien oder rau sein, man erreicht intensität bisweilen auch ganz anders. zB mit der kühlen monotonie in "fotoautomat", durch die hektischen, gebellten zeilen von "wunschkonzert", oder dem fast geflüsterten gesang bei �ein requiem für die gute laune� (von der fotoautomat single). bei all diesen liedern passt der gesangsstil sehr gut zu den inhalten des textes, was mir immer sehr wichtig ist.

Das letzte Album "Von Wegen" habt ihr ebenfalls auf Englisch unter dem Namen "My Huckleberry Friend" in Japan veröffentlicht. Wie ist es dort angekommen und plant ihr Ähnliches mit diesem Album wieder?

wir haben das mal ausprobiert weil wir die chance dazu hatten. "my huckleberry freind" ist in japan auf dem label unseres kumpels ingo knollmann erschienen (solitary man records). es war halt mal wieder was anderes, was neues, und alles was die routine durchbricht ist erstmal willkommen. leider waren wir aber noch nicht in japan auf tour, deswegen ist da auch noch nicht viel passiert. das war natürlich der hauptgrund . die möglichkeit haben, mal hier rauszukommen.

Ihr führt seit vielen Jahren online Tagebuch. Was ist eure Motivation dahinter?

für mich ist es der spaß am geschriebenen wort. ich schreibe schon immer, privat, öffentlich, für mich und für andere. tagebuch, songtexte, fanzine, online diary, kolumnen, jetzt das buch... es ist wahrscheinlich der drang sich zu artikulieren oder sonstwie mitzuteilen, den die meisten musiker und künstler in sich haben. seit der veröffentlichung von "wo die wilden maden graben" habe ich aber das gefühl, zumindest zum touraspekt alles gesagt zu haben, das werde ich also in nächster zeit eher ruhen lassen. wir haben aber ja noch brami, der auch auf der kommenden tour wieder ein diary verfassen wird und der meiner meinung nach ein begnadeter schreiber ist!

Ihr wählt sehr oft einen Tracknamen auch als Albumnamen aus. Bei dem letzten Album habt ihr einen sehr ruhigen Song als Titelgeber gewählt. Ihr gebt den Songs damit eine besondere Bedeutung und Wichtigkeit. Wie fällt ihr eure Wahl und wieso diesmal "Steady Fremdkörper"?

eigentlich ist es das erste mal, daß ein songtitel 1:1 auch der albumtitel ist, bisher waren es ja eher ableitungen. aber diesmal hat es besonders lange gedauert, bis der titel feststand. mein ursprünglicher favorit war ein anderer, interessanterweise eine ableitung aus demselben song. wenn ich mich erst einmal auf etwas eingelassen habe fällt es mir meist recht schwer, davon wieder loszulassen. dann habe ich mich aber überzeugen lassen, daß "steady fremdkörper" nicht nur als songtitel interessant klingt, sondern das album insgesamt sehr gut repräsentiert. das thema rastlosigkeit, diese latente unzufriedenheit, das ständige sich-fremd-fühlen oder auf-der-suche-sein taucht ja in mehreren, wenn nicht sogar allen songs auf. im idealfall bringt der titel für mich die stimmung des ganzen albums auf den punkt. rückblickend betrachtet bin ich, was das angeht mit all unseren albumtiteln ziemlich zufrieden.

Ihr seid schon sehr lange zusammen als Band unterwegs. Das ist ja fast wie eine Ehe. Was ist Euer Geheimnis und wieso denkt ihr, werden so viele Ehen geschieden?

unser geheimnis, wenn wir eins haben, ist vielleicht, daß wir aus einer kleinstadt kommen und zu anfang außer der band kaum möglichkeiten hatten, diese grenzen zu überwinden. das ist zwar schon eine weile her, aber sowas prägt einen eben. zum anderen waren wir nie besonders karrieristisch orientiert, wir wollten immer in erster linie musik machen, zweitrangig wie erfolgreich oder unerfolgreich wir damit waren. wenn das nicht so wäre hätten wir uns schon an vielen punkten unserer geschichte auflösen müssen. es ist halt dieser glaube, das richtige zu tun, der uns immer weitermachen ließ. und der uns auch das nötige selbstbewusstsein gab, uns weder von irgendeiner szene noch von einer plattenfirma vereinnehmen zu lassen. man muss das aber immer wieder neu überprüfen, wenn man eine relevanz behalten will. das kann schon sehr anstrengend sein. weder eine band noch eine ehe oder sonst irgendeine beziehung zwischen menschen kann oder sollte um jeden preis aufrecht erhalten werden. sich scheiden zu lassen war auf jeden fall das beste, was meine eltern tun konnten.

