11.12.2010: Unearth, Casey Jones, D.R.I, Sick Of It All, Cruel Hand, Persistence Tour, Evergreen Terrace, Blood For Blood - Mülheim an der Ruhr - RWE-Halle

11.12.2010
 

 

Wer glaubt, dass die Turbinenhalle in Oberhausen schon eine recht große Location für ein Hardcore-Konzert ist, wird heute eines besseren belehrt: In der RWE-Sporthalle in Mülheim an der Ruhr versammeln sich tausende von Menschen, ohne dass das Ding auch nur ansatzweise voll wird. Rundum Sitzplätze, das erinnert natürlich vor allem an das Pressure Fest, als es damals noch in Herne stattgefunden hat. Aber so ein Sitzplatz ist bei 9 Bands am Abend gar nicht so verkehrt, wie sich später rausstellt. Ob man jedermanns Erwartungen an eine gute Hardcore-Show heute erfüllen kann, ist fraglich. Schließlich spricht eine Absperrung natürlich eher gegen die Prinzipien. Aber für um die 30 Euro wird wohl jeder seinen Grund haben, heute hier zu sein. Bei mir heißt der, wie für viele andere auch, Blood for Blood. Die größte Tour Europas darf es sich mit diesem Ass im Ärmel also erlauben.

Los geht es für mich jedoch mit CASEY JONES, die auf ihrer letzten Europa-Tour sind. Ist ja ziemlich populär geworden in den letzten Jahren, über das Internet die eigene Auflösung bekannt zu geben und nochmal die Werbetrommel für die letzte Tour zu rühren (Have Heart, Despised Icon, Ruiner). Aber warum auch nicht, so weiß jeder woran er ist. Trotz der sehr frühen Spielzeit hat sich die Halle schon prächtig gefüllt und auch unmittelbar vor der Bühne tummelt sich eine nicht gerade kleine Traube von Menschen. Die Band hat seit ihrer letzten Europa-Tour (ebenfalls mit Evergreen Terrace) wieder mächtig an der Besetzung geschraubt, jedoch macht jeder der Musiker einen sehr einstudierten Eindruck. So wird sich auf der Bühne unglaublich viel bewegt, man sieht den Bühnenakteuren die Freude an und es liegt nahe, dass die Band sich nicht auflöst, weil sie sich nicht mehr versteht, sondern aus anderen Gründen. Das Songmaterial besteht zum größten Teil aus Liedern vom letzten Album „The Messenger“, welches schon vor mehr als sage und schreibe 4 Jahren veröffentlicht wurde! Man scheint also eher eingesehen zu haben, dass die Band kein Fulltime-Job ist, sondern eben ein Nebenprojekt. Sänger Josh James, der ebenfalls bei Evergreen Terrace Gitarre spielt und im Sommer sogar mit einem weiteren Projekt namens Me & Mark auf Tour war, merkt schnell dass die Fans auf seiner Seite sind und kommt desöfteren an die Absperrung, um mit dem Publikum zu interagieren. Songs wie „Coke Bongs and Sing-a-Longs“ sind aber auch zum mitsingen gemacht. Ob jeder der da mit schreit hinter den Texten der Band steht, ist eine andere Frage. Schließlich sind CASEY JONES für ihre recht militanten und provokanten Aussagen zum Thema Straight Edge bekannt. Mit „Hammer the Nails“ wird dann auch ein ganz neuer Song gespielt, bei dem sich der Anklang natürlich in Grenzen hält. Später weist man darauf hin, dass es am Merchstand Flyer gibt, auf denen ein Downloadlink für einen kostenlosen Song des neuen Albums steht und das man, bevor man sich auflöst, 2011 noch ein weiteres Album veröffentlichen wird. Auch alte Songs werden abgestaubt und aufgespielt, zu nennen ist da angesichts der Publikumsreaktionen sicherlich „C.G.L.“. Der letzte Song, den CASEY JONES dann in Deutschland spielen, ist „Know This X“.

