Interview mit NOTHING

15.10.2016
 

 

Bitte stell dich doch kurz vor!

Ich bin Domenic und spiele bei Nothing.

 

Ihr spielt mehr als einen Monat Shows in Europa. Wie läuft es bis jetzt? Auf welche Städte freut ihr euch besonders?

Eigentlich auf alle. Es gibt ein paar Städte, in denen wir schon mal gespielt hatten und wo es super war. London zum Beispiel. Es war auch cool, zum ersten Mal in Manchester zu sein. Ich freue mich darauf, wieder in Zagreb (Kroatien) zu spielen, dort war beim letzten Mal unsere Show drei Wochen vorher schon ausverkauft. Hier ist es auch immer cool. Berlin auch. Antwerpen haben wir gestern überraschenderweise an einem Sonntagabend ausverkauft. Es ist etwas länger her, dass wir hier waren daher ist es cool wieder mit neuen Songs hier zu sein. 24 Tage am Stück, bevor wir einen freien Tag haben. Ich kenne niemanden, der in letzter Zeit auf so einer Tour war. 24 Tage, dann Pause, dann nochmal 10 Tage, Pause, dann der Rest. Ziemlich hart.

 

Damit deckt ihr ziemlich viel ab. Den östlichen Teil Europas vielleicht weniger.

Ich glaube Polen und Kroatien sind das Östlichste auf dieser Tour. Wir würden auch in Russland spielen wollen. Viele meiner Freunde haben dort schon gespielt, und wir haben dort auf jeden Fall auch einige Fans. Wahrscheinlich wäre es etwas nervenaufreibend, dort zu touren und in die Orte zu kommen. Ich würde definitiv erstmal reinfliegen wollen. Im ländlichen Russland muss ich nicht unbedingt rum fahren..

 

Wie verbringt ihr auf Tour normalerweise eure Freizeit?

Wenn wir Zeit haben, versuche ich daraus immer einen Nutzen zu ziehen. Ich recherchiere mehr im Voraus. Wenn man so lange auf Tour war, wird man irgendwann besser darin. Es ist nicht mehr nur aufwachen, in den Van, aufs Handy glotzen, ins Venue, aufs Handy glotzen, saufen, die Show spielen, und dann dasselbe wieder von vorne. Wenn man das zulange macht, fühlt es sich irgendwann nicht mehr so toll an.  Wir waren eigentlich die ganzen letzten drei Jahre unterwegs, daher wird es etwas besser. Ich suche nach guten Restaurants, Sehenswürdigkeiten, Museen, war auf ein paar berühmten Friedhöfen. Man will nicht nach all diesen Tagen heimkommen und sich nicht mehr an die Städte erinnern können. Sondern einen Vorteil daraus ziehen. Überall gibt es was zu sehen. Es passiert sehr schnell, dass man in so einen Tourmodus reinkommt, in dem man nur noch trinkt und hungover ist. Ich hab mir das ein bisschen abgewöhnt und die Fackel an Brendan rüber gereicht. Inzwischen macht er das so wie ich vor einiger Zeit. Ist ganz witzig anzusehen.

 

„Tired of Tomorrow“ ist jetzt schon eine Welle draußen. Wie ist es angekommen? Gab es auch sehr schlechte Reviews?

Ich habe keine schlechten Reviews gelesen, um ehrlich zu sein. Es gab Reviews, bei denen der Autor einfach schlecht informiert war. Das Album ist in mehreren Welten gelandet. Im Metal, wegen Relapse. In der Independent Music World, im Punk, in der Run For Cover Welt, wie auch immer du das nennen willst. Wenn das passiert, formt jeder seine eigene Idee darüber, was das Album sein soll. Das ist oft ganz witzig anzuhören. Manche Leute sagen dann „Das ist wie Title Fight oder Basement. Oder Title Fight meets Deafhaven“.

 

Wahrscheinlich passiert das, weil der Begriff „Shoegaze“ zu oft benutzt wird.

Ja, damit wird nur so um sich geworfen. Und keine der Bands ist wirklich eine Shoegaze-Bands. Wir auch nicht. Wir haben Shoegaze-Teile in unseren Liedern. Für mich sind wir einfach eine Rock Band mit Einflüssen aus Shoegaze, englischem Rock und Postpunk. Ich hab mich immer gegen diese Bezeichnung gewehrt, selbst dann, als wir wirklich eine Shoegaze-Band waren (unsere älteren Veröffentlichungen). Aber das passiert eben. Faule Leute benennen die Dinge nach dem, was sie denken, das sie sind.

