12.08.-15.08.2011: Ieper Fest - Ieper - Belgien

12.08.0016
 

 



Festivals gibt es viele. Doch genauso wie die Hardcore-Szene nicht einfach nur eine Szene, also eine Ansammlung von Menschen, die sich für eine bestimmte Sache interessieren ist, so ist auch das belgische Ieperfest nicht einfach nur ein Festival. Auf diesen Gedanken bringt einen spätestens das wiedermal Parallel zum Festival mit eigenen Programm laufende „More Than Music“-Zelt, aber auch vielleicht schon wenn man vorab auf der offiziellen Website des Ieperfests die ausführliche Green Policy liest. Nicht, dass einen das Organisationsteam des Ieperfests an die kurze Leine nehmen will. Vielmehr geht es um ein Bewusstsein, wie es eigentlich auch außerhalb dieser Veranstaltung gelebt werden sollte.

Ganz klar: Hier gehen Hardcore- und Festival-Philosophie Hand in Hand. Doch nicht nur deswegen war das Ieperfest für mich dieses Jahr eine ganze besondere Erfahrung. Ein Festival lebt – seien wir doch einmal ehrlich - letztlich von dem Lineup, welches man vorab auf hiesigen Flyern sichtet. Nur deswegen interessieren wir uns danach vielleicht für das ganze Drumherum. In der Hinsicht hat mich am Ieperfest vor allem gefreut, dass im Lineup viel Platz für interessante kleine, angenehm andere und/oder spannende Bands wie DRUMS ARE FOR PARADES, TOMBS, AND SO I WATCH YOU FROM AFAR oder DECAPITATED gelassen wurde, die man so nicht an jeder Steckdose sieht – ganz im Gegensatz natürlich zu großartigen, aber sicherlich für Szenegänger nicht zum ersten Mal gesehene Bands wie COMEBACK KID, TOUCHE AMORE oder KVELERTAK. Wobei letztere dann teilweise auch wieder in erstere Kategorie passen, daher: Alles richtig gemacht.

Doch eines nach dem anderen. Es ist matschig, es ist nass, es spielen irgendwo im Hintergrund mit ermüdend stampfenden Tönen (aka Breakdowns) HEADSHOT, und man steht in einer langen, langen Schlange, bevor man am frühen Freitagmorgen sein Zelt aufschlagen und sich von etwas guter Musik berieseln lassen darf. Die erste für mich bewusst wahrgenommene, also wirklich gesehene Band: DEATH IS NOT GLAMOROUS. Die machten sich glücklicherweise nicht viel aus dem scheiß Wetter und dem müden und knappen Publikum und lieferten gewohnt mit einem Lächeln auf den Lippen vorgetragenen, angenehm punkigen Hardcore. Gerade Sänger Christian Medaas ließ sich hier nicht den Spaß verderben und nutze den Regen so auch mal produktiv, beispielsweise um mit dem Kommentar „My new most favorite thing in the world“ mit dem Oberkörper voran auf dem überschwemmten Boden der Bühne zu surfen, oder vor der Bühne im Matsch wie ein kleines Kind Purzelbäume zu schlagen. Ein kleines Kind ist dieser Christian Medaas irgendwo sicher auch noch, aber wer sagt dass das schlecht ist?! Da wurde auch diesem noch so verhaltenem Publikum das ein- oder andere Lächeln entlockt.



Weniger zum Lächeln waren dann die eher düster gesinnten BLACK KITES. Wobei: Auch hier nahm man die Welt nicht bierernst, auch hier wurde zwischen all den aggressiven Tönen genug Platz für ein Grinsen gelassen. Wie wenig ernst man sich nahm wurde spätestens dann klar, als man jemanden aus den Publikum die Band mit Standardfragen wie man sie kennt und hasst scherzhaft interviewen ließ, während den Gitarristen die obligatorische Zeit zum Stimmen gelassen wurde. Doch auch musikalisch wurde durch einen gekonnt gespielten Mix aus gewohnt düsteren Hardcore und chaotisch bis schleppenden Bands wie GAZA durchaus für Kurzweil gesorgt.

Mit RITUAL und ANCHOR folgten für mich darauf zwei Bands, die ich nun zum zweiten Mal gemeinsam als Bands in einem großen Lineup sah, und die bei mir auch dieses Mal nicht wirklich zünden wollten. Mir tut es auch ehrlich Leid beide Bands jetzt so lieblos zusammenfassen zu müssen, da mir durchaus bewusst ist dass beide Bands sehr treue Anhänger haben, doch mich wollte da auch dieses Mal nichts packen. Doch auch dem Publikum schien es – bis auf einige Ausnahmen – nicht groß anders zu gehen. Aber wahrscheinlich war es für richtige Action einfach noch zu früh, zumal sicherlich nicht wenige noch auf dem Weg zum Festival sind, oder zumindest noch mit dem Aufbau ihres Nests auf dem Campingplatz beschäftigt waren.



Davor durften allerdings noch die von überraschend vielen anderen Bands (na gut, ich glaube es waren zwei – aber immerhin!) gelobten CHEAP GIRLS ran. Doch auch hier wollte der Funke nicht überspringen, was allerdings nichts mit der Tatsache zu tun haben soll, dass die Band auf dem ersten Blick mit ihrem eher im Indie verwurzelten Sound eigentlich gar nicht so recht ins Lineup passen wollte. Das zeigten die nach ANCHOR gefolgten LEMURIA schließlich sehr eindrucksvoll, die mit ihrem charmanten Mix aus weiblicher und männlicher Stimme, entspannten Riffs und dem gewissen Feeling durchaus mitreißen konnten – zumindest bei mir.

Danach musste ich mir – neben der regulären, eine halbe Stunde andauernden Pause – erstmal etwas Ruhe auf dem Campingplatz gönnen. Das musste ich übrigens die beiden darauffolgenden Festivaltage auch hin und wieder, also wundert euch nicht dass ich die ein- oder andere Band im Bericht totschweige. Bei auf gerademal drei Tage verteilten 64 Bands kann man sich nicht jede Band ansehen. Obwohl doch, eigentlich konnte man das: Das Lineup wurde auf zwei Stages ausgeweitet, wobei jede Band auf der anderen Stage genau dann anfing, wenn die andere aufhörte. So muss man sich im Gegensatz zu anderen Festivals nicht entscheiden, welche Bands man nicht sehen kann, sondern nur, welche Bands man nicht sehen will. Im Übrigen war die zweite Stage nicht wie die Main draußen, sondern drinnen in einem großen Zelt. Das gab dem Ganzen nicht nur etwas Abwechslung, sondern auch hin und wieder dieses gewisse Clubfeeling.

