Interview mit War From A Harlots Mouth

24.03.2012
 

 

Gitarrist Simon hat sich ausführlichst mit mir unterhalten und ohne große Begrüßungs-/Wie-geht-es-euch-Floskeln steigen wir direkt ins Gespräch ein.


Bevor ich ein Interview mache, überprüfe ich immer gerne Wikipedia-Artikel der Bands oder Musiker auf ihre Richtigkeit.

Aha, also ich weiß, dass in unserem ne Menge Schrott steht. Ich glaub es war der amerikanische Eintrag. Da stand irgendwas drin von jemandem der ein Feature bei uns gemacht hätte, dann irgendwas von einer amerikanischen Band von der wir noch nie was gehört haben, oder einer der angeblich Sänger bei uns gewesen sei!? Großer Schrott auf jeden Fall.

Im deutschen Artikel steht, dass ihr euch 2005 als Spaßprojekt gegründet habt. Stimmt das so?

Nein, es war ein Nebenprojekt. Ich habe die Band gegründet weil ich mich musikalisch in meinen vorherigen Bands nicht wirklich austoben konnte. Das Motiv war also dort auszuleben was ich in meinen anderen Bands nicht konnte. Auch wenn dieses Nebenprojekt dann sehr viel Spaß gemacht hat, war es eben Neben- und nicht Spaßprojekt.

Wie wird man dann vom Spaßprojekt zur ernsthaften und gesignten Band?

Purer Zufall würde ich sagen. Ich denke mal wir hatten damals das Glück mit etwas „neuem“ um die Ecke zu kommen. Als die Metalcore-Welle gerade so ein bisschen am Abklingen war und die Leute einfach Bock auf was Extremeres und Anderes hatten, statt immer nur Kopien von Originalen zu hören.
Hier in Deutschland haben die Leute erstmal nicht so sehr reagiert. Erst als wir unsere Split mit Molotov [Solution, Anm.d.R.] rausgebracht haben, schwappte das dann aus den USA auch nach Deutschland. Der Anspruch dabei war eigentlich nur, dass wir was aufgenommen haben und schauen wollten ob es irgendjemand rausbringt. Wir hatten sogar nur an so’n Vinylrelease gedacht, (wir haben ja auch ein paar Songs auf Tape rausgebracht, bevor die Split kam), weil es alles mehr auf einem Undergroundlevel stattfand.
Und ja mit “Lifeforce [Records”, Anm.d.R.] war das dann einfach so: Ich hab die nur so lax auf MySpace angeschrieben und gemeint „Ja hier, könnt ja mal reinhören und wenn ihr’s geil findet kann ich ja vielleicht mal ne CD rüber schicken“. Und dann fanden die das auf einmal gut und zack war es ein Plattendeal. Also es war ein kreatives Projekt und keine Band von der man sich damals irgendwas hätte erhoffen können.

Habt ihr jemals einen Popsong geschrieben?

Nicht bewusst…Also auf der Split war ja dieses „Uptown Girl“ Lied drauf. Also eigentlich ist der Song auch nicht wahnsinnig eingängig, es gibt ja kein Strophen-Refrain-Schema. Er hat schon eine gewisse Eingängigkeit, aber das war ein reines Zufallsprodukt, denn so gehen wir nicht an unsere Songs ran.

Könntet ihr so etwas überhaupt?

Bestimmt. Es ist ja nicht nur so, dass wir alle nur Krach hören. Was so etwas „poppigere“ Gitarrenmusik angeht finde ich die DEFTONES z.B. ganz groß, die waren auch ein riesen Einfluss. Also man kann es sich theoretisch schon vorstellen, aber geplant ist es nicht.
Aber auf der neuen Platte (wir schreiben ja gerade an einer neuen Scheibe) ist tatsächlich ein Song drauf, der mal ein sehr melodisches Solo auf einem melodischen Riff hat. Das hat sich zufällig ergeben beim Songwriting, aber trotzdem ist so etwas natürlich sehr spontan.

Warum macht man dann so abgefahrene Musik wie ihr sie macht, wenn man selbst doch auch viele andere und unterschiedliche Musik hört?

