Plattenkritik

The Carrier - Blind To What Is Right

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Release Date: 18.01.2011
Datum Review: 19.12.2010

The Carrier - Blind To What Is Right

 

 

Blickdichter, verzweifelter, straffer: THE CARRIER treten auf ihrem zweiten Album den Beweis an, dass feine Nuancen ein überlaufenes Genre immer noch spannend halten können. Die Mischung aus modernem metallischen Hardcore, Post-Hardcore-Anteilen und grenzenloser ich-fixierter Wut könnte stimmiger nicht ausfallen. Die ewige Wiederkehr des depressiven Immergleichen? Die Bostoner machen zumindest das Beste draus.

Aus dem persönlichen Verdruss des Twentysomethings lassen sich die unterschiedlichsten Kompensationsmöglichkeiten destillieren. Der eine lässt die Schultern hängen, die Gitarre ebenfalls und salbadert sich durch die Ungerechtigkeiten des Lebens, denen er mit der Neuordnung seiner Plattensammlung zu begegnen sucht. Wieder andere haben die Dekonstruktion für sich entdeckt. Wenn es mir schon nicht gut geht, dann möchte ich wenigstens sämtliche Genres mit ins Grab nehmen – und durchmischt wieder auferstehen lassen. Macht schließlich ziemlich Spaß. Manch einer wiederum versucht es mit ironischer Brechung, Katharsis ist ihm ein Fremdwort. Oder halt einfach zu affektiert.

Hardcore ist da naturgemäß etwas wert- und klangkonservativer ausgerichtet. Was ja nichts Schlimmes sein muss. Im Gegenteil: THE CARRIER sind die großen Ich-Ankläger im modernen Hardcore. Ausgestattet mit einem absolut einnehmendem Sound, der immer auch einen Sinn für den emotionalen Klimax hat. Nur vordergründig ist "Blind To What Is Right" daher als absolut hoffnungsloses Album zu bezeichnen. Zudem hat Jay Maas den druckvollen Sound, welchen er der Band auf den Vorgängern hat angedeihen lassen, etwas transparenter gestaltet. Mit überwältigendem Ergebnis. Der titelgebende Opener prügelt in klassischer Überrumpelungsmanier auf den Hörer ein: Kurzes Feedbackintro, sich überschlagendes Drumming, im Hintergrund ein Fünkchen Hoffnung in Form flirrender Gitarren, das dann doch wieder begraben wird unter den Selbstanklage-Monologen von Sänger Anthony Traniello. 'Wash Away My Sins' steht in seiner mäandernden, sich beständig steigernden Form, mit kleinen Schlagzeugsgimmicks und auftrumpfenden Tremologitarren für die raumgreifenden Mid-Tempo-Momente der Band aus Boston, die schon mal als Genre-Retter apostrophiert wird. Was sie de facto nicht ist. Songschreiberische Finesse sollte auch von anderen Bands erwartet werden dürfen. Worte finden für die große persönliche Katastrophe, sich Luft machen in durchschüttelnden Songs. Natürlich ist das häufig arg pathetisch und (zumal lyrisch) ein stückweit weinerlich. Das waren THE CARRIER allerdings immer schon. Die bandtypischen Trademarks, also schicksalsschweres Stampfen, atmosphärische Momente, Raserei und dieses besondere Etwas der Gitarrenarbeit, finden sich auch auf "Blind To What Is Right". Trotzdem braucht es eine gewisse Zeit, bis die Songs ihre Wirkung entfalten.

'Hollow Pain' findet neben der ganzen Raserei (die natürlich auch in diesem Song stattfindet) beinahe besinnlich-atmosphärische Töne mit temporärer Post-Hardcore-Schieflage. Dann brüllt Anthony Traniello sich selbst und alle anderen doch wieder über den Haufen. Weil sie es halt nicht anders verdient haben. Und er selbst schon mal überhaupt nicht. Zugleich formulieren THE CARRIER hierin ihr existenzbegründendes Mantra: „What is another sad song without sad words to sing? So let’s give this a little meaning…”. Vielleicht ist er das ja, der Trick von THE CARRIER: das Althergebrachte wieder aufladen mit Bedeutung. Da kann, da darf auch das Pathos nicht fehlen.

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René

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