Und wo wir schon wieder beim Drumherum sind, und mein Ich aus der Vergangenheit, aus dessen Sicht ich diesen Bericht schildere, gerade versucht auf dem Campingplatz wieder etwas runterzukommen: Was ging da eigentlich abseits der Bühne(n)? Ich deutete da ja einiges in meiner Einleitung an, beispielsweise das „More Than Music“-Zelt. Zusammengefasst ging es hier um die Themen, die ja meist lyrisch im Hardcore aufgearbeitet werden, und generell erst das Auftreten einiger Bands definieren. Es machte abermals deutlich, dass Hardcore ja eigentlich eben mehr als die paar Akkorde oder der eine Moshpart ist; dass es um (politischen) Aktivismus geht, um Bewusstsein gegenüber der Welt. In erster Linie stand dabei vor allem Vegan-, oder zumindest Vegetarismus im Vordergrund, zu dessen Thema beispielsweise Filme liefen, oder eigentlich permanent auf einem Monitor Bilder eines leidenden Tieres gezeigt wurden, dessen mehr als ersichtliche Platzangst jedem noch so abgestumpften Menschen bewegt haben dürfte. Solche Bilder sieht man natürlich nicht zum ersten Mal, doch zumindest für mich war das manchmal etwas zu viel – gerade, wenn man in der dort ebenfalls gegebenen Fanzine-Leseecke dort immer mal hinschielen musste. Andererseits scheint manchmal eine solche Herangehensweise die einzige Möglichkeit, manche Menschen aufzuwecken. Zum Glück wurde neben solchen „Schockern“ die Reflektion nicht zu eindimensional angegangen (was gerade insofern Betonenswert ist, als dass ich mir vorstellen kann, dass mein doch recht parteiischer Ton nicht jedem gefällt). So wurden solche und ähnliche Themen in Diskussionsrunden – beispielsweise in Form eines Interviews mit der Hardcore-Punk-Legende DROP DEAD – auf äußerst interessante Weise von verschiedenen Seiten beleuchtet. Generell bot das Programm einen netten Ausgleich zu all dem Lärm des eigentlichen Festivals und zeigte, dass ein Hardcore-Festival eigentlich in der Pflicht ist mehr zu tun als einfach nur Bands zu zeigen, weil Hardcore eben mehr als nur Musik ist – so platt das auch klingen mag. Dieser Grundsatz wurde dann unter anderem auch insofern ausgelebt, als dass alles was an Essen auf dem Festival angeboten wurde 100% vegan war, oder dass man zum Duschen am Eingang des Campingplatzes extra umweltfreundliches Duschgel geschenkt bekam, damit man – nach Aussagen der Organisation - sein eigenes, umweltschädliches Zuhause lässt.

Doch zurück den Bands: GHOSTLIMB waren für mich nach all dem die erste Band wieder – und aus irgendeinen Grund (der jetzt nichts mit einem Filmriss oder etwas dergleichen zu tun hat) kann ich mich an diesen Auftritt überhaupt nicht erinnern. Erst beim Reinhören jetzt im Nachhinein wurden einige Erinnerung an den guten, da angenehm rohen, aber eben irgendwie auch durchschnittlichen Hardcore wach. Aber vielleicht braucht ihre Musik einfach mehr Zeit als eine halbe Stunde noch nicht völlig aufmerksam wahrgenommenes Geballer. Besser in Erinnerung blieben mir dagegen SOUL CONTROL, wo vor allem der Sänger sich äußerst energisch zeigte, und der Sound aufhorchen ließ, der für mich irgendwo zwischen leicht düsteren Hardcore und BLACK SABBATH einzuordnen war. Nicht überwältigend, aber entspannt um sich das Ganze mit lockerem Kopfnicken etwas weiter von hinten anzusehen.

Und dann schon wieder die Band der (Hardcore-)Stunde: TOUCHE AMORE. Letzten Samstag schon im Kölner AZ gesehen, und jetzt bereits wieder Zeilen wie „It’s just I have this problem where I wanna be everywhere I’m not“ mitbrüllen. Viel hat sich an der kuscheligen Atmosphäre entgegen meiner Erwartungen nicht verändert, fand der Auftritt doch im Zelt und damit fast schon wieder in sowas wie einem kleinen Club statt, und folgte doch auch hier Stagedive auf Singalong und Singalong auf Stagedive im Sekundentakt. Genau genommen waren TOUCHE AMORE die ersten an diesem noch jungen Wochenende die es schafften, den Publikum wirklich leben einzuhauchen. Eine sichere Bank ist diese Band eben. Und als ob dieser wiedermal so großartige Auftritt nicht genug wäre, gab’s zum Tourfinale sämtliche Shirts für gerademal 5 Euro, wofür man dann auch mal gut und gerne Schlange stand, und wofür sich Sänger Jeremy Bolm dann bei jedem einzeln bedankte. Daher noch mal von meiner Seite: Wenn eine Band so einen Hype verdient hat, dann wohl TOUCHE AMORE. Und dafür bin ich dann auch gerne wieder dieser kleine Fanboy, der genauso begeistert schon vor wenigen Jahren auf eine HAVE-HEART-Show gegangen ist. Aber warum auch nicht?!



Wenig später sollten dann auch LA DISPUTE mit einem ähnlich leidenschaftlichen Set folgen. Die Frage ist nur: Warum spielen davor und danach derartig stupide Bands wie CDC oder SIX FT. DITCH?! Immerhin zeigten zumindest CDC, dass Stumpf eben manchmal doch Trumpf ist, obwohl mir das Ganze mit einer zu großen Ernsthaftigkeit vorgetragen wurde, die eigentlich nicht zu solcher Musik passt. Nicht ohne Grund gab ich mir beide Auftritte nicht ganz und verzog mich so unter anderem ins Distro-Zelt, in dem man neben den Merch-Ständen der auf dem Festival spielenden Bands auch an den Ständern anderer Verkäufer haufenweise Geld für Platten oder Shirts loswerden konnte.

