01.10.2010: The Acacia Strain, Vera Cruz, Thick As Blood, Down To Nothing , Terror, Every Time I Die, All Shall Perish - Backstage - München

01.10.2010
 

 

Ich erzähle damit wohl niemandem mehr etwas neues, aber: Hardcore ist schon eine ganz schön heterogene Sache. Für die einen mehr Music, weniger Message, dafür umso mehr Gelegenheit, mal wieder ordentlich die Sau raus zu lassen und für die anderen wütende Protestmusik, bei der Texte im Zweifel höheren Stellenwert genießen als musikalisches Können. Kommt es nun zur Hell On Earth-Tour sind die Fronten da schnell geklärt. Wahlweise die Gelegenheit, möglichst viele Bands in einem eng gefassten Zeitplan erleben zu können oder Verrat an DIY-Ethos, JuZe-Mentalität und im Zweifel Hardcore an und für sich. Fakt ist jedoch: die Leute, sie kommen und das ausgesprochen zahlreich. Auch am heutigen Abend ins Münchener Backstage, das sich seinen einstmals alternativen Anspruch mit den Billings von Grauzonen-Bands wie FREI.WILD oder homophoben Dancehall-Trotteln wie SIZZLA schon längst verspielt hat. Wem eine gewisse Szene-Kredibilität lieb ist, der lässt sich da besser nicht blicken oder verliert darüber zumindest nicht allzu viele Worte. Wenn allerdings die Szenewächter TERROR ebenso wie DOWN TO NOTHING aufspielen und von diversen anderen, möglicherweise etwas weniger integren Bands begleitet werden, füllt sich die 1.000er-Halle doch beträchtlich. Ein buntes Treiben ist das dann, wo sich Drop Dead-Fashion-Kids mit geweiteten Ohrläppchen direkt neben alte Recken im FLOORPUNCH-Shirt stellen und die nebenstehende Person jeweils mit Kopfschütteln quittieren. Die von Scott Vogel gern beschworene Unity? Pustekuchen. Aber das ist eben so, bei derlei Massenveranstaltungen, bei denen es dann letztlich eben doch vor allem um eines gehen sollte: Musik.

Den mit sieben Bands überaus ausschweifenden Reigen eröffnen dieses Mal die Franzosen von VERA CRUZ. Mir und offenbar einem Großteil des zu diesem Zeitpunkt eher spärlich vorhandenen Publikums bis dato völlig unbekannt haben die Jungs vor allem ein Problem: am selben Abend sollen auch noch EVERY TIME I DIE spielen. Beide Bands eint nämlich die Liebe zu rockigem, dreckigen Hardcore mit gelegentlichem Klargesang, der bei VERA CRUZ zudem auch noch mit eher unmotiviert daherkommenden Breakdowns und schnellen Punkparts kombiniert wird. Das alles ist passabel, die Bühnenshow vor allem von einem wilden Hin- und Her-Rennen der einzelnen Akteure geprägt und gelegentlich auch zum dezenten Kopfnicken animierend, nur alles in allem trotzdem zu unspektakulär, um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Am Ende des Abends ist Paris eben nicht Buffalo und VERA CRUZ bleiben bestenfalls eine kleine, immerhin nicht allzu langweilige Randnotiz auf einer großen Tour mit vielen alten Recken, die schlußendlich auch genau die Abgeklärtheit aufweisen, die dieser Band noch fehlt.

Mangelnde Bühnenerfahrung kann man daraufhin THICK AS BLOOD nicht unbedingt vorwerfen. Die haben schon so einige Shows auf dem Kerbholz und zu ihrer Musik wurde mit Sicherheit auch schon die eine oder andere Nase gebrochen. Mit komplexen Arrangements hält man sich dann auch nicht auf. Hier gibt es durchgehend auf die Fresse. Die Zielgruppe quittiert's mit Wohlwollen und Fußtritten ins Publikum, der Rest schaut etwas ratlos zu. Erst recht, wenn sich der eine oder andere Selbstdarsteller auf die Bühne wagt, um wenig später mitsamt des Aushilfssängers der Band (der Original-Schreihals ist auf der Tour nicht dabei, warum auch immer) von eben dieser segelt. Da guckt die Security kurz nach dem rechten, ist beruhigt als alle noch leben und die Show kann weitergehen. Es ist ein obskures Schauspiel, durch und durch. Ein Schauspiel, das die Band mit ihrer Musik aber auch provoziert und gut zu heißen scheint, indem sie eine starke Nähe zu diversen Beatdown-Kapellen der letzten fünf Jahre aufweisen und ihre Zielgruppe somit perfekt bedienen. Aber auch nur die. Nach gerade einmal sechs Songs ist Schicht im Schacht und der letzte Spinkick vollführt. Nächste Band, bitte!

