08.08.2014: Ieper Fest - Tag 1 - Festivalgelände, Ieper

08.08.2014
 

 



Auch mit der 22. Edition des Ieperfests lockt die Großveranstaltung in Westbelgien durch ein sorgfältig zusammengestelltes Line-Up Menschen aus allen möglichen europäischen Ländern (und auch darüber hinaus) auf einen abgelegenen Acker Nähe des kleinen belgischen Orts Ieper. Neben den angesagtesten tourenden Hardcore-Bands werden auch die Metalheads oder die Oldschool-Punker versorgt, und als Sahnehäubchen oben drauf gibt es exklusive Europashows von No Warning, den Gorilla Biscuits, Morning Again, Cold World und Stigmata.

Bei über 80 Bands im Line-Up werden drei ganze Tage von morgens bis abends gefüllt. Erstmals in der Festivalgeschichte hat sich das Ieperfest für drei Bühnen entschieden, wobei sich jeweils immer die zweite (Marquee) und dritte (Trench) Stage überschneiden. Glücklicherweise kommt es dadurch in meiner Festivalplanung zu keinerlei großen Komplikationen, die Veranstalter haben eine gute Wahl bezüglich der Bands getroffen, die das gesamte Festival Open-Air auf der Hauptbühne beschallen sollen. Die Vorfreude auf das Festival besteht nicht nur aufgrund des hochkarätigen Line-Ups, auch abseits der Musik bietet das Ieperfest vieles mehr, was das Wochenende zu einer wertvollen Erfahrung machen kann.
Im More Than Music Tent werden jedes Jahr nicht nur Vorträge zu Ernährung und Umweltschutz gehalten, sondern auch Bands interviewt. Des Weiteren haben mehrere Organisationen dort ihre Stände aufgebaut, so unter anderem mehrere vegane Unternehmen sowie die Sea Shepherd und auch mehrere politische Gruppen. Beispielsweise liegen an einem Free-Palestine-Stand Broschüren und Bücher aus. Generell lädt das Zelt sehr zum schmökern ein. Möchte man sich am Festival-Wochenende nicht mit Politik auseinander setzen, so kann man sich auch einfach ein Fanzine aus der Zine-Library nehmen, sich auf einen der alten Sessel bequemen und die Füße mal für einen Moment ruhen lassen.
Gab es 2010 und 2011 noch eine sehr bescheidene Auswahl an Mahlzeiten (entweder Pommes oder ein veganes Tagesgericht, das recht teuer war), hat sich dies inzwischen deutlich geändert – so kann man 2014 an vier verschiedenen Ständen Mahlzeiten und Getränke erwerben, alles 100% vegan. Darunter befinden sich Just Like Your Mom (wohl die leckersten veganen Gerichte, die ich je gegessen habe (Burger, Kebab und auch Gebäck oder Suppen)), ein Pommes-Stand, ein belgischer Stand (vegane Wraps, Burger, aber auch Curry, Quinoa etc.) und auch ein Stand, an dem man Heißgetränke erwerben kann (verschiedene Kaffees und Tees, Kakao). Bei den Wettervoraussagen sicherlich keine schlechte Idee.
Im Merchzelt findet sich neben dem Bandmerch der spielenden Kapellen auch eine große Auswahl an Distros (Reflections, Reality Records, Merchpit). Die Hardcore Help Foundation hat allerdings im More Than Music Zelt aufgebaut.

