Interview mit Nagel

06.06.2011
 

 

Wer ist Nagel und wie wurde er dazu?
Huh, das ist ja mal direkt eine große Frage. Es gibt einen Song von MUFF POTTER, der heißt “Young Until I Die”, ich glaube da ist ganz gut beschrieben, wie dieses Etwas zu Nagel wurde. Also ein Junge vom Dorf der mal irgendwann Dorfpunker geworden ist und dann war es Nagel und dann ist er es irgendwie geblieben. Der hat zwischendurch auch mal überlegt, ob es nicht mal an der Zeit wäre, wieder Thorsten Nagelschmidt zu werden, hat sich damit aber nicht ganz wohl gefühlt und ist dann doch einfach Nagel geblieben.
Wäre das ein Schritt für dich zurück gewesen?
Es gab tatsächlich die Überlegung bei dem zweiten Buch, ob es nicht besser wäre, wenn es da einen Vor- und einen Nachnamen gäbe. Wäre auch ein bisschen seriöser gewesen. Und dann wurde das auch erst so gemacht, das Cover war fertig und dann war ich in München bei meinem Verlag “Heine” und wurde aus der einen Ecke Nagel genannt und aus der anderen Herr Nagelschmidt und dann gesiezt und geduzt und da hatte ich echt sowas wie eine kleine Identitätskrise in dieser halben Stunde in der ich da saß, so dass ich dachte: “Fuck it! Ich bin mit Nagel immer ganz gut gefahren, dann kann das auch ruhig auf dem Buch stehen.” Es gibt ja auch andere einnamige Künstler. Peaches und Prince und Pelé.
Von der Musik zum Bücher schreiben zur Musik. Bist du ein Multifunktionskünstler?
Nee, das bin ich nicht. Das würde mir zu sehr nach Kleinkunst klingen. Tatsächlich ist es aber so, dass ich immer schon geschrieben habe. Ich habe ja früher auch mal ein Fanzine gemacht und das Schreiben möchte ich gar nicht so trennen von der Musik. Auch als Songtexter ist ja das Schreiben immer sehr wichtig. Und ich bin relativ schnell gelangweilt, glaube ich. Wenn ich lange an einem Ort bin, sowohl geografisch als auch ideell oder mental gesehen, dann werde ich unruhig und dann suche ich nach etwas anderem.
Musikalisch bist du auch ziemlich vielseitig unterwegs. Von Muff Potter zu Blood Robots zum Slimecover mit Mille und Thees zum alternativen Hörbuch von „Was kostet die Welt“. Fällt es dir grundsätzlich schwer die Füße ruhig zu halten oder bist du einfach nur experimentierfreudig?
Man muss das Ganze ja auch für sich selber ein bisschen spannend halten. Man sucht nach neuen Ausdrucksformen. Ich weiß nicht, wie oft ich in meinem Leben schon gedacht habe, dass mir jetzt wirklich gar nichts mehr einfällt oder dass Gitarrenmusik oder Musik generell für mich jetzt einfach durch ist. Ich habe mit meiner Band sieben Platten gemacht und was weiß ich wieviele Texte und Songs geschrieben und irgendwann hat man wirklich das Gefühl: “Okay, jetzt habe ich wirklich alles gesagt.” Aber das habe ich auch schon vor 10 Jahren gedacht. Irgendwann scheint es dann aber doch einen Punkt zu geben, an dem man sich wieder hochzieht. Aber zwischendurch ist auch immer viel Talfahrt, wo man denkt: “Okay, das war es jetzt.”
Reden wir über dein letztes Buch „Was kostet die Welt“: Meise, der Protagonist formuliert seine gemeinen abgeklärten Weltansichten primär innerlich und lässt wenig davon raus. Ist er zu feige die Dinge beim Namen zu nennen?
Er hat auf jeden Fall ein großes Kommunikationsproblem, was ihm am Anfang auch überhaupt nicht bewusst ist, aber irgendwann merkt er ja auch selbst, dass er so nicht weiterkommt, wenn er immer diese Tiraden in sich hineinfrisst, aber nichts davon äußert. Irgendwann- und das ist für mich auch die große Dramatik in dem Buch- merkt er, dass er seinem Vater viel ähnlicher ist, als es ihm lieb ist. Das ist dann der große Zusammenbruch den es dann gibt. Diese Erkenntnis.
Ist Meise ein Sinnbild unserer Gesellschaft, die die Faust lieber in der Tasche ballt, anstatt die Dinge zu benennen und es rauszulassen?
Da müsste ich jetzt erstmal drüber nachdenken, ob der Vergleich passt, oder ob der ein bisschen zu groß gefasst ist.
Wir fressen ja alle tagtäglich ganz viel in uns hinein und lassen es nicht raus.
Aber das ist ja ehrlich gesagt auch ein Vorteil. Ich möchte ja auch nicht in einer Welt leben, in der immer alle ehrlich sagen, was sie denken. Das wäre ja schrecklich. Ein gewisse Höflichkeit, welche man ja auch als Oberflächlichkeit stigmatisieren kann, gehört ja auch irgendwie dazu. Aber Meise ist ja schon so ein Synonym für ein komplizierter gewordene Welt. Er weiß ja ganz genau, was er nicht will, aber er weiß auch nicht, was er will und das kann man denke ich schon so ein bisschen verallgemeinern. Diese schwarz-weiß Zeiten sind einfach vorbei, den Gegner, den Feind zu benennen ist nicht mehr so einfach, wie es mal war als man noch 15 war. Oder vielleicht auch noch irgendwie in den 70´ern war, als dann Punk kam und einfach gegen alles war. Das ist ja heute in dieser Form, in dieser globalisierten Welt, gar nicht mehr möglich, weil man ja ständig auch Teil von allem irgendwie ist. Und das passt natürlich auch schon sehr gut zu Meise.
