Plattenkritik

Balance And Composure - The Things We Think We're Missing

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Release Date: 10.09.2013
Datum Review: 22.10.2013

Balance And Composure - The Things We Think We're Missing

 

 

2011 brachte „Seperation“ BALANCE & COMPOSURE endlich auch in Europa die Aufmerksamkeit ein, die der Punk-Band mit den drei Gitarren zusteht. Das Debüt-Album der Philadelphianer ließ keinen Zweifel aufkommen, dass man es hier mit Ausnahme-Talenten zu tun hat. 2 Jahre später steht die Kappelle um Jon Simmons nun vor der großen Aufgabe, anzuknüpfen und draufzusetzen.

Der erste Durchgang: Hm, irgendwie sind BALANCE & COMPOSURE ruhiger geworden. Braver, die Songs drängen sich weniger auf als noch auf „Seperation“. Der zweite Durchgang: Wo ist denn da der Hit? Irgendwie bleibt da nichts hängen. Zugegeben, „The Things We Think We’re Missing“ braucht seine Zeit und ist ein „Grower“ in Reinform, ein Album das mit jedem Anhören wächst und sich dann passend zum Artwork in den schönsten und verschiedensten Farben entfaltet.
„Parachutes“ ist als Einstieg ein Paradebeispiel dafür: Erst wenn man sich das Stück mehrere Male angehört hat, hört man heraus, wie viel in dem Lied eigentlich passiert. Erst wenn man sich den Text zur Musik durchliest und sich wahrlich darauf einlässt, kommt der Ohrwurm. I found you inside of a dream, spinning in circles magically. Und er bleibt. Vielschichtige, atmosphärische Gitarrenstrukturen, teils geschriene, größtenteils überwältigend gut vorgetragene Gesangspassagen: Das ist der Sound, den BALANCE & COMPOSURE 2013 präsentieren.

Waren auf „Seperation“ noch einige poppige Ausreißer dabei (wie eben der Titeltrack), besticht „The Things We Think We’re Missing“ durch eine homogene (aber nicht zu homogene), durchdachte und liebevoll ausgeschmückte Melodien-Landschaft, die nicht nur in der Herbstsonne zum tagträumen einlädt.
„Lost Your Name“ kommt weniger rau und einprägsamer daher, das wirkliche Hit-Potenzial der Platte kommt dann jedoch erst mit „Back in Your Head“ voll zur Geltung. Einer von vielen Songs, der stark an Spät-90er-Rock erinnert und besonders Fans von Sunny Day Real Estate und Konsorten in seinen Bann ziehen dürfte. All you wanted was that feeling. All you wanted was that spark to glow and never fade away. Spätestens jetzt fesselt die Platte jeden aufmerksamen Hörer. „Tiny Raindrop“ (bereits vorab veröffentlicht) verpasst dann mit warmem und harmonischem Klang und einem wunderschönen Chorus Gänsehaut. Mit 13 Tracks und 48 Minuten Spielzeit ist „The Things We Think We’re Missing“ gerade für den Punkbereich ein sehr langes Album, das für mich jedoch nie langweilig wird und immer wieder aufs Neue begeistert. Kein Song ist wie der Andere, kein Song auf der Platte redundant.

Mit „Ella“ ist auch ein kurzer Interlude und mit „Dirty Head“ ein Akustik-Song (der mir leider besser hätte gefallen können) auf der Platte vertreten. Es lohnt sich, das Album nicht frühzeitig abzuschreiben, denn gerade in der zweiten Hälfte offenbart sich die wahre Größe dieser Band. „Reflection“ ist vielleicht der beste Pop/Punk/Rock/Emo-Song des Jahres und gerade in Verbindung mit dem Video hinterlässt er bleibenden Eindruck. Ähnlich wie „Tiny Raindrop“ besticht später „When I Come Undone“ mit einem unglaublich einprägsamem Chorus, der berührt. Nach dem eher verstörenden und dreckigen (wie passend!) „Dirty Head“ sind „Keepsake“ und „Enemy“ dann nochmal 2 wahre Highlight, wobei der erstere zusätzlich mit der Stimme von Anthony Green (Circa Survive) angereichert wurde.