LA DISPUTE schossen dann wie zu erwarten mit viel Liebe und einem textsicheren Publikum erneut den Vogel ab. Wieder eine Band, bei der man gar nicht weiß wo man anfangen soll bei dem Lob: Bei der sympathischen Ausstrahlung der Band? Dem herrlich befreiten Gitarrenspiel, wie es eigentlich völlig ungewöhnlich für solche Musik ist? Bei den einen mitunter so sehr aus dem Herzen sprechenden Texten? In jedem Fall: Eine großartige Band, die hoffentlich noch viel aus ihrem Potenzial machen wird.

Um viel Leidenschaft ging es auch bei HORSE THE BAND. Wenn auch natürlich nicht bedingt durch Dinge wie Texte oder tiefgehende, angestaute Emotionen, sondern eher in Form von sowas wie gelebter Wahnsinn. Neben den gewohnt hyperaktiven Tastenmenschen und Wuschelkopf Erik Engstrom war es dabei vor allem Fronter Nathan Winneke, der einen schon beim bloßen Zusehen Spaß machte. Der Mann, der mit seinem markanten Schnurbart ein bisschen wie eine Mischung aus deinem Nachbar und deinem (ehemaligen) Deutschlehrer aussieht wirkte mit all seinen freakigen Gesten, Ansagen und Bewegungen so herrlich dämlich, dass es schon wieder cool ist – ganz abgesehen von der Tatsache, dass er es irgendwie geschafft hat so ziemlich jede Cappy in diesem Raum während des Auftritts auf zu haben. Ach und dann wär natürlich noch die hyperaktive Musik, wie man sie auch gemeinhin als „Nintendocore“ schimpft. Musikalisch nicht unbedingt hundertprozent mein Fall, aber Live immer wieder spaßig.

Auch SHEER TERROR lebten für mich vor allem durch ihren Frontmann, dessen Ansagen einen herrlich selbstironischen und zugleich spöttischen Charme hatten, wie man ihn nur schwer in Worte fassen kann. Den hierzulande etwas weniger bekannten Hardcore-Veteranen merkte man bei all dem (auch musikalisch) sowohl außerordentlich Erfahrung als auch Spielfreude an, so als sei jeder Schritt und jedes Riff auf der Bühne routiniert, aber doch fühlbar gelebt, und eben nicht zuletzt gekonnt. Auch hier war das musikalisch nicht völlig mein Ding, doch auf jeden Fall ein Auftritt, den man mit Respekt würdigen sollte.

Mehr als nur Respekt und Ehrfurcht gab‘s dann aber endlich wieder bei AND SO I WATCH YOU FROM AFAR. Für mich ein Auftritt, der einfach viel mehr als nur unter der Kategorie „nett mal gesehen zu haben“ in den Tiefen meines Gedächtnisses abgeheftet werden konnte, sondern in dem man wirklich in einem Rausch der Emotionen fiel. Oder um es in anderen Worten zu formulieren: Diese Genialität und Geilheit in jeder so verdammt noch mal verspielten und virtuosen Melodie hat mich so durchfegt, dass ich mich vor lauter Dauergrinsen teilweise dabei erwischte wie ich über all das nur noch lachen konnte. Ich würde AND SO I WATCH YOU FROM AFAR auch locker neben THE DILLINGER ESCAPE PLAN zu den besten Musikern des gesamten Festivals zählen, da sie es genau wie die Könige des Chaos schaffen ein so unglaublich technisches und präzises Gitarrenspiel in so eingängige Songs zu verpacken, und das ganze dabei so locker darzubieten. Doch nicht nur ich (oder der Rest des Publikums) war durchströmt von Energie, auch die Meister selbst zeigten sich verliebt in all das, was da gerade geschah – und das, obwohl sie sich dazwischen fast schon irgendwie schüchtern gaben, und sich wohl als alles andere als Meister sehen. Und bis auf das Fehlen des großartigen „Don’t waste time doing things you hate“ kann da auch – sowohl in Hinsicht auf die Setlist wie auf den gesamten Auftritt – absolut nichts vorgeworfen werden. Mein Tipp daher: Wer diese Band auf Platte nur ein bisschen was abgewinnen kann, muss sich diese Band eigentlich mal live angesehen haben. Man wird erstaunt sein, mit was für einer Energie man rein instrumentale Musik, und vor allem Postrock live umsetzen kann – und die Kinnlade nicht mehr so schnell wieder hochbekommen. Das abschließende „The Voiceless“ setzte dann übrigens doch noch auf ruhigere Töne, und ließ den Rausch damit auf eine sehr sehr angenehme Art ausklingen. Besser geht es kaum.

Was sollten COMEBACK KID da noch machen? Für mich war diese Band eh mehr sowas wie ein Relikt der Vergangenheit; eine Band, die mich mit Platten wie „Wake The Dead“ zum Hardcore gebracht hat, mit der ich dann aber irgendwann etwas den Bezug verlor. Klar war das dann auch schön noch mal alte Hits wie „False Idols Fall“ oder natürlich das obligatorische „Wake The Dead“ zu hören, aber halt nichts wo ich mich noch in den ersten Reihen austoben und lautstark mitsingen würde. Dem Publikum ging es da aber beim Headliner dieses Freitagabends völlig anders, sodass das Festival seinen bisher größten Ansturm in Punkto Stagedives oder allgemein Publikum erlebte. Im Übrigen: Ja, Stagedives, und ja, auf einem Festival! Denn glücklicherweise verzichtete man auch dieses Jahr auf Absperrungen sowohl bei der Zelt- als auch bei der Bühne draußen. Eine Tatsache, die nicht umsonst von zahlreichen Bands sehr gelobt wurde, und so ja eigentlich auch bei Shows dieser Gangart selbstverständlich sein sollte. Aber um noch mal zu COMEBACK KID zurückzukommen: Sicherlich ein starker und angenehm abrundender Auftritt. Für mich gab es da dieses Festival zwar weitaus interessantere Bands, doch nett war es allemal – und dankbar zeigte sich das Publikum ebenfalls.