Als erstes auf dem Spielplan des Wochenendes stehen BENT LIFE und Depths. Man hat also die Wahl zwischen einer erstmals in Europa tourenden, wuchtigen Hardcore-Band aus dem mittleren Westen der Vereinigten Staaten und einem melodischen Hardcore-Newcomer aus Belgien selbst. Meine Wahl fällt auf BENT LIFE, die zu dieser frühen Stunde das große Zelt der Marquee Stage schon beachtlich gefüllt haben. Da die Band aus derselben Gegend stammt wie die Senkrechtstarter von Expire, haben viele den Namen im Hinterkopf und für viele handelt es sich dabei auch nicht mehr nur um einen Geheimtipp. Der Moshpit ist eröffnet, gleich mit dem ersten Song wird nicht nur getanzt, sondern gar vereinzelt mitgesungen. Viele der Besucher haben sich in weiser Voraussicht etwas wärmer angezogen, so kommt man ins Zelt jetzt schnell ins schwitzen. Auch einige Gummistiefel lassen sich im Pit schon ausmachen. Auf der Bühne steht eine ziemliche Dampfwalze, die bei mir gleich Gedanken an Bands wie Suburban Scum oder Dead End Path auslöst. Drückende Breakdowns treffen auf einen sehr schnörkellosen und gewaltigen, ebenfalls drückenden Gesang. Für meine Begriffe ist der Gesamteindruck der Band über 25 Minuten hinweg ein bisschen zu monoton. Dass sie tight spielen können, stellen BENT LIFE aber problemlos unter Beweis. Am meisten zünden sicherlich die Songs der „Full Skull“-EP. Dennoch zeigt sich das über die Hälfte gefüllte Zelt noch etwas reserviert. Viele haben BENT LIFE wohl auch nur mal ausgecheckt.

TEST OF TIME werden von Bent Life geradezu angesagt, als deren Set beendet ist. Auch hierbei handelt es sich um eine Ami-Band, die zum ersten Mal auf dem alten Kontinent unterwegs ist und daher einiges zu beweisen hat. Leider gelingt dem neuen Bridge-9-Sprössling das kaum und deutlich weniger als zuvor Bent Life. Das mag daran liegen, dass vor der Main-Stage mehr Platz ist. Oder am schlechten Wetter. Doch auch die Performance der Straight-Edge-Band aus Boston haut mich nicht aus dem Hocker. Das wirkt irgendwie, als wäre es durchaus noch in Kinderschuhen. Ob nun die irgendwie unpassend platzierten Sprünge des Frontmanns, oder die Tatsache, dass die Instrumente an manchen Stellen leicht aneinander vorbeizuspielen scheinen. Irgendwie will der Funke nicht überspringen auf das Publikum. Eigentlich beachtenswert, wenn man sich mal auf der Bandcamp-Seite von TEST OF TIME die Vielzahl ihrer Veröffentlichungen anschaut. Und sehr schade, da ich irgendwie von Bridge-9-Bands einen gewissen Standard erwarte. Vielleicht scheitert der Auftritt von TEST OF TIME in meiner Wahrnehmung auch nur an den hohen Erwartungen, aber ein gutes Hardcore-Konzert sieht irgendwie doch auch anders aus. Die Band, die den melodischen Hardcore der 2000er Jahre zurück auf den Plan ruft, sind TEST OF TIME jedenfalls definitiv nicht.

Keine Neulinge in Europa sind hingegen WARHOUND, die erst im Zuge der letzten Bandwelle ins Line-Up gerutscht sind, um die Ausfälle zu kompensieren. Begleitet werden sie auf ihrer Tour teilweise von Pallass, teilweise von No Rest und teilweise von Additional Time. Teilweise auch von mehreren dieser Bands. Auf dem Ieperfest ist jedoch kein Tour-Support mit dabei. Hatte die letzte Tour mit Nasty, A Traitor Like Judas, CDC und The Green River Burial voriges Jahr scheinbar noch im Nightliner stattgefunden, findet die jetzige Tour in einer kleineren Dimension statt. Mit dem Wechsel des Frontmannes hatte sich auch deutlich der musikalische Stil von WARHOUND geändert, was man live deutlich merkt. Sänger Ronnie, der im Zuge des Ausstiegs von zwei früheren Bandmembern von der Gitarre ans Mikro geraten war, keift seine giftigen Vocals hasserfüllt ins Mikrofon, wie man das auch bereits auf der „Freedom“-EP vernehmen konnte, die im Januar diesen Jahres über BDHW veröffentlicht wurde. WARHOUND waren und sind sich den skeptischen Reaktionen der Hardcore-Szene, die sie mit ihrem Richtungswechsel provoziert haben, bewusst. Dennoch muss es sicher demotivierend für eine Band sein, zu sehen, dass die älteren Songs mehr abgefeiert werden – davon „Colder Than Ever“, der Titeltrack des Debüt-Albums, am allermeisten.

