Plattenkritik

Elli - Moving On

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Release Date: 01.01.2007
Datum Review: 19.01.2008

Elli - Moving On

 

 

Die kleine, untersetzte Dame mit blondiertem Bürstenschnitt und Oberarmen fast so voluminös wie die von Greg Puciato wendete den eingeschweißten Silberling prüfend in ihren Händen. So als glaubte sie, irgendetwas zu entdecken, das sie zuvor noch nicht gesehen hatte. Dann trat sie zu mir herüber. Mit einem Blick und Tonfall, in denen sich Mitleid und autoritärer Gestus miteinander vermengten, sagte sie: "Die können sie behalten Herr Kamp, den Rest nehmen wir mit. Ihre Anlage übrigens auch. Sie wurden sechs Mal gemahnt. Sechs Mal! Man sollte meinen, dass das ausreicht…". Mit hängenden Schultern setzte ich mich aufs Fensterbrett und sah dieser kleinen grotesken Person dabei zu, wie sie nacheinander fünf prall gefüllte IKEA CD-Regale Modell "Benno" in ihr Auto verfrachtete. Die Tür fiel ein letztes Mal mit einem lauten Geräusch ins Schloss. Sie war weg. Endlich.

Nach kurzen Minuten des Durchatmens war es an der Zeit zu sondieren, was mir noch geblieben war. Immerhin mein Discman Baujahr ´95 war noch da. Ich nahm den letzten übriggebliebenen Tonträger in die Hand und analysierte Cover und Inlay. Darauf bzw. darin zu sehen eine Frau mit dunkel geschminkten Augen und sündhaftteurer Frisur, welche weibliche Verwegenheit suggerierte: ELLI "Moving On". Es musste immer weiter gehen. Das war gut. Mit einer hastigen Bewegung befreite ich die CD aus ihrer Verpackung und legte sie in meinen Discman. Aus unerfindlichen Gründen setzte der Laser bei diesem nach exakt zweieinhalb Minuten immer aus, so dass man einen Song weiterskippen musste. Für Hardcore-Alben war das natürlich ideal, bei Bands wie ISIS wurde es schon schwieriger, da man maximal einen repetitiven Schlagzeug-Beat und verhaltene Gitarren zu hören bekam. ELLI machte keinen Hardcore. Und wie ISIS klang sie auch nicht. Aus den alten rauschenden Kopfhörern drang vielmehr eine infektiöse Melange glattproduzierten Radiorocks mit gemäßigter Rockröhre und Texten aus dem Durchhalteparolen- und "Herzscheisse"-Phrasenschwein. In etwa so smooth rasiert wie viele aktuelle Trustkill-Bands. Die Pickel kommen erst im Nachhinein zum Vorschein. Und überhaupt: Dieses Streben gescheiterter Individuen nach Anerkennung, der Wunsch irgendwann einmal "Pop-" bzw. "Superstar" zu werden und es allen Neidern zu beweisen, hatte das nicht was von diesem Underdog-Habitus provinzlerischer "Hardcore"-Kombos?! Dazu passten dann auch irgendwie die Songtitel wie 'Moving On', 'They Don´t Want You' oder 'I Won´t Look Back'. All das machte mich im Handumdrehen zum Fan. Meine Szene würde ich fortan nicht mehr brauchen. Ich wusch mir meinen Sterne-Tattoos ab - die Dinger waren mittlerweile eh zum Arschgeweih des neuen Millenniums verkommen - und auch meine Slim Fit Jeans nebst Slip-Ons wurden auf den Müllhaufen der Geschichte verbannt. Dort machten sie es sich gemütlich neben ausgelatschten Doc Martens und XL-SEPULTURA Longsleeves.

Für einen kurzen Moment blitzte in mir der Gedanke auf, wie eine ältere Dame durch irgendwelche Zufälle in den Besitz meiner handsignierten "Dear You" gekommen war und diese zum praktischen Türstopper umfunktioniert hatte. Dann wurde es mir plötzlich verblüffend egal. Es musste schließlich weiter gehen. Survival never goes out of style und so.

Lieder:

01: Again
02: Moving On
03: Your Letter
04: They Don´t Want You
05: In My Heart
06: Waste of Love
07: Can´t Deny It
08: Teach Me to Fly
09: Fades Away
10: I Won´t Look Back
11: Black Frames
12: Come and Gone

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René

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