Plattenkritik

Blueneck - The Fallen Host

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Info

Release Date: 13.11.2009
Datum Review: 01.11.2009

Blueneck - The Fallen Host

 

 

Musik zu hören ist ein Gefühl von Schwerelosigkeit - mit dem Kopfhörer auf den Ohren, abgeschottet von der Außenwelt, mit geschlossenen Augen, tief versunken in der eigenen Gedankenwelt. Musik ist erst dann gut, wenn sie was in einem auslöst, ob das nun negative oder positive Gefühle sind, das ist erst einmal nebensächlich. Die Musik hat ihren Zweck erfüllt, sobald sie den Hörer berührt und vielleicht sogar entführt. Raus aus dem Zimmer, hinein in die Phantasie. Dann weiß man wieder, warum man den ganzen Kram überhaupt macht, warum man sich mit unzähligen Platten herumschlägt, in der Hoffnung, dass etwas dabei ist, was dieses Gefühl ermöglicht.

Wie ein wildes Tier frisst der Alltag mich von innen auf. Mein Körper ist angespannt, mein inneres Ich schlägt Alarm und mit dem Kopf immer wieder gegen die Wand. In solchen Zeiten hat mir „Scars Of The Midwest“ von BLUENECK immer geholfen, die Ruhe in mir wieder zu finden. Die Ruhe, die es einem endlich mal erlaubt, den Denkapparat für ein paar Minuten abzuschalten. Drei Jahre hat es gedauert, bis diese Platte durch neues Material der Engländer ersetzt werden soll. „The Fallen Host“ heißt das Kind und spielt, so viel sei vorab gesagt, in der gleichen Liga, wie sein Vorgänger, wenn nicht gar noch eine Stufe darüber. Immer noch sind die beruhigenden und doch immer mit einer bedeutungsschwangeren Dramatik unterlegten Klänge das Hauptmerkmal dieser Ausnahmeband. Acht Songs in einer knappen Stunde, die alles beinhalten, was man sich von BLUENECK wünscht – reine Klassik, gepaart mit Ambient und Postrock in epischer und ausufernder Form. Postrock trifft es aber leider nicht ganz, denn BLUENECK erspielen sich ein ganz eigenes Genre, das beschreibbar wäre durch eine Mixtur aus RADIOHEAD, MOGWAI und SIGUR RÓS. Und doch ist es mehr.

„The Fallen Host“ beginnt mit „(Depart From Me, You Who Are Cursed)“ sehr zurückhaltend. Es bleibt also Zeit, sich auf die nächste Stunde einzustellen. Langsam bahnt sich ein Piano seinen Weg aus der Ruhe, kratzt an der Oberfläche, kaum vernehmbar. Das Cello und die Geigen, die sich dazu gesellen, geben dem Ganzen ein Gesicht. Es wirkt verständnisvoll, untermalt das Leiden der Hörer. BLUENECK leiden mit – das soll sich später herausstellen. Die Muskeln sind immer noch angespannt, der Kopf nicht frei. „Seven“ knüpft nahtlos an das erste Stück an, führt das Ruhe versprühende Motiv weiter, ergänzt durch Schlagzeug und anfangs noch leise Gitarren. Alles zusammen ergibt eine Harmonie, eine Symphonie, die es schafft, den Hörer zum ersten Mal zu entführen, jedoch noch nicht in die unendlichen Weiten der Phantasie. Aber sie reißt einen aus der Lethargie, indem sie lauter wird, sich immer weiter aufbaut, bis sie schlussendlich explodiert, ohne aggressiv zu wirken. Es ist die Schönheit, die einem zum ersten Mal ein Lächeln auf den Mund zaubert. So schnell, wie die lauten Töne gekommen sind, so verschwinden sie auch wieder und man lässt das Stück wieder mit dem Piano ausklingen.

Dann das erste Mal Gesang. Diese zerbrechliche Stimme, die schon während „Scars Of The Midwest“ das Blut gefrieren ließ, ist mit einem Hall versehen. Es wirkt als käme sie aus einer anderen Welt und doch ist sie mehr als zugegen. Alles ist ruhig und doch ist die Band im Begriff, während „Low“ ihre einzigartige Schönheit zu entfalten. Der Weg dahin zeichnet sich durch immer lauter werdendes Schlagzeug ab und dann ist sie da, diese Melodie, die einem den Atem stocken lässt – für einige Sekunden, bis man sie erfasst hat und an die Wand gedrückt wird, von der Wucht die von ihr ausgeht. Genau das sind die Momente, die BLUENECK ausmachen und in denen sie ganz groß sind. Verständnisvoll blicken auf einen herab und versuchen das Leid zu teilen, nicht zuletzt durch die Stimme von Duncan Attwood. Ab diesem Zeitpunkt wachsen sie über sich hinaus, stellen ihr altes Release komplett in den Schatten, übertreffen sich immer wieder selbst und langsam aber sicher beginnt der Hörer, sich zu entspannen, ohne es zu merken. BLUENECK steigen hinab in düstere Gefilde um dort für ein wenig Licht zu sorgen, das beweisen auch Stücke wie „The Guest“, „Weaving Spiders Come Not Here“ oder das abschließende „Revelations“.

„The Fallen Host“ ist die konsequente Weiterentwicklung und Fortführung eines Weges, den BLUENECK vor einigen Jahren eingeschlagen haben. Sie spielen mit Gefühlen und Gedanken, nehmen einen mit auf die Reise und zeigen einem dass es immer schlimmer kommen kann, aber dass nach solchen Zeiten eben auch wieder schöne Momente auf einen warten. Ich sitze auf der Couch, mein Körper ist entspannt und mein inneres Ich hat aufgehört zu rebellieren. Wir sind im Einklang, ohne es gemerkt zu haben. Ich bin ein Träumer und der Alltag, das wilde Tier kann mich mal getrost am Arsch lecken, denn ich habe einen neuen Weg gefunden, ihm zu entfliehen.

Tracklist:

1. (Depart From Me, You Who Are Cursed)
2. Seven
3. Low
4. The Guest
5. Children Of Ammon
6. Weaving Spiders Come Not Here
7. Lilitu
8. Revelations

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Alex G.

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