Eine ziemlich breite Akzeptanz hingegen finden MALEVOLENCE, die mit ihrem ersten anständigen Release „Reign of Suffering“ (vorher gab es meines Wissens lediglich zwei Home-Recordings zu hören) letztes Jahr die Hardcore- und Metal-Szene total überraschten. Zwar wurden sie bereits vorher als Geheimtipp angesehen und konnten auch beispielsweise auf dem Still Cold Festival 2013 von ihren Live-Qualitäten überzeugen, doch dass die Band aus Sheffield dermaßen einen raus haut und danach in diesem Ausmaß Bekanntheit erfährt und tourt, damit hätten wohl die wenigsten gerechnet. Der Ruhm ist mehr als verdient und nachvollziehbar, wenn man sich mal die Leistung vor allem des Drummers und des Lead-Gitarristen vor Augen hält. In einem Affentempo rattern MALEVOLENCE Riffs runter, die fast schon aus Dimebag’s Feder stammen könnten – ein fieser Bastard aus Pantera, Hatebreed mit deutlich betontem Metal-Faktor. Doch nicht nur unter Metalheads findet der Sound Anklang. Die vielen Moshparts geben den Beatdown-Anhängern Gelegenheit für Bewegung im Mosh-Pit (man halte davon was man wolle), die Hardcore-Kids hängen vor der Bühne und singen fleißig Texte mit. Nicht nur Frontmann Alex Taylor scheint einen Heidenspaß an dem Auftritt zu haben. Als Gitarrist kann man vor Neid wahrlich nur erblassen, wenn man sieht wie Josh und Konan diese Riffs aus dem Handgelenk schütteln, ohne auch nur hinzuschauen. Und das fehlerlos. „Serpent’s Chokehold“ und „Condemned to Misery“ sind, wie auch auf Platte, die unbestrittenen Highlights der Live-Show.