Am darauffolgenden morgen begrüßten mich ALL TEETH mit einer Prise düster-rohen Hardcore der Marke Deathwish, und ich dachte mir nur: Was gibt es schöneres, als um 11 Uhr früh aufzustehen, runter zum Festivalgelände zu spazieren, auf dem Weg ein Croissant mitzunehmen und von solcher Musik langsam auf den Zustand des Wachseins eingestellt zu werden? Etwas, was ich von den danach gespielten POLIKARPA Y SUS VICIOSAS leider nicht unbedingt behaupten kann, mir war deren Punk um diese Uhrzeit einfach noch zu schrill und anstrengend. Dafür hatte das Auftreten der drei den Rockabilly sicherlich nicht ganz abgeneigten Damen etwas, obwohl man auch in der Hinsicht sicherlich nicht weniger aneckte. Aber darauf, Everybodys Darling auf diesem Festival zu werden, waren POLIKARPA Y SUS VICIOSAS sicherlich sowieso nicht aus.

GOLDEN BULLET reihten sich in die Scharen der eher, sagen wir „straighteren“ Hardcore-Bands ein, von denen am Tag zuvor schon einige ran durften, und von denen auch noch so einige kommen sollten. Doch so abgeneigt ich dieser Sorte Hardcore auch bin, so sehr hatte das leicht asoziale Auftreten von GOLDEN BULLET doch etwas, ja fast schon auf seine ganz eigene Art und Weise sowas wie eine eigene Note, zumal da auch musikalisch die Hausaufgaben gemacht wurden. Da hätten es eigentlich MONDO GECKO aufgrund ihrer doch irgendwie erfrischenden Art schon etwas eher verdient bei mir besser weg zu kommen, doch wie auch bei POLIKARPA Y SUS VICIOSAS war mir das zu so früher Stunde einfach noch zu heftig.

Da geht man doch lieber zu den eigenen Landsmännern von AGAINST YOUR SOCIETY, bei denen weiß man schließlich was man hat. Die Band, die nicht zu Unrecht ganz hoch auf der Welle des Konsenses in der hiesigen Hardcore-Welt reitet, glänzte dabei abermals durch tobendes, angepisstes Auftreten, einen wunderbar dreckigen Sound und Songs, die einfach wissen wo sie hin mit der ganzen Energie müssen. Ganz bestimmt eines der ersten Highlights an diesem Samstag, auch wenn das Publikum selbstverständlich immer noch nicht ganz im Zustand des Wachseins angekommen ist.



Mit SHADOWS CHASING GHOSTS kam dann hingegen wieder einer dieser Phänomene, die ich so gar nicht ab kann: Gelebte Klischees. Wenn über 50% der Band diesen typischen, mittellangen Haarschnitt mit Pony und der Sound unverkennbar nach UNDEROATH klingt muss man nicht lange überlegen, um welches Klischee es sich dabei handelt. Nicht falsch verstehen: Ich hab weder was gegen einen mittellangen Haarschnitt mit Pony noch gegen UNDEROATH, aber ich habe eben was gegen gelebte Klischees. Auch wenn in der Hinsicht noch viel mehr geht, wie viele andere Bands Tag für Tag aufs eindrucksvollste vorführen, aber das macht die Sache ja nicht besser. Rein qualitativ war man aber weit entfernt von einer Katastrophe, und einigen im Publikum gefiel die Band auch sichtbar. Zwingend war das Ganze aber sicherlich nicht.

Das Prädikat „zwingend“ passt da schon eher zu THE CARRIER, wenngleich deren Hype trotz der letzten großartigen, da herrlich kaputten und düsteren Platte etwas abgeklungen scheint. Zumindest meine Erwartungen waren hoch an den Auftritt, und leider wurden die zunächst beim Vernehmen des wirklich unklaren Soundbilds mit Füßen getreten. Ach, die spielen da gerade „No 51“ von der „No Love Can Save Me“, diesen Song, den ich schon tausendmal gehört und mitgegröhlt hab? Solche und ähnliche Momente gab es gerade zu Anfang leider zu genüge, wenngleich sich das Soundbild mit der Zeit immerhin einigermaßen stabilisierte. Vielleicht lag es aber auch an den hörbar abgenutzten Stimmbändern des Sängers, dessen Tour mit dem Ieperfest ebenfalls zu ihrem Ende an diesem Tag kam. Dennoch: Gerade gegen Ende war das wiedermal ganz großartig, zumal die Songauswahl sehr ausgewogen die wichtigsten Songs aller Platten mitnahm (erwähntes „No. 51“, „Alcatraz“, „Into Darkness“ – sehr spektakulär!, „Epilogue: Forgiveness“…). Pathos galore.



Etwas stumpfer wurde es dann wieder bei XIBALBA, wo dann nicht ganz zu unrecht Shirts der Marke THE ACACIA STRAIN oder EMMURE getragen wurden. Aber ich muss mal eine Lanze für die Band brechen: Ihre teils an EYEHATEGOD erinnernden, unheimlich schleppenden Riffs sind mehr als nur Breakdowns mit ultratiefgestimmten Gitarren, und gepaart mit doch ziemlich traditionellen Hardcore-Moshparts ergibt das einen durchaus interessanten Stilmix – auch wenn‘s halt schon ein bisschen wie auf einer Show oben genannter Bands aussah. Im Grunde genommen war’s für mich wie mit den darauffolgenden OATHBREAKER, die für mich ja in erster Linie auch von einem starken Sound leben, der eben einfach gut knallt. Auch wenn natürlich zwischen Kurt-Ballou- und dem Sound, den XIBALBA machen, aber auch die Art wie sich beide Bands auf der Bühne geben, kleine Welten liegen. Und nein, ich will nicht schon wieder betonen dass sich hinter all dem Geschrei und unter all den Haaren überraschenderweise eine junge, unscheinbare Dame befindet, und dass das vielleicht etwas damit zu tun haben könnte. Aber…ach Mist, jetzt hab ich’s doch schon wieder getan.