Wen wundert es, dass dieses Meisterwerk des modernen Rock (ja, das kann man wirklich so allgemein halten) in Will Yip’s Studio 4 produziert wurde, hatte dieser doch bereits durch seine Zusammenarbeit mit Title Fight, Man Overboard, Citizen und so ziemlich jeder anderen Pop-Punk-Band aus den Staaten, die zur Zeit angesagt ist, seine Fähigkeiten bewiesen? Und wen wundert es, dass BALANCE & COMPOSURE es mit einem solchen Album im Rücken sogar schaffen, mit Kalibern wie Coheed & Cambria auf Tour zu gehen?
Vielleicht geht es euch ja auch so wie mir, und ihr könnt, seitdem ihr euch auf dieses Album eingelassen habt, wochenlang nichts Anderes mehr hören und ihr wacht tagelang mit einer anderen Textzeile oder einem anderen Gitarren-Riff dieser LP im Ohr auf. Vielleicht geht es euch auch so, dass ihr die Texte von Jon Simmons mitsummt und euch und eurer Leben ausnahmslos darin wiederfinden könnt.
Ich kann jedenfalls bei „The Things We Think We’re Missing“ mit gutem Gewissen von meinem Album des Jahres reden. Stärker kann ein Album nicht an der 10 kratzen.

(Marcel M.)

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Die psychedelische Optik des neuen Albums ist ein Geniestreich, es ist der Blick durchs Schlüsselloch, hinter der Tür eine andere Welt, Formen und Farben unterschiedlichster Art umgeben eine mystisch, verschleierte Dame, welche in ihren Grundzügen klar zu erkennen ist und doch vollkommen fremd bleibt. An die Tür gepresst versucht man unter Anstrengung die Bilder zu verarbeiten, taucht ein in die Welt „The Things We Think We’re Missing“.
Dabei spielen BALANCE AND COMPOSURE kein Psychedelic Rock, eher modernen Grunge bis Alternativrock oder halt die rockige Variante des Post-HCs, wie er gerade in LA zuhauf produziert und exportiert wird. So richtig festlegen kann man sich bei dem vorliegenden Werk nicht mehr, kam der Vorgänger „Seperation“ 2011 noch relativ homogen rüber, erweitern B&C ihren Sound nun.

Kleines Beispiel? Steigen wir ein beim Gesang von „Cut me Open“. Elektronisch, künstlich klingender Gesang im Refrain fügt sich kinderleicht in den rauen und gleichzeitig glassklaren Gesang des Jon Simmons ein. Der Song bleibt über fünf Minuten durchgehend spannend und das beim vollständigen Verzicht der Steigerung über Lautstärke und Intensität – das hat beim Vorgänger wunderbar funktioniert, wurde dennoch abgeschafft – zumindest fast.
Zurück zum Anfang: “Parachutes” beginnt mit einer gnadenlos einprägsamen Melodie, bevor die Drums den Rhythmus aufnehmen, bevor Jon Simmons folgende Worte singt: My Vacant heart/ How is that you split in two parts/ I am checking in to reminisce. / A rollercoaster ride in the dark / To places I don’t want to go. Die Lyrik und Musik gehen also in die gleiche Richtung, bewegen sich auf gleichhohem Niveau. Erstes persönliches Highlight ist dann „Notice Me“. Die in Hall getränkte Gitarre spielt eine grandiose Melodie, der Rhythmus treibt und Simmons predigt seine Verzweiflung, ein Refrain zum mitwippen und völlig überraschend dieser Übergang in die ausladende Brücke – Chaos unterlegt von Sirenengesang im Hintergrund und Simmons nach Aufmerksamkeit schreiend. Der Song leitet direkt über in „Ella“, ein Instrumentalteil, welcher die aufgebrachte Stimmung wieder etwas beruhigt, gefolgt vom bereits erwähnten „Cut me Open“.


Farben haben eine Signalwirkung, allein unsere Hautfarbe verrät unseren emotionalen Zustand. Bleich und blass vor Krankheit oder rot vor Scham. Rot vor Scham und rot vor Erschöpfung, diese Farben variieren in Nuancen. Übertragen auf die vorliegende Platte variiert die Musik ebenso, schafft es die Geschichten mit filigraner Detailarbeit immer etwas anders vorzutragen, den Hörer dabei mit jeden Song in einen anderen Zustand versetzend. Die fließenden Übergänge zwischen den einzelnen Songs, wie Farben im Coverartwork, lassen die Songs zum Gesamtkunstwerk zusammenfließen.

(Tobias)


Tracklist:

01. Parachutes
02. Lost Your Name
03. Back Of Your Head
04. Tiny Raindrop
05. Notice Me
06. Ella
07. Cut Me Open
08. Reflection
09. I'm Swimming
10. When I Come Undone
11. Dirty Head
12. Keepsake
13. Enemy

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Marcel

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