Bei angekündigtem Regen am Freitag und Sonntag muss irgendjemand der Leidtragende sein. 2010 waren es Ruiner, die auf dem Ieperfest ihre letzte Europa-Show spielten. Frontmann Rob regte sich damals in seiner gewohnt angepissten Art (die doch irgendwie charmant war) darüber auf, wie die Besucher in Scharen vor der Bühne abhauten, als der Platzregen einsetzte. Auch ein Jahr später bei 7 Seconds gab es das gleiche Spiel – ich kann mich in meinem Leben an keinen stärkeren Regen erinnern. Diesmal sind es EXPIRE, die dem Regen zum Opfer fallen. Doch was passiert, verblüfft mich ohne Ende. Klar stellen sich viele mit steigender Intensität des Regens lieber unter, doch vor der Bühne bleibt stets eine sehr große Traube von Anhängern, die Frontmann Josh zu jedem seiner Stücke seinen Text entgegenbrüllen. Wahnsinn! Die Band zeigt sich dankbar, aber meiner Meinung nach irgendwie nicht dankbar genug. Was hier passiert, ist durchaus keine Selbstverständlichkeit. EXPIRE danken es dem Ieperfest jedoch mit einer sensationell guten Live-Show. Josh scheut sich trotz des Wetters nicht, nach vorne zu treten und mit der Crowd in Interaktion zu treten. Vor allem die Hits des Debüt-Albums „Pendulum Swings“ werden abgefeiert, so etwa der Titelsong, „Spit Out“, „Reputation“, „Sleep Lost“ und „Focus“ (die bereits vor diesem Album auf einer EP veröffentlicht wurden). Es kommt nicht von irgendwo, dass EXPIRE lediglich zwei Songs der neuen Platte „Pretty Low“ spielen, nämlich den Titeltrack und „Forgetting“. Entweder bangte die Band die Sorge, dass die Platte zu kurz draußen ist, als dass die Fans die Songs kennen oder aber man hat gemerkt, dass die neuen Songs weniger zünden. Ich für meinen Teil halte die neue Platte für solide, aber nicht mehr. EXPIRE hätten nicht von ihrer Trademark (kurze, aber knackige Songs) abweichen sollen, die neuen Songs klingen zwar hart, aber doch irgendwie wesentlich bemühter und erzwungener als „Pendulum Swings“. „Abyss“ setzt dem Regenfest die Krone auf.
Zum Abschluss noch etwas Diskussionsstoff zur Band und darüber hinaus zur Booking-Politik des Ieperfests: Frontmann Josh zeigt sich über seinen Instagram-Account als Hobby-Jäger, der gerne mal mit Freunden ein oder anderen Vogel abknallt. Auf einem 100% veganen Festival eine Anmerkung wert. So ganz verstehe ich die gebuchten Künstler auf dem Ieperfest aber sowieso nicht immer, beispielsweise dieses Jahr die Deez Nuts mit ihrer sexistischen Partymucke. 2011 buchte man Exodus, die sich als Headliner über die lahme Publikumsbeteiligung lustig machten, indem sie über die schwächlichen Veganer herzogen und sie beleidigten. Das soll jedoch, inoffiziellen Infos nach, der letzte Auftritt von Exodus auf dem Ieperfest gewesen sein. Es ist wahnsinnig schwierig, in der Hardcore-Szene eine Linie zu ziehen. Nachvollziehbar ist es, wenn ein Festivalveranstalter es mehreren Seiten recht machen will. Schaut man sich die Line-Ups nahezu aller Festivals in Deutschland an, wird auf sämtliche dieser Ungereimtheiten eigentlich geschissen. Was dort zählt, sind die verkauften Tickets, egal ob da jetzt Emmure darüber shouten, wie die Ex-Freundin verprügelt wird oder eben auch mal Frei.Wild gebucht werden. Diesbezüglich sehe ich das Fluff-Fest und das Ieperfest als absolute Königsklasse der europäischen DIY-Festivals an. Und selbst auf dem politisch überkorrekten Fluff gibt es jedes Jahr kontroverse Buchungen (Defeater, Harm’s Way etc.).