Also für mich ist es ganz ehrlich das bestmögliche Ventil meine kreative und emotionale Ebene musikalisch auszudrücken. Mir fällt es auf jeden Fall am einfachsten auf diese Art und Weise. Es geht uns ja nicht darum irgendjemand glücklich zu machen außer uns selbst, oder Popsongs zu schreiben, damit es mehr Leute gut finden. Im Endeffekt ist es ja eine recht egoistische Kiste und solange wir das Glück haben, dass es Leuten gefällt, ist das verdammt cool. Wenn das nicht so ist haben wir eben Pech. Das Risiko geht man schon immer ein aber für mich persönlich ist es die Ebene, auf der ich mich am ehesten verwirklichen kann, so dass es auch erfüllend für mich ist.
Wir sind uns da alle ziemlich einig, auch wenn wir eine riesen Bandbreite an Musik hören. Ich höre z.B. auch mal US-HipHop aus den 90er Jahren und vieles andere. Und Filip hat schon CDs angeschleppt, die zum Haare raufen waren. Aber im Endeffekt ist es einfach eine riesen Palette die wir alle hören und trotzdem ist das die kreative Schnittmenge die wir alle teilen.


Hat die Musik auf der Bühne (oder auch im normalen Leben) für dich/euch eine bestimmte Funktion?

Wie meinst du das genau?

Also ich habe mir vor einigen Wochen mit einem Singer-/Songwriter unterhalten und der meinte, dass er auf der Bühne eigentlich gar nicht er selbst sei, sondern die Musik so eine Art Pseudonym oder Maske für ihn ist. Er kann sich dahinter also ganz gut verstecken, aber eben auch offenbaren.

Verstehe….Ja ne, eigentlich ist das bei mir oder uns nicht so. Vielleicht ist es sogar umgekehrt. Die Sachen, die man im Alltag eher unterdrücken muss um sich so gut es geht in die Gesellschaft einzugliedern, die kann man da natürlich einfach fallen lassen. Also eigentlich kann man eher die Maske fallen lassen und das rauslassen was einem im Alltag im Weg steht oder sogar richtig ankotzt. Da lässt sich die Musik einfach gut als Ventil benutzen und es ist wirklich eher so, dass man sich da weit öffnet als dahinter versteckt.

Aber es besteht doch immer noch so eine gewisse Diskrepanz zwischen den netten Typen, die ihr (zumindest nach außen hin) seid und der Musik, bei der die meisten Menschen denken ihr schlachtet zu Hause kleine Kinder ab.

Naja gut, es hat alles so seine Kehrseiten. Ich persönlich kann von mir z.B. sagen, dass ich echt kein Menschenfreund bin. Ich verbringe meine Freizeit entweder zu Hause und alleine oder mit wenigen guten Freunden, oder ich mache ein bisschen Sport. Aber ich gehe nie in irgendwelche Clubs, da krieg ich sofort einen dicken Hals und schlechte Laune. Also ich denke nicht, dass ich was Besseres wäre, aber ich persönlich habe einfach Schwierigkeiten mich in meine Generation und die üblichen gesellschaftlichen Strukturen einzufügen.
Und das kann ich wiederum gut in der Musik ausdrücken und spiegelt sich ja auch in den Texten wieder. Es geht ja in unseren Texten größtenteils um solche Dinge. Auf dem letzten Album basierten die Texte alle auf fiktiven Charakteren, die sich aus irgendeinem Grund auch nicht in die Gesellschaft eingliedern können. Manche weil sie einfach keinen Bock drauf haben (das würde dann z.B. mich betreffen), oder andere die gewisse Krankheiten haben, die es unmöglich machen sich ins Alltagsleben einzufügen. Das findet sich also alles in der Musik und in den Texten wieder. Ein gutes Beispiel ist da der Opener „Insomnia“ unseres letzten Albums. Ich habe teilweise Schlafstörungen und den Anfang dieses Songs machen zwei völlig gegeneinander laufende Takte. Das trifft einfach ganz gut wie sich das anfühlt. Das Müde-Sein sein, aber nicht schlafen können, weil es irgendwo klemmt im Zahnrad. Und wir versuchen dann solche Sachen auch mit den Texten und der Musik zu verbinden, es ist also schon immer noch was Wahres dran.
Man braucht ja nur den Fernseher anschalten und wenn ich sowas wie Frauentausch sehe, denke ich nur ans Panzerfahren. Von solchen TV-Formaten lassen sich dann auch Rückschlüsse auf unsere Gesellschaft ziehen, aber sowas lässt sich durch so eine Musik relativ gut kreativ kanalisieren. Deswegen schlachte ich vielleicht keine Kinder ab, sondern kann diesen Frust und die Diskrepanzen zwischen mir und der Gesellschaft darüber gut ausleben.

Seid ihr eigentlich gute Jazzmusiker?

