06.08.2011: La Dispute, Touché Amoré, Death Is Not Glamorous, Static Void, My Defense, Eiltank - AZ - Köln

06.08.2011
 

 

Warum gehen wir auf Hardcore-Shows, was soll der ganze Scheiß eigentlich? Sicherlich nicht um in der letzten Reihe mit verschränkten Armen zu stehen und etwas mit dem Kopf mitzunicken. Oder vielleicht doch, aber eigentlich wollen wir mehr. Wir wollen Emotionen fühlen und zeigen, uns von jeglichen Sorgen und Problemen, die man immer so mit sich schleppt freimachen, einfach mal innerlich gereinigt werden. Vielleicht mal Stagediven, vielleicht aber auch einfach die ein- oder andere liebgewonnene Zeile mitgröhlen, Hauptsache: mal für den Moment in einer ganz anderen Welt sein, loslassen.



Zwei Bands waren (vor allem) heute dafür prädestiniert, dafür die Vorarbeit zu leisten - zumindest, wenn man sich die parallel dazu im Underground spielenden, mindestens genauso großen DEFEATER nicht angesehen hat. Die mittlerweile wie verheiratet wirkenden TOUCHE AMORE und LA DISPUTE hatten dabei aber auch leichtes Spiel, was ja schon an der Abendkasse deutlich wurde: Die 100 restlichen Karten waren innerhalb weniger Minuten weg, und wer sich nicht frühzeitig in die Schlange eingereiht hatte, musst wieder nach Hause gehen – und das selbst, wenn man schon vor dem Einlass um 19:30 Uhr da war. Ungewohnte Rockstar-Ausmaße, wie man sie selbst von so namhaften Bands wie CONVERGE nicht kennt, aber glücklicherweise den Headlinern dann später kein bisschen angemerkt hat. Gerade bei LA DISPUTE wurde jegliche noch so kleine Pause für ein Dankeschön für all das genutzt, während man bei TOUCHE AMORE nach der Show all die von der Katharsis durchfegten Gestalten auffing, die da erstmal ihr Sprachzentrum wieder auf die Reihe bekommen mussten.



Das Prädikat „Rockstar“ hätte hier sowieso nicht hin gepasst: Das vor rund einem Jahr von Punks, Autonomen oder schlichtweg Menschen, die sich gerne für eine gute Sache einsetzen aufgebaute Kölner AZ bewahrt sich nach wie vor einen ganz eigenen Charme, der sich dann auch schön auf den Gesamteindruck der Show ausgewirkt hat. Auch wenn der ehemals völlig frei begehbare und mitaufbaubare Gebäudekomplex immer mehr die Ausmaße eines Jugendzentrums oder einer Konzertlocation annimmt, so ist es doch immer noch etwas anderes hier zu verkehren als in üblichen Läden wo man sonst solche Bands zu Gesicht bekommt. So konnte man als Besucher neben dem Konzert zwischendurch auch im großen Nebenraum, der mittlerweile zu einer Art Cafeteria umgebaut wurde auf ranzigen Sofas wieder etwas runterkommen, oder einfach draußen im großen Hof oder eben drinnen das spannend (selbst)gestaltete Ambiente bestaunen. Passend zur Location fand das Ganze dann auch unter dem Titel „Antifascist Ballroom“ statt, während beispielsweise ein selbstgemalter Comic an der Wand für eine tolerantere Welt warb. Und all das Schrie ungemein laut nach Punk oder eben Hardcore, wie er eben auch heute noch sein sollte, nämlich: reflektiert, leidenschaftlich und energisch. Was mich zudem an diesem Abend besonders freute war die Überwindung eines längst überfälligen Undings der Szene: Endlich waren Frauen nicht mehr in der Unterzahl! Und endlich waren es nicht bloß irgendwelche Freundinnen, die sich für den ganzen Kram eigentlich nur marginal interessieren. Hier stand man nicht nur still an der Seite, sondern bewegte sich in den ersten Reihen in großer Zahl mit und konnte die Texte, nein mehr als das: sie bedeuteten fühlbar etwas. Warum nicht eigentlich immer so? Gerade Hardcore und Punk haben doch den Anspruch, Sexismus zu bekämpfen und extrem maskuline Formen abzulehnen. Eigentlich sollte das Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern da ja überhaupt kein Thema sein. Schön, dass das an diesem Abend auch so spürbar war.