BACKTRACK-Sänger James Vitalo soll ja Berichten zufolge auf dem Fluff-Fest geäußert haben: „Shoutouts to the sun for making an appearance! Rain can suck my dick!“ und sich dann im sofortigen Anschluss daran für die Aussage entschuldigt haben. Amüsant ist so ein bisschen HC-Gossip ja schon immer. Der Regen hat sich wieder gelegt, allerdings den absoluten Matsch vor der Mainstage hinterlassen. Auch dieses ist kein Hindernis für die tanzwütige Meute, die auch BACKTRACK kompromisslos abfeiert. Im Gegensatz zu Expire legt die NYHC-Band ihr Hauptaugenmerk auf ihre neue Platte „Lost in Life“, deren Songs auch live zünden wie eine eins („Nailed to the Tracks“, „Under Your Spell“, „Lost in Life“ selbst). Schade für Fans der ersten Stunde ist, dass BACKTRACK lediglich einen Song aus der Zeit vor den beiden Alben spielen, und bei dem wird auf Gesang verzichtet. „Welcome to the Pound“ geht raus an den Moshpit. Auch „Darker Half“ aus dem Jahre 2011 ist der Menge noch bestens im Gedächtnis geblieben, so sind dessen Titeltrack, „The Worst of Both Worlds“, „Too Close“ und zum Abschluss dann „Erase the Rat“ deutliche Höhepunkte des Auftrittes. Vitalo lobt deutlich das Verhalten der Crowd und vermutet, dass die Fans in Amerika nicht für BACKTRACK im Matsch pitten würden. Auch betont er, was für eine Ehre das Ieperfest hat, No Warning live zu sehen. Womit er Recht hat. Abgesehen davon hält er die Menge mit Ansagen wie „How are you doing? Good? That’s sick! Ill!“ bei Laune, bei denen ich schon irgendwie leicht schmunzeln muss.
Das Interview, dass er im Anschluss an den Auftritt im More-Than-Music-Zelt gibt, bestätigt den Eindruck der eingangs erwähnten Fluff-Anekdote. Vitalo wirkt zwar stets sympathisch, gibt sich in dem Interview jedoch betont lässig und kurz angebunden und lässt nicht wirklich viel aus sich raus holen. Dies liegt jedoch teilweise auch an der Art der Fragen, die der Interviewer stellt. Standardfragen eben, wo die Band schon getourt hat, wie die aktuelle Tour ist und so weiter und so fort. Über New York im Speziellen berichtet Vitalo, dass es dort nicht so ist, wie die meisten im Publikum es sich wohl vorstellen würden. Die Stadt sei in den letzten zehn Jahren deutlich weniger kriminell geworden (was wahrscheinlich auch wegen der steigenden Sicherheitsvorkehrungen der Fall ist). Er lobt außerdem die Diversität europäischer Festivals, das würde es in den Staaten nicht geben. Auch die Zuschauer bekommen die Gelegenheit, den Bands Fragen zu stellen. Auf die Frage „What is your position about veganism?“ antwortet Vitalo „It’s cool. I respect it.”, und viel mehr kommt dazu nicht. Dafür erntet er lauten Applaus. Und natürlich, klar ist es cool, Toleranz zu zeigen. Aber kann das alles sein? Ich meine, was hätte er sonst sagen sollen? „I hate those fucking vegan faggots?“. Irgendwie bringt mich das Interview ins Grübeln. Ich habe den Eindruck, dass viele der Ami-Bands, die in den letzten 3-5 Jahren in Europa gehypet werden, mit wirklichen Aussagen nicht mehr viel am Hut haben. Egal ob Veganismus, Vegetarismus, Tierrechte, Politik oder Straight Edge. In fast allen Fällen wird zu nichts deutlich Stellung bezogen und ausgewichen, wenn es überhaupt thematisiert wird. Klar gibt es viele Edger aus den Staaten, aber dass man sich noch nicht wirklich mit dem Thema Vegetarismus/Veganismus auseinander gesetzt hat, wenn man schon etliche Jahre in der Hardcore-Szene verkehrt, ist mir schleierhaft. Vielleicht interpretiere ich auch deutlich zu viel in dieses Interview rein, aber eine inspirierende Persönlichkeit wie Pat Flynn, Sean Murphy oder Aaron Bedard sind für mich weder Joshua Kelting noch James Vitalo, die in ihren Texten fast ausnahmslos ihr eigenes Leben und Dinge, die sie hassen, behandeln. Just my 2 cents, ihr könnt mir gerne unter Anonymität in den Kommentaren den Arsch dafür aufreissen. Vielleicht bringt es ja noch weitere Menschen zum nachdenken.

Von den ADOLESCENTS bekomme ich danach leider nur noch drei Songs mit, darunter allerdings mein Lieblingssong der Band „Amoeba“, der zwei mal gespielt werden muss, da beim ersten Versuch der Strom ausfällt. Auch für die alten Herren aus Kalifornien kommen einige Leute vor die Bühne und singen mit. Es ist schön zu sehen, wie die ADOLESCENTS ihren Spaß auf der Bühne haben. Wohlwissend, dass ihre beste Zeit längst vorüber ist und sie von vielen nur noch als Must-See-Klassiker-Band mitgenommen werden.

