Plattenkritik

Nagel - Was kostet die Welt (Buch)

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Release Date: 27.09.2010
Datum Review: 08.10.2010

Nagel - Was kostet die Welt (Buch)

 

 

Muff Potter sind tot, was tut deren ehemaliger Sänger? Er versucht sich abermals als Schriftsteller. Druckfrisch der Roman WAS KOSTET DIE WELT, Nagel auf Lesereise mit freundlicher Unterstützung vom Grand Hotel van Cleef.

Meise ist eine arme Sau. Er kann einem wirklich leid tun, der Protagonist des vorliegenden Werkes. Musste erben, 15.000€ von seinem verhassten, verkrampften Vater. Meise verkloppte das gesamte Erbe mit Hilfe einer Weltreise, um sich im Nachinein, bei dem verbitterten Erzeuger zu rächen. Osteuropa, Skandinavien, Israel, USA. Als er zurück ins ultracoole Berlin kommt, fällt ihm auf, dass noch nicht das gesamte Geld verprasst ist und beschließt, die letzten 1000€ in einem abgelegenen Moseltal auf den Kopf zu hauen.

Die dortige Ruhe, Idylle und Abgeschiedenheit bekommen Meise aber offensichtlich gar nicht gut. Bei all der Harmonie, die ihm dort von seinen Gastgebern und den umgebenden Menschen um die Ohren geballert wird, wird er sich seiner eigenen erbärmlichen Existenz bewusst, welche er die letzten Monate mit der liebenswerten, aber nicht erkannten Verena auf der Weltreise so erfolgreich unterdrücken konnte. Verkackte Kindheit und Jugend, kaputte Familie, versaute Zukunft, verzweifelter und noch einsamerer Überlebenskampf. Seine Erkenntnis entlädt sich in einer Reihe von Hasstiraden, in welcher niemand der auftretenden Komparsen verschont bleibt. Angehende Junglehrerinnen, Studentinnen, Dorfprolls, Frisörinnen, Dorfpiercer, Winzer, polnische Saisonarbeiter, alle bekommen ihr Fett weg. Meise ist die menschgewordene Geschmackspolizei, oder wäre es gerne. Der coole, abgeklärte Großstädter, der es den Dorfkindern mal ordentlich zeigen will. Als Leser schwankt man zwischen Lachanfall und Brechreiz, beim Verfolgen von soviel fehlgeleiteter Projektion. Eigentlich möchte man Meise nur mal ordentlich in den Arm nehmen und knuddeln. Oder vielleicht doch mal einen kräftigen Arschtritt verpassen, als er das letzte bisschen Schönheit in seinem Selbsthass auch noch erfolgreich aus seinem Leben prügelt.

Im Großen und Ganzen auch keine ganz so neue Geschichte. Christian Kracht und Benjamin von Stuckrad- Barre haben das schon vor längerer Zeit ebenso gemacht. Nur haben ihre Protagonisten oder sie sich dabei härtere Drogen als Moselwein in den Schädel gezimmert. Auch verlief ihr verbaler Hass gerne noch ein wenig tiefer unter sämtliche gesellschaftsfähigen Verhaltens- und Ausdrucksweisen und auch häufig um einiges subtiler. Nagel geht keine neuen Wege, versucht lediglich den Großen nachzueifern. Dabei gelingen ihm auch so seine eigenen Momente, welche wirkliche Durchschlagkraft entwickeln können. Doch zu häufige, sinnlose Aneinanderreihung von altbekannten, ebenso geliebten, wie verhassten altklugen Mittelschichtskalauern zerstören nur teilweise begonnene Eigenkreativität. Nagel – oder sein Protagonist- scheint sich erleichtern zu wollen, auf leichtem Wege. Kann unterhaltsam sein, wirkt aber leider streckenweise etwas einfallslos... Moppern auf Kosten und mit den Worten anderer können wir eben doch alle am Besten. Und einen wirklich sicheren Standpunkt gibt es irgendwie ja doch nicht. Wer das vor der Lektüre von WAS KOSTET DIE WELT nicht wusste, weiß es hoffentlich hinterher auch noch nicht und darf gerne so bleiben wie er ist.

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Jule

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wäre gern teil einer postfeministischen emopunkband/ verbalprimatin/ kuchenveganerin/ ich kann mir keine songtitel merken, selbst die meiner lieblingssongs vergesse ich.../ ich bin nicht betrunken, ich bin immer so/ fraujule.blogspot.de