Nicht zwangsläufig, nein. Also dieser Einfluss spielt natürlich eine Rolle bei uns, aber es ist nicht so, dass wir jetzt alle studierte (Jazz-)Musiker wären. Es ist einfach ein Einfluss und unsere Interpretation dessen fließt hier und da in unsere Musik ein. Unser Drummer Paule nimmt Unterricht und lernt da auch viel Metal-Fernes mit Jazz-Grooves und Fusion-Zeugs usw. und ich sehe da viele Parallelen zwischen Free Jazz und dem was wir im Metal machen. Es ist ähnlich chaotisch, ähnlich anstrengend, aber wir sind nicht zwangsläufig gute Jazz Musiker.

Aber gerade „genrefremde“ Dinge, die man z.B. im Musikunterricht lernt, sind immer interessant und auch notwendig um die eigene Musik interessant zu halten, oder nicht?

Ja richtig, sich eine gewisse Basis über Unterricht anzueignen ist nie verkehrt. Ich bin größtenteils Autodidakt und kann deswegen vieles auch leider gar nicht spielen, weil ich immer das gelernt habe was ich gerade spielen wollte. Ich habe meistens irgendwas gehört und versucht es mir selbst zu erarbeiten wie diese Sachen Funktionieren. Das ist immer so ein „Learning by Doing“-Prozess, aber grundsätzlich ist da nichts Verkehrtes dran, wenn man Unterricht nimmt und seinen Horizont öffnet für viele verschiedene Sachen, sag ich mal. Deswegen ist es mit Sicherheit auch nicht schlecht wenn man einen breit gefächerten Musikgeschmack hat, weil man aus jeder Musik was lernen kann. Außer vielleicht Euro Dance oder sowas. Daraus kann man nix lernen.

Vielleicht wie man es nicht machen sollte.

Richtig, auch wenn das viele moderne Bands leider nicht beherzigen.

Geht es für dich in der Musik um einen Moment oder um das große Ganze?

Schon um ein großes Ganzes auf jeden Fall. Es gibt jetzt keinen Songmoment auf den ich hinfiebere in unseren Songs, sondern es ist schon immer wichtig, dass das ganze musikalische Produkt rund ist und einen auch von vorne bis hinten erfüllt. Sonst macht es keinen richtigen Spaß. Wenn man in einer Band ist in der man nur einzelne Sachen gut findet und die anderen Sachen nicht, dann bringt das nichts. Texte, Musik und auch das gegenseitige Verständnis innerhalb der Band ist wichtig, dass man auf einer Wellenlänge ist, die dafür sorgt, dass man das was man da tut auch wirklich mit der entsprechenden Integrität tun kann. Das muss einen verbinden, ist also schon ein großes Gesamtding.

Ganz ehrlich, ich habe eher den Moment im Kopf wenn ich eure Musik höre. Aber das hat sich auch mit den Jahren etwas verändert, da euer Songwriting sich auch entwickelt hat. Angefangen bei der Molotov-Split bis zur „MMX“ wurde das irgendwie immer ein Stück eingängiger.

Ja schön, dass es dir auffällt, den meisten fällt es nicht auf. Aber es ist tatsächlich so. Als wir z.B. „Transmetropolitan“ geschrieben haben waren wir erst sehr kurz eine Band und hatten eigentlich keine Erfahrung darin, wie man wirklich ein Album zusammenschreibt. Wir waren irgendwie jung und unverbraucht, haben einfach drauf los gemacht und dementsprechend ist unser erstes Album rückblickend eigentlich nur eine Ansammlung von Parts. Aus irgendeinem Grund hat sich das trotzdem irgendwie zusammengesetzt, sodass es irgendwie ausgegangen ist. Irgendwann kam aber auch bei uns dieser Punkt wo wir gesagt haben, es muss nicht immer alles betont chaotisch sein und man kann auch mal einen Part vier Mal anstatt nur drei Mal spielen und es klingt trotzdem ungerade. Also diese Zwänge legt man schon ab und legt es sich jetzt nicht mehr so auf, immer wieder chaotisch sein zu müssen. Mir ist es z.B. viel wichtiger, dass die Stimmung in der Musik transportiert wird. Das ist erst so richtig auf der letzten Platte geglückt, dass da aufgrund der Melodien eine Atmosphäre kreiert worden ist, die ja erst für das gewisse Gefühl sorgt. Bei den Sachen davor („In Schoals“) haben wir es schon versucht, aber die ist ja auch noch ein großes Experiment gewesen. Auf der „Transmetropolitan“ ist ja von Stimmung noch gar nicht die Rede. Es ist einfach eine Platte die voran geht und hackt, ist auch ok, aber mir ist es mittlerweile wichtiger eine Stimmung zu kreieren.

