Plattenkritik

Hot Water Music - Exister

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Release Date: 18.05.2012
Datum Review: 10.05.2012

Hot Water Music - Exister

 

 

Them and Chuck…Again. Sprechen wir zunächst einmal darüber, was "Exister" nicht ist, nicht sein kann und nicht sein möchte: HOT WATER MUSICs achtes (siebtes) Studioalbum ist nicht das vierte für Epitaph Records. Es ist auch nicht das vierte in Folge von Brian McTernan produzierte. Es benötigt kein von Scott Sinclair gezeichnetes Artwork, um bereits auf den ersten Blick eine Menge über seinen Inhalt preiszugeben. Was natürlich irgendwie schade ist, aber auch kein Weltuntergang. Zu guter Letzt ist "Exister" kein zweites "No Division" geworden, schon gar kein zweites "Fuel For The Hate Game". Aber – Hand auf Flamme, Welle und music – das hat hier bestimmt auch niemand ernsthaft erwartet, oder? Ein gescheiterter Versuch:

Wie fängt man so einen Text überhaupt an? Wie soll das gehen? Wie schreibt man über eine Band, die einen durchgeprügelt hat durch Zeiten, von denen man zumindest meinte, sie seien auf irgendeine verquere Art und Weise kompliziert gewesen? Wie ging das überhaupt nochmal, Subjektivität? Der Musikjournalist ist ja eigentlich immer das ärgste, das ahnungsloseste, das armseligste Wesen. Immer schon gewesen. Vor allem, wenn er versucht Objektivität zu spielen. Das klappt nie. Dann lieber einen Herzenstext schreiben.

HOT WATER MUSIC also. Jasongeorgechuckchris. Die Kumpelgang. Die vier Stooges mit den blutprallen Fernfahrerherzen. Die Lebensgeschichtenerzähler in guten wie in sauschlechten Tagen. Die vier Authentizitäten, von denen mindestens zwei totale Angebermusiker sind und der dreckige Rest seinen Saiten Bärte wachsen lässt. Vielleicht wäre das ein guter Weg für einen möglichen Text: über die Musik gehen und dann ausbreiten, was die so mit einem macht. Gute Idee eigentlich. Weil wir ihnen glauben möchten, dass zwar nicht alles gut, aber vieles besser werden kann. Weil sie das Leben und seine Zwischenräume eindampfen auf affirmative Parolen, die nie politisch aber immer auch genauso deutungsoffen privat sind, dass ein jeder etwas herausziehen kann aus ihnen. „Live your heart and never follow.“ Ihr kennt das.

"Exister" also. Das erste Album seit acht langen Jahren. Dazwischen:
Eine Bandauflösung.
Eine neue Band ohne Chuck. Die zwar gut war aber halt ohne Chuck.
Zwei Quasi-Solokarrieren. Chris Wollard spielt mit den SHIP THIEVES irgendwie abgehangenen, überhaupt nicht angeprollten Schlurfrock (in 'The Traps' hört man den ziemlich gut raus). Chuck Ragan spielt…Ach, lassen wir das. Ich habe euch alle auf den Konzerten gesehen. Ich habe euch „Curse Concrete“ grölen hören.
Ein Interimsschlagzeuger für Laura Jane Grace Gabel.
Ein unterm-Kinn-den-Bass-Zupfer für SENSES FAIL.
HOT WATER MUSIC, zerbrochen an der eigenen Kumpelhaftigkeit, schienen zerstreut in alle Winde. Die Idee, dass sich eine solche Band niemals auflösen würde: romantisierende Spinnereien. Schließlich war es nicht das erste Mal. Dem Bekanntheitsgrad der Band, so ist es ja eigentlich immer, war die Auflösung nur förderlich. Auf dass alle nachrückenden Generationen wissen, dass MAKE DO AND MEND, MOCKINGBIRD WISH ME LUCK, POLAR BEAR CLUB und THE RIOT BEFORE es nicht erfunden haben.

