13.08-15.08.2010: Ieper Fest - Festivalgelände - Ieper

15.08.2010
 

 

Zu Recht waren die Erwartungen an das diesjährige 16. Ieperfest in Belgien hoch gesteckt, denn das größte DIY-Festival-Europas lockte mit altbewährter Rezeptur: Man nehme ein paar Legenden des Hardcore und Metal für die Alteingesessenen, (Madball, Agnostic Front, Raised Fist, Dying Fetus, Converge,…) einige angesagte Tourpakete für die Youngster und Avocado-Dauergäste (Ruiner/Carpathian, 50 Lions/Grave Maker/Antagonist A.D., Miles Away/Cruel Hand…) und mischt ein paar experimentellere und unkonventionellere Bands darunter (An Emerald City, AmenRa, Aussitôt Mort), um ein möglichst breites Publikum bedienen zu können. Doch neben diesen allgemeingültigen Faktoren, die Erfolg versprechen gesellen sich einige günstige Umstände: So spielen Ruiner ihr letztes Europa-Konzert (was für Fans und den aussterbenden melodischen Hardcore an sich weniger günstig ist), Despised Icon ihre letzte Europa-Tour und Trash Talk, deren Hype in diesem Genre keine Vergleiche kennt, sind auch an Bord. Das schlecht gemeldete Wetter weiß man also recht gut zu kompensieren. Aber alles nach der Reihe.


FREITAG

Reichlich komische Geräusche, als wir unser Gepäck ausladen und unser Zelt aufbauen, kommen vom Festivalgelände. Es spielen PURIFICATION. Undifferenzierte Vocals, die mich an einen motzenden Gnom erinnern und ein paar Hatebreed-Abklatsch-Riffs. Nichts für ungut, vielleicht ist mein Gesamtbild dieser Band auch nur von vorne herein ruiniert durch die Gerüchte die sie umgibt. So wurde die Band vor einigen Monaten aus dem Line-Up des Rise Fests in Hannover gestrichen, da ihr nationalistische Tendenzen nachgesagt werden. Genaues darüber weiß ich zwar nicht, aber es gelingt den Italienern auch nicht, durch ihre Musik Interesse zu wecken, daher: Who Cares. Und es ändert sich auch nichts an meiner Meinung über Purification, je näher ich trete. Das Festivalgelände ist noch relativ spärlich gefüllt, vor der Mainstage eine große Traube von Menschen, aber wohl nicht all zu viele sonderlich scharf auf die Band. Auf das Interview, das später mit dem Sänger Matteo der Band im „More Than Music“-Zelt stattfinden wird, kann ich nach der Vorstellung dann auch verzichten. Wäre ja auch eine ziemlich naive Vorstellung, dass einem jede der 64 Bands des Ieperfests gefällt.




Es gibt jedoch auch Bands, die auf ganzer Linie zu überzeugen wissen. Und das obwohl sie eigentlich wissen, dass fast niemand für sie hier ist. So THIS IS A STANDOFF auf der Marquee Stage, die wohl interessanteste Neuerung im Punkrock (falls es das Genre in Reinform überhaupt noch wirklich gibt) der letzten Jahre. Entstanden aus der Asche der großartigen Belvedere haben diese 4 Kanadier zwei mehr als nur solide Scheiben hingelegt, die auf die Namen „Be Excited“ (2007) und „Be Disappointed“ (2009) hören. Auf diesen schafft die Band es auf wirklich einzigartige Weise, eine verblüffende Komplexität in einen Rahmen zu packen, der halt immer noch „nur“ Punkrock ist. Taktwechsel nach Taktwechsel, atemberaubende Riffs und atemberaubendere Tappings, untermalt von abwechslungsreichem Drumming und dazu gut harmonierendem Bass. Klar, dass diese Rechnung live aufgehen muss. Wie sich das äußert? Eine Hand voll Leuten kennt die Texte, aber sechs bis sieben Hände von Leuten gehen vor der Bühne ab und eine nochmal viel größere Anzahl wippt mit Fuß und Kopf mit und sieht sichtlich angetan von den kreativen Melodien aus, die ihr um die Ohren geschleudert wird. Unter dem Strich dürften also einige Leute auf THIS IS A STANDOFF aufmerksam geworden sein, das hoffe ich zumindest sehr. Zwar sind nicht alle immer Riffs komplett sauber und auch der Sound lässt in der Tat noch Wünsche offen, jedoch kann man das entschuldigen, denn die Spielfreude und Live-Performance des Vierers ist wirklich unfassbar. Ohne müde zu werden präsentieren Sänger Steve und seine Mannen etwa eine 50/50-Mischung aus beiden Alben und springen dabei herum, als würden ihre Instrumente kein Hindernis darstellen. Jeder Musiker weiß es besser. Das auf die Spielpassagen angepasste Gesichtsverziehen der beiden Gitarristen muss auf jeden Fall auch erwähnt werden, stellenweise fühle ich mich an den großartigen Jim Carrey erinnert. Passt ja auch zu der erfrischenden Lockerheit der Band, wie das eben im Punk sein sollte. So weist man auch auf seine Genrekollegen von Atlas Losing Grip hin, die schon früher das Festivalgelände beschallt haben. Nach Songs wie „The Light is Still on in Broadmoor“, „You Won’t Pass“ und „Face the Sun“ schließt man dann mit „Dream Beater“ und „There’s a Little Lemoncello in Everyone“ perfekt ab. Immer wieder eine Freude.



Weiter geht’s dann mit CRUEL HAND, die mit „Lock and Key“ vor kurzem ja ein mächtiges Brett hingelegt haben. Die Traube vor der Mainstage ist prächtig gewachsen. Noch schnell ein Tourshirt als Banner aufgehängt und schon lässt man die Groovebombe mit „Dead Weight“ platzen. Gleich zeigt sich, dass die relativ hohe Bühne (etwa auf Brust- oder Halshöhe) für die Leute keinen Grund darstellt, nicht zu stagediven. Und das ist auch gut so. Der Mischling aus Metallica, Cro-Mags und Madball hat leichtes Spiel zu recht früher Stunde. Das Wetter ist recht gut und der Moshpit durchaus vorzeigbar. Dieses Mal werden allerdings nur Songs der neusten beiden Alben präsentiert, nicht etwa „Still“ von der 7 Inch oder „Under the Ice“ von Without a Pulse, wie es in Köln und Trier der Fall war. Der permanenten Bewegung der Mosher tut das jedoch überhaupt keinen Abbruch, im Gegenteil, es gelingt CRUEL HAND ihre stärksten Momente in ihr Liveset einfließen zu lassen, wie etwa in „House Arrest“, „Above and Below“ und natürlich der Side-to-Side-Hymne „Hounds“. Vom neuesten Werk der Band werden die ersten 3 Songs, „Lock and Key“, „Cruel Hand“ und „Day or Darkness“ gespielt. Die Band gibt sich einmal mehr sehr sympathisch, jedoch finde ich die Ansage für „True Hardcore“ und gegen „emo shit“ etwas intolerant und ignorant, da beides zu gewissem Grad ja Hand in Hand gehen kann (siehe La Dispute, More Than Life etc.) ohne dass die Musik darunter leidet. Was die Band aber wohl damit meinte, ist, dass die Musik bei einem solchen Festival im Vordergrund steht, und nicht die Frisur oder die neuesten Klamotten des Publikums. 0815-Aussage die mit 0815-Geklatsche quittiert wird, gehe ich aber natürlich konform mit. Nachdem die Vielzahl der Stagediver ins Leere springt, macht dann jemand von der Bühne einen Headwalk und lässt sich dabei von einem Freund filmen. Hallo Fremdscham. Wenn das wahrer Hardcore ist, lasse ich mir doch lieber Sterne und Kirschen tätowieren und ritze mich den ganzen Tag. Als CRUEL HAND dann mit ihrem letzten Song „Begin Descension“ wieder für ein Kitzeln in den Waden sorgen, habe ich es aber schon wieder vergessen.

