Plattenkritik

Abandon - The Dead End

Redaktions-Rating

Info

Release Date: 16.10.2009
Datum Review: 15.11.2009

Abandon - The Dead End

 

 

Es dauerte drei lange Jahre, bis ABANDON aus Schweden mit ihren Songs so zufrieden waren, dass sie sie auf CD pressen würden. Gegen Ende des Jahres 2005 begab sich die Band ins Studio, um dieses hundertminütige Epos auf 2 CDs live einzuspielen. Was bis dato noch fehlte war der Gesang, diesen sollte Frontmann Johan Carlzon beisteuern. Aufgrund von Drogenproblemen dauerte das aber tatsächlich noch einmal mehrere Jahre und das finale Produkt erlebt der Mann nun nicht mehr. Im Laufe der Produktion nämlich gelang es ihm, sich selbst durch eine Überdosis ins Jenseits zu befördern. Ein weiterer Grund für die Band, dieses Ding auf jeden Fall fertig zu stellen, um es ihm schlussendlich zu widmen. Wir schreiben das Jahr 2009 und die Fragmente der Texte Johans sind über die Musik gelegt. „The Dead End“ kann als posthume Huldigung an den Frontmann auf den Markt geschmissen werden.

Johan Carlzon hatte nicht viel übrig für das Leben und für die Welt, in der er existierte. Das machen sowohl das von ihm erstellte, mehr als beklemmende Artwork und auch seine absolut vor Weltschmerz und Todessehnsucht nur so strotzenden Texte jedem noch so begriffsstutzigen Menschen klar. „Down the pitch black hole, along with my frozen soul, by pain swallowed whole emotional holocaust. The past is an ocean without shores and we are forever lost in the storm slowly going down..“ Das sind die ersten Worte, die man nach minutenlanger Beschallung durch eine Kirchenorgel (ein Element, welches sich durch die gesamte Platte zieht) vernimmt und diese werden mit einem Hass heraus gebrüllt, der einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. Seine Mitstreiter reagieren drauf mit einem musikalischen Ausbruch in Zeitlupe, dessen Geschwindigkeit sich über die restliche Spielzeit von „Pitch Black Hole“ nicht verändert. Langsam, aber mit Bestimmtheit tragen sie einen herab in die höllischen Todesphantasien ihres Frontmanns, der immer noch brüllt wie am Spieß und alles heraus schreit, was ihm auf der Seele liegt.

Umgeben von toten Gestalten, Geschöpfen, die sich eigentlich nicht mehr bewegen dürften und doch träge umher laufen, kämpft man sich durch das Fegefeuer und die weiteren Songs. “Lost We Are“ schließt nahtlos an seinen Vorgänger an, besticht durch das teilweise angezogene Tempo und die lang gezogenen rein instrumentalen und dadurch schwer atmosphärischen Parts. Über allem stehen aber immer die Textfragmente von Johan, der es schafft, den dunkelsten Momenten noch den letzten Funken Hoffnung zu nehmen. Das stellt sich als anstrengend und herunter ziehend heraus, ist aber eine mehr als lohnende Erfahrung. Die stetig im Hintergrund agierende Kirchenorgel trägt ihren übrigen Teil zum gesamten Szenario bei. Zwischendurch können sich ABANDON zu einer klaren Linie, einer Melodie durchringen („Falling Into Place“) oder mit einem sehr an BOHREN UND DER CLUB OF GORE erinnernden Stück („Eulogy“), welches Ruhe in das Klanggewitter bringt, aber keinesfalls Erleichterung schafft, überzeugen und dann ist man auch schon am Ende der ersten CD angelangt. „In Reality Suffer“ wirkt, als würden ABANDON immer wieder ausbrechen wollen. Ausbrechen aus der zeitlupenartigen Songstruktur und einfach mal aufs Gaspedal drücken. Das Schlagzeug gibt ihnen den Antrieb dazu, doch der Punkt wird nie erreicht. So dunkel, wie er begonnen hat, endet auch der erste Teil dieses Epos und wenn man denkt, es könnte nicht mehr schlimmer kommen, hat man die zweite CD vergessen.

Hierauf befinden sich nämlich noch einmal fünf Songs, von denen drei die 13-Minuten Grenze überschreiten, zuerst aber durch eine ruhige akustisch gestimmte Gitarre eingeleitet werden. Trauer versprühend spielt sie Melodien, die sich im Kopf des Hörers festsetzen und ihn darauf vorbereiten, was ihn noch erwartet. Ab jetzt frönen ABANDON dem Drone mehr als dem Sludge und zeigen sich langsamer und eindringlicher als zuvor. Die Songs erhalten noch einmal ein Extra an Atmosphäre und entwickeln sich immer weiter hin zu einer musikalischen Ausarbeitung der schlimmsten Albträume. Dabei wird immer wieder wert darauf gelegt, dass das Leid der Band zum Vorschein kommt, wobei sich die Texte Johans weitestgehend im Hintergrund halten. Nur noch vereinzelt bekommt man seine Stimme zu hören, diese überwältigt einen dann aber im Falle von „It´s All Gone“ umso mehr, da sie derart unerwartet aus dem Nichts erscheint. Mal scheint sie weit entfernt, dann wieder alles überschattend, zu jeder Zeit gestaltet sie sich aber verachtend und vor Hass verzerrt. Die rein instrumental gehaltenen Stücke wechseln gekonnt zwischen Ambient und Drone, bis auch der letzte Ton verstummt ist. Zurück im Wohnzimmer ist man froh, dass halt alles doch nur ein Albtraum menschlicher und seelischer Abgründe war.

„The Dead End“ ist sicherlich eines der bösesten Releases aber auch gleichzeitig eines der stärksten in diesem Jahr. Selten wurde man von einer Platte auf solch eine Art und Weise in den Bann gezogen und selten wurde man von einer Band mit auf eine solche Reise genommen. Die Gedanken, die durch Carlzons Kopf schwirrten, kann man sich nur zu einem Bruchteil ausmalen, wenn man dieser Platte beiwohnt. Das reicht aber schon, um zu wissen, was er von seinem Leben und der Welt gehalten hat. Dieses Album ist ein Erlebnis und gleichzeitig eine Fallstudie zum Thema, Drogen und ihre Konsequenzen. Mit einer unbändigen Kraft wird einem nämlich innerhalb dieser hundert Minuten klar, dass jedes vernommene Wort auf „The Dead End“ verdammt ernst gemeint ist. Intensiv, bedrückend, runterziehend und faszinierend zugleich, das sind Adjektive, mit denen man dieses Ausnahme-Release beschreiben könnte und für den Winter, mit seinen kurzen Tagen und vielen dunklen Stunden hat man hier nun endlich den passenden Soundtrack. Grandios!

Tracklist:

CD1:

1. Bitter The Surface
2. Pitch Black Hole
3. Falling Into Place
4. Eulogy
5. In Reality Suffer

CD2:

1. For Crumbs We Crawl
2. The Dead End
3. It´s All Gone
4. There Is No Escape
5. Eulogy

Autor

Bild Autor

Alex G.

Autoren Bio

rien.