 

Ich glaube, das passiert auch, weil die Leute gar nicht wirklich viele Shoegaze-Bands kennen und sich damit auseinandergesetzt haben.

Ja, vor allem die ganzen Run For Cover Kids. Die kennen My Bloody Valentine und hören die ganze Zeit Slowdive, aber so etwas wie Pinkshinyultrablast oder Flying Saucer Attack eben nicht. Als wir „Guilty of Everything“ geschrieben haben, habe ich mir viel Smashing Pumpkins, Nirvana, Flying Saucer Attack, The Swirlies und ein bisschen The Pixies angehört. Auch ein wenig Misfits. Das haben wir dann mit viel Freude zusammengepuzzlet.

 

Aber keine dieser Bands hat so viel Reverb auf der Musik, oder?

Nein, nein. Wie gesagt, ich nehme mir Dinge aus diesen Sachen heraus und mache dann mein eigenes Ding daraus, so macht man das als Musiker. Ich wollte nie eine Shoegaze-Band anfangen und einen Song schreiben, der genau klingt wie „Loveless“ von My Bloody Valentine. Mancher Bands tun das. Auch welche, die ich sehr mag. Fleeting Joys zum Beispiel haben sich genau angehört wie My Bloody Valentine. Diese Band gibt es aber schon, warum macht man das also? Das wollte ich nie machen. Ich wollte in einer Punkband sein und nie, dass Leute über uns sagen, wir wären nur eine Cover-Band.

 

Und bei den Live-Shows? Reagieren die Leute anders auf eure neuen Songs?

Würde ich nicht sagen. Auf Tour haben wir immer mehrere Setlists und schauen dann an dem Abend, was wir spielen wollen. Manchmal soll es etwas verträumter sein und manchmal etwas dreckiger, manchmal will ich einfach besoffen auf dem Boden rumrollen und die Leute in die Live-Show miteinbeziehen. Wir wollen auch nicht, dass die Leute zu einer Show kommen und genau wissen, was sie bekommen. Beziehungsweise immer dasselbe bekommen. Bei den neuen Songs haben wir auch darauf geachtet, dass man sie gut live spielen kann. „Guilty of Everything“ war eine Menge Arbeit im Studio. Manchmal gab es auf einem Lied 15 Gitarren-Spuren. Dieses Mal wollte ich realistischer sein. Und wir spielen Songs wie „The Dead Are Dumb“ live inzwischen sogar leiser als auf Platte. Wir experimentieren einfach gerne, so bleibt es spaßig.

 

Bei den neuen Songs versteht man die Lyrics auch viel besser, sie scheinen nicht mehr unter Effekten versteckt zu sein. War das eine bewusste Entscheidung?

Ja, definitiv. Da gab es zwei Sachen. Erstens: Seit dem ersten Tag war jede Aufnahme mit dieser Band eine progressive Sache. Ich kam aus einer Welt, in der ich einfach nicht wusste, wie man das alles macht. Ich mochte die Musik immer, aber ich musste erst lernen, wie man eine solche Band aufzieht. Es ist immer ein Lernprozess. Als „Guilty of Everything“ rauskam, war ich so nervös. Aber es hat ausgezeichnete Reviews bekommen, und das hat mir mehr Mut gegeben. Der Plan für die Band war immer, progressiv zu sein. Und ich wollte das, was wir tun, für mehr Leute zugänglich machen. Und der Hauptweg um das zu erreichen ist immer, die Vocals ins Zentrum zu stellen. Man braucht ein bisschen Selbstbewusstsein dafür, aber wir sind inzwischen sehr zufrieden damit. Die nächste Platte wird sicher auch in diese Richtung geht.

 

Manchmal muss man sich ja, um mehr Leute zu erreichen, den „Regeln“ der Mainstream-Musik anpassen.