Doch zurück zu den Hauptbands: Zunächst durften die eigentlich größeren und wohl am heißesten erwarteten TOUCHE AMORE ran, die ein ausgewogenes Set aus beiden Studioalben und der Split spielten. LA DISPUTE verballerten dann schon mit ihrem ersten Song „New Storms For Older Lovers“ ein Großteil ihres Pulvers, konnten aber auch bis zum Ende hin noch überzeugen. Ob man nicht nach TOUCHE AMORE schon völlig fertig war? Klar, aber gerade die ruhigeren Parts, wo Zeilen wie „I guess love’s a funny thing the way it fades away without a warning“ im Vordergrund standen, wurden noch bis zum Nullpunkt vom Publikum getragen. Singalongs gab es zwar ebenfalls bei TOUCHE AMORE, allerdings geschah dies bei LA DISPUTE auf einer anderen, tieferen, persönlicheren Ebene. Was natürlich nicht heißen soll, dass bei TOUCHE AMORE wenig mit Emotionen ging – ganz im Gegenteil. Schöne Gesten gab es von beiden Bands dann noch in Form von Gastauftritten des jeweiligen Sängers der anderen Band bei beiden Auftritten sowie Ansagen, die nicht nur das Publikum, sondern auch das AZ als Konzept an sich lobten. Die schönste Geste war aber wohl folgende (frei zitiert): „It’s sad that such great bands like DEFEATER play at the same time as we do. If possible, we would love to play at the same show!” Konkurrenzkampf zwischen den aktuellen großen Helden der Szene? Keineswegs.

Aber: Gab es nicht Vorbands? Bevor hier einige Sauer die Tastatur bemühen: Klar, die gab’s, und sie sind allesamt auch nennenswert! Nur stand heute ganz klar der Auftritt der beiden Hauptbands im Vordergrund. Da aber auch die kleineren Bands wichtig waren (zumal man eben schon überpunktlich antanzen musste), hier noch ein paar Zeilen dazu:

EILTANK spielten eine verdammt stark an ROTTEN SOUND erinnernde, wenn auch weitaus punkigere Hommage an alte D-Beat-Tage. Simpel und solide, aber nicht überwältigend.



Die Kölner MY DEFENSE gaben sich mit der leidigen Position als wenig beachteter Supportslot nicht zufrieden und sprangen ins Publikum, schubsten und rissen im wahrsten Sinne des Wortes mit. Wobei der Plural vielleicht etwas falsch ist, ging all das doch vom Sänger aus. Doch auch der Rest der Band zeigte sich unter anderem in den Chören sehr spielfreudig, welche ihrem sehr klassisch verankerten Hardcore-Punk einen schön positiven Anstrich gaben.

Bei STATIC VOID war dagegen wieder weniger los, obwohl sich das enge Foyer des AZ mittlerweile doch sehr gefüllt hatte. Etwas mitwippen und die Faust ballen war hier aber schon okay, überzeugte der sehr auf straighte Riffs setzende Hardcore der Band doch vor allem auf eine gute Prise Groove.

DEATH IS NOT GLAMOROUS hatten es dann dank vieler Fans wieder leichter. Gespielt wurde treffsicherer Posi-Hardcore mit dem gewissen Feeling und der gewissen Energie. Ein letzter schöner Auftakt zu dem, was danach kommen sollte!

Im Anschluss zu all dem folgte noch eine Aftershowparty unter dem Banner „Ästhetik & Zerstörung“, wobei die von mir nicht mehr mitgenommenen LES TRUCS noch zur späten Stunde ran durften. Doch egal ob man die Nacht im AZ noch durchgemacht hat, oder nach TOUCHE AMORE und LA DISPUTE schweißgebadet und entladen nach Hause ging: Mit einem Lächeln verließ man diesen Ort auf alle Fälle. Und hofft auf weitere solche Abende/Nächte, die das junge Kölner AZ noch lange derartig am Leben erhalten. Gerade für die laut einigen so langsam ihre Werte verlierende Hardcore-Szene sind solche Orte doch wichtig, aber auch weit darüber hinaus. Ein Stück gelebte (Hardcore-)Utopie.

Bilder folgen!