Bei den DEAD KENNEDYS hingegen bin ich überrascht über die maue Publikumsbeteiligung. War der Platz vor der Mainstage bei Expire und Backtrack zuvor noch brechend gefüllt gewesen, so klaffen bei dieser legendären Band wirklich riesige Lücken. Und das, obwohl das Ieperfest mehrere Male auf den frühen Slot der DEAD KENNEDYS hingewiesen hatte. Das mag zum größten Teil daran liegen, dass die Zuschauer die Band ohne Jello Biafra nicht als DEAD KENNEDYS akzeptiert. Man munkelt, bei dessen eigenem Projekt sei auf dem Ieperfest deutlich mehr losgewesen. Muss frustrierend sein. Dennoch liefern die vier ihrem Alter entsprechend durchaus noch eine passable Show, und gegen Ende hin können sie das Publikum sogar ein bisschen mehr auf ihre Seite ziehen („California Uber Alles“, „Viva Las Vegas“, „Holiday in Camboadia“).

RINGWORM meldeten sich erst vor kurzem mit ihrem neusten Streich namens „Hammer of the Witch“ zurück. Meines Erachtens erlangte die neue Platte fast durchweg positive Resonanzen, so bin ich wieder einmal erstaunt, wie wenig dann beim Live-Auftritt abgeht. Allerdings ist das auch eher Mucke zum headbangen als zum mitsingen. Der Sound könnte links von der Bühne einen Ticken besser sein, genug Wucht verleiht er RINGWORM aber dennoch. Da ich nicht sonderlich viel Abwechslung in den Songs der Band aus Cleveland ausmachen kann, schalte ich relativ schnell ab und gehe Bier holen.

Auch DOG EAT DOG sind, ähnlich wie Ringworm und die Dead Kennedys zuvor, vor allem was für die älteren Kaliber. Doch auch die jungen Fans zeigen sich textsicher und stagediven zu jedem Song des Crossover-Urgesteins. Wer Biohazard und Downset feiert, der sollte eben auch bei DOG EAT DOG mal reingehört haben. Die haben nämlich neben den Ohrwurm-Riffs sogar noch ein Saxophon dabei. Die Live-Show wird dann von manchen mit aufblasbaren Luft-Saxophonen zelebriert, die Stimmung jedenfalls ist 100% positiv und gut, DOG EAT DOG können dem Ieperfest problemlos ein Lächeln auf das Gesicht zaubern, als sich bei den ersten Festivalbesuchern am frühen Freitagabend schon erste Ermüdungserscheinungen zu zeigen scheinen. „All Boro Kings“ überragt als kommerziell erfolgreichstes Album der Band das Live-Set, doch auch von „Play Games“ gibt es einiges auf die Ohren. „Who’s the King“ ist logischerweise eine Riesen-Sause.

Ein häufigeres Vergnügen in der europäischen Konzert- und Festivallandschaft sind CONVERGE, die Band des Deathwish-Chefs Jacob Bannon. Vielleicht sind dadurch die Erwartungen nicht so hoch, vielleicht geht deshalb aber auch bei der Show weniger ab, als eigentlich erwartet. 2010 waren CONVERGE bereits Headliner, 2012 Co-Headliner vor Bolt Thrower. Das hat fast was von der Persistence Tour, die sich jedes Jahr wahlweise 3-4 Bands aus dem Pott Sick of It All, Madball, Agnostic Front, Suicidal Tendencies, Hatebreed, Walls of Jericho und Terror holt. Man verstehe mich nicht falsch, ich bin ein Riesen-CONVERGE-Fan und erinnere mich noch sehr genau an das Ieperfest 2010, dem ich im Rahmen meiner ersten Show dieser legendären Band entgegenfieberte. Aber heute ist es definitiv nicht dasselbe. Vielleicht ist das auch der „Ruhe vor dem Sturm“-Effekt, schließlich sind die Erwartungen und die Vorfreude auf No Warning unermesslich groß. Doch auch der Sound spielt CONVERGE heute nicht in die Karte, er fällt irgendwie dünn aus. In gewohnter Manier wirbeln sowohl Kurt Ballou als auch Nate Newton über die Bühne, aber irgendwie gehen die Fans nicht so mit, wie die Musiker auf der Bühne. Dies könnte auch daran liegen, dass die Setlist sehr stark auf die zwei neusten Alben fixiert ist („All We Love We Leave Behind“ sowie „Axe to Fall“). Erst mit den letzten zwei Songs, „The Broken Vow“ und „Concubine“, scheint das Ieperfest so richtig aufzuwachen. Schade, schließlich handelt es sich um eine Band, die ihrem Ruf gerecht wird und niemals „nur so nebenbei“ beachtet werden sollte.