Ja, aber ich glaube nicht, dass wir das jemals tun müssen. Ich finde, wir haben zwar poppigere Songs auf der neuen Platte geschrieben, aber wir haben kein Stück von dem verloren, wer wir sind. Ich glaube nicht, dass Leute sagen werden: „Sellout!“. Das Album sind immer noch wir, nur eine selbstsicherere Version von uns. Ich denke beim nächsten Album werden „normalere“ Leute auch drauf stehen. Das passiert jetzt schon. Wir spielen jetzt schon diese Riesen-Festivals. Letztens erst. Früher Slot, 15 Uhr mittags an einem Samstag, jeder hat noch einen Kater. Und dann kriege ich eine Nachricht von so einem „normy-ass“ College-Mädchen, von dem du nie denken würdest, dass sie mit dieser Band in Verbindung steht und sie sagt „Ihr seid meine Lieblingsband“. So wird es glaube ich also für uns weitergehen. Ich denke nicht, dass es für uns jemals ein Problem geben wird, wenn wir einfach bleiben, wer wir wirklich sind.

 

Für mich scheint Nothing auch eine sehr authentische Band zu sein, die viel private Dinge von sich preisgibt und eine starke eigene Meinung hat. Denkst du, dass das vielen aktuellen Bands in der alternativen Musikszene heutzutage fehlt?

Ja, definitiv. Ich fühle mich, als würdest du mir gerade eine Falle stellen, damit ich anfange zu lästern, aber ich beisse mal an. Um ernst zu sein, glaube ich, dass genau das der Fall ist. Ich denke auch, dass sich deshalb viele Leute zu uns hingezogen fühlen. Sie sehen die Ehrlichkeit hinter allem, das wir tun. Wir versuchen nicht, irgendein mysteriöses Bild von uns zu erschaffen. Sind manchmal eher zu ehrlich. Das bringt uns manchmal Ärger ein, zum Beispiel wenn wir unsere Gedanken über bestimmte Bands äußern. Es gibt einfach eine Menge falsche Leute in der Musikwelt. Viele Leute, die ich nicht sehr glaubhaft mit dem finde, das sie tun. Für mich ist das manchmal hart mit anzusehen, aber ich versuche, mich davon nicht entmutigen zu lassen. Ich rede da auch nicht oft drüber, aber ich denke das ist ein Mitgrund, warum Menschen sich zu uns verbunden fühlen. Wir sind glaubhaft und ehrlich. So werde ich immer sein. Ich sage, was ich denke. Und fertig.

 

Ich denke, manche Bands gehen das sehr strategisch und mit Kalkül an. Letzte Woche haben hier beispielsweise Moose Blood gespielt, die kennst du wahrscheinlich. Und ich glaube, das solche Bands einfach sehr zielgenau ein bestimmtes Publikum bedienen wollen. Für mich scheint es einfach, als ob die Band für diese vierzehnjährigen Mädels schreibt. Ich finde die Band sehr gut, aber das ist schon ein Unterschied zwischen euch und denen.

Ja, aber das ist genau das, was ich meine. Wir haben beispielsweise Bands wie Deafhaven, die auf die Bühne kommen, spielen und dabei mit niemandem reden…

 

Das nehme ich jetzt besser aus dem Interview raus, oder?