STICK TO YOUR GUNS sollten dann als nächstes ran. Für mich eine Band, die mich – bis auf vielleicht 1-2 Songs– nie wirklich mitreißen konnte. Und das hatte eigentlich nie etwas mit dem eigentlichen Stil der Band, sondern viel mehr etwas damit zu tun, dass da beim Hören ihrer Songs einfach nichts mit mir passiert. Dass deren Songs auf Albumlänge einfach an mir vorbeirauschen und völlig ungestört ihr Eigenleben führen, ja ihr Dasein irgendwo fern in einem fremden Sonnensystem fristen, während ich mich fern davon verständnislos schlichtweg langweile. Folglich war für mich auch nicht so ganz klar was da Leute mitzusingen hatten, ja warum generell sich die Menschen zu dieser Musik regen konnten. Ich meine: Was ist es, was die Leute an dieser Band so anmacht? Was überhöre ich da ständig? Gut kam zumindest die positive Ausstrahlung des Sängers bei mir an, und ginge es danach könnte ich zumindest ansatzweise etwas von all dem verstehen. Für Fans aber sicherlich eine gute Show. Ein ähnliches Unverständnis hegte ich dann später auch bei CITY OF SHIPS, von dessen progressiven, ansatzweise postmetallisch gen Bands wie ISIS schielenden, aber rockigeren Stil ich mir im Vorfeld weit mehr versprochen hatte. Auch hier ist es mir unmöglich zu benennen, was mich da jetzt genau gestört hat – aber so ist das eben manchmal mit Musik.

Mit SWORN ENEMY und FIRST BLOOD standen zwei weitere Vertreter dieser Sorte etwas eben direkteren Hardcores an, die in ihrer hohen Anzahl im großen Kontrast zu vielen anderen Bands im Lineup standen, und das wohl auch sollten. Zu SWORN ENEMY will ich dabei gar nicht allzu viele Worte verlieren, die Band machte ihr Ding souverän wie man es von ihr erwartet hatte und gehört auch für mich zu den wenigen Bands dieses Kalibers, die ich mir hin und wieder mal geben kann. FIRST BLOOD waren da für mich schwieriger; nicht musikalisch, vielmehr aber aufgrund ihres zwiespältigen Auftretens. Für mich ergab sich da als einer, der die Band erst mit diesem Festival über den Namen hinaus kennengelernt hat ein eher unverständlicher Kontrast: Hier ein plakativ präsentiertes politisches Bewusstsein und die Reflektion gängiger Normen, auf der anderen Seite dann aber völlig stupider Mosh, der in Form von Violent-Dancing vom Publikum gelebt wird. Für viele mag das kein Widerspruch sein, für einige vielleicht sowas ausgelebte Wut über die angeprangerten Missstände. Dennoch: So ganz blick ich da nicht durch.



Richtig spannend, also rein musikalisch, wurde es dann bezeichnenderweise für mich wieder bei einem Singer-/Songwriter. Doch wie kann man JONAH MATRANGA auch nicht toll finden, nachdem man ihn live gesehen hat?! Nicht nur, dass seine Songs vor lauter Leidenschaft und Leben förmlich übertriefen; auch seine Persönlichkeit strahlte etwas aus, dass man letztenendes eigentlich nur sympathisch finden konnte. Für mich kam er rüber wie ein vom Leben gezeichneter Mann, der aber gleichwohl die Unbeschwertheit, die Frische und die Lust eines Kindes mitbrachte – immer mit einem lockeren Spruch auf den Lippen und beim Auftritt mal mit einem Lächeln, mal mit geschlossenen Augen, wo beim Prädikat „Leidenschaft“ das „Leiden“ gesondert zu unterstreichen ist. Da störte ich mich auch keineswegs daran, dass er gleich zweimal auftrat und den Slot für AGATHOCLES übernahm.

Um wieder ein Kind zu sein, um Unbeschwertheit und all das ging es dann auch bei STRIKE ANYWHERE, für die sich das den ganzen Tag regnerische Belgien mal eine Auszeit nahm, und sich dachte: Hmm, Sonne, warum eigentlich nicht? Das getrocknete Heu wurde dann kurzerhand zum Wurfgeschoss umgeschaltet, mit dem jeder, der in den ersten 10 Reihen stand mindestens einmal in Berührung gekommen sein muss, wenn nicht sogar den ganzen Körper voll davon hatte. Den Moshpit nahm man seine Ernsthaftigkeit und seine Härte, wobei sich das mit der abgeklungenen Ernsthaftigkeit auch auf alle anderen Bereiche des Auftritts übertrug. Für mich waren STRIKE ANYWHERE bis zu diesen Auftritt nur ein oft gehörter Name, und folglich – was aber auch und vor allem dem Publikum „geschuldet“ ist – waren sie mit die größte Überraschung des ganzen Festivals für mich.



Sämtliche Härte nahm man dann aber pünktlich zum Start von EXODUS wieder rein. Ob das den provozierenden Ansagen von Sänger Rob Dukes, der teilweise auch bei allem erahnbaren Sarkasmus manchmal etwas über die Schwelle trat? (beispielsweise, als er sich ganz klischeehaft über die Schwäche seines Publikums aufgrund der hohen Anzahl an Veganern/Vegetariern lustig machte – don’t bite the hand that feeds!) Wie auch immer: Bei keinem Auftritt dieses Festivals bekam ich so viel auf die Fresse (also wirklich!) wie bei EXODUS. Eigentlich bekam ich bei keiner anderen Band was auf die Fresse, aber na ja. Wirklich überrascht hat mich bei all dem aber, dass überhaupt so viel ging, hatte ich die Band doch zu weit zwischen den Stühlen vermutet als dass sie hier wirklich Leute in Bewegung bringen könnten. Schließlich lehnt das klassische Metallager die Band seit der Modernisierung des Sounds und des neuen Sängers ab, während ich von Gestalten aus dem Hardcore-Lager vermehrt das ausgesprochene Desinteresse gegenüber der Band anhören musste. Falsch gedacht! Vielleicht lag’s aber auch daran, dass EXODUS auf ein sehr oldschooliges Set (u.a. mit Nummern von der „Bonded by Blood“) setzten, welches genug Punk für die Hardcore-Fraktion und genug Metal für die Kuttenträger-Fraktion bereit hielt. Für mich hätten sie gern auch was von den Dukes-Sachen spielen können (die sind nämlich weit besser als ihr Ruf!), aber ich will mich nicht beschweren.