Tja, und über NO WARNING könnte ich wahrscheinlich ein Buch schreiben. Lange ist es her, dass ich in den Minuten vor Beginn eines Sets so aufgeregt war. Und dann geht es los, mit den zwei Krachern „Behind These Walls“ und „No Time For You“ (dürften zu den meistgecoverten Songs überhaupt in der Hardcore-Szene gehören) gibt es natürlich kein Halten mehr und es drängt mich nach vorne in den Pit. Es wird gedivet, obwohl im Vorfeld wahrscheinlich jeder NO WARNING-Fan von den Hardcoreshow-aversiven Aussagen Ben Cooks‘ in einem der Reunion-Interviews gehört hatte. Cook scheint sich nicht daran zu stören, im Pit geht es ab, es wird mitgesungen, alles was in der Szene und an diesem Tag Rang und Namen hat versammelt sich auf der Bühne, manche der „Stars“ machen sogar mit im Getummel vor und auf der Bühne. Relativ straight werden dann mit „Answer the Call“, „Short Fuse“ (heilige Scheisse!) und „Wound Up“ noch ein paar der Songs zum besten gegeben, die NO WARNING zu dem Status verholfen haben, den sie heutzutage inne haben. Doch dann wird es mit der ersten wirklichen Ansage von Ben Cook seltsam. Er weist die Fans darauf hin, dass man nun zurück ins Jahr 2004 gehen würde, zu einer Hardcore-Platte die sie damals auf Warner Music rausgebracht haben, und die deswegen eigentlich keine Hardcore-Platte war. Sie hätte auch etwas Nu Metal in sich gehabt, etwas wie Sum41 geklungen. Alles in allem zieht Cook ziemlich über die Platte und die Entscheidung für Warner her, bevor dann mit „Modern Eyes“ einer der besten und hardcorelastigsten Songs von „Suffer Survive“ gespielt wird. Ich mag das Album übrigens fast genau so sehr wie Ill Blood und bin nicht der Meinung, dass es sich um eine schlechte Platte handelt. Klar hört man den Einfluss von Linkin Park und Sum41 an vielen Ecken raus, aber dennoch weist „Suffer Survive“ viele Hardcore-Einflüsse und auch Hardcore-Songs auf, die aber eben Ohrwurm-Charakter haben. Das macht sie meiner Meinung nach nicht schlechter. Ich frage mich, ob Cook das ganz ernst meint oder es entweder nur sagt, weil er weiß, dass die Hardcore-Gemeinschaft Gemecker über diesen „Fehltritt“ hören will oder weil er alle ein bisschen auf die Schippe nehmen will. Andererseits kann ich mir irgendwie auch vorstellen, dass NO WARNING dieses Album wirklich als schlecht ansehen. Aber wieso sollten sie dann überhaupt Songs davon spielen? Cook ist mir ein absolutes Mysterium. Binnen der Dreiviertelstunde (die Band spielt unkommentiert nur 45 Minuten) macht er es jedem Zuschauer verdammt schwer, mit ihm zu sympathisieren. So hampelt er in hardcore-untypischer Manier zu den Songs herum (was ich noch ganz witzig finde), schüttet aus einer riesigen Glasflasche Bourbon-Whiskey auf die Fans und in seine eigene Kehle, spielt mit dem Mikrofon herum, als seie es sein Penis und versucht mehrmals, auf die Bühne zu kotzen. Hinzu kommen provokative und verwirrende Aussagen. Vor einem der Songs hebt Cook den Mittelfinger und ruft „Thanks for the money!