CRUEL HAND aus Portland, Maine sind nach ausgiebigen Europa-Touren mit Madball im Frühjahr und mit Miles Away im Sommer zum dritten Mal in einem Jahr in Deutschland. Man könnte eigentlich meinen, dass sich da langsam ein Effekt einstellen sollte, das Bild vor der Bühne ist jedoch eher enttäuschend. Nur vereinzelt scheinen die Leute die Band zu kennen und sich auf sie gefreut zu haben. Ein paar ältere Herren, die augenscheinlich angeheitert sind, schubsen sich pausenlos durch die Gegend, womit sie auch den ganzen Abend nicht mehr aufhören werden. Ich hoffe, wenigstens ihnen bereitet das immensen Spaß. Chris Linkovich scheint die geringe Resonanz jedenfalls kaum zu stören, er zieht sein Programm mit den restlichen 3 Bandmembern wie gewohnt souverän und selbstsicher durch und bestätigt mein Bild als großartiger Frontmann. Verglichen mit den anderen beiden Touren wird wesentlich mehr Material des neuen, selbstbetitelten Albums eingestreut, nämlich immerhin 5 Songs: „Lock and Key“, „Cruel Hand“, „Labyrinth“, „Day Or Darkness“ und „Broken Glass“. Da ich diese Scheibe definitiv zu meinen Lieblingsalben des Jahres zähle, freut mich das. Förderlicher für Moshpit-Bewegung sind natürlich alte Songs wie „Above and Below“ oder „Begin Descension“. Hier und da wird dann auch mal getwostept. Auf ganz altes Material wird intelligenterweise verzichtet, ich denke nicht, dass man damit jemanden hätte erreichen können. Wie auch bei Casey Jones muss man ganz klar erwähnen, dass der Sound bei CRUEL HAND die erste Sahne ist. Hier nutzt man die Halle perfekt aus. Um es mit den Worten eines Mitfahrers zu sagen: „Alter, die Basedrum hämmert alles weg!!“. Ich denke, es dauert nicht mehr lange, bis sich die junge Band etabliert hat und auch im Tourpaket mit wesentlich größeren Bands funktioniert. Allerdings hätte ich auch nichts gegen eine Headliner-Tour im nächsten Jahr!

Wesentlich mehr Zuspruch aus dem Publikum bekommen dann EVERGREEN TERRACE aus Jacksonville. Aber die sind ja auch schon längst alte Hasen und man könnte sicherlich auch sagen schon lange im „Hardcore-Mainstream“ angekommen. Auch auf der Persistence Tour selbst sind sie alles andere als Neulinge, so war man bereits 2007 und 2009 vertreten! Damit ist man sicherlich auch Madball, Hatebreed und SOIA-Fans ein Begriff. Mit mittlerweile 5 Studioalben kann man natürlich auf einiges an Material zurückgreifen und da haben sich dann natürlich auch gewisse Hits heraus kristallisiert. Vor der Bühne geht inzwischen richtig was ab, erstmals wird auch crowdgesurft und so weiter und so fort. Dennoch sorgt die Riesenhalle natürlich dafür, dass sich alles sehr auseinanderzieht und man nie wirklich den Eindruck hat, dass die Reihen komplett gefüllt sind. Abgesehen von den Songs des neuen Albums wie „Enemy Sex“ oder „Mario Speedwagon“ bietet die Setlist der Amerikaner leider nicht viel Neues. Gecovert wird „Mad World“ von Tears for Fears, ansonsten gibt es das Übliche: „New Friend Request“, „Wolfbiker“, „Where There is Fire..“, „Dogfight“, „No Donnie, These Men Are Nihilists“ und ein paar weitere. Neben diesem Manko muss ich auch ganz klar betonen, wie schrecklich der Sound vor der Bühne geworden ist, sodass man die Akzente, die die Band gitarrenmässig auf ihren Alben festgehalten hat, nur noch erahnen kann. Ganz sauber ist man auch nicht immer, an manchen Stellen kommt es mir zumindest so vor, als spielt die Band etwas aneinander vorbei. Woran das liegt, keine Ahnung. Vielleicht ein schlechter Tag – soll auch vorkommen. Oder ich irre mich schlicht und ergreifend. Dass der Sound toll war, kann mir jedoch keiner erzählen. Fazit: EVERGREEN TERRACE hat man schon wesentlich stärker gesehen und sie profitieren sicher von der Tatsache, dass sie sich längst etabliert haben und nichts mehr beweisen müssen. Nichtsdestotrotz nach wie vor eine der besten Bands im Hardcore, die auf Neuerscheinungen noch nie enttäuscht hat.