Nach der nachmittäglichen Gesprächsrunde im More-Than-Music-Zelt konnte man sie dann endlich auch auf der Bühne sehen: DROP DEAD, auf einem exklusiven Europa-Gig. Nichts, was mich persönlich tangieren würde, doch sicherlich eine großartige Sache für all die Fans, die sicherlich auch oder gerade wegen dieses (Co-)Headliners angereist sind. Mir persönlich gibt die Band rein musikalisch nach wie vor nicht viel, doch dafür sagte mir die Tatsache zu dass sich der im Zelt angesprochene Aktivismus auch hier in den Ansagen wiederfand.

Besonders gefreut hatte ich mich persönlich dann wiederum auf MESHUGGAH. Eine Band, die für mich einen ganz besonderen Platz einnimmt, und mich dadurch umso mehr an diesem Abend enttäuscht hat. Nicht, weil der eigentliche Auftritt schlecht gewesen wäre, und doch, ich hatte durchaus wieder meinen Spaß. Doch es ist eine gewisse Art des Band, die mich an diesem Abend gestört hat, angefangen schon bei der Tatsache, dass man rund eine halbe Stunde zu spät auf die Bühne trat, und das Publikum solange im wahrsten Sinne des Wortes im Regen stehen ließ. Eine wirkliche Entschuldigung dafür kam nicht; lediglich kurz die Ansage, dass man ohne den Bassisten spielen müsse, da dieser im Krankenhaus läge (wofür Mr. Thordendal je nach Song die angebrachtere Axt wählte, um diesen Verlust im Sound einigermaßen zu kompensieren). Generell hielt man sich mündlich sehr zurück, alles fühlte sich an als wolle man nur schnell sein Ding durchziehen, genauso wie sich die Setlist etwas beliebig anfühlte. Auf die minutenlang andauernden Zugaberufe der zahlreichen Fans hörte man nicht, und am Merchstand gab‘s die (nach wie vor lieblos mit draufgeklatschten Albumcover gestalteten) Shirts für jeweils 20 Euro – auf SO einem Festival. War die Band vielleicht etwas abgelenkt durch das, was da mit dem Bassisten passiert sein könnte? Vielleicht, doch als Headliner erwarte ich dann doch etwas mehr, wenn auch nur eine Einweihung dessen, was da jetzt genau geschehen ist. Als Fan fühlte man sich jedenfalls etwas lieblos behandelt, ganz im Gegensatz zu dem, was da beispielsweise THE DILLINGER ESCAPE PLAN als Headliner für den Folgetag ihrem Publikum gaben. Doch dazu später.

Sonntagmorgen. Die Enttäuschung vom gestrigen Headliner ist fast schon wieder vergessen, und nachdem mich am Morgen zuvor Regen und eine Gruppe Holländer im bezeichnend originalgetreuen New-Kids-Assi-Slang weckten, von denen sich obendrein einer nicht weit von meinem Zelt erbrach, begrüßen mich nun sogar fast so etwas wie leichte Sonnenstrahlen. Ähnlich harmonisch blieb es: MUSTH erwiesen sich als Opener dieses letzten Festivaltages als erste kleine Überraschung, auch wenn abermals recht strikt bei Größen wie CULT OF LUNA oder schon vorhin angeführten ISIS abgekupfert wurde. Und so berechenbar manch Spannungsbogen formuliert wurde, so spannend war es, etwas mehr zwischen den Zeilen zu lesen. Ganz klar: Hier lag die Qualität im Detail – gerade im Gitarrenspiel, welches vor allem in den eher ruhigen Parts zu Höchstformen auflief. Ebenfalls bemerkenswert: Drei Songs in 30 Minuten Spielzeit – auch wenn das Denovali-Festivalgänger (zu denen ich mich ja eigentlich auch zähle) selbstverständlich nicht beeindrucken dürfte. Für Ieper waren MUSTH aber eine schöne Abwechslung, die ruhig auch etwas mehr in die Mitte des Lineups hätte gepackt werden dürfen. Fraglich natürlich, ob mir die Band auch gefallen hätte, wenn ich nicht so ein großer Fan dieser Gangart von Musik wäre. Dennoch: Lieber eine weitere so leidenschaftliche und detailverliebte, wenn auch soundtechnisch nicht innovative Band wie MUSTH als… ach, lassen wir das.

Morgenstund hat Gold im Mund? Na ja, nicht unbedingt Gold. Dennoch hat es sich gelohnt, für BETRAYEL so früh auf zu sein, und betrachtet man das Ganze weiter vom rein produktiven Standpunkt, so kann man ja immerhin sagen das Morgensport (in Form von 2-Step) auch eine super Sache ist. Und da bis zur nächsten Band dieser Gangart noch einiges an Zeit liegt, war das schon eine echt gute Sache. Schließlich musste man nicht unbedingt fit, aber wach sein für die darauffolgenden TOMBS. Deren pechschwarzer Mix aus Sludge/Doom Metal und Black Metal war nämlich mindestens so episch wie auf Platte. Auf Ansagen oder generell sprachliche Kommunikation mit dem Publikum wurde zwar gänzlich verzichtet (gehört halt irgendwie zur Attitüde), dafür verlor man sich gerade in den ausgedehnten instrumentalen, aber nicht minder druckvollen und vor allem hypnotischen Momenten. Ein Wahnsinn, was diese Band macht, und für genrefans verdammt noch mal unentbehrlich. Um Düsternis ging es dann übrigens auch bei BLACK HAVEN, nur im Sinne recht geradlinigen Hardcores. Kann man sich anhören, muss man aber nicht – ganz im Gegensatz natürlich zu vorigen TOMBS.

Richtig spannend wurde es dann erst wieder für mich mit EF. Ja, Post-Rock, ja, stellenweise etwas konventionell, aber sehr bewegend gespielt und mit den richtigen Momenten, um bei all dem instrumentalen Rumgeträume der Musiker bei Stange gehalten zu werden. Unscheinbar, aber doch rückblickend einer der größten Highlights des Festivals für mich – zumindest, wenn es um den Sonntag geht. DEATH BEFORE DISHONOR waren dagegen wie die gestrigen STICK TO YOUR GUNS einer der Bands, zu denen ich – trotz super Ausstrahlung und energischer Show – nicht so recht den Zugang finden konnte, und kann. Mehr als respektvolles, aber doch irgendwie müdes Kopfnicken ging da von meiner Seite leider nicht.