Seit der Split mit MOLOTOV SOLUTION hat sich in meinen Augen zwar einiges entwickelt, verändert hat sich aber kaum etwas. Ich musste da an Lemmy von MOTÖRHEAD denken, der in seinem Leben schon unzählig viele verschiedene Sachen gemacht hat, aber eben immer noch einfach nur Lemmy ist. Und ich finde vom Ausdruck her habt ihr euch nicht verändert, aber ihr habt euch musikalisch trotzdem weiterentwickelt.

Ja, das finde ich auch wichtig. Im Endeffekt geht es ja auch darum als Band eine gewisse Identität und auch Integrität in das eigene Schaffen zu haben. Klar hätte man sich nach jedem scheiss neuen Trend den Hals verrenken können. Wir könnten uns jetzt auch wie so eine verfickte Boyband auf die Bühne stellen, mit eingeschnittenen Hosen und V-Ausschnitt-Shirts, und sich dann mit diesen „Einkack-Choreos behelfen können. Aber a) hat darauf niemand von uns Bock, für den Scheiss sind wir denk ich auch zu alt und b) wer würde uns das abkaufen!? Also ich finde es wichtig, dass man eine gewisse Integrität in die eigene Musik hat und nicht immer das macht was gerade gefragt ist. Das war noch nie unser Ding und hat bei uns nur zufällig eine Zeit lang funktioniert. Ganz am Anfang haben wir eben ganz offensichtlich einen Nerv getroffen, aber nur weil der Nerv jetzt vielleicht nicht mehr ganz aktuell ist verändern wir deswegen nicht unsere Grundhaltung.
Unsere Herangehensweise an Musik hat sich nicht grundsätzlich verändert, sondern es sind eher Details die sich verändert haben. Jede Platte hat sich schon frappierend anders angehört, aber eigentlich sind die Werkzeuge doch immer die gleichen. Daran wird sich denk ich auch nicht wirklich was ändern, denn im Endeffekt sind wir glücklich mit dem was wir da tun. Es stimmt uns zufrieden und alles andere sind Nebeneffekte, auf die wir keinen Einfluss haben.

Wenn wir schon bei den Werkzeugen sind: für mich hat sich unter anderem euer Gitarrensound auf „MMX“ ein wenig verändert. Und obwohl ihr ja eigentlich wirklich nicht “trendig“ seid, zeigt sich da in meinen Augen trotzdem ein gewisser Trend ab. Ich entdecke das im Moment bei ganz vielen Bands, dass sich gerade der Gitarrensound oft nach MESHUGGAH anhört. Nur als Beispiel auf der neuen ATTACK ATTACK! oder auch bei WE CAME AS ROMANS kann man das hören. Ist das gerade so eine Art Trend, dass dieser Sound so erstrebenswert ist und MESHUGGAH zufällig die erste [bekanntere] Band damit war?

Also witzig, dass du das ansprichst. Abgesehen von der „In Schoals“, wo wir einmal ein Experiment gemacht haben und mit einem anderen Verstärker aufgenommen haben, spiele ich seit 2004 den gleichen Gitarrensound. Es ist natürlich immer so eine Abmisch-Frage und was bei der „MMX“ natürlich dazu beigetragen hat ist, dass wir für ein paar Songs 8-Saiter benutzt haben.

Stimmt, daran könnte es auch liegen.

