09.06.2011: Title Fight, Touché Amoré, The Menzingers, Shook Ones - Chain Reaction, Anaheim - USA

09.06.2011
 

 




Was heute nervt, ist nicht der wahnwitzige Verkehr auf den Freeways um Los Angeles. Es ist auch keinesfalls die Hitze in Orange County oder das Sodbrennen nach zuviel mexikanischem Fastfood. Heute nervt die Parkplatzsuche. In dem hässlichen Industrieabschnitt, in dem das „Chain Reaction" liegt, darf man auch nach Feierabend auf keinen Fall auf den Höfen von Autowerkstätten oder Metallverarbeitungsfirmen parken – Abschleppen ist hier garantiert. Nach einer gehörigen Portion Glück und Übermut geht es schleifend zur Dresscode-Bewunderung über, der sich heute Abend mehr als gewaschen hat: Ohne abgeschnittene Jeansshort und Karohemd fühlt man sich wie ein Paradiesvogel, wer kein Tattoo hat, ist verdächtig! Leider erklingen bereits die letzten Töne von DEAD END PATH aus Pennsylvania, als sich die Touristen noch in der Warteschlange befinden. Es ist 19.15 Uhr. Ach ja, Kalifornien...

Im wohl sympathischsten All Ages Club der Welt angekommen, setzen sich Dresscode und „be there or be square" – Atmosphäre fort: Gut 40% der Besucher scheinen sich einen Dreck für die Bands oder die dargebotene Musik zu interessieren und wollen lieber mit Kaltgetränk, Dauersmartphonebetrieb und funkelndem Bandshirt die meisten „Likes" erklimmen. Ach ja, Kalifornien...
Abhilfe schaffen die SHOOK ONES, die mit „For Collards" gewohnt energisch und klarlinig eröffnen. Das klimatisierte Jugendzimmer wird schlagartig zum Hardcore-Kids-Schleudergang: Ausgelassen und textsicher as hell kann Anaheim also auch. Scott und Co. zaubern mit Dynamik und einem Überdruss an positivem Auftreten goldene 25 Minuten aus dem Hut. „S M R T" und „The Drop" sind mit von der Partie, genauso „Silverfish" oder „Ebb And Flow". Die Seattler formen die verstreuten Grüppchen zu einem einfachen Ganzen, spielen einfach grandios und buttern die Grundlage für eine mehr als sympathische Party hin. Noch ausreichend Props an die tourbegleitenden Bands ausgestreut, dann räumen die SHOOK ONES die Bühne ebenso schnell, wie sie jene besetzt haben. Ein Blick vor die Tür: Es ist taghell, das Auto steht noch an seinem Platz.

Drinnen wird es jetzt „Punk": Die MENZINGERS aus Scranton, frischer Epitaph-Zuwachs, lohnen sich jedes Mal alleine für Fronter und Stehaufmännlein Tom. Dauergrinsen plus Körpergröße mal Bühnenpräsenz gleich herzerfüllender und blutehrlicher Energieballen. „Home Outgrown" lässt heute zwar alle Fäuste gen Bühne zeigen, „I Was Born" lädt aber schon beinahe zur Kollektivverschnaufpause. Sicher sind die vier Jungs auf der heutigen Tour-Bill eher das „schwarze Schaf", was sich musikalisch zumindest auf der Bühne allerdings gen null anmerken lässt. Neben „Chamberlain Waits"-Output gibt es älteres Gut wie „A Lesson In The Abuse..." zu hören, welches Tom spontan selber zu einem stagedivenden Youngster werden lässt, und auch den Preis für die schönsten T-Shirt-Motive gewinnt man mit links. Der versoffene, zweistimmige Gesang stellt sich live als klares Ass heraus, trotzdem widmen sich während vollblütiger Darbietungen der MENZINGERS noch mehr Kids ihren Telefonen, dem Sitz ihrer Hose oder dem Parkplatz vor der Tür. Erneut: Danksagungen und liebevoll melancholische Worte an das baldige Ende der Tour mit der immer größer werdenden Familie, glaubwürdig und mitfühlend veröffentlicht. Familiär wie Weihnachten. Und das in Kalifornien...