Mir völlig egal, was du damit machst. Aber bei solchen Bands ist es dasselbe. Sie haben dieses gefälschte Geheimnisvolle um sich herum. Man sieht sie draußen und sie haben ganz normale Klamotten an, dann auf der Bühne ist es auf einmal alles schwarz und sie haben Handschuhe an. Dann denke ich mir einfach: „Leute, was soll das?“. Ihr lebt in Los Angeles und kauft euch jeden Tag für 4,50 einen Eiskaffee. Das ist nicht die Depression und Dunkelheit, über die ihr da labert. Seid einfach echt. Ihr müsst das nicht machen. Es gibt einfach so viele Dinge, die Leute heutzutage machen, um Platten zu verkaufen und relevant zu bleiben. Viele schreiben sich auch völlig blind irgendwelche Dinge auf die Fahne, bei denen sie sich verpflichtet fühlen, ein Teil davon zu sein. LGBT, Feminismus, Anti-Trump in Amerika und so weiter. Das sind auch alles Dinge, an die ich fest glaube. Aber die Leute nutzen sie einfach und es ist völlig klar, dass es eine Art Marketing-Strategie ist. Und keinen interessiert das wirklich. Die Leute haben uns auch gefragt, z.B. „Was denkst du darüber, was Nick gemacht hat?“ (Anmerkung der Redaktion: Kontroverse um Whirr und G.L.O.S.S.). Aber ich habe so viele Dinge aus meiner eigenen Tasche gemacht. Tausende von Dollars von „Guilty of Everything“ in das LGBT-Movement, für obdachlose Jugendliche, die Aids-Law-Foundation, Breast Cancer Awareness, zurzeit Wings for Kids with Cancer gesteckt. Wir haben viertausend Dollar an eine Foundation aus meiner Nachbarschaft in Philadelphia gespendet. Die kauft Equipment für Kinder, die sich die Fußballsachen nicht leisten können. Und der Gründer tut das alles ohne Rücklagen und es ist Non-Profit, daher sind viertausend Dollar für ihn schon eine große Sache. Das ist cool, weil dass die Gegend ist, in der ich aufgewachsen bin. Es ist schön, so etwas für die Leute zu können anstatt einfach zuhause zu sitzen und auf einen „Retweet“-Button zu drücken. Oder auf jemandem rumzuhacken, weil er im Internet etwas Falsches gesagt hat. Für drei Tage ist das dann die größte Sache der Welt, und dann vergisst es eh jeder. Manchmal kommt es mir echt hoch, wenn ich das dann lese. 90% in der Musikindustrie sind einfach falsch und haben überhaupt keine Absicht, irgendetwas für die Leute in ihrem Umfeld zu tun.

 

Du bist ja schon etwas länger dabei, war das denn früher anders?

Total. Manche Dinge werden besser und manche werden schlechter, so ist das einfach. Als ich sehr klein war, Anfang der 90er, konnte man noch nicht öffentlich homosexuell sein. Man konnte schon, hätte aber eine Menge dafür einstecken müssen. Und es ist toll zu sehen, wie sehr sich verändert hat. Dass homosexuelle Menschen inzwischen heiraten können. Es ist absurd, dass das überhaupt mal ein Problem war. Das ist alles super. Aber es gibt immer jemanden, der versucht, aus etwas Nutzen zu ziehen. Ich habe den Eindruck, dass die Menschen heutzutage denken: Wenn man was unternehmen will, gibt es zwei Wege. Entweder du attackierst jemanden, der etwas vielleicht falsch tut oder man redet drüber, ohne irgendeine physische Aktion einzuleiten, die irgendwas besser macht. Und ich lehne das ab. Ich habe nie nur drüber geredet. Ich versuche einfach, Dinge zu tun. Ich will nicht sagen, dass ich ein toller Mensch bin. Ich habe viele Dinge in meinem Leben getan, auf die ich nicht stolz bin. Für mich ist das auch ein persönlicher Weg, Dinge wieder gut zu machen, die ich früher verkackt habe.

 

Gibt es schon Pläne für neue Aufnahmen, sind schon Songs geschrieben?

Wir schreiben immer. Ich habe eine Menge Tracks auf meinem Iphone. Akustik-Aufnahmen. So haben wir auch das letzte Album aufgenommen. Brendan und ich haben viel unterwegs geschrieben und es dann zusammengebaut. Ich versuche immer, auf Tour zu schreiben. Momentan habe ich auch viel geschrieben (also Text, nicht Musik). Wir bringen aber immer eine Akustik-Gitarre mit. Und wenn man sich dann auf den Nerv geht, zieht man Kopfhörer an und spielt etwas ein. Ich würde gerne bald wieder etwas aufnehmen, bevor jeder versucht, Nothing-Songs zu schreiben. So wie das teilweise schon passiert.

 

Echt?

Ja, scheint so (lacht). Kommt dir das nicht so vor? Ich denke momentan gibt es viele Bands, die gerade die Richtung ändern, die sie eigentlich vor drei oder vier Jahren mal eingeschlagen haben. Das mag sich egoistisch anhören, aber ich glaube da schon dran. Du hast es ja auch selbst gesagt, die Leute schmeissen mit dem Shoegaze-Genre nur so um sich, und das war anders, als wir damit angefangen haben. Das alleine sagt für mich schon etwas aus. Die Leute beachten das, was wir tun, mit Sicherheit. Wir sind zwar nicht sehr groß geworden, aber ich glaube gerade in Amerika haben uns viele Leute auf dem Schirm gehabt und haben das immer noch. Ich lasse das einfach mal so stehen.