Wäre es jetzt endlich möglich ein Review zu lesen, eine Rezension sozusagen über das neue Album von HOT WATER MUSIC? Ginge das jetzt vielleicht? Oder ist das bisschen zu viel verlangt? Ach so, der Text käme jetzt. Na dann prost. Und vielen Dank auch.

"Exister" ist kompakt. Wenn kompakt bedeutet, dass der Song nicht diese Umwege, dieses Störrische und Überkantige braucht, das sämtliche Alben bis, sagen wir mal, "No Division" auszeichnete. Die Songs, die Lieder vielmehr, kommen auf den Punkt. Da ist das irgendwie Tänzelnde von 'Drag My Body'. Chuck Ragan klingt zunächst so, als wolle er gegen seinen Schnupfen ansingen. Da ist der Titelsong, der kein offensichtlicher Hit sein möchte mit seinen rivalisierenden Gitarren, aber mindestens einer der Boxer aus dem "Forever And Counting"-Artwork. Das kriegt er prima hin. Das passt schon. Da ist die eine Gitarre, die hochpeitscht und kreischt und kratzbürstet und die andere Gitarre, die irgendwie rhythmisch sein möchte, sich Schlagzeug und Bass jedoch unter keinen Umständen fügen mag. Wer hat damit eigentlich irgendwann mal angefangen? HÜSKER DÜ? HOT WATER MUSIC hatten im Vorfeld der Veröffentlichung irgendwo geäußert, "Exister" sei ein düsteres, ein existenzielles Album gar geworden. Auf der textlichen Ebene mag das durchaus zutreffen. Auf der musikalischen ist es ein angenehm unaufgeregtes, fokussiertes, mitunter tempoinduziertes Stück (Punk-)Rock geworden. Wertarbeit, gute. Dann dieser dichte aber hochdifferenzierte Blasting Room-Sound. Ein Chris Wollard, der einen Schleier legt über die Dinge (No End Left In Sight, 'Drown In It') und der Band hinterrücks und klammheimlich mehr Tiefe verleiht als sein Gitarrenkumpel.

Chuck Ragan wiederum, der Gitarrenkumpel, lässt die großen Melodien und Momente so offensichtlich und komprimiert stehen wie er es in den letzten Jahren als aus der Zeit gefallener Alleinunterhalter eben gelernt und perfektioniert hat. Chris Wollard ist bisweilen der beste heimliche Hitsongwriter der Band, der natürlich nicht der heimliche Hitsongwriter ist, weil ja jeder weiß, dass er 'Trusty Chords' geschrieben hat. Und heutzutage eben die gedämpfte Hymne für alle irgendwann falsch Abgebogenen 'Wrong Way'. Sie, also Chris und Chuck natürlich, können es 2012 naturgemäß auch im stimmlichen Verbund. 'Take No Prisoners' heißt das dann. Und nein, Gefangene machen sie hier wirklich keine. Der absoluten Hymnenhaftigkeit von 'Caution' wird hier das Stück abgeklärt-sehnsüchtiger Euphorie zur Seite gestellt, das uns 'Giver' im Jahre 2004 versprochen hat.

Hieven wir das alles zum Schluss noch einmal auf diese tolle Pathosebene: „Es war einmal diese Band und dieser Ort in der Musik, und ich habe dort gelebt. Wenn man mich fragt, wie’s war: Es war die schönste Zeit meines Lebens. Denn ich war jung und hungrig und komplett zerstört und verliebt.“ Es gibt nicht das Album. Es gibt nur die Band und das Gefühl. Beides: passt.

Tracklist:

01: Mainline
02: Boy, You’re Gonna Hurt Someone
03: State Of Grace
04: Drown In It
05: Drag My Body
06: Safety
07: Exister
08: Wrong Way
09: Take No Prisoners
10: Pledge Worn Thin
11: No End Left In Sight
12: The Traps
13: Paid In Full

Autor

Bild Autor

René

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