Plattenkritik

Lewd Acts - Black Eye Blues

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Release Date: 01.09.2009
Datum Review: 08.08.2009

Lewd Acts - Black Eye Blues

 

 

Manchmal tauchen sie auf, völlig unvermittelt. Wie aus dem Nichts. Geprügelte Hunde mit wutroten Augen, die Stimmbänder mit mattglänzenden Rasierklingen abgeschabt. Von der Stirn tropft Blut in fettigen Schlieren. Die Rhythmussektion endlich mal wieder eine Waffe. Auftritt: LEWD ACTS. Die eindrucksvoll demonstrieren wie Hardcore gleichzeitig klassisch, eigenständig und rastlos-leidenschaftlich klingen kann.

Zugegeben: Albumtitel und die Namen einiger Songs wirken vordergründig arg klischiert. Wir die Geschlagenen, die Outcasts, die mit den fetten Löchern mitten im Herzen. Das kennt man alles schon, will man es wieder und wieder hören? Im Falle der Kalifornier LEWD ACTS lautet die Antwort jedoch: ja. Denn im Gegensatz zu den DEAD SWANS und GOLD KIDS dieser Welt (eine wahllose Entscheidung) verfügt der Vierer über eine ureigene Ästhetik und die – man muss es eigentlich nicht mehr betonen – geht so einigen zeitgenössischen Hardcorebands mehr als ab. Natürlich werden die einen jetzt wieder laut „Hype!!!“ schreien, die anderen mit testosterongetränkten Pseudoargumenten verächtlich abwiegeln. Für Dich, der jetzt noch übrig bleibt, ist folgendes Review:

"Black Eye Blues" beginnt mit effektlosen Gitarren, verhalten schälen sich ein Schlagzeug und Tyler Densleys leidenschaftlich-abgefuckte Stimme heraus. 'Know Where to Go' leitet schleppend ein in ein Album, welches spätestens ab dem zweiten Song eine gnadenlose Sogwirkung entfaltet. Dann dieses beißende Feedback, das man kennt von CONVERGE oder TRAP THEM und das ein wenig so klingt, als würde der Song unter seinem eigenen Druck an den Nahtstellen auseinanderbrechen. Stets ist alles in Bewegung, der Drummer arbeitet beständig, wechselt häufig die Richtung, nie spielt er stoisch den gleichen Beat. Der adrett gescheitelte Junge auf dem Cover, geprügelt wie die Band selbst. Die Produktion von Kurt Ballou die perfekte Mischung aus Dreck und Transparenz. Dazu braucht es keine Chöre. Keine Breakdowns. Keine Moshparts. LEWD ACTS sind einfach eine jener Bands, die zur richtigen Zeit mit einem eigenständigen Sound am goldrichtigen Ort sind. An dem sich andere Bands in ihrer Selbstreferenz und abgedroschenen Depressionsklischees suhlen. 'Nightcrawlers', das bereits länger durch die Untiefen des Netzes geistert, hat bei allem an altem Punk geschulten Druck ein untrügliches Gespür für melodische Texturen. Überhaupt ist es recht bemerkenswert wie viel Spannung und Tiefe LEWD ACTS in mitunter sehr kurze und schnelle Songs packen. Zu den zackigen Anderthalbminütern gesellt sich auch jedoch auch Längeres: 'Penmanship Sailed' zieht über eine Länge von fünf Minuten sämtliche Register spannenden Songaufbaus. Geht zunächst groovig nach vorne, ist phasenweise skelettiert instrumentiert und steigert sich zu einem fulminanten, perkussiv anmutenden Schlagzeugklimax. 'Rock Gut Charlie' ist ein räudiger Punkbatzen, 'Young Lovers, Old Livers' die Hymne des Albums. 'Nowhere to Go' kehrt die Aussage des Openers um und ist auch sonst so etwas wie die Antithese zum Eröffnungssong: Beinahe doomig befindet sich die Band auf Sinnsuche, sukzessive schälen sich melodische Gitarren aus der Schwermut bis nach dreieinhalb Minuten der Gesang einsetzt. Ein verdammt packendes Album. Referenzen sind da schwer zu nennen. Allerdings ist es ja (fast) immer ein gutes Zeichen, wenn nicht erst Myriaden von Referenzbands zur Beschreibung eines Sounds herhalten müssen. Das war das letzte Mal vielleicht bei (hm) MODERN LIFE IS WAR so…Wenn LEWD ACTS ihre Depression ausbuchstabieren klingt das jedenfalls sehr viel authentischer als bei ihrer vermeintlichen Konkurrenz.

Tracklist:

01: Know Where to Go 1:37
02: Wide Black Eyes 1:29
03: Nightcrawlers 2:16
04: You Don’t Need Me 0:42
05: I Don’t Need You 3:22
06: Who Knew the West Coast Could… 1:25
07: Penmanship Sailed 5:03
08: Young Lovers, Old Livers 2:31
09: Rock Gut Charlie 1:20
10: My Father Was a Locomotive 2:56
11: Nowhere to Go 6:03

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René

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