 

Du sagtest, du schreibst momentan auch. Woran arbeitest du da gerade?

Ich schreibe momentan an einer Art Tour(ist)-Tagebuch. Es wird sicherlich etwas abstrakt werden. Daran habe ich eine Menge gearbeitet. Dann noch ein paar Sachen für diese Website namens Talkhouse. Es ist so eine Seite aus New York City, Lou Reed hat da beispielsweise mal darüber geschrieben, warum Kanye West so wichtig ist. Für mich ist das etwas schwierig nachzuvollziehen, aber es ist Lou Reed. Rose McGowan hat da auch einen offenen Brief geschrieben, ich habe vergessen worüber, Hillary Clinton oder so. Ich habe da jedenfalls einen Abstract über das „Life on the Road“ geschrieben, tausend Wörter oder so. Momentan versuche ich etwas Längeres zu schreiben, ich war immer ein Fan von Gedichten.

 

Die nächste Frage passt auch dazu: Was inspiriert dich beim Schreiben von Lyrics?

Ganz klischeehaft: Alles, das mich umgibt. Die Vergangenheit, die Gegenwart und letztendlich auch die Zukunft. Ich habe viel über die Vergangenheit nachgedacht und daraus für mein Erachten viel gelernt. Es hilft mir sehr, mich zu motivieren, inspirierend zu sein. Die Gegenwart ist immer ein Struggle. Es gibt kleine Momente, in denen ich mal glücklich sein und lachen kann. Und die Zukunft macht mir einfach nur eine Scheissangst. Irgendwo zwischen diesen drei Dingen also.

 

Und was das Ausformulieren betrifft? Vielleicht hast du einen Lieblingsautor oder sowas?

Ja, ich versuche so belesen zu bleiben, wie möglich. Aber es ist echt schwierig, in dieser Lebenszeit noch die Zeit zu finden, ein Buch zu lesen. Es geht so viel ab, man hat so viel mehr Ablenkungen als noch vor zehn Jahren. Deswegen mag ich touren in Europa so sehr, weil ich mein Handy nicht benutzen kann. Da lese ich dann auch sehr viele Bücher. Das fing alles in der Zeit im Gefängnis an, als ich kein Ventil außer Lesen hatte. Es gibt eine Menge Schriftsteller, die mich inspirieren. Viele Folk-Leute wie Barrows, die Beat-Autoren. Aber auch Lyriker. Cohen ist wahrscheinlich einer meiner Lieblingsmenschen aller Zeiten. Viele Classic-Rock und Folk-Künstler wie Judee Sill. Im Prinzip jeder Künstler, bei dem du spüren kannst, dass er durch eine Menge Scheisse gehen musste, bei dem man merkt, dass Schmerz und Substanz in dem Werk zu finden ist. Das lässt mich wachsen.

 

 

Habt ihr irgendwelche spezifischen Ziele mit Nothing?

Ich würde gerne ein bisschen Kohle damit machen, um ehrlich zu sein. Einfach, damit wir weitermachen können. Das einzige, das mich davon abhalten kann, wäre, dass wir es uns nicht mehr leisten können. Ich mache das jetzt sechs Jahre. Für dreieinhalb dieser Jahre habe ich noch Vollzeit gearbeitet, 65 Stunden in der Woche und habe beides nebeneinander gemacht. Manchmal denke ich: Wenn ich so viel Zeit in ein Geschäft gesteckt hätte, wäre ich damit wahrscheinlich inzwischen um Einiges erfolgreicher (lacht). Es wäre sehr hart, wieder so leben zu müssen wie damals. Ich weiß nicht, ob ich das nochmal könnte. Das würde mich ziemlich fertigmachen. Ich setze gerade alles auf diese Karte. Und wie gesagt, die Zukunft macht mir große Angst. Ich versuche einfach, nicht darüber nachzudenken.

 

Würdest du zustimmen, dass die Mainstream-Künstler vor einem oder zwei Jahrzehnten bessere waren als heute?