Kurze Essenspause: Das Angebot ist zwar sehr lecker aber auch recht teuer bis auf die Pommes (die ihre 2 Euro echt wert sind). Alles ist vegan, was ich recht gut finde, denn wie später auch im „More Than Music“-Zelt diskutiert, gilt: Als Fleischesser kann man auch veganen Kram essen, sich zwischen allen gegebenen Möglichkeiten entscheiden, als Veganer aber eben nicht. Da hat man auf Festivals à la Groezrock meistens eher schlechte Karten, wenn sogar die Fritten im Rinderfett gemacht werden. Und 3 Tage im Jahr mal kein Fleisch zu essen, ruiniert wohl auch keinem den Körper, der sich davor fürchtet, weil er eben fehlinformiert ist, ganz im Gegenteil. Aber das ist eine andere Diskussion. Obwohl der vegane Stroganoff sehr lecker ist, empfehle ich Ieperfest-Besuchern ihrem Geldbeutel zu liebe jedoch mehr eigenes Essen mitzubringen als ich dieses Jahr: Nichts.

STRENGTH FOR A REASON, diesen Namen hat man sicherlich schon auf einigen Flyern mal gelesen. Ich für meinen Teil habe der Band aber noch nicht mehr Aufmerksamkeit als eben diese geschenkt. Zurecht, wie sich herausstellt, denn in meinen Augen hebt sich die Band durch ihre Bühnenpräsenz nicht wirklich von anderen ab, sondern ist eher langweilig und in meinen Ohren klingt das Set wie Madball v. 2, wie eine von vielen Bands, die NYHC mal im Eigenversuch probieren wollten und dabei nicht all zu viel eigene Würze mit ins Spiel bringen. Mehr fällt mir letztendlich zu dieser Band also auch nicht ein. Vielleicht ist es nach all den Jahren, die man Madball, Sick of it All und co. als Festivalheadliner vor sich hat, halt auch einfach nicht mehr das spannendste Genre.

Genau so langweilig geht’s dann auch direkt weiter. Und zwar mit ANNOTATIONS OF AN AUTOPSY, die für mich genau so klingen wie jede andere Deathcore-Band, deren Alben ich mir nur zwei Mal gegeben habe, weil sie mehr Durchläufe für mich einfach nicht wert sind. Genau die gleichen Riffs, genau der gleiche Gesang, da frage ich mich echt, wieso es in diesem Genre so viele so erfolgreiche Bands gibt. Vielleicht wird man in dem Genre berühmt, wenn man schöne Mesh-Shorts designt oder den schlechtzulesendsten Bandschriftzug aller Zeiten kreiert. Man muss ja nicht alles verstehen, was in der Musikwelt so vor sich geht. Es gibt in dem Genre auch durchaus hoffnungsvollere Bands, einige davon sollten am Samstag auch noch das Festival beschallen. Mit Animosity hat sich jedoch letztes Jahr die für mich interessanteste Band des Deathcore aufgelöst.

Die 7 SECONDS jedoch haben genug eigene musikalische Leistung erbracht, als das ich mich auf deren Auftritt freue. Allerdings mache ich den Fehler, vor deren Set meinen Kram an’s Auto zu bringen, es fängt ein riesiger Platzregen mit Gewitter und Hagel an, sodass ich die Hälfte des Sets im Auto sitze und mich ärgere. Nach dem Wolkenbruch sieht der Parkplatz aus, als hätte man den Inhalt sämtlicher Dixi-Klos darauf ausgekippt und die ersten Leute ebnen schon mal die Spuren, in denen sich am Abend noch etliche Vehikel festfahren werden. Trotz des wirklich unvorteilhaften Wetters sind die ins Alter gekommenen Herren sehr gut aufgelegt und präsentieren Songs wie „Your Parent’s Hardcore“ oder „We’re Gonna Fight“, welches Tony-Hawk-Zocker noch kennen dürften. Mir macht es ziemlich Spaß, diese Show zu sehen, obwohl alles einen herum matschig ist und demnach auch vor der Bühne die Bewegung eingeschränkt ist. „99 Red Balloons“ und „Walk Together, Rock Together“ sind die letzten 2 Songs des soliden Sets. 7 SECONDS hätte ich mir zwar wohl auf keinem Einzeldate angeguckt, aber sie im Festivalrahmen mal sehen zu können war eine Bereicherung.



VITAMIN X waren schon mehrmals auf dem Ieperfest vertreten, im Merchzelt liegt sogar ein Ieperfest-Plakat von 2004 aus, auf dem die Band schon drauf steht. Kein Wunder, bestreiten die Holländer doch hier schon fast ein Heimspiel. Es geht jedenfalls sehr viel ab als die Band auf der Marquee-Stage anfängt. Direkt setzen viele Stagedives ein, der Mitsing-Faktor ist riesig. VITAMIN X präsentieren Hardcore von einer Sorte, die in diesen Tagen sehr rar geworden ist (nämlich einen sehr punkrocklastigen und schnellen), vielleicht macht genau das ihre Show an diesem Wochenende so besonders, denn obwohl ich mir zuvor nichts angehört habe, begeistert mich die Show ziemlich. Die Songs sind keinesfalls nur langweilige Akkord-Folgen, sehr oft setzt der Gitarrist Akzente, indem er Soli einstreut. Angesichts dessen, dass VITAMIN X im Oktober eine neue Scheibe herausbringen (von der sie auch einen Song in Ieper spielen) sollte ich mich also vielleicht mal herein hören. Wall of Death und Circle Pit funktionieren im bis aufs letzte gefüllten Zelt gut, die Leute türmen sich bei manchen Songs übereinander und auch der Sänger selbst macht den ein oder anderen Stagedive. Sympathischer Auftritt.