Dann aber DRUMS ARE FOR PARADES. Hier auf Allschools ja vom Kollegen Fricke vor geraumer Zeit als Tipp gefeiert, und von mir noch in meinem RED-FANG-Review nicht unbedingt schlecht, aber eben schlechter als jene besprochene Band geredet. Manchmal weiß man halt Qualität nicht zu schätzen, wenn sie einen direkt vor der Nase liegt. Dabei bin ich mit der Band durchaus die letzten Wochen noch mehr als warm geworden, doch dieser Auftritt, nun ja, der übertraf eben alles. Nicht, weil da TOUCHE-AMORE-artig Leute von allen Seiten Leute ausgerastet wären, und man irgendwelche, einen persönlich wichtige Zeilen mitzuschreien hätte (wäre sowieso bei so einer Band auf so einem Festival undenkbar gewesen). Rein musikalisch hat das halt – ähnlich wie Freitagabend bei AND SO I WATCH YOU FROM AFAR – einfach Freude bereitet. Hinter schweren Nebel verbargen sich da drei bärtige Typen, dessen mal nosigen, mal eher in Stoner-Gefilden einzuordnende Musik so kraftvoll, so unglaublich energisch und irgendwo auch hypnotisch klang. Alles sitzt da wo es sein sollte, alles klingt so unheimlich spannend, obwohl DRUMS ARE FOR PARADES eigentlich nichts neues (aber eben: neu-)erfinden. Prädikat: Geil!

Von den meisten, aber nicht von mir wurden dagegen FOR THE FALLEN DREAMS weitaus eher gefeiert – zumindest auf sichtbare Weise. Für mich völlig unverständlich: Mir wurde diese Band damals als riesiger MISERY-SIGNALS-Fan als vergleichbare, wenn auch etwas straightere Alternative nahegelegt. Tatsächlich belaufen sich diese MISERY-SIGNALS-Parallelen allerdings nur auf kleine und dazu noch bezeichnend ähnliche Gitarrenmelodien, die da immer mal neben den inflationären Breakdowns gesetzt werden. Vielleicht braucht man da mehr Einarbeitung, vielleicht ist mein Blick nach nur 1-2-maligen Hören einer Platte und einem Auftritt noch zu oberflächlich. Dennoch werde ich das Gefühl nicht los, dass das mit mir und dieser Band nichts mehr wird.

An FOR THE FALLEN DREAMS ging ich ohne Erwartungen ran und bekam wenig, doch bei THE SECRET erwartete ich dann schon mehr, ist deren aktuelles Album „Solve Et Coagula“ doch ein durchaus hörbarer, schön düsterer Bastard aus Grind und Doom. Was diesen Auftritt betrifft, nun ja, ich weiß es nicht. War es der Sound, der mich störte? Nein, der war eigentlich völlig in Ordnung, lediglich der Sänger klang etwas ungewohnt. Und auch vom Publikum ging da im doch recht gut gefüllten Zelt weitaus mehr als gedacht, als hätte es sich aus dem kleinen Geheimtipp durchaus sowas wie ein kleiner Hype entwickelt. Daher: Keine Ahnung. Mich wollt es nicht packen. Zumindest nicht wie auf Platte.

Zum Glück sind zumindest KVELERTAK eine absolut sichere Sache, und bestätigten für mich abermals – nach einem super Auftritt vor gut einem Jahr -, dass diese Band live sogar noch besser ist als auf ihrem so phänomenalen Debüt. Ein Sound, auf den – wie gestern noch bei STRIKE ANYWHERE – Party die einzige Antwort ist. Und natürlich durfte Erlend Hjelvik auch heute nicht mit bedecktem Oberkörper die Bühne verlassen – das versteht sich ähnlich wie bei FUCKED UP oder AMON AMARTH ja mittlerweile von selbst. Um Party ging es dann auch bei SWASHBUCKLE, dessen thras(h)iger „Piraten-Metal“ ich immer noch nicht hören kann. Aber hey: Wenn die ganze Band als Piraten verkleidet ist, wenn der Sänger und Gitarrist einen Plastik-Papagei auf seiner Schulter kleben hat, wenn einzelne auf aufblasbaren Delphinen auf den Händen des Publikums schwimmen und dann, nach einiger Zeit, im wahrsten Sinne des Wortes untergehen, ja dann muss auch ich lächeln.

Aus „I’ve got no love inside my heart / only a knife deep in my neck” wurde „Night after fucking night knife in my throat / endless fucking tears for you, I lost the hope”. BURY YOUR (fucking!) DEAD sind mit Mat wieder so herrlich stumpf-pathetisch zurück wie man sich das nur in seinen aller feuchtesten Träumen erhofft hat, und sparen selbstverständlich auch live nicht an ihrem ganz speziellen Charme, den sie von anderen, ähnlich stumpfen Bands unterscheidet. Dabei scheinen die Ieperfest-Gäste zu Großteilen noch nichts von der, ähm, „Magie“ um diese Band mitbekommen zu haben (wo waren die zwingenden Singalongs bei „Top Gun“?!), wurden dann aber früher oder später ebenfalls von ihr infiziert. Nach etwas Nachhilfe, versteht sich: Hier mal die beiden Gitarristen während des Songs Gitarre spielend im Circle-Pit (mitlaufend!), da Evergreens wie „Magnolia“ oder „The Color Of Money“, und dann noch mal kleine Albernheiten der beiden Gitarristen in Form von, beispielsweise, Fangenspielen auf der Bühne während des Spielens. Auch dann kam – gemessen an der nicht in Frage stellbaren Qualität der Band – immer noch zu wenig vom Publikum, aber eins ist klar: BURY YOUR DEAD sind die letzten, die man dafür verantwortlich machen kann.

