Interview mit Boysetsfire

06.09.2013
 

 

Robert kam 2003 zu BOYSETSFIRE, nachdem Bassist Rob Avery ausgestiegen war. Als seine eigene Band deren Support spielte, lernte man sich kennen. Zwischenzeitlich zog Robert nach Berlin und ergatterte einen guten Job bei Sony, den er aber bald schmiss, um sich der Musik zu widmen und als Roadie bei BOYSETSFIRE einzusteigen. Nachdem Rob die Band verlassen hatte, sprang Robert spontan als Ersatz ein, zog sich zwischenzeitlich zurück und stieg dann mit einem alternativen Arbeitsmodell wieder ein. Doch das kann er am besten selbst erzählen:

Wer sind BOYSETSFIRE?

Robert(BSF): 6 Freunde, die Ihrer gemeinsamen Leidenschaft für Musik und Reisen nachgehen ohne viel Einflüsse von äusseren Kräften und mit viel Herz und der obligatorischen Portion Chaos, die uns überallhin begleitet.

Ihr hattet mit BOYSETSFIRE nach einer sehr turbulenten Zeit eine kleine Pause, dann die Reunion, einige Konzerte und dann nach sieben Jahren Albumpause eine neue Platte. Was bedeutet euch das?

Robert (BSF): Im Nachinein betrachtet, hätten wir uns nicht Auflösen sollen, sondern lediglich eine Pause machen können. Wir haben dann nach einigen Jahren gemerkt, wie sehr wir das gemeinsame Musik machen und Touren vermissen...Nach den sehr schönen und erfolgreichen Reunion-Konzerten war uns aber schon wichtig, nicht zu einem "Katalog-Act" zu verkommen...BSF wird und soll immer auch durch neue Songs getragen werden und aus diesem Verständnis heraus ist dann die neue Platte entstanden. Die neue Platte bedeutet uns in diesem Sinne natürlich unglaublich viel...Aufgenommen in unserem eigenen Label, durch uns selbst ohne Produzent, etc. und dann Release auf unserem eigenen Label...Insofern ist es wirklich fast schon mehr als nur "zurück zu den Wurzeln", denn so selbstbestimmt und frei konnten wir noch nie arbeiten bisher.

Woher kommen die Einspieler aus Reden auf "While A Nation Sleeps"?

Robert (BSF): Aus dem Charlie Chaplin Film "The Great Dictator" und es ist doch Wahnsinn, wie aktuell und zeitgemäß diese Einspieler nach 70 Jahren immer noch klingen.

Ihr habt auch schon auf früheren Alben mit solchen Einspielern gearbeitet. Was bedeuten euch die Worte anderer Menschen, neben euren auf einem Album und was wollt ihr im Speziellen damit bezwecken?

Robert (BSF): Ich denke das Samples oder Einspieler einer Platte einen sehr schönen Rahmen geben können...Besonders im vorliegenden Fall finde ich, dass die Samples den unterschiedlichen Songs, die nunmal jede BSF-Platte beherbergt, einen roten Faden geben und alles "zusammenhalten"...Sozusagen ein Gesamtwerk daraus machen, was hier meiner Meinung nach sehr gut gelungen ist. Das Bild hat damit sozusagen einen Rahmen.

Was haben die Symbole im Booklet von "While A Nations Sleeps" zu bedeuten?

Robert (BSF): Wir wollten absichtlich den Fokus weg von uns als Personen hin zur Musik und zur Einheit BSF lenken...Daher ist das Artwork etwas "mysteriöser" und beinhaltet keine typischen Bandfotos etc., was ich toll finde. Die Symbole selbst haben eine gewisse "Freimaurer"-Ethik und die genaue Bedeutung möchte ich hier nicht preisgeben...Hier ist jeder eingeladen selber nachzugrübeln, was es damit auf sich haben könnte ;-)

Die Texte schwanken sehr zwischen Emotionen und der Kritik an offensichtlichen Misständen in der Gesellschaft. Würdest du euch eher als emotionale oder sozialkritische Band einordnen? Oder kann man das überhaupt trennen?