Da Raised Fist Flugprobleme hatten, spielen AGNOSTIC FRONT jetzt schon auf der Mainstage. 21:45 ist wohl eher eine ungewohnte Zeit für Roger Miret und Anhang. Aber die Band, die sonst oft eher schlecht gelaunt rüber kommt, macht das Beste daraus und lässt sich nichts anmerken. Nach dem Sparta-Intro geht es obligatorischerweise los mit „The Eliminator“. Es stehen ziemlich viele Leute und Fotografen auf der Bühne, was für eine sehr familiäre Atmosphäre sorgt. Gespielt werden Klassiker sowie neue Songs, die gesamte Schaffensphase der NYHC-Legende wird durchgearbeitet, so hört man „Gotta Go“ (bei dem die ganze Bühne voller Leute ist), „For My Family“ (bei dem gefühlt das ganze Ieperfest mitsingt), „Crucified“, „Peace“, „All is Not Forgotten“ und so weiter. Mir gefallen die neueren, härteren Songs wie „Dead to Me“ etwas besser, jedoch ist bei diesem Set wohl für jeden etwas dabei, so wie es sein sollte. So sieht man vor unmittelbar vor der Bühne auch einige Herren in ihren Dreißigern, ein ziemlich schöner Anblick in meinen Augen. Nachdem Vinnie Stigma ungefähr hundert Mal seine Gitarre umgedreht in die Luft gehalten und sich damit selbst gehuldigt hat und ungefähr zehn angekündigte Soli gespielt hat, nimmt Roger Miret dem inzwischen 55-Jährigen (!!) etwas die Luft raus, indem er ein paar Geheimnisse über ihn lüftet: Angeblich hat er Stigma dabei zugesehen, wie er einen Bullen bezwungen hat und über Feuer gegangen ist, die erwähnenswerteste Eigenschaft von Vinnie sei jedoch „chronic masturbation“. So gut gelaunt und sympathisch habe ich AGNOSTIC FRONT noch nicht erlebt. Gutes Set, obwohl es vorgezogen werden musste. Der eigentliche Headliner hat somit jedoch schon gespielt.




Was sich bei RAISED FIST dann zeigen sollte. Der Platz vor der Bühne hat sich zwar nicht dramatisch, aber bemerkbar geleert und auch an dem mässigen Applaus, den die Band zwischen ihren Songs erhält, merkt man, dass einige Zuschauer wohl nicht der Meinung sind, dass RAISED FIST ein adäquater Headliner für das Ieperfest ist. Mit „You Ignore Them All“ finden die Schweden sehr gut in ihr Set, durch die vielen Songs der neuen, zugegebenermaßen gefloppten Platte Veil of Ignorance bremst sie sich jedoch selbst aus, vor allem durch das schleppende „Wounds“. Die Band kommt weniger sympathisch rüber, wenn sie sich einen Song selbst widmet (für den langen Trip) und Ansagen bringt wie „The next song is a very good one“. „Perfectly Broken“ und „Dedication“ sind sicherlich die Highlights in einem eher mäßigen Set. Das Zusammenspiel der Band ist weit davon entfernt, perfekt zu sein (vor allem der Drummer ist sehr untight) und dass RAISED FIST ihre Songs live nochmal schneller spielen als auf Platte, kommt mir heute wieder einmal so vor. Von Vorteil ist das allerdings nicht. Sänger Alexander Hagman beweist eindrucksvoll, dass er Taekwondo beherrscht und auch der Rest der Band bewegt sich nicht gerade wenig, ihre musikalischen Fehler macht das allerdings nicht ungeschehen. Dass die Band dann früher aufhören muss (nach wahrscheinlich etwa acht Songs), setzt dem Ganzen die Krone auf und ich verstehe es immer noch nicht. Wenn nächstes Jahr das Ieperfest nochmal stattfinden soll, müssen RAISED FIST um zwölf Uhr aufhören, erklärt ein Offizieller auf der Bühne. Allerdings spielen Madball am Tag drauf viel länger und die After-Show-Party ist auch nicht leider als eine Band auf der Bühne. Die Skandinavier jedenfalls machen keinen sehr traurigen Eindruck, kommentieren das Ganze mit „See you next year!“ und spielen einen alten Song, den ich nicht mal kenne und der auch kein würdiger Abschluss für den Freitagabend ist. Alles in Allem war der Auftritt eher ein Witz als dass er einen vom Hocker haut. Wie dem auch sei, das Zelt ruft.


SAMSTAG

Nach einer erstaunlich erholsamen Nacht wird am Samstagmorgen eingekauft und ans Meer gefahren. Wenn man schon mal 35 Kilometer daneben auf ein Festival geht.. ich kann es jedenfalls jedem ans Herz legen, auch wenn das Wetter echt unbrauchbar zum schwimmen war. Der Ort an dem wir am Strand waren hieß De Panne, für alle die es interessiert.



Die erste für mich relevante Band am Samstag ist CARPATHIAN und ich denke mit dieser Meinung stehe ich nicht alleine da. Das Gelände ist schon so gut gefüllt wie gestern erst gegen Abend, die Australier hat man auf dem Timetable sichtlich zu früh platziert. Es ist sehr viel los, es wird gestagedivet und mitgesungen. Das kommt der Band sehr entgegen, denn ich finde, dass man ihnen die lange Tour wirklich anmerkt. Nach dem Ieperfest würde es heimwärts gehen, doch vorher gilt es noch Ieper zufrieden zu stellen, das gelingt mit einer Setlist, die aus der neu erschienen (aber mit 10€ viel zu teuren) EP „Wanderlust“ und dem 2008er Meisterwerk „Isolation“ besteht, sehr gut. Vor allem „Cursed“, „Spirals“ und natürlich der Rausschmeisser „Ceremony“ bilden die Höhepunkte. Aber auch die neuen Songs, von denen mir „Monochrome“ am meisten zusagt, kommen wirklich gut an. Gemessen an den Merchverkäufen gehört CARPATHIAN heute definitiv zu den Top 3, gemessen an der Performance wird es knapp, ich freue mich allerdings schon darauf, wenn die sympathischen Melbourner zurück kommen und hoffe auf ähnlich gute Tourbegleitung wie gewohnt.



Danach schaue ich mir auf der Marquee Stage die Band mit dem unbestritten interessantesten Namen des Wochenendes an: UFOMAMMUT. Weniger als ihr Name weiß allerdings ihre Musik zu überzeugen, die drei Musiker kommen alles andere professionell rüber, wenn sie sich bei jedem Break in den Songs anschauen, bevor es weitergeht. Bandinterne Absprache bei den Songs via Blickkontakt kann man auch halten, ohne dass es jeder Zuschauer mitkriegt. Es gibt keinerlei Ansagen und der Hallgesang ist etwas gewöhnungsbedürftig, passt allerdings zur schleppenden Musik. Obwohl UFOMAMMUT nur mit einer Gitarre ausgestattet sind, kennzeichnet sich ihr Live-Auftritt durch eine ungeheure Wucht. Nicht schlecht, aber auch nicht zufriedenstellend.