Wenn eine Band wie TOUCHE AMORE Teil des Tourgepäcks ist, dürfte der abendliche Höhepunkt, der namentliche Wahnsinn und das Platzen des Venue-Thermometers vorauszusagen sein. Die Band aus Los Angeles genießt mittlerweile beinahe einen „Hypestatus“, heute beweist sie als Sextett wieso. Mit unfassbarer Energie und der Breitseite an Emotionen schreit sich Jeremy Bolm durch "Suckerfish", "And Now It´s Happening In Mine" und "History Reshits Itself", man will ihm seine piepsige Stimme während der Ansagen kaum abkaufen. Sogar der schüchterne und verpickelte Junge, der pünktlich nach dem Abendbrot von seiner Mama zum "Chain Reaction" gefahren wurde, tickt jetzt aus. Auf der Bühne wird keine Minute verschwendet. Das technisch einwandfreie und tighte Schlagzeug, 3 (!) Gitarren und das gesamte Zusammenspiel von TOUCHE AMORE dürften neben der eigentlichen Hauptband heute ein guter Grund dafür sein, dass beide Abende des Anaheim-Stops weit im Voraus ausverkauft waren. Die intensivste und kreative Hoffnung von "Deathwish"-Seite brennt den Laden nieder, noch bevor "Honest Sleep" das Finale einleitet. Ein zerdeppertes Mikro, das klitschnasse rote Shirt von Jeremy und eine Portion Gänsehaut verbleiben, nachdem ca. 100 Kehlen die letzten Zeilen darbieten, als gäbe es eh kein Überleben. Was soll jetzt noch folgen?

Klar, "Shed" ist ein mehr als solides Release, live drückten TITLE FIGHT bis dato aber immer ein Auge zu. Keinesfalls reserviert oder missgelaunt, dennoch: Qualitativ leicht zurücksteckend und nicht immer ab Minute eins zündend. Triezt das Release auf SideOneDummy die Band zu neuen Taten? Zumindest soundtechnisch gibt es ab Minute eins keine Zweifel. „Memorial Field“, „Shed“ oder „Loud And Clear“ können auch live kaum versagen, heute wirkt die Band zusätzlich routinierter und trotz spielerischem Ernst gut gelaunt. Etwas holprig decken die vier Jungs aus Kingston ihr Set mit „Safe In Your Skin“ und „27“ von der jüngsten LP „Shed“ ein, Anaheim lässt erneut nichts anbrennen. Mit leicht harscher Art und etwas verhalten bedankt sich Frontmann Jamie artig bei Publikum und Supportbands, dennoch geht das Set von TITLE FIGHT trotz spielerischer Bemühungen zum Großteil leicht unter. Die weiteren Minuten, gespickt von feierwütigen Kids und großen Hits zwischen glattem Hardcore und dem „alten“ Sound Marke JAWBREAKER vergehen gespenstisch schnell – und kurz nach 23.00h steht fest: Heute Abend gehen TOUCHE AMORE und die MENZINGERS als klare Gedächtnispächter im Gehör mit nach Hause. Noch im Motelbett schart es durchs Hirn: „I’ll Count The Hours, Having Just One Wish. If I’m Doing Fine, There’s No Point To This...“
Als mit aufgehender Sonne und Abreise am nächsten Morgen ein bekannter Van aus Pennsylvania samt Hänger und riesigem Cookie-Tray auf dem Beifahrersitz neben dem eigenen Mietwagen auf dem Motelparkplatz steht, kehrt das zufriedene Grinsen vom Vorabend ebenso schnell zurück, wie das TITLE FIGHT-Set gerade verflossen war. Danke, „Chain Reaction“.