Robert (BSF): Ich denke nicht dass man das in unserem Fall trennen kann, denn Beides war für BSF schon immer gleichermassen präsent.

Ihr sprecht viele Dinge an, die euch im gesellschaftlichen Miteinander stören und sauer aufstoßen. Was davon versucht ihr in eurem Leben jenseits der Band zu umzusetzen, damit sich die Dinge ändern? Bzw. macht ihr überhaupt etwas in diese Richtung?

Robert (BSF): Dies ist eine sehr wichtige Frage und wiederum lässt sich hier das Bandleben nicht von unserem Leben ausserhalb der Band trennen. Es ist uns in der Tat unglaublich wichtig, in allen Belangen als Familie zu agieren und die Band auch als solche zu sehen (denn wir sind vielmehr eine Familie als eine "professionelle Einheit", wie manche anderen Bands, die sich wirklich nur zum Musikmachen treffen)...Insofern glaube ich schon, dass es neben den Texten auch eine Verpflichtung gibt unseren Mikrokosmos soweit es möglich ist, auch positiv zu strukturieren...Hier gibt es viele Ansätze...Wir arbeiten eigentlich nur mit engen Freunden, es gibt keine Hierarchien auf Tour, d.h. kein Roadie ist weniger wichtig als ein Bandmitglied, etc..
Wir nutzen nur Merchandise, der unter kontrollierten Umständen produziert wurde, also "Sweatshop-free", etc.
Wir tun wirklich alles, um der Wandel zu sein, den wir auch gerne im grösseren Ganzen sehen würden...Wir sind alles andere als perfekt, aber wir haben das durchaus immer im Hinterkopf und geben unser Bestes.

Ihr seid eine Band der Gegensätze, sowohl musikalisch als auch im Bezug auf euer Auftreten. Zum einen spielt ihr beispielsweise Shows zur Rettung eines Jugendzentrums oder in Gedenken an einen verstorbenen Musikerkollegen, dann aber wieder für einen namhaften Schuhhersteller, dessen Produktionspraxis mehr als fragwürdig erscheint. Wie könnt ihr solcherlei Gegensätze verkraften und auch gegenüber kritischen "Fans" vertreten?

Robert (BSF): Wie bereits gesagt, denke ich nicht, dass man es immer allen Recht machen kann...Das ist ein Fakt. Ich z.B. bin Veganer, aber es gibt natürlich immer die eine Person, die dennoch etwas findet, was sie kritisieren kann, hahaha...So ist es nunmal und für mich stellt das keinerlei Problem dar. Denn ich selber umgebe mich eher mit Menschen, die sich in ihren positiven Bestrebungen unterstützen, anstatt immer mit Fingerzeigen und Kritik alle anderen niederzumachen, um sich für einen kurzen traurigen Moment lang besser als andere zu fühlen. Was den Converse-Auftritt betrifft, so hat uns die Firma die Möglichkeit gegeben ein kostenloses Konzert für unsere Fans zu spielen, worüber sich die Leute unglaublich gefreut haben...Im Übrigen trage ich gerade jetzt Chucks und somit ist es durchaus ein Produkt, welches ich persönlich auch kaufe/nutze...Das ich aber nicht hinter jeder Praxis dieses Unternehmens stehen kann und hier nicht umfassend alle Details kenne ist auch klar...Wir versuchen einfach einen Kompromiss hinzubekommen, der vertretbar ist...Festivals sind ja auch gesponsort, genau wie viele andere Shows...Wir hätten gar keine Lust mehr nur noch in besetzten Jugendhäusern zu spielen, auch weil uns dann nicht alle Leute sehen könnten, die uns sehen wollen...Insofern versuchen wir eine gute Balance zu erschaffen, die dann Benefiz-Konzerte genauso beinhaltet wie Konzerte wo eine Firma unsere Umkosten zahlt und wir z.B. (wie im Falle von Converse) umsonst für unsere Fans spielen können. Wer es besser machen kann/will, kann ja jederzeit seine eigene Band gründen und es dann anders machen.