Nach dem Break spielen um kurz nach vier AUSSITÔT MORT im Zelt, die für mich die Überraschung des Ieperfestivals werden sollten. Die vier Franzosen bieten Musik auf hohem Niveau, mir gefallen ihre klaren Gitarrenlinien und ihr abwechslungsreiches Schlagzeug mehr als gut. Der Sound ist zum ersten Mal im Zelt perfekt abgemischt, sodass eine ungemeine Tiefe im Sound entstehen kann. Bei dieser Band gibt es einiges zu entdecken und einige überraschende und unerwartete Momente. Leider haben AUSSITÔT MORT jedoch kein Merchandise am Start, sonst hätte ich mir gleich mal eine CD zugelegt. Der momentane Hype um französische Screamo- und Post-Hardcore-Bands, der bisjetzt noch etwas um mich herumging, ist also wohl nicht unbegründet.



Nun sollte die letzte RUINER-Show auf europäischem Boden stattfinden. Man entschuldigt sich dafür, dass man jetzt schon anfangen und die letzten Klänge von Aussitôt Mort übertönen muss und dann geht es mit „Bottom Line: Fuck You“ und „Getting Over the Overs“ auch sofort los. Es fängt an zu regnen und die ersten Leute stellen sich unter, wozu Rob Sullivan meint, dass die Leute doch machen sollen, was sie wollen. Es ist ihm sicherlich doch nicht ganz so egal, dass es die letzte Europa-Show und drittletzte Show von RUINER überhaupt ist, wie es den Anschein macht, als er meint: „Yeah, this is our last show, but what’s the fucking point?“. Der Auftritt gestaltet sich aus mehreren Gesichtspunkten mehr als lustig. Zum einen liefert sich Rob durch das ganze Set hinweg ein Wort-Duell mit einem Fan aus der ersten Reihe (das aber weniger ernst ist als es zwischenzeitlich der Fall ist), weil er ihn ständig unterbricht. Zum anderen erwischen RUINER das wohl schlechteste Wetter des gesamten Wochenendes. Vielleicht ist das Gottes Rache für die nicht all zu netten Worte, die auf Hell is Empty an ihn gerichtet werden? Sullivan entledigt sich seiner Schuhe und Socken und rutscht auf der Bühne von einer Seite zur anderen, legt sich dabei sogar kurz mal hin. Es scheint, als wäre ihm jetzt wirklich alles egal. Während der letzten vier Songs geht der Regen richtig los und vor der Bühne sind maximal noch fünfzig Leute. „If this was fluff fest, the people would still be standing in front of the fucking stage.“ – obwohl Rob beteuert, dass das kein Angriff an das Festival sein soll ein ganz schöner Arschtritt für das größte DIY-Festival Europas. „Once Loved“ und „Kiss That Motherfucker Goodnight“ sind dann neben „Part One“ und „Part Two“, „Dead Weight“ und „Two Words“ vom neuen Album einige der letzten Songs, die man von Ruiner in Europa jemals zu hören bekommt. „Adhering to Superstition“ ist dann der wirklich letzte. Welche Worte wären für den Abgang auch passender gewesen als ein „Hell Yeah“ aus dem Mund des gesamten Festivalgeländes? Eine Zugabe wird zwar gefordert, aber abgelehnt. Typisch RUINER eben. Als Rob dann nach dem Set eine leere Wasserflasche in Richtung nerviger Typ wirft und dieser sie zurückwirft, sehe ich diesen unheimlich authentischen Menschen zum ersten Mal von ganzem Herzen lachen. Eines der letzten verbleibenden Flaggschiffe seines Genres ist untergegangen, aus der Landschaft des melodischen Hardcore verschwunden und gesellt sich in die ewigen Jagdgründe zu den Sinking Ships, Modern Life is War, Go It Alone, Life Long Tragedy, den Dead Hearts, Have Heart und Verse. Wirklich traurig. Und ich hätte ihnen einen denkwürdigeren Abschied gewünscht.



Weg von den verlorenen Helden hin zu den aufstrebenden Hoffnungen im Hardcore: BITTER END bringen das Zelt zum kochen. Eine gute Mischung aus „Climate of Fear“ und „Guilty as Charged“ lässt den Moshpit zu keinem Moment abkühlen und lockt einige Kids aus ihrer Reserve. Wie auch auf Platte präsentieren die Texaner unglaublich groovige und wuchtige Musik, bei der jeder Riff wie ein Schlag ins Gesicht kommt. Hinzu kommt der unverkennbare und innovative Sprechgesang von Daniel Rosen und auch das Effektpedal wird an der ein oder anderen Stelle mal angeschmissen, um die Gitarrenspuren hervorzuheben. Das Zelt hat sich ähnlich gefüllt wie gestern bei Vitamin X, jedoch wird weniger gestagedivet und mehr gemosht. Side to Side ohne Ende, aber es passt ja auch zur Dampfwalze, die auf der Bühne steht. Einige Aktionen im Publikum sind wieder mehr als asozial (beabsichtigte Schläge in Unbeteiligte, die am Rand stehen), aber man weiß ja worauf man sich einlässt, wenn man sich vorne hinstellt. Neben den beiden Titeltracks der Alben ist mir „The Other Side“ sehr in Erinnerung geblieben. Die Menge zeigt sich sehr textsicher und bewegungsfreudig, der Auftritt von BITTER END ist sicherlich einer der besten an diesem Wochenende und wird gebührend abgefeiert. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Band nächstes Jahr gerne wiederkommen wird.