Ja, ohne Zweifel (lacht). Ich finde auch eine Menge aktueller Musik cool, viel Hip-Hop-Zeug. Das war immer so. Es kommt immer noch viel Gutes, aber es ist ziemlich schwierig zu ignorieren, was Anfang der Neunziger so abging. Von 1990 bis 1996. Das war einfach etwas Anderes, speziell für Rock-Musik.

 

Und du konntest Teil davon sein. Ich leider nicht.

Ja, das ist der andere Punkt. Ich habe es kommen und gehen gesehen. Daher ist es cool, die Sache momentan zumindest ein bisschen wiederaufleben zu sehen. Ich hatte immer große Ambitionen, es wenigstens für eine Sekunde wieder zurückzubringen. Es war einfach eine andere Welt. Du weißt, dass du eine alte Person bist, wenn du sagst, dass die Generation unter dir nicht so gute Sachen macht wie deine eigene Generation.

 

Da bin ich mir echt nicht sicher. Egal, ob du dir die 60er, 70er, 80er oder 90er anschaust. Die Künstler hatten einfach mehr Freiheiten. Und heutzutage wird von der Musikindustrie vorgeschrieben, was gemacht werden muss.

Ja, es gibt keine Rockbands mehr. Wer ist schon noch eine Rockband? Red Hot Chili Peppers? Coldplay? Ich habe die Chili Peppers vor kurzem auf dem Lollapalooza gesehen, es war cool. Sie haben super Alben, ich will sie nicht dissen. Aber sie haben selbst vor kurzem gesagt, dass Rockmusik tot ist. Aber sie haben dabei geholfen, dass das passiert ist (lacht). Sie sind verantwortlich dafür. Sie haben angefangen, scheiss Alben zu machen, mit denen die Industrie Geld machen wollte. Es gab einen Grund. Sie wollten auch Geld machen und haben die Sache dabei gekillt. Es stimmt, Rockmusik ist quasi tot im Moment. Aber dabei haben diese ganzen Bands geholfen. Kings of Leon? Willst du mich verarschen?

 

Haha, die wollte ich auch ansprechen. Ich mag die eigentlich.

Ich habe mal gedacht, sie wären okay. Wenigstens haben sie es versucht. Selbst vor ein paar Jahren war es cool, Bands wie Interpol zu sehen. Aber die Welt ändert sich eben. Und nun wollen die Kids auf beschissene EDM-Festivals gehen.

 

Ja, ich glaube es gibt einfach keine große Rock-Szene mehr. Anfang der 90er gab es den Grunge, Anfang der 2000er nochmal den Nu-Metal, was aber eher nicht so toll war..

Oh Gott. Ich bin froh, dass du das auch so siehst. Denn ein paar der anderen Nothing-Jungs stehen da sehr drauf. Ironischerweise scheint es da gerade ein Revival zu geben. Meine Freundin hat mir vor kurzem ein Bild aus dem H&M gesendet, die verkaufen jetzt Slipknot-Shirts.

 

Ja, und Slayer-Shirts.

Slayer auch (lacht)? Oh man, es wird Zeit bald auszuchecken, oder? Naja, aber was ich eigentlich sagen wollte: Es wird immer traurige Kids geben, die sich fühlen, als ob sie nicht dazu gehören. So war ich, und so waren auch die meisten Punks. Du fühlst dich wie von deiner Geburt an anders als jeder Andere um dich herum. Und solange es das gibt, wird es ein Ventil dafür in der Musik geben. Ob im Mainstream oder nicht. Es wird immer einen Platz für uns geben, und das ist alles was mich interessiert. Also scheiss auf alles Andere.

 

Ich denke Nothing hat wahrscheinlich eine Menge Fans, die nicht viel Shoegaze hören. Was würdest du sagen, welche Klassiker muss man gehört haben?

Die Nightblooms EP. Jede Flying Saucer Attack wird funktionieren. Ich hasse es zu sagen, weil es inzwischen jeder kennt, aber „Loveless“ (My Bloody Valentine) und „Souvlaki“ (Slowdive) sind sehr wichtig. „Nowhere“ von Ride. Es gibt eine Menge. Ich höre immer noch diese pinkshinyultrablast EP. Gerade erst gehört. Ja, dabei würde ich es auch schon belassen. Obwohl: Cocteau Twins – Heaven in Las Vegas noch.

