Plattenkritik

Bon Iver - Bon Iver, Bon Iver

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Release Date: 17.06.2011
Datum Review: 29.07.2011

Bon Iver - Bon Iver, Bon Iver

 

 

BON IVER wurde abgewandelt von Bon Hiver. Das ist Französisch und bedeutet soviel wie "guter Winter". Und wer seinerzeit "For Emma, Forever Ago" gehört hat, dem wird immer noch ein wohliger Kälteschauer über den Rücken huschen. Justin Vernon erschuf mit seinem Debüt eins der melancholischsten Alben der letzten Jahre. Zwischenzeitlich erwischte Vernon eine Art Midlife Crisis, laut eigener Aussage konnte er zeitweise keine Songs mehr schreiben. Doch zum Glück hat er es nicht verlernt. Schließlich ist bald wieder Herbst. Aber was hat BON IVER denn mit KANYE WEST zu tun?

"Bon Iver", mancherorts auch "Bon Iver, Bon Iver" genannt, ist das Zeitzeugnis einer Reise. Oder einer Flucht. Einer Flucht aus der Hütte in der er dieses sehnsüchtige Album namens "For Emma, Forever Ago" geschrieben hat. Doch was hat Justin Vernon eigentlich dazu bewogen diese schmerzerfüllten Nummern zu kreieren? Bandauflösung, Beziehungsende, Drüsenfieber sowie der Verlust von 220 Dollar beim Online Poker. Das alles endete in der alten Jagdhütte seines Vaters - und mit dem spärlich instrumentieren, bereits mehrfach erwähntem Folk-Album. Was folgte? Jubelarien der internationalen Presse, ein nicht für möglich gehaltener Erfolg sowie eines der besten Alben der Nullerjahre. Dem Eskapismus sei dank.

Ach ja, KANYE WEST. Was hat das verrückte Genie des US-Raps mit dem sagenumwobenen Songwriter zu tun? Ausgangspunkt war die von Autotune getriebene Ballade "Woods" der EP "Blood Bank", die West dermaßen begeisterte, dass er sie auf seinem Opus Magnum "My Beautiful Dark Twisted Fantasy" neu einspielte. Eine obskure aber auch ungemein tiefe Freundschaft war geboren. Doch was ist in der Zwischenzeit geschehen? Wohin entwickelt sich das neue Album, immerhin Nachfolger eines Neuzeitklassikers? Nunja. Aus BON IVER, dem Solokünstler, wurde BON IVER, die Band.

Denn auf "Bon Iver" schwebt die träumerische Stimme Vernons nicht mehr auf der spärlichen Folkinstrumentierung, nein, sie schwebt über einer echten musikalisch vielseitigen Basis. "Bon Iver" ist digitaler, lauter und energischer als Debüt. Dennoch büßt die Platte zu keiner Zeit ihre melancholische Schwere ein, im Gegenteil. Songs wie das atmosphärisch brilliante "Calgary" verbinden beides spielend miteinander. Digitale Elektronik und akkustischen Folkminimalismus. Die Melodiebögen sind sowohl ausschweifend als auch komplex. Dabei begleitet Vernon seine üppige Instrumentierung gefühlvoll mit seiner einzigartigen, für manche sicher auch gewöhnungsbedürftigen Stimme, beinahe perfekt.

Damit ist BON IVER endgültig auf einer Stufe mit Ausnahmekünstlern wie SUFJAN STEVENS. Denn, und das ist ganz wichtig, er ist nicht vom Folk abhängig. Er schafft sich seine eigene Nische, weitet diese beständig aus und findet irgendwann die perfekte Melange. Justin Vernon schreibt Songs für diese speziellen, harmonischen Momente im Leben. Wenn man am Morgen durch den nahegelegenen Wald joggt oder sonntags einer gutes Buch liest und dabei tiefenentspannt auf der Couch liegt. Ihr wisst schon.

Tracklist:

1. Perth
2. Minnesota, WI
3. Holocene
4. Towers
5. Michicant
6. Hinnom, TX
7. Wash
8. Calgary
9. Lisbon, OH
10. Beth/Rest

Autor

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Enrico

Autoren Bio

Je ne sais pas. Ein Hoch auf meine Standardantwort im Französischunterricht in der Schule.