Die größte Enttäuschung an diesem Wochenende (und da gab es an Bands einige) stellt sich jedoch dann bei AS WE FIGHT zur Schau. Im Gedächtnis war mir diese Band geblieben, weil ihre ersten beiden Alben absolute Meilensteine in meiner persönlichen Metalcore-Geschichte gewesen sind. Songs wie „Bringing it all Together“ oder „Annihilation“ (von denen letzterer immerhin gespielt wurde) konnten locker mit dem internationalen Niveau mithalten und standen meiner Meinung nach den richtig großen in dem Genre (As I Lay Dying, Killswitch Engage, Parkway Drive, IKTPQ) in Nichts nach. Bei dem Auftritt denke ich mir dann allerdings nur eins: „Bitte sofort auflösen!“. War ich zunächst nur sehr verwundert, nur vier anstatt sechs Musiker auf der Bühne zu sehen (wie auch auf deren Backdrop sechs Leute zu sehen waren), manifestiert sich schnell ein unglaublich enttäuschender Eindruck. „Catalyst of Terror“ mit einer Gitarre ist auch einfach eine Katastrophe, dessen sollten die Jungs sich doch bewusst sein. Der Sound war sowieso schon schlecht genug. Falls es irgendwo in der Welt sowas wie ein „Wie man sich als Sänger in einer Metalband verhält“-Seminar gibt, sollte deren Sänger das unbedingt wahrnehmen. Das klingt jetzt vielleicht dumm. Aber folgende Aktionen sollte man sicherlich vermeiden, wenn man in einer international bekannten Band auf einem riesigen Festival vor tausenden von Leuten spielt, denn es gibt einen Ruf zu verlieren: Man sollte nicht die Kamera eines filmenden Mädels festhalten und dort 15 Sekunden reinsingen, weil man es anscheinend kaum fassen kann, gefilmt zu werden und der Kleinen wohl eine ganz besondere Freude machen will. Man sollte sich nicht wie ein kleines Kind freuen, wenn ein Mensch auf diesem Riesenfestival auf einmal einen („We weren’t meant to be like this!“ aus „Dead End Streets“ ist auch wahrscheinlich die einprägsamste Zeile überhaupt von AS WE FIGHT) Lyric mitsingen kann und nickend mit dem Zeigefinger auf ihn zeigen, während man ihm das Mikro hinhält. Und man sollte auch nicht jeden Song mit einem Bierbecher in der Hand und wie angewurzelt darbieten. So zumindest meine Meinung. Man denkt sich dabei einfach, dass die Band sich ihrer Stellung wohl in keiner Weise bewusst ist. Die Erwartungen, die ich an AS WE FIGHT jedenfalls gestellt hatte, konnten zu 0% erfüllt werden. Sie spielen fast nur neue Songs, von dem total gefloppten neuen Album „Meet Your Maker“, die kaum jemand überhaupt kennt. Und das Merch ist auch potthässlich. Aber ein paar Mosher haben ihren Spaß. Ich vermute mal, sie sind besoffen oder kennen die Band nicht. Oder beides. Jedenfalls wird kaum geklatscht, nicht mal als der Sänger das belgische Bier lobt (was ich auch selten dämlich finde). Das sollte alles sagen, was es zu sagen gibt.

BORN FROM PAIN gehen die Sache von Grund auf anders an. Sie sind sich ihrem Berühmtheitsgrad eindeutig bewusst und ein perfekt eingespieltes Team, selbst wenn heute mit Pete von Black Friday 29 ein neues Gesicht die Bassgitarre umgeschnallt hat. Sofort fordert Sänger Rob alle Leute auf, nach vorne zu kommen und schon beim ersten Song „Death in the City“ geht mehr ab als bei jeder anderen Band zuvor an diesem Tag. Dennoch fordert Rob immer mehr Stagedives, mehr Leute und mehr Singalongs. „Rise or Die“ schafft es, die Leute immer weiter anzuheizen und mit „Sons of a dying World“ streut man dann auch einen neuen Song ein, den die Leute größtenteils kennen und mitsingen können. So geht es dann 40 Minuten lang weiter, ohne dass die Publikumsbeteiligung zu einem Song einbricht. Selbst alte Songs kommen super an und BORN FROM PAIN beweisen einmal mehr ihre Stellung an der Spitze des europäischen Hardcore und Metal. Hand in Hand mit den Texten des neuen Albums gehen die Denkanstöße von Rob Franssen, kritisch zu denken, sich über unabhängige Medien zu informieren und eigene Meinungen zu bilden. „Stop at Nothing“ beendet ein sehr zufriedenstellendes Set, die Holländer haben wieder einen guten Job gemacht.

Mit DESPISED ICON aus Kanada kommen jetzt die Deathcore-Anhänger voll auf ihre Kosten, nachdem der Freitag für diese Leute eher ernüchternd war. Der Moshpit fällt aus wie man ihn erwartet und die Band wird auf ihrer letzten Tour wohl gebührend gewürdigt. Von The Ills of Modern Man, meinem Lieblingsalbum der Band werden unter anderem „A Fractured Hand“, „Furtive Monologue“ und „In the arms of perdition“ präsentiert. Die Band kann das sehr hohe Niveau ihrer Produktion erstaunlich gut halten und sämtliche Instrumente zeigen unglaubliche Leistungen. DESPISED ICON ist für mich eine der angesprochenen Bands, die aus dem riesigen Feld ihres Genres herausstechen. Leider werden sie sich, wie eben auch Animosity, auflösen. Das Prollo-Gehabe der Sänger war jedoch noch nie wirklich mein Ding. Im Moshpit sorgt die Band jedoch ordentlich für Action, was ihre Teilnahme am Ieper Hardcore Fest wohl bestens rechtfertigt. Auch vom neuesten Album „Day of Mourning“ werden Songs gespielt. Hier sind Breakdowns und Pigsqueals deutlich reduziert, nichts desto trotz kommt auch das gut bei den Zuschauern an.

THE BLACK DAHLIA MURDER sind die Meister auf diesem Gebiet. Death Metal ohne Breakdowns und Pigsqueals, auch ohne diese Elemente unglaublich brutal und hart. Angefangen mit „Everything Went Black“ spielt sich die Band durch eine Serie von schnellen Riffs, bei denen einem die Blastbeats nur so um die Ohren gehauen werden. Leider ist das gesamte Drumset sehr laut abgemischt, vor allem die Snare, sodass man wirklich jeden Blastbeat sehr extrem hört, was auf Dauer manchmal nervt. Im Gegensatz zu ihren Vorgängern auf der Mainstage sind THE BLACK DAHLIA MURDER eher etwas zum Headbangen und Pommesgabel gen Himmel strecken, dennoch spielen sie vor einem sehr großen Publikum und ernten ohrenbetäubende Applause. Auch „What a Horrible Night to Have a Curse“ zündet wie eine Bombe und lässt die Metalheads die Mähne rotieren. Die Band beendet ihre Dreiviertelstunde Ohrenvergewaltigung mit „I Will Return“. Auch diese Band gehört in meiner Wertung zur hohen Klasse des extremen Metal, was auch der Auftritt wieder einmal beweist.

Nach diesem sehr metallastigen Abend gibt es endlich mal wieder etwas für die Two-Stepper, nämlich die europäische Hardcore-Speerspitze NO TURNING BACK. Gestärkt durch einen ehemaligen Modern Life is War-Gitarristen an der zweiten Gitarre kommen die Niederländer sehr wuchtig daher und verlocken zum mitsingen. „Never Give Up“ ist die perfekte Einleitung um das Zelt fast zum Platzen zu bringen. Etliche Stagediver fliegen ab der ersten Zeile von der Bühne, was auch während „Take Your Guilt“ und „Never Again“ nicht abklingt. Es kommt einem vor, als singt das ganze Zelt mit. Die Band freut sich sichtlich, solche Resonanz zu erhalten und beschwört nach „Same Sad Song“ und „Go Away“ dann eben mal den größten Circlepit im Zelt herauf – Wahnsinn! Aber auch der Stagedive-Pegel sinkt kaum ab. Sehr sympathisch ist, wie NO TURNING BACK auch ihre Kollegen in Bitter End, New Morality und Confronto mit Applaus vom Publikum ehren lassen und Madball als „beste existierende Hardcoreband“ betiteln. Madball war sicherlich kein kleiner Einfluss auf das Riffing der Niederländer, da ist es wahrscheinlich immer wieder eine Ehre, wenn man mit dieser Band spielen darf. Mit „Alive or Dead“ und dem Übersong „This World is Mine“ steht man der NYHC-Legende aber in Punkto Singalong-Faktor und Groove in Nichts nach. NO TURNING BACK für mich die beste Band des Wochenendes auf der kleinen Bühne. Man sollte zu schätzen wissen, dass man Spitzenbands wie NTB, Born From Pain und Rise and Fall ja quasi vor der Haustür hat. Auch wenn man diese wirklich oft zu sehen bekommt, schmälert das ihre musikalischen Leistungen nicht.

