05.06.2015: CASPER, KRAFTKLUB, K.I.Z. (Castival) - Hannover - Expo Plaza

06.06.2015
 

 

„Darf man Parfüm und Trinken mitnehmen?“ Schon niedlich, worüber sich die Besucherinnen im Vorfeld der ersten „Castival“-Ausgabe Gedanken machen. Trinken, das wollen heute viele - aber können eher wenige. Es ist heiss und stickig in Hannover und trotz der frühen Abendstunden kühlt es kaum ab. Das sonst gespenstische Expo Plaza ist bepackt mit China-Nudel-Waggons und Cocktailbuden - dementsprechend rasch füllt sich das abseits aufgebaute Erste-Hilfe-Zelt. ER ist in der Stadt - ER! Dazu das tropische Wetter und ein Blick ins Glas zuviel - the rest is history…

Als K.I.Z. um Punkt 19 Uhr natürlich nicht gewillt sind, ihre Heimatstadt Berlin zu verteidigen, dafür aber die „Hurensohn“-Party mit vereinten Kräften anzukurbeln, gelingt das nur müßig. Neben der Bühne vernimmt man mehr Bass als Minderjährige, so wirklich Festival-tauglich ist der Sound schon allein aufgrund der Lautstärke nicht. Nur überschaubare Mengen an Jungen und Mädchen im Publikum werfen die Arme zu „Spast“ oder „Boom Boom Boom" hoch oder groehlen halbnüchtern die „Heal the World“-Hurensohn-Version mit, die Nico, Tarek und Maxim vor einer Armee aus vermummten K.I.Z.-Soldaten ausreizen. „Danke, Paris - ich liebe Dich!“ ist längst zum Running-Gag geworden, dann ist das Rapper-Trio mitsamt dem DJ-Pult von DJ Craft ebenso schnell verschwunden, wie das überdimensionale „K“ als Backdrop hängt.
Endlich darf gesprungen werden. Und geklatscht. Alle Arme hoch. Die Sonne senkt sich, das Potential steigt. „Songs für Liam“ wärmt weiter auf, „Ich will nicht nach Berlin“ geht raus an K.I.Z.. KRAFTKLUB sind routiniert, tight und gewieft, das kommt in Hannover schon eher an. Der Platznachbar hat seinen Vater dabei, der textsicherer ist als der verpickelte Kerl im KK-Tourshirt. In kleinen Gruppen rasten junge Damen aus und schütteln Haare und Arme, als käme nach dem Castival der eidlich beglaubigte Armageddon. „Wie Ich“ bekommt live eine Portion Arschtritt mehr ab, und „wer schon einmal auf einem KRAFTKLUB-Konzert war, weiss was jetzt kommt“. „Randale“ mit Müllwerfen und Hände hoch. Immer wieder Hände hoch. Ist das noch Castival - oder schon KRAFTival? Noch lange nicht. Felix Brummer bedankt sich artig bei den Schwarzsehern vom gegenüberliegenden Agentur-Dach, dann - nämlich „Wenn Du Mich Küsst“ - muss „Hannover noch einmal ausrasten“. Alle Hände hoch, klares Ding.
CASPER - er, der innerhalb kurzer Zeit eine Indie-Karriere vom Amt hinlegte und doch irgendwie immer noch als Nachbarsjunge mit der engen Hose durchgeht. Er, der Gastgeber am heutigen Abend, der über 15000 Fans gratis mit Popcorn, Zuckerwatte und bunten Tüten versorgt. Der Hoffnungsträger, der Mittelfinger und gleichzeitige Miterfinder einer neuen, irgendwie anderen, irgendwie aber auch schon tausend mal dagewesenen Jugendkultur. Hipster, Emorapper, Genre-Spalter. Mittlerweile steht fest: Mit angemessener Lautstärke überzeugen wird das Castival 1.0 heute nicht mehr. Der „Imperial March“ kündigt das Intro an, dann überkreischt Hannover unverblümt den 32-jährigen mit den Sprungfedern in den Beinen. Dessen Jacke bleibt nicht lange an, dann übernehmen zunächst „Im Ascheregen“, dann „Ganz Schön Okay“, dann das melancholische „Ariel“. „Ein drittel Heizöl, zwei Drittel Benzin“ - Hannover schleudert CASPER und seiner fünfköpfigen Band Stimmbänder und Bierbecher entgegen. „Hannover, kann ich Eure Hände sehen?“ Blöde Frage, das Szenario wurde immerhin gefühlte siebzig Mal erprobt. Die Reaktion ist wasserdicht. Im Platz vor der gigantischen Bühne versinken Besucher unter in die Luft gereckten Smartphones und pumpenden Händen. Pures Castival-Feeling. Die Lyrics von „Alaska“ werden begleitet von projizierten Eisberge und blauem Konfettiregen, „Michael X“ bloss von einem einsamen Followspot. CASPER unternimmt einen Ausflug auf den Technikturm, Feuerwerk, Rauchwerfer, Hände hoch. Hochspringen, mitkreischen, Hände hoch. "Das Grizzly Lied“ und „Hinterland“ leiten das Finale ein, über neunzig Minuten hat der Deutsch-Amerikaner bereits gefüllt, auch mit tatkräftiger Unterstützung von Felix Brummer. Jetzt erst scheint Hannover wirklich begeistert und zufrieden - die digitale Anzeige belohnt: „CASPER LIEBT HANNOVER“. Ein mutiger norddeutscher Castival-Auftakt, der keinesfalls wie ein solcher schien. „Diese Bühne, dieser Abend, all das ist nicht selbstverständlich. All das ist mein Traum seit ich 14 bin“. Der Nachbarsjunge mit der engen Hose wirkt auch vor 15000 Menschen nicht gespielt. Eher wie ein Botschafter, auf den sich der bärtige Typ mit dem PASCOW-T-Shirt ebenso einlassen kann wie das schüchterne Mädchen mit der Zahnspange, was vor dem Plaza aufgeregt und ausgelaugt vom Papa-Taxi aufgesammelt wird.