Bei all den unnetten Dingen hat Meise auch viel sympathische Eigenschaften, aber selbst die hält er zurück. Aber die bringt er ja auch nicht raus, was ja auch irgendwie so ein Widerspruch ist. Warum?
Ich finde nicht, dass er das so zurückhält. Ich finde nicht, dass er so ein total unsympathischer Mensch ist. Es gibt ja schon so seine netten Seiten. Diese Reisen, die er da mit Verena unternommen hat. Da ist er ja auch irgendwie ein herzlicher, aufrichtiger und glücklicher Mensch, ist nicht nur das verbitterte Arschloch. Es sucht ja auch Punkte, um sich zu verbrüdern, wie zum Beispiel mit dem polnischen Erntehelfer, der sich da so rechtsradikale Sprüche gefallen lassen muss und merkt dann aber, okay, der Typ ist genau so ein Arschloch, der ist nur woanders geboren. Meise will ja schon auch irgendwo dazugehören, aber er findet einfach nichts wo er dazugehören kann und das ist dann keine Ideologie, sondern das passiert dann einfach.
Aber er hat ja schon auch ein bisschen Angst vor dem Guten. Haben wir soviel Angst vor dem Guten, weil wir Angst vor dessen Ende oder Wegfall haben?
Also ich tu mich schwer damit, das so zu verallgemeinern, da so eine große Gesellschaftskritik draus stricken zu wollen. Im Prinzip ist es eine Geschichte über einen Menschen. Man kann manche Sachen bestimmt verallgemeinern oder Sachen wiederfinden, aber das muss dann jeder der das liest für sich machen. Ich kann da nur diese Geschichte anbieten und wo man sich dann wiederfindet oder wiedererkennt, das muss dann jeder selbst machen.
„Wo die wilden Maden graben“ schwankte als dein erstes Buch noch ziemlich zwischen dem High Life beim Touren und der lähmenden, depressiven Leere. „Was kostet die Welt“ ist im Gegensatz dazu eine einzige Fahrt druch das dunkle innere Tal eines Menschen. Was ist in der Zwischenzeit passiert?
Also ich sehe da eigentlich eher Parallelen als Unterschiede. Es sind ja beides Bücher über so jemanden der versucht einen ganz schmalen Grat zwischen zwei Extremen zu finden und daran mehr oder weniger scheitert. Aber es gibt ja bei “Was kostet die Welt” auch diese euphorischen Momente, diese Rauschmomente. Drogen, Sex, Musik. Klingt natürlich jetzt ein bisschen dämlich, wenn man das auf Sex, Drugs and Rock´n´Roll vereinfacht, aber im Prinzip ist es ja das. Also die Rauschzustände, die einen wegtragen aus der alles erdrückenden Normalität und der Tristesse des Alltags und darum geht es ja im Prinzip in beiden Büchern gleichermaßen. Das war von mir nicht beabsichtigt, aber ich merke schon, dass ich auf dieses Thema immer wieder zurückkomme, natürlich auch schon in vielen Muff Potter-Texten. Das scheint einfach irgendwie ein Thema zu sein, an dem ich mich immer wieder abarbeite ohne es mir vorzunehmen.
Ist dieser normale Alltag mit Früh aufstehen, arbeiten gehen und Familie so ein Sinnbild für “Das ist nicht schön” oder nicht erstrebenswert?
Also für mich ist es nicht erstrebenswert, aber ich möchte da auch kein allgemeines Urteil geben. Ich finde es viel wichtiger als Erkenntnis da raus zu ziehen, dass Menschen unterschiedlich sind und dass ich das Gefühl habe, dass gerade in den letzten Jahren oder sogar zwei bis drei Jahrzehnten wieder mehr und mehr so normatives Leben gepredigt wird. Nach diesem Aufbruch, sich in den 60´ern und 70´ern gewisser bürgerlicher Fesseln zu entledigen, habe ich das Gefühl dass die Grundstimmung wieder sehr konservativ, sehr reaktionär ist und dass quasi verlangt wird, dass alle sich anpassen, gleich leben. Es ist von dieser deutschen Leitkultur die Rede und wer hier leben will, muss sich gefälligst anpassen. Das wird ja schon rein bis in so liberale Kreise als gegeben hingenommen und das muss man natürlich auch hinterfragen. Menschen sind einfach unterschiedlich und wollen utnerschiedliche leben. Ich finde nicht, dass alle so leben müssen wie ich oder alle so leben müssen wie Meise, aber jeder hat das Recht dazu.
Hast du noch etwas Abschließendes loszuwerden?
Nö, eigentlich nicht.
Danke!