Set it off! Wer kennt das nicht: Man hat einen langen Festivaltag hinter sich und auf einmal stehen MADBALL auf der Bühne. Oft gesehen, oft gehört, aber nie ein Reinfall. Und auch die vier Hardcorelegenden selbst scheinen sich pudelwohl zu fühlen, wie Sänger Freddy gleich nach wenigen Songs einmal kund tut, wenn er sagt, dass Belgien ihr zweites zu Hause ist. Die Tatsache, dass keine Absperrung vorhanden ist, scheint den New Yorkern zu gefallen und ist für ihren Tour-Alltag sicherlich eher zu einer Seltenheit geworden, jedenfalls nicht mehr normal. Daher erfreuen sich die Kings of NY City an jedem Stagedive und hauen dabei ein Set raus das auf den Punkt genauer nicht gespielt werden könnte. Wie gestern bei Agnostic Front kennt man die Setlist fast schon aus dem Schlaf, aber Songs wie „Hold it Down“, „Cant Stop, Wont Stop“, „Demonstrating My Style“, „Down by Law“, „It’s My Life“ oder das neuere, aber definitiv in diese Reihe gehörende „Infiltrate the System“ werden einfach auch weder schlecht noch öde. Überraschungen gibt es diesmal allerdings auch, denn MADBALL kündigen an, dass sie bald ein neues Album auf Nuclear Blast bzw. Good Fight veröffentlichen, das den Namen „Empire“ tragen wird. Sie präsentieren einen Song von dieser Platte live, er ist ungewohnt schnell und nicht sehr einprägsam (für’s Erste). Mir gefällt er nicht so, aber mal sehen was aus dem Album wird, dass MADBALL enttäuschen können, glaube ich nach all den Jahren nicht. Vom Ieperfest jedenfalls gibt es dafür einen dicken Applaus, ebenso wie für die gut einstudierten Showeinlagen bei Liedern wie „Get Out“. Desweiteren kündigen sie an, dass sie bald wiederkommen, und zwar auf einer Tour mit Sick of it All. Nicht die kreativste Touridee, aber dennoch wird es sicherlich einige erfreuen, das zu hören. Nach einer Zugabe in Form von „Pride“ ist dann auch Schluss und siehe da: Die Uhr sagt 00.20. Heute keine Auflagen? Das verstehe mal einer. Und für diejenigen, die wollen, geht die Aftershowparty im Zelt noch weiter, auf die auch MADBALL verweist. Ich bin allerdings zu müde.


SONNTAG

Die erste Band am letzten Tag des diesjährigen Ieperfests sollte Hang the Bastard aus dem Vereinigten Königreich sein. Deren Slot wird allerdings 50 Minuten verschoben, weil KVELERTAK ihren Auftritt absagen mussten, daher verbringe ich mal wieder einige Zeit in der Zine Library im „More than Music“-Zelt: Zines lesen auf gemütlichen Couches. Tolle Idee.

Um 11.50 stehen die Engländer dann auf der Bühne und präsentieren 25 Minuten lang ihren ziemlich stumpfen Hardcore. An manchen Stellen werden recht gute Gitarrensoli in die Songstrukturen eingebracht, sehr innovativ klingt das, was HANG THE BASTARD da machen, für mich trotzdem nicht. Trotz der frühen Morgenstunde gelingt es der Band jedoch nicht nur, das Zelt recht gut mit Leuten zu befüllen, sondern auch einige dieser in Bewegung zu versetzen. Auf mich wirkt die Performance jedoch eher bemüht als routiniert und die Musik eher monoton als ansprechend. Solide, aber nichts was einen wirklich aufweckt.

Die zweite Band im Zelt, GAZA, war allerdings auch keine Steigerung zu ihrem Vorprogramm. Der Toursupport für Converge langweilt mich schon nach kurzer Zeit so sehr, dass ich lieber wieder auf das Festivalgelände flüchte.

Dort spielen jetzt ANTAGONIST A.D., die erste wirklich interessante Band am Sonntag. Der druckvolle, moshige Sound der Neuseeländer kommt durch die schlechte Abmischung zwar zunächst kaum zur Geltung, kommt aber mit dem Fortschreiten des Sets dann doch irgendwann besser herüber. Ein dutzend Mosher hampeln über den mit Heu bedeckten Platz vor der Bühne, mitsingen kann leider niemand, aber durch die ausgiebige Tour mit Grave Maker und 50 Lions dürfte die Band vom anderen Ende der Welt wohl in Zukunft etwas mehr Aufmerksamkeit in Europa bekommen. Schließlich sind sie auch zum ersten Mal hier. Die vier Musiker wirken sehr sympathisch und bedanken sich ehrfürchtig für den Applaus und für die Chance, Teil dieses Festivals zu sein. Sie waren für die Dead Swans im Line-Up nachgerutscht, da die Brightoner zurzeit ohne Drummer sind. Mit „This Gun“ wählen ANTAGONIST A.D. meiner Meinung nach den perfekten Song für das Finale ihres kurzen Sets.

Mehr Neuseeländer gibt es direkt im Anschluss im Zelt anzusehen, die sind allerdings nicht tätowiert und produzieren auch keine Musik, zu der man sein Zimmer zerlegen kann. AN EMERALD CITY sind definitiv die bestgekleidetste und ausgefallenste Band des Festivals und ich bin bereits bevor sie anfangen zu musizieren froh, dass ich mich entschieden habe mir das anzusehen. Ausgestattet sind die Paradiesvögel mit einer Violine, einem Drumpad, einem Synthesizer, einer Bassistin, einem Gitarristen und Sänger mit Umhang und einem zur Abwechslung recht normal aussehenden Drummer, wobei der Kerl an dem Drumpad auch ab und zu mal Bongo-Trommeln bedient. Heraus kommt bei diesem bunt zusammengewürfelten Haufen eine sehr facettenreiche und schwer zu beschreibende Art der Musik ohne Texte (lediglich mit Gesängen). Es klingt teilweise etwas rockig und auf jeden Fall psychedelisch, aber keinesfalls zu abgefahren oder amateurhaft. AN EMERALD CITY scheinen Musiker mit Leib und Seele zu sein, passen halt nur nicht so ganz in das Lineup. Aber vielleicht sind es genau solche Bands, die dem Ieperfest jedes Jahr seine Würze geben, es ist nämlich nicht das erste Mal, dass die Band hier spielt. Für viele Leute scheint die Musik eine angebrachte Auszeit zu sein, denn das Zelt ist alles andere als menschenleer.

