Plattenkritik

Lost In The Trees - All Alone In An Empty House

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Release Date: 06.08.2010
Datum Review: 01.09.2010

Lost In The Trees - All Alone In An Empty House

 

 

Meine Güte, es gibt sie noch: diese Platten, die man vor die Füße geworfen bekommt und vollkommen unvoreingenommen in die Rotation wirft und mit einem Mal Ohren wie ein Elefant bekommt. Wie ein afrikanischer! LOST IN THE TREES legten dieser Tage eine solche klammheimlich ab und kaum ist sie vorbei, wandert der Finger zum Repeatknopf und es geht von vorne los. UNGLAUBLICH!!!

Dabei könnte man LOST IN THE TREES jetzt auch einfach ganz schnell unter der Kategorie Singer/Songwriterfolkherbstwinterdepression ablegen. Damit liegt man zunächst auch mal gar nicht ganz so falsch. Ari Picker -der Kopf der Bande- legt hier textuell einen Seelenstrip vom allerfeinsten hin. Schwere Kindheit, schlimme Elterliche Zusammenhänge, Familiendramen im Allgemeinen, Traumatas. Da wird kein Klischee ausgelassen. Freimütig geht er mit seinen Erlebnissen hausieren. So ein Mensch, den das Leben schwer gezeichnet hat. Doch genau das ist es, was eben solche Menschen zu wahren Künstlern werden lässt. Resilienz entsteht durch eine Nische, in welcher man seinen kleinen Rückzugsraum findet und diesen bewusst und gekonnt für sich und sein Seelenheil zu nutzen weiß.

Ari Picker tut dies. Und wie. Musik ist hier die Nische, aber das was dabei herauskommt ist keineswegs für die Nische. Ari Picker machts nämlich klassisch. Und zwar in echt. Nebst klassischen ein- Mann- eine- Gitarre- und- gut- Stücken, schiebt er mit der „Band“ das Ganze nahe an ein sinfonisches Konzert heran. Tat Damien Rice seiner Zeit auch schon, allerdings im Gegensatz zu LOST IN THE TREES nur diletantisch und bruchstückehaft. LOST IN THE TREES ziehen die klassischen Elemente konsequent durch die gesamte Platte. Und das keineswegs aus der Dose, sondern in bester Orchesterqualität von barock anmutenden Stücken bis zu feinster treibender Melodie, welche sich auch als Filmmusik für einen Actionfilm eigenen würde. Einige Songs sind lediglich minutenlange Klassiksequenzen ohne Gesang, welche von der Soundstruktur aber dichter nicht sein könnten.

Klassik ist ätzend, Klassik ist spießig, Klassik nervt und Klassik versteht kein Mensch. Ja irgendwie auch so. Aber vielleicht bringen gerade solche Bands einem diesen akkustischen Hochgenuss wieder näher. LOST IN THE TREES gönnen der Hörerschaft auch eine Pause zwischen soviel Cembalo, Geigen, Bratschen, Celli, Trompeten und Hörnern. Da gibt es dann durchaus das ein oder andere einfacher gestrickte Folkschmankerl und vielleicht zur allgemeinen Erheiterung auch eine singende Säge. Aber das sind wirklich nur die Pausen in denen abgehustet werden kann, bevor das Orchester wieder dick aufträgt.

Vielleicht ist auch die dichte Soundstruktur der Klassik der Grund für das dringende Verlangen, der Platte nach dem Durchlauf einen erneuten Schubs zu geben. Klassik lässt einen doch eher alleine im Raum zurück, der vorher so sehr angefüllt mit Musik war. All Alone in An Empty Room eben, der dringend einer Füllung bedarf. Wunderschön!!!!

Tracklist:
1.All Alone In An Empty House
2.Walk Around The Lake
3.Mvt. 1 Sketch
4.Song For The Painter
5.Fireplace
6.Love On My Side
7.Wooden Walls Of This Forest Church
8.A Room Where Your Paintings Hang
9.We Burn The Leaves
10.Mvt. 2 Sketch
11.For Leah And Chloe

Autor

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Jule

Autoren Bio

wäre gern teil einer postfeministischen emopunkband/ verbalprimatin/ kuchenveganerin/ ich kann mir keine songtitel merken, selbst die meiner lieblingssongs vergesse ich.../ ich bin nicht betrunken, ich bin immer so/ fraujule.blogspot.de