Also gerade die tiefen Sachen haben so ein tiefes Tuning, dass du nur noch Singlenotes spielen kannst und Akkorde sich nur noch matschig anhören. Grundsätzlich find ich MESHUGGAH auch cool, aber den ganzen jungen Bands, die das jetzt nachmachen, allerdings in “lieb“ irgendwie, kann ich nichts abgewinnen.
Aber klar da gibt es natürlich Parallelen und ich weiß auf jeden Fall was du meinst. MESHUGGAH gehört z.B. auch auf jeden Fall zu Pauls [Drums] Einflüssen. Und in meinem ersten Gitarrenkatalog hab ich gesehen, dass die 7-Saiter spielen und dachte: „Hey cool, die höre ich mir mal an!“ Dann habe ich mir die „Chaosphere“ mit 15 Jahren als Blindkauf im Saturn gekauft und dachte: „Oh krass. Geil!“
Also klar, es ist ne geile Band. Ich find aber auch nicht alles geil was die machen. Die waren natürlich schon immer irgendwie ne dicke Band und immer so ein Geheimtipp, aber in den letzten Jahren sind die so „everybody’s darling“ geworden. Also ich kenn kaum noch jemanden, der die Band nicht abfeiert. Früher wenn du mit irgendwem über MESHUGGAH gesprochen hast: kam nur „ääh ja, keine Ahnung“ und mittlerweile kennt jeder die Band und findet sie gut. Das ist ja auch in Ordnung. Der Band gönne ich ja auch die Aufmerksamkeit, weil die auch schon immer eine Band waren, die vorwärts gedacht haben und immer ihr eigenes Ding durchgezogen haben, auch als es eben nicht populär war was sie da gemacht haben. Jetzt haben sie das Glück, dass es eine gewisse Popularität erreicht hat und können quasi die Früchte ernten, dafür dass sie sich so lange treu geblieben sind in ihrer Art Musik zu machen. Und so sollte es laufen, sag ich mal.

Was glaubst du warum es so wenige deutsche Bands im Metalbereich gibt, die auch im Ausland erfolgreich sind?

Ich glaube es liegt größtenteils daran, dass deutsche Bands versuchen wie ihre amerikanischen Vorbilder zu klingen und es aber nicht packen. Es fehlt dann vielleicht die Authentizität, ich kann es nicht so genau sagen. Hier in Deutschland habe ich auch immer das Gefühl, dass alles sehr trendanfällig ist. Die Bands machen halt das was gerade cool ist. Du hast vorhin ATTACK ATTACK! und solche Bands genannt, die sind jetzt im Moment alle groß und schon sehen alle deutschen Bands mit denen wir spielen genau aus wie die. Sie Bewegen sich genauso wie die auf der Bühne, packen auf einmal Keyboards aus und trallala und irgendwie denk ich mir halt so: „Ey Jungs, bleibt doch mal cool. Macht euch doch mal ’nen Kopf, denkt mal drüber nach und verwirklicht das was ihr vielleicht ausdrücken wollt.“ Ich denke das trägt da schon dazu bei.
Wenn es dann mal eine talentierte Band gibt, bekommt sie keine Aufmerksamkeit, weil die Leute mittlerweile vielmehr auf das Entertainment in der Musik Wert legen. Für mich ein Beispiel einer krass talentierten deutschen Band sind DIORAMIC. Die haben auf LIFEFORCE ein Album rausgebracht, ich würde es beschreiben als eine Mischung aus PROTEST THE HERO und MUSE. Und es sind mega talentierte Typen, ein riesengeiles Album. Die konnten einfach alles und es interessiert einfach keinen Menschen weil es gute Musik ist und kein Entertainment. Sowas bedingt sich dann auch immer ein bisschen, wenn viele junge Bands sehen was die Kids abfeiern und dann einfach nur ein Teil dessen sein wollen. Es ist also nicht unbedingt das Bedürfnis ein „kreativer Musiker“ zu sein sondern Teil von irgendetwas zu sein, dazuzugehören. Irgendeinen Grund muss es ja dafür geben, dass deutsche Bands selten über deutsche Grenzen hinauskommen. Das ist gerade auch nur ein Erklärungsversuch, denn wirklich sagen kann ich es natürlich auch nicht.

Ich habe im Moment das Gefühl, dass sich unfassbar viele Bands auflösen weil sie „keine Kreativität mehr spüren“ oder irgendwie so etwas in der Art. Angefangen bei THRICE über ALEXISONFIRE und noch einige andere. Gibt es solche Punkte oder Momente auch bei euch oder kannst du solche Sprüche nicht nachvollziehen?