Die zweite von drei Bands aus dem Tourpaket der 50 Lions ist GRAVE MAKER. Diese Band müsste spätestens nach ihrer ausgiebigen Tour im letzten Jahr mit This is Hell vielen ein Begriff sein. Nach dem großartigen Bury Me at Sea brachte die kanadische Band jüngst ein neues Full Length mit dem Namen Ghosts Among Men heraus. Dennoch konzentriert sich der Auftritt der Band auf ältere Songs, was sicherlich auch die bessere Wahl ist, denn die neuen Songs sind noch nicht all zu bekannt. So können ältere Songs wie „Drop the Torch“ oder „The Boatmen“ definitiv besser punkten als zum Beispiel „Stronghold“ vom neusten Album. Trotz des guten Auftritts ist die Publikumsbeteiligung aber eher niedrig, was auch daran liegen kann, dass es noch relativ früh ist. Nur vereinzelt moshen einige Leute und mitgesungen wird recht wenig. Nur beim letzten Song „Time Heals Nothing“ springen sie gen Mikrofon und brüllen die Textzeilen mit, was GRAVE MAKER sichtlich erfreut.

Origin scheinen es nicht rechtzeitig zum Ieperfest zu schaffen, weswegen deren Show abgesagt wird und Trash Talk, die ebenfalls schlecht in der Zeit drin, tauschen ihren Slot mit Kylesa und werden im Zelt spielen. Die Menge jubelt, als ein Offizieller dies auf der Hauptbühne verkündet.

Wenig später stehen Oscar McCall und der Rest der 50 LIONS auf der Bühne. Los geht es mit dem Intro der Self Titled EP, welches leider nicht wie auf Platte in Living Hell übergeht. Stattdessen fangen die Australier mit „To The Test“ an, was den Leuten vor der Bühne (etwas mehr als bei Grave Maker) jedoch auch ein Begriff ist. Wenig später schließen sich „Faithless“ und „Snakes“ von dem wohl besten Release der Band namens Time is the Enemy an. Die neuen Songs gestalten sich viel metallischer und weisen meiner Meinung nicht mehr den typischen Groove des Vorgängers auf, hinzu kommt dass Oscar’s Singstil mir inzwischen weniger gefällt. Dennoch machen „For the Worst“, „Life Expires“ und „Still Lost“ live Spaß. Wie immer wirkt die Band stellenweise etwas lustlos und die Ansagen sind kurz und selten. Dem guten Set tut das keinen Abbruch, vor allem „The Realness“ von der Split mit Down to Nothing stellt nochmal einen Höhepunkt dar, bevor bei „Time is the Enemy“ nochmal jeder mitgröhlen kann.

Im Zelt spielt durch den Ausfall von Origin gerade niemand.

BREAKDOWN ist etwas für das ganz alte Eisen. Diese Band kennt die jüngere Generation wohl höchstens, weil Bitter End ein Cover von ihnen auf der Mind in Chains EP hat. Den Männern auf der Bühne merkt man ihr Alter inzwischen auch an, wenn sie Lieder wie „Street Fight“ oder „March of the White Trash“ spielen. Es gibt allerdings wider Erwarten doch eine Hand voll textsicherer Fans, die meisten Gesichter sehen auf dem Festivalgelände jedoch eher gelangweilt aus und wissen die Band nicht zu schätzen. Auch „Don’t Give Up“, das Cover von dem gerade die Rede war, wird gespielt.

Das Festival hat heute ganz schöne Schwierigkeiten, kurz vor dem Auftritt von Kylesa wird nämlich bekannt gegeben, dass Trash Talk jetzt gar nicht spielen. Viele Leute wird das sicher enttäuschen, aber das ist höhere Gewalt. Origin haben es jetzt doch nach Ieper geschafft und nehmen den Slot ein, der für Trash Talk vorgesehen war.

Aber vorher spielen noch KYLESA auf der Hauptbühne. Während ich lange versuche, dahinter zu kommen, warum diese Band zwei Drumsets hat, höre ich nur leichte Besonderheiten im Drumming gegenüber einem Drumset heraus. Mag aber auch daran liegen, dass ich nicht selbst Schlagzeug spiele. Die Songs der Kapelle sind sehr differenziert und durch einige Effekte ausgeschmückt und auch die Stimmgewalt der Sängerin weiß zu überzeugen. Daher fällt es mir schwer die Band auf Anhieb angemessen einzuordnen (nicht dass man das müsste), was man wohl eher als Kompliment für KYLESA werden dürfte. Sehr eigen, schlecht vergleichbar. Jedoch ist das Ganze nichts, was ich mir aufgrund des Auftritts jetzt unbedingt daheim anhören muss. Vielleicht wäre das bei besserem Sound anders gewesen, aber der Sound auf dem Ieperfest lässt leider einige Male zu wünschen übrig, sodass viele wahrscheinlich gut ausgeklügelte Songpassagen einfach als Matsch am Ohr ankommen.

In die Reihe von ziemlich lange bestehenden Bands reiht sich auch ALL OUT WAR ein, an denen mich der weiße Bart des einen Gitarristen auf Anhieb sehr fasziniert. Die Musik eher weniger. Der metallische Hardcore der New Yorker ist sicherlich nicht einfach gestrickt, jedoch ist meine Laune nach ein paar Stunden voller für mich eher belangloser Bands ziemlich im Keller, sodass ich kaum noch aufmerksam zuhöre. Stellenweise erinnert mich die Musik ein wenig an Earth Crisis, die ja auch einen Song haben, der All Out War heißt. Die Band kündigt jedenfalls an, dass bald ein neues Album über Victory Records auf den Markt kommen wird, nämlich „Into the Killing Fields“. Der Sänger beschwert sich kurz über die Anteilnahme der Crowd, die sich in Grenzen hält. Davon lassen sich ALL OUT WAR jedoch nicht beirren und ziehen ihr Set routiniert durch. Später zeigt der Sänger jedoch in einem Interview in dem „More Than Music“-Zelt, dass er ein sehr netter und bodenständiger Typ ist, der einige intelligente Dinge zu sagen hat, als er über das politische System in Amerika redet.

