07.06.2014: Rock Im Park - Nürnberg - Zeppelinfeld

07.06.2014
 

 

Es ist der Nachmittag der guten Laune. Der Duft von Sonnencreme liegt in der Luft, Menschen liegen auf ihren Handtüchern wie im Freibad und Sonnen sich und durch diese Menschen schlängeln sich wieder andere tanzend und hüpfend hindurch. Nürnberg ist zu einer Sommeridylle mit freundlich überdrehtem Publikum geworden – und das trotz Hitze.
Für uns beginnt der Nachmittag an der Alternastage mit PORTUGAL THE MAN. Sphärisch entspannter, handgemachter Rock bei dem teils an mehreren Instrumenten gleichzeitig hantiert wird und die ganz eigenwillige Stimme von Sänger John Gourley bereiten einen gelungenen Einstieg in den Festivaltag.
Es geht direkt weiter zu JAKE BUGG auf der großen Centerstage. Hier ist Volksfestähnliche Stimmung. Alles tanzt, vom barocken Samtkostüm, zum „Nonnen-Mann“, Mädels, die sich im Twerken versuchen und kleinen Kreisen in denen Ringelreih getanzt wird – die Verläufe zwischen Sonnenstich bei 32°C, Promillegrenze und dem ganz normalen Festivalübermut sind fließend. Und das neue Wunderkind des Britpop macht Stimmung und unterhält die gutgelaunten Massen. Was spannend ist, denn sobald der junge Engländer nicht singt, wirkt er direkt schwermütig. Aber er zeigt auch, wie viel Talent in ihm steckt. Technisch einwandfrei singt und spielt er sich auch durch schwierige Passagen – Jake Bugg klingt wie auf Platte, nur irgendwie noch besser.
Das Getanze geht anschließend weiter, vor allem auf der Bühne. Die Kalifornier von AWOLNATION sind gut drauf und zeigen, wie gut sie zu einem Sommerfestival passen. Während der Intrumentalparts tanzt Sänger Aaron Bruno um das Schlagzeug herum oder interpretiert den Robot Dance modern. Generell wird hier vieles modern interpretiert, denn mit ihrem grenzenlosen Crossover fühlen sich Awolnation nur dem verpflichtet, was gut klingt. Die Combo um Songwriter Aaron macht zur Zeit alles richtig und ist gefragt, erfolgreich und gut, mit ihrem intelligenten und zeitgemäßen Genre-Mischmasch, der von Punk, über Soul und Elektro von allem etwas hat. Ein toll performtes Set, bei dem man gerne länger bleiben würde. Aber der Festivalstundenplan ist ziemlich vollgepackt.
Nach dem gleißenden Sonnenschein wechseln wir in die dunkle und irgendwie stickige Clubstage. Drinnen drängen sich Schattensuchende, Menschen die eine metal-lastigere Alternative zum aktuellen Programm auf den anderen Bühnen suchen und einige MISS MAY I Fans. Ihr Set ist kurzweilig, aber auch leider irgendwie etwas unspektakulär.
Ganz anders sind da ARCHITECTS. Man könnte sogar den Eindruck bekommen, man wäre auf einer Headlining-Show der Engländer, so dicht stehen die Menschen bis ganz nach Hinten. Als sie mit „Gravedigger“ eröffnen, ist die Begeisterung in der Menge groß. Ihre Show ist mitreißend, die ersten Crowdsurfer werden nach Vorne getragen, voller Begeisterung singen die Massen mit und feuern die Band in einer unwahrscheinlichen Lautstärke an. Mit Leidenschaft und Freude spielen sich Architects in das Herz der Leute – allerdings legen sie auch hier wieder einmal mit etwas zu viel Elan los, so dass sich gegen Ende kleinere Fehler einschleichen. Dafür jedoch macht die Songauswahl wieder viel wett, die zur Hälfte aus Songs vom neuen Album „Lost Forever// Lost Together“ und zur anderen Hälfte aus Lieblingen aller Vorgängeralben besteht.
