Plattenkritik

At The Soundawn - Shifting

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Release Date: 15.03.2010
Datum Review: 24.02.2010

At The Soundawn - Shifting

 

 

Ist es nicht eine Tatsache, das man, wenn es einem dreckig geht, sich an jeden noch so kleinen Zipfel hängt, sich daran fest klammert, nur um ein paar Minuten der Erleichterung zu erfahren? Sind es nicht genau diese Zeiten, in denen wir uns nach nach Halt sehnen, einer starken Schulter zum Ausheulen? Nach irgendetwas, das Wärme spendet und uns geborgen fühlen lässt? Und nun die alles entscheidende Frage: Wer oder was versteht es besser, uns all das zu geben, was wir uns in diesen Momenten wünschen, als unser guter Freund, die Musik?

Der Tagesablauf ist doch immer gleich. Ich stehe morgens auf, schalte die Kaffeemaschine an, gehe duschen, rauche die erste Zigarette und denke mir, dass dieser doch einfach nur ein weiterer verkackter Tag von vielen wird. Grau in grau, ohne auch nur einen einzigen Sonnenstrahl. Auf die Uhr gucken. Panik bekommen. Rein in die Klamotten, raus aus der Wohnung. Um den Hals greifen. Wieder Panik bekommen, da Kopfhörer vergessen. Zurück laufen, ohne geht es nicht. Bahn verpassen und erst einmal da unten in der Haltestelle ein paar Meter unter der Erde stehen und die passende Musik auswählen. „Shifting“ von AT THE SOUNDAWN kommt da gerade recht. Ein Album voller Pathos, Melodie, Wärme, Energie, faszinierenden Ideen und doch einer gewissen Hoffnungslosigkeit, um den Bezug zur Realität zwischen all der Schönheit nicht zu verlieren. Lichter strahlen aus dem dunklen Tunnel. Die Bahn fährt ein. Menschenmassen drängen sich an den Bahnsteig. Prügeln sich in die Waggons, um dort zusammengepfercht zu stehen. Ich stehe mittendrin. Beobachte die Leute, alle mit sich selbst beschäftigt. Wie immer. Ellbogengesellschaft. Meine Kopfhörer schützen mich vor der Außenwelt, bestärken meine angreifbare Seele. AT THE SOUNDAWN singen und spielen mir mit „Mudra In Acceptance And Regret“ aus eben dieser und beruhigen mich einmal mehr. Gleichzeitig halten sie mir einen Spiegel vor. Liebe zerstört, aber rettet auch Herzen. Das ist es, was sie mir erzählen und ich glaube ihnen. Ich grinse ob der Idee nach einem langen Intro und darauf folgender zerstörerischer Wut eine Trompete einzusetzen und dadurch die in Wallung gebrachten Gemüter wieder zur Besinnung bringen.

Nächster Halt. Versteinerte Gesichter vor den Türen. Eiserne Härte in den Blicken derer, die sich schon in der Bahn befinden. Hier ist kein Platz mehr. Türen gehen auf. Menschen strömen rein. Türen gehen zu. Der Alltag regiert. Die Menschen blicken zu Boden, während ich sie und ihre Eigenarten beobachte. Nach Fehlern in einer ach so perfekten Welt suche. Die Band aus Italien, die ihr Set in meinen Kopfhörern aufgebaut hat, wird während „7th Moon“ aggressiver, gleicht nun mehr progressivem Rock, als durch Post angehauchten Metal mit Gesang und schmeißt mit Dreck und Schlamm um sich. Gegensätzlich dazu entwickelt sich „Caofedian“ zu einem balladesk und sehr sphärisch anmutenden Stück, welches mich zum ersten Mal an diesem Tag zerstört. Sänger Mirco nutzt seine Stimmgewalt in jeder erdenklichen Lage, während seine Mitstreiter fast orientalisch beginnen und dann zu Melodiebögen und Songstrukturen epischen Ausmaßes ansetzen. Mein Kinn sinkt auf die Brust und ich weiß nicht mehr, was ich denken soll. Ich denke, also bin ich. Denke ich weil ich bin? Zu viele Gedanken machen den Tag kaputt, so auch diese. Die Bahn fährt unaufhaltsam Richtung Ziel. Immer mehr Leute steigen ein und wieder aus und zunehmend leert sich das Gefährt. Meine Haltestelle ist noch nicht erreicht.

Flackernde Lichter. „Black Waves“. Simple Melodie. Brachialer Einstieg. Wut. Hass. Kampf. Ausreizung der Möglichkeiten. Sieg. Versöhnung. „Hades“. Ähnliche Struktur und doch so anders. Wütender und technisch eine Spur anspruchsvoller. Emotionale Ausbrüche reihen sich aneinander, ergeben ein Ganzes und enden in „Prometheus Bring Us The Fire“, dem großen alles überschattenden Finale. Mittlerweile sind Sitzplätze frei. Ich bleibe stehen, bin unfähig mich zu bewegen. Werde an die Wand gedrückt und lasse mein Inneres nach außen kehren. Zehn Minuten später stehe ich in einer leeren Bahn und Tränen laufen mir über das Gesicht. Mir geht es verdammt nochmal beschissen, aber dieses Album rettet mich in der letzten Zeit durch jeden Tag und gibt mir die Hoffnung, dass dieses Gefühl irgendwann vorbei geht.

Tracklist:
1. Mudra In Acceptance And Regret
2. 7th Moon
3. Caofedian
4. Drifting Lights
5. Black Waves
6. Hades
7. Prometheus Bring Us The Fire

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Alex G.

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