Auch der nächste Auftritt ist leider vor allem durch einen unterirdischen Sound gekennzeichnet. UNEARTH sind neben ihrer unmittelbaren Vorband sicherlich die Band, deren Gitarrenspuren möglichst am saubersten rauskommen sollten – leider ist das Gegenteil der Fall. So muss man heute eher auf die Finger schauen, um sich von der Qualität der Riffs zu überzeugen. Ken Susi statuiert auf’s Neue ein Exempel: Ich kenne kaum Gitarristen, die ein so abgehobenes Zeug spielen und dabei so übermenschlich abgehen. Von still stehen bleiben ist da keine Spur, das überlässt er lieber seinem langhaarigen Kollegen Buz McGrath. Die Band hat sich vor kurzem wegen „kreativen Unterschieden“ von ihrem ehemaligen Drummer getrennt, hinter den Kesseln sitzt heute der Schlagzeuger von Misery Signals. Ich hätte keinen Unterschied bemerkt, saubere Arbeit also schätze ich. Die Reihen vor der Bühne haben sich wieder merklich geleert, was vielleicht daran liegt, dass UNEARTH heute die unbestritten härteste Band sind. Dessen ist sich auch Shouter Trevor bewusst, der bekannt gibt, dass er froh ist, Metal in eine Hardcore-Show zu bringen. Durch die ab und an vorkommenden Breakdowns und den sehr indifferenzierten Sound könnte ich es verstehen, wenn bei den Zuschauern der Eindruck aufkommt, UNEARTH hätten nur zwei oder drei Songs gespielt. Ist das der Fall, so sollte man sich jedoch definitiv mal die Alben der Metalcore-Legende anhören, auf denen man sich sehr versiert zeigt. Neben Klassikern wie „Endless“ und „Giles“ kommen für mich heute die Songs des neuesten Albums namens The March definitiv am besten weg, vor allem „My Will Be Done“ und „Crow Killer“ machen eine gute Figur. Allerdings kann ich es absolut nicht verstehen, wieso die Band mit „Zombie Autopilot“, ihren absoluten Überhit, ungespielt lässt und stattdessen lieber mit „Black Hearts Now Reign“ ihr Set abschließt. Definitiv auch ein gutes Lied, aber es kommt nicht so ein göttliches Solo vor. Naja, jedenfalls freu ich mich auf das neue Album, das wohl 2011 im Kasten sein müsste. Auf der MySpace-Seite ließ man nämlich verlauten, dass die Pre-Produktion schon gemacht ist und man sich Adam D. (KSE) als Produzenten ausgesucht hat.

Nun der Moment, auf den sicher alle gewartet haben. Die Goldmine für die diesjährige Persistence Tour. Wer hätte auch vor einem Jahr damit gerechnet. BLOOD FOR BLOOD sind zurück. Zwar leider nicht in Originalbesetzung, aber trotzdem mehr als reizvoll für die jüngere Generation, die nie in den Genuss kam. Und bereits, als sich nach dem Soundcheck das riesige Banner hinter der Bühne langsam hebt, ist klar, wer der Gewinner des Abends ist. Die Halle ist erfüllt von lautem Jubel und Geschrei und die Spannung steigt ins Unermessliche, bis Buddha und seine Mannen schließlich auf die Bühne treten, als wären sie nie weg gewesen und dann mit „Mother Dear“ gleich den Vogel abschießen (und das im positiven Sinne!). Es folgen zu meiner Freude gleich mehrere Songs von meinem Lieblings-Album Outlaw Anthems und die Menge zeigt sich textsicher und mitsingfreudig. Der Sound hat sich wieder erholt und ist absolut zufriedenstellend – zum Glück. Gleich zu Beginn des Sets zeichnet sich ab, dass hier keiner enttäuscht wird und jeder auf seine Kosten kommt. Im Pit geht es natürlich jetzt auch rund und das Durchschnittsalter vor der Bühne wird um ein paar Jährchen angehoben. Auch mal schön zu sehen. Da es mir allerdings nach einer Zeit zu stressig wird, beschließe ich, mich auf die Tribüne zu setzen. Zu meinem Verwundern muss ich feststellen, dass auch von dort aus der Sound eigentlich makellos ist. Die Band sieht zu keinem Zeitpunkt des Auftritts alt oder eingerostet aus, und auch Billy von Biohazard macht einen sehr guten Job und funktioniert in der Band sehr gut als Ersatz für „White Trash“ Rob Lind. Bei den Ansagen wirkt Buddha’s Stimme etwas dünn, was ich aber mal auf übermässigen Alkoholkonsum in den letzten Tagen zurückführe. Und solange sie während der Songs funktioniert, ist das ja auch egal. In die Mitte des Sets streut man unter anderem „Cheap Wine“ und den Klassiker schlechthin „Some Kind of Hate“. Der Award für die beste Ansage des Abends geht auch an BLOOD FOR BLOOD: „The next song is a love song. This shit’s positive. Posi-core, haha. It’s called „Piss all over your hopes and dreams“.“ Sympathisch und unterhaltsam. Nach etwa 45 Minuten voller alter Erinnerungen und Sing-A-Longs ist dann leider Schluss. Ich glaube jedoch, dass sich kaum jemand ärgert, seine Persistence-Tour-Karte gekauft zu haben.