In dem Video zu "Closure" sieht man Liveszenen von einem Auftritt, welches ihr Zugunsten eines bayerischen Jugendzentrums gespielt habt. Was bedeuten diese DIY- Strukturen für eine Band eurer Größenordnung?

Robert (BSF): Es bedeutet uns wie schon gesagt ALLES, die komplette Kontrolle über unseres Universums zu haben...Alles was du siehst und hörst sind zu 100% wir. Das ist uns unglaublich wichtig in einer Zeit wo so viel Musik lediglich ein Plastikprodukt ist...das ist ok, aber das sind halt wir nicht wir.

Bei allschools.de wurden kürzlich Nathans antireligiöse Äußerungen diskutiert. Auf dem Album finden sich ebenfalls viele Hinweise darauf, dass er an den schlechten Erfahrungen, die er mit religiös- autoritären Strömungen in den USA gemacht hat, immer noch sehr zu knabbern hat. Du selbst bist zwar in Bayern groß geworden, aber hast du diese Erfahrungen auch gemacht?

Robert (BSF): Das ist ein sehr interessantes Thema, weil einige Bandmitglieder durchaus sehr religiös sind...Ich zum Beispiel glaube an Gott und meditiere täglich, lese in der Bhagavad-Gita, etc...Aber worin wir uns alle einige sind ist, dass Religion oder eben Atheismus eine persönliche Sache sein müssen und aus Schulen etc. rausgehalten werden sollten...Genauso misstrauen wir alle gleichermaßen organisierter Religion. Der Missbrauch von spirituellen Inhalten für Macht, Geld oder Sex ist verabscheunungswürdig und dagegen singen wir. Dass manche unserer Mitglieder nicht an Gott glauben, wie z.B. Nathan, ist in diesem Zuge nicht nur ok, sondern ich unterstütze jegliche Person, die sich ihre eigenen Gedanken macht...Nathan ist einer meiner besten Freunde und wird dies auch immer bleiben, dass er an andere Dinge glaubt oder nicht glaubt ist völlig normal und wir sehen unsere Band einfach als "Unit in Diversity"...

Wie ist dein Verhältnis zum Thema Religion? Gibt es einen Unterschied zwischen religiösen Einflüssen in Deutschland und den USA?

Robert (BSF): Ich selbst praktiziere eine spirituelle Tradition, die sich Vaishnavismus nennt. Dies hat allerdings NICHTS mit BSF zu tun, sondern ist meine eigene persönliche Meditation, die ich bereits für mich entdeckt habe als ich ca. 16 Jahre alt war. Was mich in den USA riesig stört, ist die stete Einmischung von rechten, selbstgerechten, hasserfuellten Idioten in das tägliche Leben...Das ist nicht ok. Ich würde auch nicht wollen, dass meine eigenen Ideen anderen aufgezwungen werden...Im Gegenteil...to each their own...Wir glauben durchaus an Pluralität und "unity in diversity" aber eben ohne Dogma, dass jeden der in deiner Nähe steht erschlägt.

Nathan hat kürzlich in einem Interview gesagt, BOYSETSFIRE sei für ihn ein Hobby. Wie hältst du es damit?

Robert (BSF): Dieses Statement wurde falsch verstanden...Was Nate damit gemeint hat war, dass wir alle Jobs haben und finanziell nicht auf die Band angewiesen sind...wir tun was wir tun aus einem Grund: Weil wir es lieben und wollen. Das wollte Nathan damit sagen und nicht, dass es ihm nicht mehr wichtig ist...Im Gegenteil. Wir arbeiten härter als jemals zuvor an dieser Band, aber eben nicht aus Druck, sondern einzig weil wir es so sehr lieben zusammen Musik zu erschaffen und zu spielen.