Etwas mehr ging da schon bei den mir zuvor gänzlich unbekannten A WILHELM SCREAM. Aber vielleicht war ich da ja nicht der einzige, vielleicht waren die meisten wie ich auch nur wegen des Namens am Starts, und dachten sich: Wenn ich schon mal hier bin, kann ich mich doch auch bewegen! Für mich klang das ganze nach einem angenehm energischen Mix aus RISE AGAINST und HOT WATER MUSIC, und da das nicht gerade unbeliebte Bands sind erklärt sich vielleicht auch warum A WILHELM SCREAM so gut ankamen. Ebenfalls überraschend gut kamen EXHUMED an, die soundtechnisch eher im Damals verankert sind, und ja schon im Titel ihres aktuellen Albums „All Guts, No Glory“ eine Oldschool-Referenz haben. Wobei klar gestellt werden sollte, dass da soundtechnisch eher Florida als BOLT THROWER bedient werden, doch ist das wirklich wichtig? Jedenfalls: Keine monumentale, aber eine durchaus kurzweilige Angelegenheit.

IGNITE waren dann wieder so die Konsensband, die es irgendwie geschafft hat mein gesamtes kurzes Leben an mir vorbei zu gehen, obwohl ich doch ständig über ihren Namen gestolpert bin. Doch auch wenn mir das Ganze dann auch live nichts gab, so behalte ich den Auftritt dennoch gut in Erinnerung. So erwies sich Sänger Zoltan Téglás mit seinen Ansagen als überraschend sympathische Figur, beispielsweise: „You can’t change the world alone. But what you can do is finding your spot and do something, so people can change it together as a whole.” Mit solchen Denkanstößen brachte Téglás das Festival kurz vor Ende wieder zurück zu all dem Aktivismus, dem DIY-Gedanken, allgemein diesem gewissen Bewusstsein, und schloss auf wunderbare Weise den Kreis. Ein schöner Gedanke, wenn zumindest einige aus dem Publikum etwas von all dem nach dem Festival mit nach Hause nehmen.

Wie EXODUS und MESHUGGAH durfte auch am Sonntagband eine Metalband einen sehr späten Slot im Lineup belegen. Doch wo die gestrigen Vertreter des schweren Metalls doch überraschend respektable Publikumszahlen und -aktivitäten vor sich verkehren hatten, war dann bei DECAPITATED vergleichsweise tote Hose, wenn auch immerhin von einzelnen eine spürbare Begeisterung ausging. Aber klar: DECAPITATED haben längst nicht dieselbe, über das eigene Genre hinaus gehende Reputation, um auf diesen Festival eine tobende Meute zu erwarten – und gemessen daran waren die paar Begeisterten doch über den Erwartungen. Ich zählte zu diesen Begeisterten, hatten und haben DECAPITATED für mich doch zumindest im Metal-Sektor das bisherige Album des Jahres geliefert, und das trotz gravierender Lineup-Wechsel. Die waren dann teilweise natürlich auch Live noch zu spüren, die Band wirkte - trotz 15 Jahre Bandgeschichte – entweder leicht introvertiert oder einfach nur konzentriert, obwohl sich Sänger Rafał Piotrowski sichtbar Mühe gab die Songs möglichst energisch rüberzubringen. Songs ist übrigens ein gutes Stichwort, denn entgegen meiner Erwartungen fielen mit Nummern wie „Spheres Of Madness“ gleich drei ältere Songs, das heißt älter als „Organic Hallucinosis“. Ansonsten wurde über „Day 69“ bis „Homo Sum“ ein Set gespielt, dass Fans der Band eigentlich nur wenige Wünsche offen hielt. Man kam also durchaus auf seine Kosten, wenn man etwas für diese Band übrig hatte. Doch eins ist natürlich klar: Die Mehrheit warteten auf DILLINGER. Und das sicherlich nicht ganz zu unrecht.

Kann man sich für so ein, nein, überhaupt für ein Festival einen besseren Abschluss als THE DILLINGER ESCAPE PLAN wünschen? Ganz sicher gehören sie zu den Bands, dessen Trubel um ihre Live-Shows nicht aus der Luft gegriffen ist, und die live für mich höchstens nur noch von THE CHARIOT überboten werden können. Da wird von meterhohen Boxen gesprungen, Mikroständer durch die Gegend geschmissen, gespielt, während man vom Publikum getragen wird, ach ja, und um es nicht zu vergessen: absolut sauber gespielt, trotz höchsttechnischem, vertrackten Songwriting. Und wer mitsingen wollte hat mitgesungen, wer ausrasten wollte ist ausgerastet, wer Blödsinn machen wollte hat Blödsinn gemacht, und nun ja, was soll man sagen, alle waren glücklich und haben das Festivalgelände nach diesem letzten Auftritt sicherlich ausnahmslos mit einem Lächeln verlassen – und ja, so einfach ist das alles. Wenn die Welt doch immer so einfach wäre wie ein THE-DILLINGER-ESCAPE-PLAN-Konzert. Ach ja, bevor ichs vergesse: Wer länger als drei Sekunden auf der Bühne war (und das waren viele), wurde von der Band eigenständig von der Bühne gekickt – selbst, wenn man gerade dabei war, der Welt seine Genitalien zu offenbaren. Doch gewiss hatte die Band auch für solche Dinge Verständnis, denn erfahrungsgemäß ist es ja nicht das erste Mal, dass Menschen bei ihrer Musik ein klein wenig die Fassung verlieren.

Was bleibt einen nach all dem zu sagen? Für mich war das diesjährige eine wahrlich großartige Angelegenheit, die von Bands über Menschen über Organisation bis hin zu dem Drumherum eigentlich alles richtig gemacht hat. Mir war vielleicht die ein- oder andere breakdown- und moshorientierte Band zu viel dabei, doch dafür packte mich der ganze Spirit, die ganze Idee des Festivals, die zu mehr diente als bloß das eigene Gewissen zu beruhigen, sondern auch tatsächlichen Aktivismus vormachte und lebte. Ein Festival also, von dem wir alle eine Menge lernen können, und für das man sich – ähnlich wie beim Fluff – auch gerne mal ins benachbarte Ausland begibt. Für mich ist klar: Wenn das Lineup nächstes Jahr wieder derartig hochkarätig daher kommt, bin ich wieder dabei. Darauf eine Bionade!