Nach meiner letzten größeren Pause stehen dann noch zwei Bands aus und ich mache mich auf den Weg zum Zelt, um mir AMENRA anzuschauen. Über diese Band hatte ich im Vorfeld viel gehört, sodass ich wirklich gespannt auf deren Performance war. Das Zelt ist komplett abgedunkelt und hinter den Musikern läuft im Hintergrund eine Dia-Show ab. Verwendet werden keine bunten Lichter, sondern nur helles weißes Licht (das auch ziemlich selten) und Nebel. Die einheimische Band spielt vor einem vollen Zelt und bei einer unglaublichen Atmosphäre. Obwohl der Sänger fast die ganzen 40 Minuten mit dem Rücken zum Publikum steht, ist der Auftritt von AMENRA unglaublich packend. Es gibt keine Pausen zwischen den Liedern und erst recht keine Ansagen. Einige Besonderheiten also, die diese Band an sich hat. An gewaltige, wuchtige Parts mit Schreien, die unter die Haut gehen reihen sich immer wieder langsame und melodische Parts, die teils ohne Gesang auskommen, bei denen teilweise aber auch eine Art Sprechgesang verwendet wird. Jegliche Bewegung im Publikum wäre bei der Musik eher unpassend, deswegen stehen die meisten Zuschauer gebannt da und mustern, was auf der Bühne geschieht. Ideenreiche Gitarrenspuren kennzeichnen die Unterschiede zwischen den Sonst eher gleich klingenden Songs. Man kann jedoch wahrscheinlich nicht alle Nuancen der Musik wahrnehmen, wenn man sich im Vorfeld nicht mit AMENRA auseinander gesetzt hat. Es handelt sich hier sicherlich um eine Band, die Zeit braucht und in die man sich reinhören muss. Interesse wecken die fünf Musiker allerdings im Handumdrehen durch ihre außergewöhnliche Bühnenpräsenz.

Kurz bevor Amenra ihr Set beenden, werden überall auf dem Festivalgelände Schilder aufgehangen, auf denen steht dass Trash Talk um 21 Uhr auf der Main-Stage eine Viertelstunde zum Besten geben werden und Converge im sofortigen Anschluss spielen. Hatte ich mir schon gedacht, da man alle der vier Musiker schon im Merchzelt gesehen hatte und die ja sicherlich nicht umsonst nach Ieper kommen. Die Schlange vor dem Merchandising-Stand war übrigens total unglaublich.

Schnell den Linecheck gemacht und los ging es auch schon mit TRASH TALK, die anscheinend auch dasselbe Equipment wie Converge benutzten. Ob das auch so reibungslos funktioniert hätte, wenn sich die beiden Bands nicht aufgrund der ehemaligen Zusammenarbeit so nahe standen? Jedenfalls drehen die Ieperfest-Besucher vom ersten Moment des Auftritts komplett durch. Schon nach wenigen Sekunden Spielzeit öffnet sich der wahrscheinlich größte, aktivste und wildeste Moshpit des Wochenendes und Dutzende von Kids erklimmen die Stage und stürmen Sänger Lee oder stagediven. Nichtmal fünf Sekunden muss Lee Spielman singen, ohne dass ihm jemand das Mikro entreisst. Ich schließe daraus mal, dass einige Leute sehr traurig gewesen wären, wenn aus dem Auftritt doch nichts geworden wäre. TRASH TALK erwähnen sofort, dass sie nicht viel Zeit haben, reden nicht viel um den heißen Brei und präsentieren einige ihrer vorteilhaft kurzen Lieder, unter anderem „Walking Disease“. Lee erklimmt das Geländer der Mainstage, wirft einige Male das Mikrofon in die Leute und hat sichtlich seinen Spaß. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich nicht ganz verstehe, wieso dieser Band soviel Aufmerksamkeit zugewendet wird. Die Musik ist weder komplex noch besonders toll präsentiert, weder besonders einprägsam noch besonders innovativ. Ceremony machen da nach wie vor ihren Job wesentlich besser, aber ich denke Ceremony hätten heute in Ieper sogar „den Kürzeren“ gezogen. TRASH TALK überziehen fünf Minuten, ernten höllisch lauten Applaus und räumen das Feld für Converge.

Diese checken erstaunlich kurz ihre Instrumente und sind fast sofort mit den Einstellungen des Soundmanns zufrieden. Auch Sänger Jacob Bannon zeigt sich publikumsnah, als er vor dem Set mit den Leuten abklatscht und vereinzelt auch mit ihnen spricht. Er dehnt sich ein wenig und macht einen optimistischen Eindruck. Dann geht es auch sofort mit „Concubine“ in die Vollen. Erstaunlich viel Bewegung. Eigentlich kann man zu CONVERGE höchstens headbangen. Dachte ich zumindest. Two-Steps, moshen und stagediven macht doch bei deren Musik keinen Sinn. Trotzdem finden sich genug Leute, die jede dieser Aktionen auch ausführen und dabei aussehen wie Clowns. Der Sound ist leider nicht headlinerwürdig, die Setlist aber ganz gut gewählt. Nach „Dark Horse“, „Heartache“ und „Hellbound“ erfüllt die Band auch die Wünsche der ersten Reihen und gibt so zum Beispiel „Lonewolves“ zum Besten. Kurt Ballou wirkt etwas knickig, als Jacob meint, jeder außer ihm würde das normale Set spielen wollen, aber er weigere sich dagegen. Dennoch kann man das Gezanke zwischen Ballou und Bannon wohl eher als Spaß aufnehmen und das Set ist trotzdem sehr gut. Der Gesang ist leider wesentlich rauer und tiefer als auf der Aufnahme, hätte mich aber auch gewundert wenn man diese abnormalen Geräusche auf der Bühne und vor allem nach sieben Wochen, in denen man auf Tour war, hinbekommt. Was ich nicht erwartet hatte, ist dass bei CONVERGE so viel mitgesungen wird. So zum Beispiel bei „Homewrecker“. Fast ununterbrochen hält Jacob das Mikrofon in die ersten Reihen, von einem Mund zum anderen. Schön aber, zu sehen, dass die Leute Converge als Headliner so abfeiern, denn die sind schon eine ganz andere Nummer als Agnostic Front und Madball – muskalisch gesehen. Nach 10 Songs ist dann leider auch schon Schluss, was mich etwas anpisst, da das Set wohl nur wegen Trash Talk so kurz war. Aber was soll’s.


Unter dem Strich: Richtig nettes Festival mit allem drum und dran. Nur das Wetter war nicht auf unserer Seite. Wie No Turning Back bei ihrem Set erwähnten, gab es Leute aus ganz Europa (England, Spanien, Skandinavien usw) die auf das Ieperfest reisten. Und das hat sicherlich auch seinen Grund. Der DIY-Gedanke ist ohne die Absperrung und mit dem „More than Music“-Zelt und dem großen, veganen Essensangebot sowie den Informationsständen, den Distros und der Zine-Library wirklich schön umgesetzt. Man hat die Möglichkeit, eine Menge gleichgesinnter Leute zu treffen (auf Riesenfestivals verläuft sich das ja eher) und eine Menge manchmal auch sehr exklusiver Bands zu sehen. Auch die Bands scheinen sich in Ieper immer wohl zu fühlen, denn die meisten lobten dieses Fest und alle, die mit dessen Organisation zu tun haben, während ihres Sets. Wenn das Lineup 2011 also stimmt, bin ich gerne wieder dabei, vielleicht dann auch ohne ständigen Platzregen.