“ – geht das ans Ieperfest oder an Warner Music? Man könnte es auf beide Seiten interpretieren. Schätzungen der Gage von NO WARNING variierten bei meinen Gesprächspartnern zwischen 20.000 und 50.000 Euro, wobei 20.000 Euro plus Flugtickets wohl die glaubwürdigste und am häufigsten vernommene Summe ist. Das kann man schon mal mitnehmen, da wundert es dann auch wenig, dass NO WARNING auf einmal nach so vielen Jahren wieder auf der Bühne stehen, obwohl sie im Vorfeld daran kein Interesse geäußert haben. Allerdings wundert es mich, dass die Band dann andere lukrative Angebote zuvor ausgeschlagen hatte? Jedenfalls macht der Auftritt für mich nicht den Eindruck, als dass da eine Band vor mir spielt. Eher, als hätten sich fünf Leute, die kaum noch etwas miteinander zu tun haben, wieder zusammengerauft, um den hungrigen Europäern unter guter Bezahlung endlich ihr ersehntes Live-Konzert zu geben (Interviews sagen, die Band hätte nach wie vor viel miteinander zu tun). Weitere Ansagen: „I don’t want to talk a lot, cause nowadays people talk too much.“, “Shoutout to Jordi and his band Terror – always big supporters” (das klang als rede ein Herrchen mit seinem Haustier), und ein seltsamer Kurzvortrag darüber, dass wir alle Tiere seien und man daher kein schlechtes Gewissen haben müsse, wenn man sich schlampig verhalte. Im Anschluss an „Modern Eyes“ folgt jedenfalls die komplette Reunion-EP, die zu Spendenzwecken gegenüber eines alten Bandmitglieds aufgenommen und vertrieben wurde. Danach zwei Songs der ganz alten Platte („A Day in the Life“, „Almost There“) und dann wieder zwei von der Ill Blood, die bis auf drei Songs in ihrer Gesamtheit runtergespielt wird. Rein musikalisch ist an dem Set von NO WARNING wenig auszusetzen, auch wenn die Musiker einen motivierteren Eindruck machen könnten. Die Stagedives und Sing-A-Longs halten an, aber auch hier bin ich nicht der Einzige, der noch einen Ticken mehr erwartet hätte. Vielleicht hatte bei anderen Festivalbesuchern ebenfalls eine Art Schockstarre eingesetzt, in der sie unbedingt alle Eindrücke und Aussagen von Cook einsammeln wollten. Andererseits hat das Ieperfest auch einen langen und moshlastigen Tag hinter sich, da ist manch einer vielleicht am Ende seiner Kräfte. Mit „Dirtier than the next“ und „Bad Timing“ gehen NO WARNING dann ein zweites und letztes Mal zurück zu „Suffer Survive“, wobei letzterer Song für mich der stärkste Song der Platte ist. Gegen Ende von „Bad Timing“ hört die Band auf zu spielen und Ben Cook meint „Fuck you, I’m not singing that bridge“. Weitergemacht wird dann nicht mit dem ausstehenden Teil des Songs, sondern mit „My World“. Von dieser Aktion lassen sich noch einmal einige Besucher mitreissen. Mit „Ill Blood“ haben NO WARNING sich dann auch nochmal ein Highlight bis zum Schluss aufgehoben. Ich stapfe hoch Richtung Zeltplatz. Der Auftritt war definitiv unterhaltsam und das Geld wert, aber einfach nur verstörend und verwirrend.
Einerseits fand ich es gut zu sehen, dass eine Hardcore-Band sich mal nicht viel zu ernst nimmt und auch mal provoziert. Andererseits erschien mir Cook, als sei er nicht nur besoffen, sondern auch drauf. Fast schon, als hätte die Geschichte mit Warner NO WARNING damals dermaßen geschadet, dass er das Andenken an die Zeit nur noch im Vollrausch erträgt. Vielleicht ist er auch immer so. Ich werde es wahrscheinlich nie wissen.