Was bedeutet es für dich, ein Teil von BOYSETSFIRE zu sein?

Robert (BSF): Mehr als ich in Worte fassen kann...Neben meiner Frau und meinen Kindern, ist die Band der wichtigste Teil meines Lebens. Ich habe einfach mittlerweile verstanden, dass die persönliche und musikalische Chemie in BSF für mich nicht zu ersetzen ist...Egal mit wem ich sonst spiele, es fühlt sich einfach nicht ganz so kraftvoll an. Ich bin daher sehr sehr glücklich, dass wir mit dieser neuen Platte zeigen durften, wieviel es uns bedeutet in dieser Band zu spielen...Denn ich denke, was man der Platte anhört ist genau dieses Element der Energie, die aus dieser besonderen Chemie entstanden ist.

Magst du etwas zu deinem Aus- und wieder Eintritt in die Band erzählen?

Robert (BSF): Das ist wohl das beste Beispiel, wie sehr diese Band eine echte Familie ist. Ich bin damals nicht ausgestiegen, sondern habe lediglich aus logistischen Gründen darum gebeten "zurücktreten" zu dürfen...Ich lebe ja mittlerweile (anders als der Rest der Band) in München und jedes Einzelkonzert in USA war ein logistischer Alptraum durch den Flug etc...Daher kamen immer wieder Shows wegen mir nicht zustande, was mir sehr weh getan hat, denn die anderen Jungs sind meine besten Freunde und das Letzte was ich tun wollte ist, ihnen ständig im Weg zu stehen...Daher kam dann mein "Austrittsgesuch", welchem sie unter Protest zugestimmt haben. Aber anscheinend war es schwer einen passenden Ersatz zu finden und so habe ich einen Anruf bekommen, wo ich gefragt wurde, ob ich nicht wieder einsteigen wollte...Mit schwerem Herzen musste ich absagen, weil ich ja nach wie vor hier in Deutschland lebte und sich die Rahmenbedingungen seit meinem Ausstieg nicht geändert hatten...Dann sagte Nathan und Josh und Chad einfach ich solle kurz am Telefon warten. 30 Min später kam der zweite Anruf und die Info dass sie (einen unserer besten Freunde) Chris Rakus in die Band geholt haben, damit er und ich uns die Bass-Duties teilen können...Sie haben gelacht und gesagt, dass ich jetzt aber nicht mehr Nein sagen kann, hahaha...Und sie hatten Recht. Ich war richtiggehend gerührt und habe mit Freudentränen in den Augen zugestimmt.

Was wäre das Schönste, was ihr bei euren Hörern mit eure Musik bezwecken könntet? Oder was wollt ihr vielleicht sogar bezwecken?

Robert (BSF): Wir verstehen uns als "Cheerleader" für freies Denken...Wir geben nichts vor, aber wollen durchaus Gedanken anstoßen, die sich dann im besten Fall als positiver Wandel manifestieren.




Setzten euch Erwartungen noch unter Druck?

Robert (BSF): Ja, unsere eigenen...

Was war dein schönstes Erlebnis im Zusammenhang mit BOYSETSFIRE?

Robert (BSF): Der Wiedereinstieg und diese Tour...Das Leben in und mit dieser Band war noch nie positiver und schöner...Nach 20 jahren so etwas sagen zu können ist unglaublich...i never wanna say my best days are behind me :-)

Leider bieten Mailinterviews nur eine suboptimale Möglichkeit Nachfragen zu stellen oder bei spannenden Äußerungen nachzuhaken. Was fehlte dir also unter diesen Fragen, würdest es aber gerne einfach mal erzählen?

Robert (BSF): Einfach nur vielen vielen Dank an Dich, allschools und eure Leser für die Unterstützung und Euer Interesse...Das bedeutet uns sehr viel. Danke & hoffentlich sehen wir uns auf einer der Shows die nächsten Tagen!

Danke, dass du dir die Zeit genommen hast!