Plattenkritik

Audio88 & Yassin - Nochmal zwei Herrengedeck, Bitte

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Release Date: 29.01.2010
Datum Review: 22.02.2010

Audio88 & Yassin - Nochmal zwei Herrengedeck, Bitte

 

 

„Papa hat Bluetooth-Handy“

„Zwei Herrengedeck, Bitte“ war ein Album, das irgendwie bitte nötig war. Den bis Dato maßgeblich unterschätzen AUDIO88 brachte es plötzlich den geeigneten Rahmen, um sein volles, wenn auch sicherlich durch Eigenwilligkeiten geprägtes Potenzial auszuspielen. Mit YASSIN betrat plötzlich ein MC die Bühne des deutschen Raps, welchen man bislang noch gar nicht so recht wahrgenommen hat – und AUDIO88 eine mehr als geeignete Ergänzung bot. Und letztendlich war und ist dieses Album für den deutschen Rap selbst natürlich irgendwie wichtig. Oder zumindest mal einen gesunden Impuls gebend. Doch Rap ohne Reime – kann das klappen?

Für AUDIO88 macht man schon mal ganz gern die Poetry-Slam-Schublade auf. Sicherlich nicht unberechtigt, und ja, irgendwie war das auch meine erste Assoziation mit seinen doch sehr speziellen Flow - obwohl man sich ja in Interviews eher davon distanziert. Man will sich nicht eingeengt fühlen von selbstzweckmäßigen Reimen, man will die Bedeutung seines Textes nicht von Strukturen abhängig machen. Und trotzdem verlangt diese bewusst wie Gedankenfetzen blind aneinander reihend wirkende Art des Flows nur kurze Einarbeitungszeit, trägt aber dennoch ein gutes Stück zur Gesamtverstörung bei. Diese „Verstörung“ – so abgenutzt dieser Begriff auch ist - wird jedoch auf Teil 2 (oder Teil 3, zählt man die „Vorglühen“-EP mit) der Kollabo vor allem durch den Inhalt der Texte an sich, aber auch durch die recht düster gehaltenen, beinahe noisigen Beats erreicht. Mit trockener, meist sehr zynischer Sprache malt man hier Gebäude von tristen, grauen Hochhaus-Wohnsiedlungen oder heruntergekommenen Bahnhöfen – im zweiten Teil des Wohlstandkindportraits „Sandy und Justin“ sogar beinahe wortwörtlich. Um die heutige Gesellschaft mitsamt all ihren Richtungen und Auswüchsen geht es. Das dann eben gerne auch reichlich zynisch und nicht immer bitter ernst zunehmend; „Nochmal zwei Herrengedeck, Bitte“ kann seinen Hang zum Humor nicht verbergen.

In seiner Gesamtheit ist „Nochmal zwei Herrengedeck, Bitte“ jedoch vor allem ein depressives Album, auch wenn es das vielleicht nicht immer sein will. „Ich trinke nicht um zu vergessen, ich trink so viel damit ich nichts mehr mitbekomme an das ich mich erinnern kann“. „Nochmal zwei Herrengedeck, Bitte“ klingt wie der vertonte Spiegel gescheiterte Existenzen, wie eine Tour durch das ja eigentlich so wohlhabende Leben, welches sich in seinem Kern aber dann doch als irgendwie einsam und unglücklich erweist. Gerne äußert man sich dabei zu in gewissen Gruppen der westlichen Gesellschaft zum Konsens herangewachsenen Thematiken wie Religion („Der gute Mensch“) oder Werdegang der Mentalität zur Musik und Plattenkaufen („Pathos 2.0“), wobei gerade bei letzterer Nummer die Grenze zwischen was man nun ernst meint – und was nicht – sehr unsauber gezogen wurde. Irgendwie kann man bei allen Interpretationen an diesem Album nur falsch liegen. Doch zumindest gibt es etwas zu interpretieren, zumindest bietet dieses Album Substanz zum länger-nachdenken, und zumindest hat man endlich wieder was zu sagen im deutschen Rap. Musikalisch wie inhaltlich.

Dass „Nochmal zwei Herrengedeck, Bitte“ in den falschen Momenten sehr bitter schmecken, das heißt sehr runterziehen kann, ist dabei nur ein Grund, warum dieses Album nicht jeden ansprechen wird – um es mal freundlich auszudrücken. In seiner Gesamtheit ist „Nochmal zwei Herrengedeck, Bitte“ jedoch vor allem eines: Ein Schritt nach vorne. YASSIN ist spätestens jetzt nicht mehr einfach „Der Typ neben AUDIO88“, und präsentiert sich auf einer Augenhöhe mit dem MC, der wohl endlich den Standpunkt manifestiert hat, welchen er mit seiner Musik erreichen wollte. Beattechnisch konnte man sich erneut steigern, lässt plötzlich graues noch grauer erscheinen, und auch textlich hat man wohl sowas wie einen Status quo erreicht: Zynisches lässt noch mehr schmunzeln, depressives wirkt noch depressiver. Natürlich wird dabei weiterhin reichlich auf Füße getreten – aber eben nicht plump, und immer irgendwie mit einem wahren Kern. Sicherlich eines der interessantesten Stücke Musik seit langem auf diesem Sektor und ein Album einer Kollaboration, welche vielleicht nun den Höhepunkt ihres Schaffens erreicht hat. Aber wer weiß das schon.

Auf hhv.de kann die LP-Version des Albums übrigens vorbestellt werden. Und natürlich ist das Ganze ganz, ähm, klassisch auch auf CD erhältlich. Hust.

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Olivier H.

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"They said, Do you believe in life after death? I said I believe in life after birth" - Cursed