Mit D.R.I. werden dann sofort nochmal die älteren Kaliber bedient. Ein Trostpflaster dafür, dass zumindest unten an der Bar das Bier unmittelbar nach Blood for Blood ausgegangen ist. Ich persönlich habe vor der Persistence Tour noch nie was von der Band gehört und schaue mir das Spektakel daher völlig unvoreingenommen an. Jedoch schloss ich aus der Tatsache, das einige Leute empört waren dass DIRTY ROTTEN IMBECILES als Ersatz für Sepultura herhalten sollten, dass die Band dieses Loch eher schlecht füllen kann. Wobei ich auch mit Sepultura eher wenig anfangen kann. Wider Erwarten ist jedoch vor der Bühne mächtig was los (nicht soviel wie bei BFB, aber es kann sich sehen lassen) und der Auftritt wird ziemlich zelebriert. Ich finde den sehr punkig anmutenden Crossover-Sound der Band anfangs recht unterhaltsam, langweile mich jedoch recht schnell. Das liegt sicher daran, dass ich die Songs einfach nicht kenne und nach dem Abend auch schon recht ausgelaugt bin. Ich verfolge den Auftritt also nicht all zu aufmerksam. Ein Song heißt „Five Year Plan“. Mehr kann ich dazu eigentlich nicht sagen. Außer anzumerken, dass D.R.I. nächstes Frühjahr wieder auf Tour sind mit SSS.

Irgendwann während dem Auftritt von SICK OF IT ALL fragt Lou Koller, wer in der Halle seine Band heute zum ersten Mal sieht. Es heben sich nichtmal fünfzig Arme. Das kann natürlich auch daran liegen, dass die meisten einfach keine Lust auf so einen Mitmach-Kram haben, aber das spiegelt wohl recht gut wieder, was Sache ist. An wem diese NYHC-Legende vorbeigegangen ist, der ist wirklich ein bisschen grün hinter den Ohren. Denn angesichts der dauernden (fast schon penetranten) Festival-Präsenz und den auch nicht gerade wenigen Europa-Touren der Band kann man sie eigentlich gar nicht verpassen, wenn man mit Hardcore was am Hut hat (außer man meidet große Konzerte konsequent). Ich persönlich kann gar nicht mehr zählen, wie viele Male ich sie in Aktion gesehen habe, fest steht dass die Band bei mir längst den Zenit überschritten hat und ich auch dem neuen Release „Based on a True Story“ kaum Aufmerksamkeit geschenkt habe. Zwei mal durchgehört vielleicht. Es ist nicht zu leugnen, dass die Band einen Einfluss auf etliche andere Bands hatte und genreprägend war und nach wie vor ist. Es ist auch nicht zu leugnen, dass die Band nach wie vor fit ist und dass Pete Koller auf der Bühne nach wie vor mehr Kilometer macht als ein Langstreckenläufer – zumindest subjektiv. Das sollte man auch in allen Ehren halten. Das tut die Halle auch, denn es stehen sogar noch einen Tick mehr Leute vor der Bühne als bei Blood for Blood. Aber angesichts des nicht sehr variablen Sounds der Band werden sowohl die Alben als auch die Live-Shows irgendwann langweilig, sodass es zu einem echten Highlight wird, dass Lou sich direkt beim ersten Song mal amüsanterweise auf die Fresse legt. „America“, „Step Down“, „Take the Night off“, „Machete“.. alles nix Neues. Denke die Setlist kann sich jeder auch ziemlich zusammenreimen. Dennoch gut zu sehen, dass SICK OF IT ALL auch 2010 noch ihre Daseinsberechtigung im internationalen Hardcore haben (auch junge Konzertbesucher also scheinbar die Wurzeln zu kennen scheinen) und so vielen Leuten eine Freude bereiten können. Bis zur Persistence Tour 2012 dann!

Unter dem Strich ein doch recht lohnenswerter Abend, auch wenn solche riesigen Hallen natürlich schrecklich unpersönlich sind und der eigentliche Hardcore-Flair für viele Leute ein bisschen verloren geht.