Wobei, einfach nur die „Nächsten“ sind DOWN TO NOTHING nun wirklich nicht. Jedenfalls für mich und auch nicht für oben schon erwähnte Herren in FLOORPUNCH- und Konsorten-Shirts. Die Band um den TERROR-Bassisten am Mikro lieferte genau das, was man von ihnen erwartet hat: leicht prolligen, dabei aber stets liebenswürdigen Hardcore der New York-Schule mit unzähligen Singalongs und 2-Step-Parts. Die Jungs wissen haargenau, wie der Hase läuft und lassen sich von der im Bandkontext sicher als zu groß empfundenen Bühne nicht weiter beirren, prügeln sich stattdessen ausgesprochen sympathisch durch Songs aller Alben und 7“'s der Bandgeschichte und haben mit „Down On You“ noch einen der feinsten und in seiner Kürze prägnantesten Hardcore-Songs der '00-er Jahre im Repertoire. Das alles verläuft spaßig und auch angenehm friedlich und wird zusätzlich noch mit Ansagen wie „Let's do a circle pit. Yeah, that's basically running in a circle“ verfeinert. Auch ihre Straight Edge-Attitüde bringt die Band angenehm undogmatisch rüber und kann somit sowohl musikalisch, als auch Sympathie-mäßig punkten. Toller Auftritt einer tollen Band, die natürlich im kleineren Club-Kontext noch weitaus spaßiger daher kommt, ihre Energie aber auch auf einer großen Bühne wie dieser hervorragend rüberbringt. Immer wieder gerne.

Nach so viel positiv aufgeladener Energie wird es Zeit für eine „angry, pissed off and negative“-Band wie THE ACACIA STRAIN. Die Jungs machen ja seit Platte Eins im Grunde nichts anderes, als ihre möglichst tief gestimmten Breakdowns leicht variiert aneinander zu reihen und irgendwie notdürftig in Songs zu unterteilen und dienten damit ja als Blaupause für weitaus populärere Vertreter dieser ganz eigenen Subsparte wie EMMURE. Das Erstaunliche daran: aufgenommen funktioniert das sogar einigermaßen gut und gelegentlich stellt sich auch so etwas wie Atmosphäre ein. Live ist das alles dann wie erwartet eine einzige große Soundwand, in der es noch schwerer fällt, zumindest dezente Unterschiede auszumachen. Ist offenkundig vielen aber egal, denn mangelnde Wirksamkeit kann man dieser Musik live nun wahrlich nicht unterstellen. Das Publikum liefert, was die Band fordert, wenn sie Ansagen der Marke „cause physical violence on everyone in this“ vom Stapel lässt. Das mag ins menschenfeindliche Image der Band passen, als eher positiv und pazifistisch eingestellter Hippie, wie ich es nun mal bin, stellen sich mir jedoch alle Nackenhaare auf. Musikalisch erwartungsgemäß genau das, was ich erwartet habe, menschlich jedoch eine ziemliche Enttäuschung. Wem's gefällt...

Geschmackssache sind dann auch ALL SHALL PERISH, die so richtig nicht in das Billing des heutigen Abends passen wollen. Dachte ich jedenfalls, hatte aber auch schon wieder völlig verdrängt, dass die Band nach dem famosen Death Metal-Brett „The Price Of Existence“ ja auch noch ein weiteres Album veröffentlicht hat, das vor langweiligen Breakdowns und Midtempo-Prügelei nur so strotzt. Live wird ein Querschnitt dieser beiden Alben zumindest hoch energetisch vorgetragen und technisch ist die Band ja ohnehin über jeden Zweifel erhaben. Subjektiv gefällt mir allerdings das qualitative Gefälle zwischen alten und neuen Songs überhaupt nicht und somit bleibe ich recht unbeeindruckt zurück, wenngleich sich die Band stilistisch doch besser in den Abend einfügt, als ich es im Vornherein erwartet hätte. Bei „Erradication“ durchfährt es aber auch mich nach wie vor wie ein Blitz und es fällt schwer, die Qualität, die diese Band einmal vorzuweisen hatte zu leugnen. Verflixte „Weiterentwicklung“. Hätte ich vor drei Jahren sicher noch deutlich mehr abgefeiert.