 

Du hast ja vorher in einer Hardcore-Band namens Horror Show gespielt. Vermisst du manchmal die Intensität einer Hardcore-Show oder wie würdest du das mit der Situation mit Nothing vergleichen?

Ich versuche, das Beste aus diesen Tagen mitzunehmen. Ich habe immer versucht, das ein wenig einfließen zu lassen. Wie ich vorher schon gesagt habe, sind manche Tage etwas lockerer, man headbangt nur. Und an anderen Tagen liegt man in zerbrochenem Glas und spielt. Vor gerade mal vier Jahren waren wir auch hier und haben mit Horror Show zum ersten Mal in Europa gespielt. Ich habe hier auf diesem Bett gelegen, mit meiner Freundin. Es war Mitte Februar und verdammt kalt. Und am ersten Tag der zwei Wochen langen Tour habe ich mir beim Stagediven eine Rippe gebrochen. Das war vor viereinhalb Jahren oder so. Ich glaube nicht, dass wir davon weit entfernt sind. Ich fühle mich noch nicht viel älter, und das plane ich auch nicht.

 

Aber mit dem Mikro ist das ja schon was Anderes, also ob man da noch eine Gitarre umgeschnallt hat oder mit den Leuten interagieren kann.

Definitiv. Aber letztendlich ist es doch alles dasselbe. Man tut was man tun kann, um sich selbst auszudrücken und die Leute zu unterhalten und zu erreichen. Die haben Geld bezahlt, um dich zu sehen.

 

Denkst du, dass es natürlich ist, dass Leute in Hardcore-Bands aus der Szene herauswachsen?

Sicherlich. Du kommst da meistens rein, wenn du sehr jung bist und es ist ziemlich schwer an irgendetwas festzuhalten, wenn du die Schwelle vom Kid zu einem Erwachsenen überschreitest. Ich liebe Punk und Hardcore immer noch, das wird sich nie ändern. Aber auch, als ich im Jahr 2000 mit Horror Show gespielt habe, wollte ich immer in der traurigsten Band sein, die möglich ist. Also habe ich Horror Show so traurig gemacht, wie ich konnte. Danach war also die Frage: Wie machen wir die neue Band so traurig wie möglich? Für mich ist der Schlüssel also Musik zu machen, die auf diese Art und Weise spricht, denke ich.

 

Du hast auch in XO Skeletons gespielt. Wie war es, mit Wes Eisold zu arbeiten? Er hat eine Art Ikonen-Status in der Hardcore-Szene.

Wes und ich waren damals sehr gute Freunde. Ich habe immer noch sehr viel Respekt für ihn als Musiker und Künstler. Es war eine Freude. Wir haben viel zusammen abgehangen. Er hat auch Nothing am Anfang sehr geholfen. Er hat seinen Namen bei einigen Angelegenheiten für uns eingesetzt. Es war sehr cool, mit ihm was zu machen. Shawn, der auch bei XO Skeletons war und die meiste Musik dafür und eine Menge der ersten Cold Cave Sachen geschrieben hat, ist auch ein großartiger Musiker. Er war auch Gitarrist bei Hatebreed. Oft wird er irgendwie übersehen (lacht). Und mit ihm zusammenarbeiten, war auch toll.

 

Kannst du verstehen, dass Leute so sehr zu Wes Eisold aufblicken?

Ich weiß nicht, ob das der Fall ist. Er hat sicher eine solide Gruppe von Diehard-Fans in Amerika. Aber jeder, der ihn kennt, sieht das nicht so. Die wissen, dass er ein talentierter Künstler ist. Sehr kreativ. Kann gut mit Worten umgehen, ist sehr intelligent. Aber ich weiß nicht, wie das in Europa ist. Ich glaube der Fakt, dass Europa von dem Rummel um American Nightmare nicht viel mitbekommen hat, hat vielleicht ein bisschen dazu beigetragen, dass es viel Geheimniskrämerei und Gerüchte um ihn gab und immer noch gibt. Es ist auf jeden Fall cool, dass sie wieder Shows spielen, sodass Leute sie sehen können. Das war definitiv einer meiner Lieblingsmomente in der Hardcore-Geschichte. American Nightmare, Panic, Count Me Out. Es war eine tolle Zeit. Horror Show war ja definitiv auch davon beeinflusst.