Wie kaum ein Zweiter der in der –Core Szene Erfolg hat, spalten SUICIDE SILENCE die Meinung des Menschen. Waren sie nach Tod von Mitch Lucker von vielen totgesagt worden. Umso erstaunlicher war es dann, dass die Band mit dem neuen Sänger Eddie Hermida weitermachen wollte und dieser auch noch so gut von den Fans aufgenommen werden würde. Bei Rock im Park verzeichnen sie ebenfalls einen ungeahnten Erfolg. Es ist noch voller als bei Architects, sogar zu voll, bis dann endlich nach ein paar Songs die Zugänge zu den Tribünen eröffnet werden. Viele sind wohl auch gekommen, um die Band in dieser neuen Konstellation zu sehen. Die Stimmung kocht und es gibt einen enormen Pit, der beinahe den kompletten vorderen Teil der Halle einnimmt und der später zu einem gigantischen Ruderboot wird. Die Band ist gewohnt charismatisch und die Show bis ins Letzte durch getaktet. Einzig der Sound lässt etwas zu wünschen übrig, ist insgesamt zu matt und zu matschig. Auch stört, dass die Bandmitglieder regelmäßig hinter die Aufsteller auf den Bühnen und damit aus den Augen des Publikums verschwinden, um Instrumentenwechsel vorzunehmen, was den insgesamten Fluss etwas stört.
Ebenfalls mit dem Gedenken an einen Verstorbenen geht es auf der Centerstage weiter, jetzt schon bei viel erträglicheren Temperaturen: MANDO DIAO aus Schweden eröffnen ihre Show mit einer persönliche Widmung für einen verstorbenen Wegbegleiter der Band. Danach folgt ein viel zu langes Intro und auch die ersten Songs wollen nicht so wirklich in Gang kommen, weswegen die Stimmung am Anfang ziemlich tot ist im Publikum. Obwohl viele Songs dancig interpretiert werden, was manche den Kopf schütteln lässt – u.a. „God knows“ – dauert es sehr lange, bis sich die Menge bewegt. Aber vielleicht wäre es hier auch besser gewesen, bei den rockigen Versionen zu bleiben. Man wird das Gefühl nicht los, dass viele Mando Diao eher nur zur Kenntnis nehmen, als das Konzert wirklich abzufeiern. Besonders deutlich wird das darin, dass so gut wie keine Jubelrufe nach den Songs zu hören sind (ehrlich gesagt ist es beinahe still vor der Centerstage) und auch Applaus ist etwas verhalten.
Bei OF MICE & MEN in der Clubstage können wir leider nur kurz die Nase reinstecken, für mehr reicht es zeitlich nicht. Aber auch in diesen fünf Minuten festigt sich der Eindruck, den Of Mice & Men schon bei den letzten Deutschland Tourneen geschaffen haben: Sie sind Stimmungsmacher mit einer beeindruckenden Publikumsinteraktion mit einem Händchen für aktuelle Trends in der Szene. Die Töne sitzen, die Tshirts von den Fangirlies in den ersten Reihen allerdings nicht mehr so.