Ganz egoistisch betrachtet ist es für uns schon so, dass wir erfüllt sind mit dem was wir tun. Frustrierender finde ich da schon wie sich die Szene entwickelt. Wenn der nächste Schritt der Szene ist, dass so neue Bands in Dinosaurierkostüm auf die Bühne gehen und über Titten und Fotzen singen, die gleichen Kids, die sich vor Jahren noch halbwegs anspruchvolle Texte bei irgendwelchen Metalcore Bands angehört haben, jetzt bei sowas dabei sind, dann fragt man sich schon manchmal was man hier eigentlich macht. Das sind dann die gleichen Bands mit denen man um Tourslots, Festivalslots und Labeldeals buhlt. Man fühlt sich da überhaupt nicht mehr zugehörig, obwohl das eine Zeit lang der Fall war. Die Metalcoreszene hat sich mittlerweile in eine Richtung entwickelt, die der „Hair Metal“-Bewegung so ein bisschen gleicht. Wo alles nur noch um Party, Saufen und Weiber aufreißen geht, der ganze subkulturelle Anspruch dahinter völlig verloren gegangen ist und dementsprechend die Szenestrukturen eigentlich im Arsch sind. Ich finde es frustrierend sich die Rahmenbedingungen anzusehen, aber man wird ja zwangsläufig damit konfrontiert.
Wir für uns machen in erster Linie eine ziemlich egoistische Sache. Ich fände es auch verkehrt zu sagen „Wir machen das nur für unsere Fans“, denn dafür machen wir es nun mal nicht. Wir machen es weil wir Musik machen wollen und wir sind froh über jeden dem es gefällt und es zu schätzen weiß. Darüber freuen wir uns. Aber im Endeffekt machen wir das für uns und ich denke nur dann kann man als Musiker zufrieden sein, wenn man seine eigenen Wünsche erfüllt und nicht die von irgendjemand anderem. Wenn man immer die Wünsche der Leute erfüllen würde, müsste man sich alle neun bis sechzehn Monate um 180° drehen und eine neue Scheisse machen, nur damit man den Leuten gefällt und das steht für uns einfach nicht zur Debatte. Solange wir unser Ding durchziehen sind wir schon auch zufrieden.
Aber es ist ne schwierige Zeit, gerade für Musik die nicht nur auf Entertainment abzielt und da kann ich mir auch erklären warum sich Bands auflösen, die eben nicht diesen Strukturen folgen wollen. Die sind kreativ aber merken irgendwann „Moment mal, wir geben uns echt verdammt viel Mühe mit unserer Mucke, da geht eine Menge künstlerische Kreativität rein. Aber im Endeffekt scheissen die Leute drauf, weil sie im Moment nur Halligalli-Kacke wollen.“ Ich kann mir gut vorstellen, dass sich Bands auflösen weil sie merken fuck, das macht keinen Bock mehr so. Man arbeitet und investiert so viel in die Musik und im Endeffekt interessiert es keinen. THRICE ist ja auch eine Band die immer sehr experimentierfreudig war und wer weiß ob das ihrem Erfolg gut getan hat. Ich persönlich fand es echt interessant was sie musikalische gemacht haben, im Gegensatz zu ihren früheren Sachen. „The Artist In The Ambulance“ gibt mir musikalisch z.B. gar nichts, aber „The Alchemiy Index (Vol. I-IV)“ fand ich super, auch die Platte davor („Vheissu“) fand ich super. Ob das deren Erfolg gut getan hat weiß ich nicht, aber es wäre verdient gewesen. Ich kann mir gut vorstellen, wenn man für eine musikalisch und inhaltlich richtig krasse Platte keinerlei Anerkennung bekommt, dass man so frustriert ist das es einem irgendwann reicht. Man lebt sowieso nicht gut davon und dann interessiert es die Leute nicht mal richtig was da eigentlich passiert.
Das ist so meine Vorstellung davon. Wir sind aber wie gesagt nicht an diesem Punkt weil es einfach eine egoistische Sache ist.

Was macht ihr wenn ihr in Rente geht?

Naja, Rentner sein. Alt sein. Was macht man schon wenn man in Rente ist, nix. Man ist körperlich zu gebrechlich um das Leben zu genießen. Deswegen genießen wir unser Leben jetzt, versuchen auf Tour zu gehen und die Welt zu sehen solange wir jung sind und körperlich und geistig noch fit genug um das alles wahrzunehmen. Andere Leute arbeiten halt ihr Leben lang hart, sind dann irgendwann Rentner und stellen dann fest, dass sie eigentlich nie gelebt haben und jetzt zu gebrechlich sind um es noch auszukosten. Der Weg den wir gehen ist natürlich nicht der sicherste für unsere Zukunft, aber wenigstens fühl ich mich so als wenn ich die Zeit die ich habe zumindest ausnutze. Wir sind teilweise auch bis Mitte 30, sind also auch nicht mehr die jüngsten, und jeder von uns könnte was viel seriöseres machen und wäre damit besser bedient. Aber ich denk mal uns verbindet, dass wir uns hier ausleben und wirklich die Welt sehen können. Man muss eben immer seine Prioritäten setzen und ich hab sie eben hier gesetzt.

Also euer Weg ist vielleicht der gefährlichere, aber bestimmt auch spannender als manch anderer. Danke dir für das Gespräch Simon!