Schon immer abgefeiert habe ich dagegen EVERY TIME I DIE. Deren leicht chaotisches Rock/Hardcore-Potpurri ist heute Abend zwar sicher nicht jedermanns Sache und wirklich überzeugt haben dürfte die Band wohl vor allem diejenigen, die sich mit der Partytruppe schon im Vornherein auseinandergesetzt haben, aber für mich sind sie das Highlight des Abends, obwohl sie sich nach wie vor vehement weigern, noch Songs ihres famosen „Last Night In Town“-Albums zu spielen. Wäre der Stilbruch wirklich zu groß? Oder schämt sich die Band gar für ein solches Album? Aber was soll's? Auch so funktioniert das Set aus Songs aller Alben von „Hot Damn“ bis „New Junk Aesthetic“ hervorragend und es fällt auf, wie sehr diese Band mittlerweile ihren eigenen Stil gefunden hat. So kaltschnäuzig wie EVERY TIME I DIE kombiniert kaum jemand sonst Southern Rock und Hardcore mit leicht chaotischem Anstrich. Und auch von der Bühnenpräsenz her zeigen sich die fünf Musiker von ihrer besten Seite. Sänger Keith ist ja ohnehin ein äußerst charismatischer Frontmann, doch auch der Rest der Musiker weiß auf sich aufmerksam zu machen, ohne dabei nur aufgesetzt oder deplaziert von einer Seite zur anderen zu rennen. Hier sitzt im Grunde alles. Das sind Vollprofis, die aber immer noch den Charme der netten Rowdies von nebenan versprühen. Großartig und auch in einer Tausenderhalle wie dem Backstage Werk hervorragend aufgehoben.

Bühnen aller Größenordnungen sind ja auch TERROR mittlerweile gewöhnt. Erstaunlicherweise nimmt ihnen das auch niemand übel. Die Veteranen um Scott Vogel gelten ja gemeinhin immer noch als die Inkarnation des Hardcore von 2000 bis heute und Vogel selbst ist ja ohnehin das personifizierte Sprachrohr einer Subkultur. Dazu hat er sich jedoch mit seinen markigen Ansagen, die ja seit eh und je maximal in der Wortwahl variieren auch selbst gemacht und wird dafür auch heute wieder gefeiert. Da wird abermals die Unity beschworen, Rassismus und Sexismus eine klare Absage erteilt (Jubel allerortens, auch von Menschen mit „You Stupid Fucking Whore“-Shirts am eigenen Leib) und Hardcore als Heilsbringer für all die Underdogs unter uns umschrieben. Das wirklich erstaunliche daran: das alles wirkt nicht aufgesetzt, sondern vielmehr so „real“ wie es eine Band in dieser Größenordnung nur sein kann. TERROR haben sich nie wirklich für ihren derzeitigen Status verbogen und mit „Keepers Of The Faith“ zudem vor kurzem ein Album vorgelegt, das schon im Aufnahmezustand eine schier unglaubliche Energie ausstrahlt. Diese potenziert sich bei der Live-Darbietung dann gleich noch einmal um ein Vielfaches und so kommt es erstmals an diesem Abend zu so etwas wie Stagedives, die dann auch nicht auf dem harten Boden der Tatsachen enden und generell herrscht da ein reges Treiben auf der Bühne, wie man es eben von TERROR-Shows gewöhnt ist. Eine knappe Dreiviertelstunde lang dauert dieses Exempel dafür, wie Hardcore-Konzerte auch in einem solch großen Rahmen funktionieren können und wie sich die Energie einer Band problemlos auf deren Publikum übertragen lässt, selbst wenn sie durch eine hohe Bühne voneinander getrennt sind. Auch Setlist-technisch geben sich die Veteranen keine Blöße. Von „Always The Hard Way“ bis hin zum Titelsong der neuen Platte: alles dabei und alles mächtig tight runtergespielt und auf möglichst starke Publikumsresonanz hin konzipiert. Enttäuschte Gesichter sind nach einer solchen Darbietung naturgemäß dann auch Mangelware und somit eint dann letztlich doch all die unterschiedlichen Menschen mit unterschiedlichen Auffassungen von Hardcore und dem ganzen Drumherum vor allem eines: der Spaß an der Freude und am kollektiven Ausrasten.