Hattet ihr jemals Differenzen innerhalb eurer Band, weil Nagel sich in der letzten Zeit viel um eigene Projekte wie sein Buch oder seine Solo-Tour kümmert? Bei all diesen Dingen steht er im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses und übernimmt automatisch dann bei MUFF POTTER einer Frontmann-Rolle, die alle anderen Bandmitglieder in den Hintergrund rückt.

die frontmann rolle habe ich nach außen hin ja schon immer. ich habe die band gegründet, singe, spiele gitarre und schreibe die meisten texte, früher habe ich unsere platten rausgebracht und unsere touren gebucht, und jetzt wo ich das nicht mehr machen muss nutze ich die energie eben für andere dinge. die anderen übrigens auch, der eine mehr, der andere weniger. inwieweit es da differenzen gibt oder wie weit diese gehen, das musst du im zweifel meine bandkollegen fragen. bei interesse schreib doch eine mail: brami/dennis/shredder, jeweils @muffpotter.net. ich glaube: differenzen haben wir jede menge, immer gehabt, auch in der letzten zeit. wir sind eine extrem mit sich selbst hadernde band. aber weniger wegen dem buch oder anderer aktivitäten von mir. wie oben schon erwähnt haben die arbeit an �wo die wilden maden graben� und dieser platte sich textlich sogar gegenseitig begünstigt. ich bin so manisch was muff potter angeht, daß die gefahr einer vernachlässigung der band bei mir recht gering ist.

Es hat Dich scheinbar nach Berlin verschlagen. MUFF POTTER wurden eigentlich immer mit Münster, oder dem Großraum Münster in Verbindung gebracht. War die Stadt zu klein für Dich oder bestand der Wunsch nach mehr Anonymität bei wachsendem Erfolg? Oder hat Dich Knut der Eisbär nach Berlin gelockt?

die gründe für meinen umzug nach berlin sind, ungefähr in dieser reihenfolge:
1. ein dringend benötigter tapetenwechsel
2. bezahlbare mietpreise für palastartige appartments (in münster definitiv nicht gegeben)
3. viele gute freunde in dieser stadt.

Musstest Du Dich jemals zwischen der Band und einer anderen Sache entscheiden? Wenn ja, hast Du es jemals bereut?

ich habe mich seit es die band gibt gegen die meisten bürgerlichen werte entschieden: eine ausbildung, einen beruf, finanzielle sicherheit, familie... das aber nie bereut, weil zuviel sicherheit mir ohnehin angst macht. ganz praktisch eigentlich!

Ihr habt Bands wie die Donots, Blackmail oder The Draft bei Myspace unter euren "besten Freunden". Wie gut seid ihr im echten Leben befreundet?

ach, my space... ich bin zu alt um diesen zirkus wirklich ernst zu nehmen, benutze es aber wie alle anderen als eine plattform um meine band zu bewerben. das ist ja schon sehr praktisch! mit den von dir genannten bands sind wir aber tatsächlich recht gut befreundet. natürlich sieht man mitglieder von blackmail oder the draft kaum jemals außerhalb von tourneezusammenhängen, das sind halt einfach bands die wir kennen- und schätzengelernt haben.

Ist es Möglich, Freundschaften aufzubauen und zu halten, die nichts mit MUFF POTTER zu tun haben?

ja. aber es ist oft schwer, diese zu pflegen.

Wie plant ihr den Rest des Jahres 2007?

bis mindestens einschließlich herbst planen wir nicht viel anderes außer mit muff potter beschäftigt zu sein. den sommer in berlin genießen. irgendwann gerne mal in urlaub. vielleicht mal wieder was aufnehmen, vielleicht schreiben... aber so richtig detailliert und lang im voraus haben wir ja eigentlich nie geplant. wir gucken mal, was passiert.

Vielen Dank für Deine Zeit, der letzte Kommentar gehört Dir.

danke auch! ich steh total auf die TWILIGHT SINGERS!