 

Welche europäischen Bands, die du gesehen hast, haben dich mit ihrem Auftritt überzeugt? Oder mit ihrer Musik?

Jetzt gerade aus dem Kopf sicher Chain of Flowers aus Großbritannien. Super Post-Punk, 80ies beeinflusst. Klingen ein bisschen wie The Sound, sogar wie Joy Division. Sie spielen mit einer Menge Emotionen und ich fühle mich wie in Manchester in den frühen Achtzigern, wenn ich sie sehe. Sie haben auch das Aussehen und so weiter. Und sind auch Spitzentypen. Ansonsten Fear of Men, die gerade auch mit uns abhängen, weil sie einen Off-Day haben. Diese beiden Bands von hier höre ich momentan am meisten.

 

Und was ist mit Partisan? Habt ihr die vorher schon gekannt?

Nein, der Schlagzeuger hat uns kontaktiert und uns die Sachen geschickt. Er spielt auch bei Oathbreaker. Der Sänger war bei Rise & Fall und so weiter. Ich mochte die Musik direkt, bin ein großer Fan von Post-Punk. Und da sie auch Freunde von Freunden waren, hilft das natürlich immer. Du solltest sie auch auschecken.

 

Ok, werde ich tun. Was sind deine Lieblingsplatten aus diesem Jahr?

Drei, die mir direkt einfallen: Die neue Platte von Fear of Men. Culture Abuse. Ansonsten noch Wrong. Und mein Freund Tony Melina aus Oakland. Sein Album ist noch nicht rausgekommen, aber er hat es mir vor sechs Monaten geschickt. Sein Label Slumberland versucht es dieses Jahr noch zu veröffentlichen. Falls es hinhaut, ist das definitiv mein Favorit.

 

Weißt du, ob Culture Abuse bald mal nach Europa kommt?

Sie arbeiten dran. Sie wollten eigentlich auf dieser Tour mit uns rüberkommen, aber wir konnten es uns nicht leisten, sie dafür zu bezahlen. Es war schon alles gebucht, die Gagen haben nicht ausgereicht und so weiter. Aber wir versuchen es.. ja, sie werden sicherlich bald rüberkommen.

 

Nächstes Jahr wird ja in Amerika ein neuer Präsident gewählt. Was denkst du, wer gewinnt und was dann passiert?

Ich bin ja vorbestraft. Daher halte ich mich da größtenteils raus, denn ich darf nicht wählen. Ich denke, es wird so oder so eine Schande, aber wahrscheinlich eine weniger große, wenn Hillary gewählt wird. Das ist wohl die beste Wahl. Es kann natürlich nicht Trump sein. Jeder weiß, dass es nicht Trump sein kann. Manchmal fühle ich mich, als wäre Donald Trump von jemandem eingesetzt worden, damit Hillary auf jeden Fall gewählt wird. Ich will mit dir nicht über irgendwelche Verschwörungstheorien reden, aber dass er überhaupt so weit gekommen ist, macht mir Sorgen. Ich habe es aber irgendwie auch erwartet. Die Welt geht schon bald auf ein feuriges Ende zu, denke ich. Das war schon immer so. In der Sekunde, in der wir als Menschen auf diesen Planeten kamen, ging eine tickende Uhr zum Ende der Welt los. Ich glaube, wir sind auf dem Weg, bald ein Ende der Menschheit zu erleben. Ich glaube, die Wahl hilft nur, das zu beschleunigen, egal wie es ausgeht.

 

Aber kennst du junge Leute, die Trump wählen?

Ich kenne keine einzigen jungen Menschen, der das tut, außer er will lustig sein. Es gibt wirklich Leute, die denken „Alles ist Bullshit, Trump und Hillary“ und dann einfach aus Spaß wählen. Ich habe von Leuten gehört, die absichtlich Trump wählen in der Hoffnung, ihn dann schnell aus dem Amt werfen zu können und den Republikaner, der unter Trump ist, in die Position zu bekommen. Aber ich bin da nicht sehr versiert, da ich keinen Grund habe, das zu sein. Ich werde in nächster Zeit nichts bei der Wahl mitbestimmen dürfen. Daher stehe ich daneben, schaue mir das an und lache. Und warte auf das Ende.

 

Okay, das ist dann auch das Ende des Interviews. Vielen Dank.

Ja, danke dir auch.