KINGS OF LEON, der Headliner an diesem Abend auf der Centerstage, sind ein absolutes Highlight. Der Sound ist perfekt abgemischt, als die Sonne über den Staubwolken des Dutzenteichgeländes untergeht. Und was diese Jungs aus den Südstaaten dann aufs Parkett legen, beweist, was für wundervolle Musiker sie sind, die ihr Handwerk verstehen. Sie schaffen durch gekonnte Livevariationen und fehlerloses Spiel, selbst bei schwierigen Tempowechseln und Übergängen. Doch die Musiker zeigen auch nicht nur ihr Händchen für akustische Ästhetik, sondern auch für die optische: Ihre eigene Videocrew überträgt live auf die großen Screens, wunderschöne im richtigen Moment geschnittene Bilder mit unterschiedlichen Farbfiltern. Die manchmal eingeblendeten psychedelischen Animationen, Traumbilder von Blumen und Regentropfen und Dinge, die das Innere eines Leviatans sein könnten, nehmen den Zuhörer mit auf eine audiovisuelle Reise. Bei all dem, während Kings Of Leon so ein komplexes Konstrukt spannen, gibt es auch Momente, in denen man noch die Jungs erkennt, die sich von Kindesbeinen an kennen. Ein wirklich schönes Konzerterlebnis, das noch bis weit hinten im Publikum die Menschen vereinnahmt. Gleichzeitig bewegt sich der Auftritt aber auch auf dem schmalen Grat zum „ganz nett“, denn wirkliche Ausnahmemomente gibt es selten. Doch dann gibt es noch als Betthupferl von der Centerstage „Sex On Fire“, damit jeder noch einmal mitgrölen kann und dann beseelt zu den anderen Acts auf den anderen Bühnen pilgern kann.
Leider fast genau zeitgleich (nämlich nur zehn Minuten später) beginnen QUEENS OF THE STONE AGE auf der Alternastage zu spielen. Der Besucher ist hier also wirklich in einem Gewissenskonflikt. Das erste, was bei dem Wechsel von Kings Of Leon zu QOTSA auffällt, ist ein massiver Unterschied in der Soundqualität an der Alternastage. Auch stellt man fest, dass hier ein ziemliches Kommen und Gehen vorherrscht und sich nur wenige auf die Soundprodukte um Musikgenie Josh Homme einlassen. Queens Of The Stone Age sind zwar wie immer brillant und technisch perfide, jedoch lässt sich über ihre Songauswahl – „My God Is The Sun“ und „Smooth Sailing“ ziemlich zu Beginn - streiten, die dem arglosem Hörer den Zugang erschweren. Trotz allem, auch trotz der gewohnt kühlen Art des Kaliforniers Homme, herrschte in den ersten Reihen eine gute Stimmung , die dazu einläd, sich komplett in Hommes Stoner-Rock fallen zu lassen.
Der letzte große Act an diesem Abend sind NINE INCH NAILS, ebenfalls auf der Alternastage. Die Show beginnt mit einem Trent Reznor, der sich in der Dunkelheit der Bühne langsam manifestiert und daraufhin zum einzigen Licht auf der Stage wird. Diese ersten paar Sekunden des Sets haben auch Symbolcharakter: Reznor in einer Säule aus Licht, um die herum alles andere an Bedeutung zurücksteht; Reznor als genialer Kopf, der über einem Sound thront, den er in 25 Jahren verperfektioniert hat. Damit wäre an sich schon beinahe alles gesagt. Doch der Auftritt von NIN sind auch ein ästhetisches Highlight. Aus dem monochromen Licht zu Beginn rollen langsam die ersten Takte von „Copy Of A“ an, das sich von einem simplen Klatschen zu einem komplexen Soundwirbelsturm entwickelt. Die Musiker stehen vor weißen Leucht-LEDs und zeitweise lösen sich ihre Körper im Takt der Beats aus ihrer Position, dann sieht es aus als würden sich ihre projizierten schwarzen Schatten nur schwer von dem weißen Hintergrund losreißen, es aber doch nie ganz schaffen, sich von der Helligkeit zu lösen. Und während mit der Zeit die Lichtshow immer komplexer wird und bald alle Farben dem Publikum ins Gesicht geschleudert werden, scheint es, als täten die Musiker auf der Bühne die Musik nur um der Musik willen machen. Zwischen Songs wird kaum für den Applaus des Publikums pausiert, so sehr sind NIN dem Soundkonstrukt und diesem Moment verpflichtet. Ein intensiver und gelungener Gig, der die Menschen in seinen Bann zieht.